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Der Kaiser dankt ab. Mit solchen Kisten ging Wilhelm II. ins niederländische Exil. Sie werden im Humboldt-Forum im Schloss zu sehen sein.
© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten

Humboldt-Forum: Botschaften für die Bürger

Von der Burg auf der Cöllner Spreeinsel bis zum Palast der Republik: Wie das Humboldt-Forum mit Federkiel, Mörser und Wahlurne an seine Vorgeschichte erinnert

Steht man vor dem riesenhaften Neubau des Humboldt-Forums, das zumindest von drei Seiten an das ehemalige Berliner Schloss erinnert, so wird sehr schnell klar, dass es sich um einen besonderen Ort im Zentrum Berlins handelt. Der Platz repräsentiert die Geschichte einer Kontinuität von Brüchen und Kontroversen.

Es ist der Ort, an dem die herrschaftliche Macht auf die geballte Kraft und den enormen Druck einer großen kritischen Öffentlichkeit traf. Es ist ein Ort herrschaftlicher Präsentation, aber auch von Streit und Protest: Angefangen vom „Berliner Unwillen“, als die Berliner und Cöllner Bürger 1440 versuchten, den Bau einer Burg auf der Spreeinsel zu verhindern, über die sozialen Unruhen der Märzrevolution 1848, die Ausrufung der Republik durch Karl Liebknecht 1918 bis zur Zerstörung des Schlosses durch die Alliierten Ende des Zweiten Weltkrieges und seine Sprengung 1950, angeordnet von der Regierung der DDR.

Das Humboldt-Forum nimmt sich dieser und vieler weiterer Geschichten an. Vierzig Schlaglicht-Objekte werden im Sinne von Rückblenden im Haus ausgestellt. Sie sollen für den Besucher spürbar machen, dass das Humboldt-Forum mehr ist als ein wiedererrichtetes Barockschloss auf dem Grund des abgerissenen Palastes der Republik oder nur ein Museum.

Objekte halten Geschichte wie im Zeitraffer fest

In der Botschaft der erzählten Geschichten dieser Objekte lässt sich die Zukunft des Hauses ahnen. Es geht um die Suche nach Verständnis und einem neuen Selbstverständnis. Was bedeutete dieser Ort für Berlin und die Welt, über Jahrhunderte hinweg? Wollte man die Geschehnisse, wie sie sich im Verlauf der letzten fast 600 Jahre genau auf diese Stelle, in der Mitte der Insel von Alt-Cölln konzentriert haben, anhand weniger Zeitzeugen-Objekte wie im Zeitraffer festhalten, dann geht es zum Beispiel um folgende Stücke. Sie können trotz ihrer Bedeutung recht unauffällig sein.

Mit einem weißen Gänsefederkiel unterzeichnete Kaiser Wilhelm II. im Sternsaal des Berliner Schlosses die Anordnung zur Mobilmachung. Die Unterschrift besiegelte den Beginn des Ersten Weltkrieges. Weiß und fragil wie die Feder einer Friedenstaube steht sie tatsächlich für den Militarismus des Wilhelminismus, in dem die Armee als beste Schule der Nation galt. Er ist letztlich die Ursache für die Zerstörung des Schlosses. Der Federkiel macht deutlich, wie wichtig es ist, Macht verantwortlich auszuüben, Macht zu hinterfragen. Zugleich verbindet sich der Federkiel mit dem Lautarchiv der Humboldt-Universität, das gemeinsam mit dem Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums ins Humboldt Forum einziehen wird: die Ansprache Kaiser Wilhelms II., die er am 6. August 1914 vom Balkon des Schlosses gehalten hat, um das deutsche Volk auf den Krieg einzuschwören, wird als historisches Tondokument in Auszügen zu hören sein.

Von chinesischen Lettern bis zur Schlossapotheke

Ein kleines massives Eichenholzschränkchen aus dem 17. Jahrhundert, die Typographia Sinica, zeigt die vielfältigen Perspektiven, die sich mit dem Berliner Schloss als „Großmutter“ der Berliner Museen verbanden. Es verwahrt Setzkästen mit Druckstöcken chinesischer Lettern aus Buchenholz und diente dem Großen Kurfürsten zur Erlernung der chinesischen Sprache. Diese Lettern wurden nicht nur gesammelt, es ging vielmehr darum, die ostasiatische Schriftkultur zu studieren und zu vermitteln, sie zu veröffentlichen. Dieser Umgang mit den unterschiedlichen Denkarten der Welt war revolutionär für Europa zu dieser Zeit. Und damit wird das Schränkchen zum Botschafter des Humboldt Forums – sich der enormen intellektuellen Aufgabe anzunehmen, Neugier, Verständnis, Empathie für die Kulturen dieser Welt zu stiften und die Verständigung zu befördern.

Marmorstatuen der brandenburgischen Kurfürsten im Treppenhaus

Auch der unscheinbare bronzene Mörser aus der Hofapotheke aus der Zeit Friedrichs I. datiert um 1700, steht für die Vielschichtigkeit der Nutzungsgeschichte des Schlosses. Es war Sitz der Verwaltungen, Arbeitsort von Hunderten von Menschen und fester Bestandteil des Alltags in Berlin. So existierte hier seit 1598 die Schlossapotheke als bürgerliche Forschungseinrichtung, die mit ihren Laboratorien eine Keimzelle der Berliner Wissenschaftslandschaft bildete. Als eine der Spuren der Geschichte im Humboldt-Forum steht der Mörser für die Wissenschaft im Schloss, für Forschung mit öffentlichem Zweck und damit für die Humboldt-Universität als starken Akteur, der Wissenschaft öffentlich vermitteln wird.

Die 14 monumentalen Marmorstatuen der brandenburgischen Kurfürsten sowie namhafter europäischer Kaiser, die Bartholomäus Eggers gegen Ende des 17. Jahrhunderts für den Alabaster-Saal des Berliner Schlosses schuf, zeugen vom dynastischen Selbstverständnis der Hohenzollern im Vorfeld der Königskrönung 1701, die sie in die erste Reihe der europäischen Königshäuser aufsteigen ließ. Sie werden im Treppenhaus des 3. OGs zu bewundern sein.

Zu ihnen gesellen sich drei erhalten gebliebene Holzkisten mit Eisenbeschlägen, die den Aufbruch und die Flucht Kaisers Wilhelm II. Ende 1918 in die Niederlande symbolisieren. Mit dem Ende der Monarchie endete auch die Zeit der Hohenzollern seit 1415 in Berlin und Brandenburg. Nun musste der Kaiser im wortwörtlichen Sinne die Koffer packen. Doch die neue Republik war großzügig: Der Kaiser durfte 59 Eisenbahnwaggons mit Ausstattungsgegenständen und Kunstwerken beladen und mitnehmen. In solche Kisten verpackt, beschriftet mit D, wie „Huis Doorn“, schaffte er alles auf sein kleines holländisches Schloss.

Die Wiedervereinigung kommt. Die gläserne Wahlurne der Volkskammer der DDR, hier mit Gregor Gysi bei einer Abstimmung im Jahr 1990.
Die Wiedervereinigung kommt. Die gläserne Wahlurne der Volkskammer der DDR, hier mit Gregor Gysi bei einer Abstimmung im Jahr 1990.
© Wolfgang Kumm/dpa

Einer der größten Kunstaufträge der DDR-Geschichte war die Galerie im Palast der Republik, der von 2006 bis 2008 abgerissen worden ist, um Platz für den Neubau des Humboldt-Forums zu schaffen. Sie zeigte mit großformatigen Gemälden in den Foyers einen repräsentativen Querschnitt der Malerei der DDR. Unter dem Motto „Dürfen Kommunisten träumen“ beteiligten sich zahlreiche Künstler an dem Projekt. Wolfgang Mattheuers „Guten Tag“ gehört zu den bekanntesten Werken der DDR-Malerei. Das Gemälde macht mit seiner poetischen Alltäglichkeit und melancholischen Aufbruchstimmung den Ausdruck des Lebensgefühls der 1970er Jahre in der DDR fühlbar. Es wird ins Humboldt-Forum einziehen und im Treppenhaus zu bewundern sein.

Offenes Haus mit zahlreichen Restaurants und Cafés

Die Vielfalt der öffentlichen Nutzungen und der kulturellen und gastronomischen Angebote im Palast der Republik spiegeln sich in seinem komplexen Wegeleitsystem, das den Besuchern die Orientierung in dem großen Haus ermöglichen sollte. Als Gegenentwurf zu einem „Palast der Monarchie“ sollte der Palast der Republik ein offenes Haus sein, das eine selbstständige Orientierung ermöglichte. Klaus Wittkugels Leuchtkasten-Wegeleitsystem steht für das Kommunikations- und Grafikdesign der 1970er Jahre, das sich stark mit den Fragen der Orientierung großer Menschenmassen beschäftigte. Das Humboldt-Forum macht sich diesen Anspruch, eine große Öffentlichkeit einzuladen, zu eigen. Zahlreiche Restaurants, Cafés und Veranstaltungssäle werden mit vielfältigsten Angeboten und ausgedehnten Öffnungszeiten ein großes Publikum anziehen.

Am 23. August 1990 beschließt die erste frei gewählte Volkskammer der DDR im Volkskammersaal des Palastes der Republik mit 294 von 400 Stimmen den Beitritt zum Geltungsbereich des bundesdeutschen Grundgesetzes. Mit dieser gläsernen Wahlurne aus durchsichtigem Acryl wurde abgestimmt.

Diese unscheinbare Urne ist von großem Wert für das Humboldt-Forum, das sich als ein offenes Haus für die Bürgerinnen und Bürger Berlins, Deutschlands, Europas und der Welt versteht. Es geht um eine Plattform für mündige Bürgerinnen und Bürger, um die offene Debatte. Es bleibt zu hoffen, dass im Humboldt-Forum zukünftig nicht nur diskutiert, sondern offen miteinander disputiert wird und viele Stimmen beteiligt sein werden, die die Geschichte des jungen Humboldt-Forums mitschreiben.

Neil MacGregor ist seit 2016 Mitglied der Gründungsintendanz des Humboldt- Forums. Im Sommer verabschiedet er sich. Hartmut Dorgerloh wird am kommenden Dienstag zum neuen Generalintendanten gewählt. Das Humboldt-Forum im Berliner Schloss soll bis Ende 2019 eröffnet werden. MacGregor war davor Direktor des British Museum in London.

Neil MacGregor

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