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In Potsdam hinterlässt Hartmut Dorgerloh beachtliche Spuren. 600 Millionen Euro hat er für Parks und Schlösser eintreiben können.
© Ronny Budweth

Generalintendant des Humboldt-Forums: Hartmut Dorgerloh ist Berlins neuer Schlossherr

Schon als Schüler jobbte er in Sanssouci, sein Studium widmete er Berliner Museen. Der neue Chef des Humboldt-Forums ist Praktiker statt Visionär. So einen unterschätzt man schnell.

Hartmut Dorgerloh muss ein Tausendsassa sein, will er alle Heilserwartungen als neuer Berliner Schlossherr erfüllen. Frieden soll er schaffen zwischen den Nutzern und Betreibern, also der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Stadtmuseum, der Humboldt-Universität und gleich vier zuständigen Ministerien samt Kanzleramt und Land Berlin. Und überhaupt die erregten Gemüter beruhigen, die Schloss-Afficionados und Palast-der-Republik-Nostalgiker, die Raubkunstkritiker und Kolonialzeit-Vergangenheitsbewältiger. Eifersüchteleien möge er bitte im Keim ersticken, den Laden zusammenhalten, Geld beschaffen, Glanz generieren und die Vision eines Hauses der Weltkulturen weiterentwickeln. Ganz schön viel für einen allein.

Nun haben sie ihn einstimmig zum Generalintendanten des Humboldt-Forums gewählt, die 15 Mitglieder des Stiftungsrats, am Dienstag im Kronprinzenpalais Unter den Linden. „Als Ossi bin ich bei 100-prozentigen Wahlergebnissen eher skeptisch“, sagt Dorgerloh, damit es nicht zu feierlich wird, als er vor die Presse tritt, mit gedeckt blauem Anzug und für seine Verhältnisse diskreter blau-rot gestreifter Krawatte.

Damit das gleich klar ist, der Mann hat Humor. Aber auch Respekt vor dem neuen Job. Gleich zweimal nennt er das Humboldt-Forum eine „Freistätte der Kunst und Wissenschaften“ und zitiert freischwebend die Passage im Koalitionsvertrag – „internationale Dialogplattform für globale kulturelle Ideen“ – neben einer freudestrahlenden Kulturstaatsministerin.

Monika Grütters zeigt sich sichtlich erleichtert, dass die schwierige Personalie endlich vom Tisch ist. „Das ist ein guter Tag für die Kultur in Deutschland“, meint die CDU-Politikerin. Dass Frauen Männern Blumen überreichen, sieht man nicht so oft. Auch nicht, dass es so schnell gehen kann von der Berufung bis zum Amtsantritt. Am 1. Juni legt Dorgerloh los, zunächst für fünf Jahre.

Kein Museumsstar. Keine Frau

Also doch kein internationaler Kandidat, kein Museumsstar wie Gründungsintendant Neil MacGregor – und keine Frau, wie allenthalben erwünscht? Gegen zu viel messianische Sehnsucht, mögen Grütters und die bisherigen Schlossherren gedacht haben, hilft Pragmatismus. Als langjähriger Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten war Dorgerloh nicht nur Chef eines ähnlich großen, komplexen Betriebs, er kennt etliche Schloss-Akteure längst als Kollegen und Partner, allen voran die mächtige Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Das betont er auch gleich im Kronprinzenpalais und winkt außerdem Wilhelm von Boddien zu, dem Schloss-Initiator, der mit seinem Förderverein die Spenden für den Fassadenschmuck einwirbt. Die beiden kennen sich vom Förderverein der Schlösser-Stiftung, umtriebig ist Boddien nicht nur in Berlin, sondern auch in Potsdam.

Dorgerloh genießt tatsächlich den Ruf eines Tausendsassas. „Einerseits Intellektueller, andererseits auch Umsetzer“, nennt Grütters ihn. Ein „erfolgreicher Praktiker mit hoher eloquenter Vermittlungskompetenz“, heißt es in der Mitteilung ihrer Behörde. Er bringt „Ruhe in die Debatte“, sagt sie am Dienstag, das Gleiche traut ihm auch Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat zu. Streiten könne er auch. Und wer wie Dorgerloh 15 Jahre lang nicht nur Sanssouci in Schuss hält, sondern auch die Parks und Residenzen von Charlottenburg bis Rheinsberg, Babelsberg bis Schönhausen, weiß sich in der föderalistischen Gemengelage zwischen Bund, Berlin und Brandenburg zu bewegen.

Schon als Schüler jobbte der 1962 geborene Potsdamer Pfarrerssohn in Sanssouci, sein Studium an der Humboldt-Uni schloss er mit einer Promotion über die Nationalgalerie auf der Museumsinsel ab. Er arbeitete zunächst als Denkmalpfleger und machte sich ab 2002 als oberster Hüter der Hohenzollernschlösser einen Namen. Als umtriebiger Kommunikator, gut vernetzter Praktiker, als Chef mit der Fähigkeit zur Konzilianz, aber auch zur klaren Kante. Ein smarter Kulturmanager, wendig im Auftritt, bestimmt in der Sache – so einen unterschätzt man leicht neben den renommierten Visionären.

Er hat Preußen entstaubt

In Potsdam hinterlässt Dorgerloh jedenfalls beachtliche Spuren. 600 Millionen Euro hat er nach und nach für die Sanierung der Schlösser und Parks aus einem Sonderinvestitionsprogramm eintreiben können. Hat getrommelt, geworben, auch mal lautstark gewettert, wenn die Stadtoberen wegen eines neuen Shoppingcenters den Weltkulturerbe-Status der barocken Stätten zu verspielen drohten.

Sein wichtigstes Verdienst: Er hat Preußen entstaubt. Mit Ausstellungen wie „Friederisiko“ (2012) und „Frauensache“ (2015) brachte er den Besuchern Kurfürsten, Könige und Kaiser nahe – und eben auch das Netzwerk der Hohenzollerinnen, von Sophie Charlotte über Luise bis Christine. Geschichte verlebendigen, auch mal die Perspektive wechseln, so lockte Dorgerloh ein breites Publikum in die Schlösser. Auch, indem er zu Ausstellungseröffnungen Diskussionen über die Kleiderwahl bei Hofe mit heutigen Shitstorms gegen europäische Royals verglich. Oder die unschönen Folgen von – aus Ästhetikgründen – innen angebrachten Regenrinnen in Prunksälen erläuterte: Schimmel.

Seine Dimensionen wurden lange unterschätzt, doch das Humboldt-Forum ist im Zeit- und Kostenplan.
Seine Dimensionen wurden lange unterschätzt, doch das Humboldt-Forum ist im Zeit- und Kostenplan.
© Britta Pedersen/dpa

Ein Experte für Preußen also und kein Ethnologe. Kann das gut gehen an der Spitze eines Hauses, das vor allem die außereuropäischen Sammlungen der Preußenstiftung beherbergt? In der Tat hat sich Dorgerloh bislang eher als Kenner der Schlosshülle empfohlen. Schon 2008 sprach er in einem Zeitungsinterview von „Welterkenntnis und Weltverständnis“ im Humboldt-Forum, und dass seine Schlösser-Stiftung daran mitwirken wolle, den Geist der weltneugierigen Humboldt-Brüder ins alte neue Barockschloss in Berlin-Mitte einziehen zu lassen.

Noch 2017 schrieb er in einem Essay zur Diskrepanz zwischen äußerer Erscheinung und Innenleben des Humboldt-Forums, man möge bitte mit gezielten „Interventionen“ und authentischen Objekten an die Geschichte des Orts erinnern und dabei den Palast der Republik samt Volkskammer nicht vergessen. Genau das regte auch Gründungsintendant Neil MacGregor am vergangenen Sonntag im Tagesspiegel an. Da geben sich zwei die Klinke in die Hand. Kontinuität, endlich.

Bald kamen die unangenehmen Fragen

Denn was bisher geschah, ist ziemlich kompliziert, oft wenig erbaulich und umfasst einen langen Zeitraum. Im Jahr 2002 taucht die Idee eines Humboldt-Forums in der Öffentlichkeit auf. Damit sollte das wiederaufzubauende Schloss einen Inhalt und eine Seele bekommen. Ein Museum neuen Typs mit den außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem, ein Zentrum der Weltkulturen als Weiterführung der Museumsinsel – das wirkte wie ein Befreiungsschlag. Der Name Humboldt als Programm: Sind die Brüder Alexander und Wilhelm nicht das Beste, was Preußen zu bieten hat? Der Geist der liberalen Köpfe, der weltberühmten Forscher, Schriftsteller und Gelehrten adelte das gewaltige Unternehmen.

Bald aber kamen die Zweifel. Und die unangenehmen Fragen: Wie sollen Schlossfassade und Innenleben zusammenpassen? Schließlich hat die Hälfte der Berliner lange Zeit den Schlossneubau abgelehnt, eine schwere Hypothek. Viele Jahre vergingen, ohne dass sich ein Politiker auf Bundes- oder Landesebene für das größte Kulturprojekt der Bundesrepublik mit der nötigen Leidenschaft eingesetzt hätte. Und kaum ein Kulturmensch sah sich in der Lage, überzeugend zu erklären, was es mit dem Humboldt-Forum auf sich hat – wie die Staatlichen Museen, die Humboldt-Universität und auch noch das mit einer Geschichtsschau zu beteiligende Land Berlin sich unter einem Dach zusammenfinden.

Vertrackt und verspätet: Als Ministerin Grütters die Sache in die Hand nahm, ging es vielen dann wieder zu schnell. 2015 setzte sie für das Humboldt-Forum die Gründungsintendanz ein, mit dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp (für die Uni), Hermann Parzinger (als Chef der Preußenstiftung) und Neil MacGregor als Primus inter Pares. Als weißer Ritter. MacGregor war zuvor Direktor des British Museum in London. Der Deutschland-Experte und Bestseller-Autor sollte dem ins Stocken geratenen Riesenunternehmen Geist einhauchen und Beine machen, ein neuer Humboldt gleichsam.

Allein der Umzug erfordert ein logistisches Meisterwerk

Drei Jahre später hat manch einer immer noch den Eindruck, dass es nicht wirklich vorangeht. Tatsächlich wurden die Dimensionen des Projekts lange unterschätzt. Allein der Umzug der Ausstellungsstücke aus Dahlem nach Mitte verlangt ein logistisches Meisterwerk. Auch wurde die Dynamik nicht erkannt, die das Schloss auslöst: Es zieht wie ein Magnet aktuelle Debatten an und verstärkt sie. Was soll ein Kreuz auf einem öffentlichen Gebäude? Wie steht es mit der Raubkunst? Sind die ethnologischen Museumsschubladen noch zeitgemäß? Das Humboldt-Forum ist ein – Forum. Etwas anders, als die Erfinder es sich dachten.

Neil MacGregor machte nicht zuletzt die eingesessene Bürokratie zu schaffen. Und die neuen Organisationsstrukturen, die parallel zum Bauwerk wuchsen, sind schon wieder so kompliziert, dass selbst Verwaltungsexperten darüber den Kopf schütteln.

Mit Dorgerloh soll es nun so aussehen, auch darüber haben sie am Dienstag im Stiftungsrat lebhaft diskutiert: Die Generalintendanz wird von vier Säulen getragen. Erstens die Sammlungen, mit Lars-Christian Koch als Leiter fürs Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunstim zweiten und dritten Stockwerk sowie Paul Spies vom Stadtmuseum für die tausend Quadratmeter Berlin in der Beletage. Zweitens die sogenannte Akademie und Humboldt-Lab: das Schaufenster der Humboldt-Uni unter der neuen Leitung von Gorch Pieken, ebenfalls im ersten Stock. Drittens die Verwaltung, viertens das Programm mit Wechselausstellungen und Veranstaltungen im Erdgeschoss, das Generalintendant Dorgerloh in Doppelfunktion inhaltlich verantwortet und von der „Humboldt Forum Kultur GmbH“ unter Lavinia Frey – einzige Frau im Männerbetrieb – gestaltet wird. Immer noch kompliziert genug, aber eine Leitungskonferenz mit allen Beteiligten soll es richten. Schon jetzt trifft man sich jede Woche, damit jeder weiß, was die anderen treiben – immer mittwochs um zehn.

Der neue Chef betont Kontinuität

Von MacGregor, einem Favoriten von Kanzlerin Angela Merkel, hatte man sich zu viel erwartet, und er selbst hat es sich einfacher vorgestellt – zumal er das Humboldt-Forum nur als Teilzeitjob betrieb. Doch atmosphärisch ist seine Wirkung nicht zu unterschätzen. Er hatte eine Katalysatorfunktion in einem Experiment, das es so noch nicht gegeben hat. Und seine Art, in Objekten und Geschichten zu denken, den historischen Gesamtzusammenhang aus dem Detail zu erhellen, schlägt sich jetzt nieder.

Dorgerloh betont jedenfalls die Kontinuität, wenn er etwas offiziös von der „guten Grundlage“ der von den Gründern konzipierten Governance spricht. Und er holt sie zum Fototermin denn auch gleich zu sich vor die Kameras, nennt sie alle einzeln beim Namen, MacGregor, Parzinger, Bredekamp, Frey, Stiftungsvorstand Johannes Wien und Hans-Dieter Hegner, der für den Baubereich zuständig ist. Ein Teamplayer, wie gesagt.

Nur ein einziges Mal verhaspelt er sich, als er auf den Umgang mit ethnologischen Sammlungen im „postkolonialen Zeitalter“ zu sprechen kommt, ausgerechnet. Raubkunst, das heiße Eisen, die heftigste Debatte, seit die Kunsthistorikerin und jetzige Macron-Beraterin Bénédicte Savoy das internationale Humboldt-Beratergremium im Sommer 2017 aus Protest verließ. Ihr Vorwurf: Es hapert bei der Provenienzforschung. Natürlich sind dafür die Kuratoren der Staatlichen Museen zuständig, sprich, der kürzlich berufene Sammlungsleiter Lars-Christian Koch. Doch Dorgerloh wird die Positionen des Hauses nach außen vertreten müssen - und läuft sich schon warm.

Mehr als 500.000 Objekte hütet das Ethnologische Museum, nicht an allen klebt Blut. Doch die Hüter der Sammlungen sind weit davon entfernt, für jede Pfeilspitze, jeden Flechtkorb, jede Maske die Herkunftsgeschichte rekonstruieren zu können. Bisher gab es nur eine einzige Provenienzforscherin, inzwischen hat Grütters vier weitere Stellen in Aussicht gestellt. Das Humboldt-Forum als größtes Kulturprojekt des Bundes wird zum Präzedenzfall dafür, wie deutsche Museen Objekte aus kolonialem Kontext präsentieren und auf welche Weise Vorbesitzer, Wissenschaftler oder religiöse Führer aus den Herkunftsländern einbezogen werden.

Wehmut im Spiel?

Das Schloss ist im Zeit- und Kostenplan, Ende 2019 soll es eröffnet werden. Dann erst wird sich zeigen, ob Neil MacGregors Initiativen nachwirken und ob die Befriedung gelingt.

Kein Abschied, ein neuer Abschnitt, betont Dorgerloh im Kronprinzenpalais. Die Gründungsintendanten beenden mit dem 1. Juni ihre Arbeit. Bredekamp, Parzinger, sie umringen ihn und schauen ernst drein, ist da etwa Wehmut im Spiel? Wie MacGregor sind sie bereit, dem Neuen beratend zur Seite zu stehen. Er muss nur auf sie zukommen. Die ersten Gesten an diesem Dienstag sprechen zumindest dafür.

Aber jetzt will Hartmut Dorgerloh erstmal ins Nebenzimmer, ohne die Journalisten. Dort begrüßt er die Mitarbeiter der Humboldt Forum Kultur GmbH, sein neues Team. Die Gründungsintendanten hat er im Schlepptau.

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