Spieltheoretiker zum Brexit: „Ich würde auf No-Deal wetten“
Der Ökonom Steffen Huck analysiert den Brexit mittels der Spieltheorie. Sein Ergebnis: Neuwahlen sind hoch wahrscheinlich. Ein Interview.
Herr Huck, beim Brexit wirkt es mitunter, als hätten sich die Briten verzockt. Wie ist das jüngste Abstimmungsergebnis aus spieltheoretischer Sicht zu bewerten?
Aus spieltheoretischer Sicht gibt es „die Briten“ nicht, sondern nur die einzelnen Politiker. Von denen glaubt zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch niemand, verloren zu haben. Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Politiker bei ihren Entscheidungen allein von ihren eigenen Interessen leiten lassen.
Ist es nicht etwas zynisch anzunehmen, sie hätten nur ihr eigenes Wohl im Blick?
Natürlich können diese zum Teil vom Wohl des Vereinigten Königreichs getrieben sein. Das ist nirgendwo auf der Welt anders. Kommentare zur angeblichen Verdorbenheit der politischen Klasse auf der Insel sind deshalb fehl am Platz. Üblicherweise werden Politiker nur vom Wähler diszipliniert. Die Tragödie beim Brexit ist, dass sich der Wähler durch das Referendum selbst entmachtet hat. Daran ändern auch keine großen Märsche durch London etwas.
Also ein Brexit-Drama und kein Ende?
Wie lange das Spiel noch dauern wird, wissen wir nicht. Aber ein Ende wird es geben und damit Gewinner und Verlierer. Zu denen werden dann auch „die Briten“ als Gesamtheit zählen.
Welches Ende können Sie denn mit den Mitteln der Spieltheorie vorhersagen? May-Deal, No-Deal oder No-Brexit?
Ich würde auf No-Deal wetten. So wie es aussieht, braucht Theresa May, um ihren Deal durch das Unterhaus zu bringen, zumindest einen Teil der Labour-Fraktion. Wenn die weiterhin gesammelt hinter Oppositionsführer Jeremy Corbyn steht, sehe ich schwarz. Ich hoffe natürlich, dass es genügend Abweichler geben wird, die das Wohl des Landes an erste Stelle setzen. Dann käme der May-Deal, dessen Details später ganz vernünftig ausgestaltet werden könnten. Der No-Deal bleibt aber das wahrscheinlichste Szenario. Denn wenn es keine Mehrheiten für Alternativen gibt, kommt der harte Brexit automatisch.
Welche Interessen haben denn die einzelnen Spieler Theresa May, Jeremy Corbyn und die EU?
Der Reihe nach: May muss man inzwischen abnehmen, dass sie wirklich das Beste für ihr Land im Sinn hat. Schließlich hat sie ihren eigenen Kopf auf dem Altar ihres eigenen Deals schon geopfert. Corbyn, da habe ich keinerlei Zweifel, will nur eines: Premierminister werden. Darin liegt die Crux. Sein Weg in die Downing Street Number 10 führt nur über den harten Brexit. Kriegt May ihren Deal, haben die Konservativen, so zerstritten sie auch sein mögen, gewonnen.
Und die EU?
Die EU will natürlich einen harten Brexit vermeiden. Gleichzeitig muss sie aber auch die Grundwerte der Union für mögliche ähnliche Fälle in der Zukunft überzeugend wahren. Deshalb wird sie lieber ein Exempel statuieren, als den Briten Rosinenpicken zu erlauben. Das ist nichts Neues – es verwundert deshalb immer wieder, wenn britische Politiker sagen, man müsse nur besser verhandeln. Das wird nichts bringen.
Wie wahrscheinlich sind Neuwahlen?
Hoch wahrscheinlich. Neuwahlen sind das klare Ziel Corbyns. Es wird nur keine geben, wenn es genügend Labour-Abgeordnete gibt, denen ihr Land wichtiger ist, als ihren Parteivorsitzenden in Downing Street zu sehen.
Inwieweit würden die Abstimmungen anders verlaufen, wenn mehr als ein simples „Ja-Nein“ zur Auswahl stünde?
Wie wichtig das Agendasetting ist, sieht man wunderbar an der Rolle des Unterhaussprechers. Es bleibt abzuwarten, was John Bercow zur von May geplanten dritten Abstimmung am Freitag zu sagen hat. Die fehlenden Mehrheiten für Ja-oder-Nein-Entscheidungen zeigen aber allemal: Ein zweites Referendum bleibt unwahrscheinlich.
Steffen Huck ist Direktor der Abteilung „Ökonomik des Wandels“ am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Professor am University College London.