Kohls Memoiren: Heribert Schwan und sein Schatz
Heribert Schwan sollte Kohls Erinnerungen verfassen. 2009 kam es zum Bruch zwischen beiden. Jetzt wechselt der Auftragsschreiber in die Journalistenrolle und verwertet seine Aufzeichnungen aus den Gesprächen mit dem Altkanzler. Das darf er, wenn er bei der Wahrheit bleibt.
Helmut Kohl und seine Vertrauten werden gewusst haben, was auf sie zukommt. „Ich werde diesen Schatz irgendwann heben“, sagte Kohls Biograf, der frühere WDR-Journalist Heribert Schwan, vor zwei Jahren über seine Recherchen im Altkanzlerbungalow. Der Schatz, das sind Dokumente von hunderten Stunden Gespräch, aus denen Schwan die gültigen Memoiren des einstigen Großpolitikers fertigen sollte. Nun wird er gehoben, ohne Kohl, aber in Kooperation mit dem Autor Tilman Jens: „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“ heißt das gemeinsame Buch, das seit Montag ausgeliefert wird.
Der Streit zwischen Kohl und Schwan bildet den Prolog zu vermutlich einigen Kapiteln, die noch folgen werden. 2001 und 2002 saßen die beiden an mehr als hundert Tagen beieinander. Neben den Erinnerungen, aufgezeichnet auf 135 Tonbändern, wurden dem Besucher Handakten, Briefe und Reden überlassen. Es gab sogar Auszüge aus der Stasi-Akte Kohls, die dieser für die Öffentlichkeit hatte sperren lassen. Ein Vermächtnis von historischem Wert, da waren sich alle einig.
Wie es aussieht, machte Schwan, was ein Journalist in solchen Fällen macht: Abschriften, eigene Notizen, vielleicht auch Kopien. Man weiß ja nie. Tatsächlich kommt es 2009 zum Bruch der ehemaligen Partner. Aus dem Kohl-Lager hieß es, der Autor sei mit Passagen in seinem Buch über die verstorbene Gattin Hannelore zu weit gegangen. Schwan sieht eher Kohls heutige Ehefrau Maike Richter am Werk, äußerte sich aber auch „tief enttäuscht“ über Kohl. Drei Bände hatte er fertig, der vierte durfte nicht erscheinen.
Der Bundesgerichtshof soll entscheiden.
Wem gehört jetzt der „Schatz“? Aufgeschreckt durch die selbstbewussten Ankündigungen Schwans zog Kohl vor Gericht und verlangte die Herausgabe der Tonbänder. Schwan weigerte sich zunächst; sie seien sein eigenes Werk, ähnlich seinen privaten Exzerpten. Zumal sie ihm gehörten, er sie zu den Interviews mitgebracht hatte.
Doch zwei Urteile bestätigten die Auffassung Kohls. Das Oberlandesgericht Köln zog Anfang August einen nüchternen Vergleich und beantwortete die Schöpferfrage mit den Eigentumsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Kohl habe die Bänder besprochen, mit diesem Akt seien es seine Bänder geworden. Eine Regel, die auch gilt, wenn man fremdes Metall graviert. Die Richter begründeten ihre Sicht damit, Kohl sei nicht nur Auftraggeber, sondern letztlich eine Art Regisseur der gesamten Veranstaltung gewesen. Ghostwriter Schwan hätte sich fügen müssen. Tatsächlich hatte er in seinem Verlagsvertrag auf alles verzichtet, was ihn als eigenständigen Autor hätte ausweisen können. Trotzdem hat Schwan Revision eingelegt. Jetzt soll der Bundesgerichtshof entscheiden.
Schwan hat die Rolle des Lohnschreibers in dieser Sache längst verlassen. Er betrachtet sich ganz als Journalist und Zeitzeuge. Eine Verschwiegenheitsverpflichtung hat und hätte er nie unterschrieben, sagt er. Seine Mission sieht er darin, „dass man diesem Mann gerecht wird“. Daran wird Kohl ihn schwerlich hindern, solange er sich an die Wahrheit und das politische Leben des Altkanzlers hält. Das Kölner Urteil ist kein Nutzungsverbot. Aber wie man Kohl und die Seinen kennt, wird er es nicht darauf beruhen lassen.
Jost Müller-Neuhof