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Seit Tagen bemüht sich Carsten Spohr, den richtigen Ton zu treffen – in einer Situation, in der doch jeder hört, was er hören will.
© Christoph Schmidt/dpa

Nach dem Absturz von 4U9525: Für Lufthansa-Chef Carsten Spohr geht es jetzt um alles

Carsten Spohr lernte sein Pilotenhandwerk in Bremen und Arizona – so wie Andreas L., der 149 Menschen offenbar vorsätzlich in den Tod flog. Der Lufthansa-Chef kämpft jetzt um das wichtigste Kapital in diesem Geschäft.

Was soll man sagen – als oberster Chef eines Unternehmens, das gerade 150 Menschen in den Tod befördert hat? Nur Stunden später. Was muss man da sagen? Was darf man überhaupt sagen?

Mehrere Dutzend Kamerateams und Reporter richten sich nach dem Absturz auf Carsten Spohr, 48 Jahre alt. Bei einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main zeichnen sie jede Silbe auf, senden seine Worte live um den Erdball. Mehr als eine Milliarde Menschen werden diesen Mann in den TV-Nachrichten sehen, sie werden ihm in die Augen schauen. Wer Deutsch spricht, versteht, dass sich Spohr grade als „verantwortlich“ bezeichnet – was auch immer Verantwortung bedeutet bei so einem Ereignis: 150 Menschen sterben in einer einzigen Sekunde. Ein Unfall, ein Verbrechen, ein Anschlag? Das weiß Stunden nach dem Absturz noch niemand.

Spohr blickt bei seinem Auftritt immer mal kurz auf ein Blatt, aber er liest nicht ab, schaut direkt in die Kameras. Er spricht nicht hastig, deutlich, mit erkennbarem Ruhrpott-Einschlag, er spricht, wie ein Mensch eben frei spricht – nicht immer zu 100 Prozent sauber in Satzstellung und Grammatik, aber zu 100 Prozent präsent.

Wortwörtlich sagt er: „Ich möchte noch einmal zunächst aber jetzt hier im Namen aller Mitarbeiter der Deutschen Lufthansa – ob hier im Hause oder auf der ganzen Welt – und im Namen der Mitarbeiter von Germanwings erstmal eigentlich mein Mitleid…“ Spohr räuspert sich kurz. „… mein Beileid aussprechen für das, was hier passiert ist. Wir sind in Gedanken bei denen, die hier Menschen, die sie lieben, verloren haben.“

Appell an die Vernunft

Spohr wird noch viele Sätze dieser Art sagen in dieser Woche, in der ARD, im ZDF, bei n-tv, im „Brennpunkt“ und den „Tagesthemen“ – er scheint immer ansprechbar. Doch mit jeder neuen Erkenntnis, die die Ermittler in den weiteren Stunden und Tagen zum Flug „Four You Neun Fünf Zwo Fünf“ veröffentlichen, wird seine Aufgabe komplizierter. Denn Spohrs Appell an die Vernunft, bitte keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, verfängt immer weniger, je mehr Fakten bekannt werden.

Richtig heikel wird es für Spohr am Donnerstag, als sich abzeichnet, dass Co-Pilot Andreas L. die Maschine mit Absicht hat abstürzen lassen. „In unseren schlimmsten Albträumen hätten wir uns nicht vorstellen können, dass sich so eine Tragödie bei uns hier im Konzern ereignen kann“, sagt Spohr. Erstmals schwingt da Selbstmitleid mit, eine Portion lufthanseatischer Arroganz. Nach dem Motto: Fehler bei uns? Unvorstellbar!

Der Prototyp eines „Lufthanseaten“

Später spricht Spohr in einem Interview davon, Lufthansa habe „die besten Piloten der Welt“. Da müsste er bereits gewusst haben, dass Andreas L. seine Ausbildung wegen psychischer Probleme ausgesetzt hatte. Spohr weist lediglich auf eine „Unterbrechung“ hin. „Er war zu 100 Prozent flugtauglich, ohne jegliche Einschränkung, ohne jegliche Auflagen“, sagt er an anderer Stelle. Heißt das im Umkehrschluss, die Lufthansa akzeptiert psychisch kranke Piloten an Bord, vertraut darauf, sie seien geheilt?

Einer von drei Bundesbürgern erleidet im Leben eine psychische Erkrankung, viele werden sie wieder los. Bei manchen versagt jede Therapie.

Spohr, in Herne im nördlichen Ruhrgebiet geboren, ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Er hat Wirtschaftsingenieurwesen in Karlsruhe studiert und im Anschluss die Verkehrspiloten-Lizenz an der Verkehrsflieger-Schule der Lufthansa in Bremen und im Airline Training Center Arizona absolviert – genau wie Jahre später Andreas L. aus Montabaur. Genau wie dieser flog Spohr über Jahre den Kurz- und Mittelstreckenflieger Airbus A320. Spohr ist der Prototyp eines „Lufthanseaten“, wie sich die Mitarbeiter des Konzerns selbst nennen.

Er stellt sich buchstäblich vor seine Mitarbeiter

Spohrs wacher Blick durch das massive Brillengestell, die kurzen angegrauten Haare, das kantige Kinn, die zusammengepressten Lippen, wenn er schweigt: Spohr hält sein Gesicht hin, er stellt sich buchstäblich vor seine Mitarbeiter, auch vor den Chef der Lufthansa-Tochter Germanwings, Thomas Winkelmann.

Das sollte selbstverständlich sein, ist aber trotzdem ehrenhaft – und es ist nicht leicht, den richtigen Ton zu treffen, wenn in dieser Situation jeder etwas anderes hört: Die Angehörigen und Freunde der Opfer wollen Aufklärung, Entschuldigung, Beileid. Spohrs 120 000 Mitarbeiter wollen Aufklärung, Verteidigung ihrer Ehre. Die zahllosen Unbeteiligten wollen Aufklärung, manche erwarten Trauer, andere Reue. Kann Spohr liefern, setzt sich seine These von dem einsamen Verirrten, dessen Absichten niemand habe erkennen können, durch, gibt es für seinen Konzern die Chance, dass die Fluggäste neues Vertrauen fassen. Wird Spohr beim Zurückhalten weiterer wichtiger Informationen ertappt, wird es eng für die größte deutschen Fluglinie. Vertrauen ist das wichtigste Kapital in diesem Geschäft.

„Ich habe bei der Lufthansa als Ingenieur gearbeitet, als Pilot gearbeitet, seit vielen Jahren als Führungskraft“, sagt Spohr in einer Pressekonferenz. Gegen Ende seines Auftrittes schlägt er im Takt seiner Silben mit seinen Handkanten die Luft: „Egal wo ich war, egal, wer mein Chef war, es galt immer: Safety ist Nummer eins! Dass das gerade uns passiert, tut uns einfach nur Leid.“ Schon wieder so ein Satz, der ihm wohl nicht über die Lippen gekommen wäre, hätte er sich an ein Manuskript seiner Krisen-PR-Berater geklammert.

Vor knapp einem Jahr wurde Spohr Vorstandschef

Doch dafür lieben sie ihn bei der Lufthansa. Seit 20 Jahren ist Spohr „Lufthanseat“. Vor knapp einem Jahr, im Mai 2014, wurde Spohr vom Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft zum Vorstandschef dieses ehemaligen Staatsunternehmens berufen, das mehr ist als ein Airline-Verbund: Neben den Kernmarken Lufthansa und Lufthansa Cargo zählen dazu auch die Billigflugtöchter Germanwings, Eurowings, Swiss und andere Unternehmen wie die Lufthansa-Technik, eines der renommiertesten Wartungsunternehmen mit 20 000 Mitarbeitern weltweit. Konkurrenten lassen ihre Jets in den Hangars dieser Lufthansa-Tochter durchchecken.

Zwei Monate nahm sich Spohr nach Amtsantritt Zeit, flog um die Welt, um an allen Standorten Gespräche zu führen. Er wolle nichts übereilen, hieß es damals. Es gab zunächst kein Wort zur Strategie, keinen Ton über seine Pläne für das Unternehmen. Dabei kennt der Mann die Stärken, aber auch seine Schwächen des Konzerns wie kaum ein anderer. Von 2011 bis 2014 verantwortete er als erster Mann das Passagier- und damit das Kerngeschäft der Lufthansa, also den Bereich, in dem auch der Andreas L. seine Karriere begann.

Er will für neuen Schub sorgen

„Nicht zuletzt aufgrund seiner großen Industrieerfahrung, seiner ausgezeichneten Managementfähigkeiten sowie seiner Leidenschaft und Loyalität für die Lufthansa ist Carsten Spohr eine hervorragende Besetzung“, lobte Aufsichtsratschef und Vor-Vorgänger Wolfgang Mayrhuber den Wahl-Münchner Spohr damals. „Mit ihm wissen wir die Lufthansa in guten Händen.“ Und Rüdiger Fell, Chef des Berufsverbandes für Bodenbeschäftigte (vb) sagte zur Spohrs Ernennung: „Er wird es sicherlich verstehen, die Leute in der schwierigen Situation, in der die Lufthansa sich befindet, abzuholen und mitzunehmen.“

Sein Vorgänger Christoph Franz hatte nicht nur wegen seines knallharten Sparkurses, sondern vor allem wegen seiner oft harschen Sprache viele Mitarbeiter verprellt. Spohr will für neuen Schub sorgen. Nach dem Motto: Gemeinsam schaffen wir es, obwohl der Druck der staatlichen Airlines vom arabischen Golf, von Emirates, Etihad und Co, aber auch von Turkish Airlines auf der einen Seite und von Billigfliegern wie Ryanair oder Easyjet auf der anderen Seite enorm groß war und ist.

"Die Zukunft der Lufthansa und der Piloten sind untrennbar verbunden"

Im Juli 2014 legt Spohr die Karten auf den Tisch: Er wird das Billigangebot über Germanwings, die noch in diesem Jahr in Eurowings aufgehen soll, erweitern, viele neue Flugzeuge und Services in den Lufthansa-Jets auf Top-Niveau bringen. Lufthansa soll zur ersten Fünf-Sterne-Airline im Westen werden. Es gibt einen Sparkurs und schlankere Managementstrukturen. „Wir wollen nicht zu den Getriebenen, sondern zu den Treibern der Veränderungen in der Luftfahrtbranche gehören“, sagt Spohr im Lufthansa-Schulungszentrum in Seeheim im Odenwald. Da huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Spohr zeigt Entschlossenheit, aber auch Zuversicht.

Die braucht der Lufthansa-Chef auch. Denn die Zahlen sind weiterhin schlecht, die Schulden dramatisch gestiegen, das Eigenkapital ist geschrumpft. Spohr muss Aktionären die Dividende streichen und ringt weiter nach einer Lösung im Streit mit den 5400 Piloten, die sich gegen Einschnitte bei ihrer üppigen, überkommenen Vorruhestandsregelung und gegen das Billigkonzept stemmen und mit ihren Streiks seit April 2014 für Ausfälle von mittlerweile mehr als 300 Millionen Euro gesorgt haben. Hier zeigt Spohr, dass er auch einen klaren, unnachgiebigen Kurs fahren kann. „Wir werden keine Kompromisse eingehen, die unsere Zukunftsfähigkeit gefährden.“ Nicht mit Streiks, nur mit Verhandlungen komme man weiter. „Die Zukunft der Lufthansa und der Piloten sind untrennbar verbunden“, sagt Spohr. Aber erst am Tag der Tragödie legt die Pilotenvereinigung Cockpit ihren Konflikt auf Eis. „Der Arbeitskampf ist für uns aktuell kein Thema mehr“, sagt der Gewerkschaftssprecher.

Aufsteiger-Typen und große Lautsprecher

Spohr hat die Ochsentour durch sein Unternehmen gemacht – anders als die anderen großen Airline-Bosse der jüngeren Geschichte. Das sind Aufsteiger-Typen und große Lautsprecher. Angefangen von dem Abenteurer und Weltverbesserer Richard Branson (Virgin) bis hin zum irischen Selfmade-man, Sprücheklopfer und europäischen Billigflug-Marktführer Michael O’Leary (Ryanair), der Spohr zur Ice-Bucket-Challenge aufgefordert hatte. Oder Stelios Haji-Ioannou, der britisch-zypriotische Gründer von Easyjet, der vor Jahren von Investoren aus dem eigenen Unternehmen geschubst wurde. Man denke an Lufthansas kleineren Konkurrenten Air Berlin, gegründet und 20 Jahre lang geführt von dem Düsseldorfer Joachim Hunold, später von dem Ex-Deutsche-Bahn-Chef und anschließenden Berliner Flughafen-Chef Hartmut Mehdorn: Alles Typen mit Riesenegos, die aber alle – glücklicherweise – noch keine derartige Katastrophe erklären mussten, nicht beweisen mussten, dass sie die richtigen Worte finden. „Ich glaube, ich spreche für alle bei der Lufthansa, wenn ich sage...“: Diese Formulierung gebraucht Spohr in jedem Interview seit dem Absturz.

Die Kameras bleiben auf Spohr gerichtet

„Für mich ist das, was hier passiert ist, einfach nur ein ungeheuerlich tragischer Einzelfall“, sagt Spohr, nachdem die Ermittler den Co-Piloten als mutmaßlichen Mörder erkannt hatten. Das ist Teil der Vorwärtsverteidigung. Denn er weiß: Auch renommierte Airlines können nach Unglücken in massive wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Air France bekam ein langfristiges Problem nach dem Absturz von Flug 447 von Rio nach Paris 2009 mit 228 Toten in 2009. Malaysia Airlines kämpft ums wirtschaftliche Überleben nach den beiden Unglücken mit insgesamt 537 Toten im vergangenen Jahr.

Für den 15. April hatte Spohr eine großen Party anlässlich des 60-jährigen Bestehens nach dem Krieg geplant. 4000 Mitarbeiter, Kunden und Freunde sind nach Frankfurt geladen – Kanzlerin Angela Merkel soll sprechen. Gut möglich, dass die Party noch abgesagt wird.

Die Kameras bleiben auf Spohr gerichtet. Was soll man sagen – als oberster Chef eines Unternehmens, das gerade 150 Menschen in den Tod befördert hat? Am Donnerstagabend erklärte Spohr noch, dass man künftig nicht zwei Personen im Cockpit brauche – wie in den USA vorgeschrieben. Stunden später teilte Lufthansa mit, man schließe sich nun der Zwei-Personen-Praxis an.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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