Kirchenmoscheesynagoge in Berlin: Friedenssymbol „House of One“ sorgt für Zwist
Christen, Muslime, Juden, alle gemeinsam – das ist die Idee des „House of One“. Doch noch ehe der Bau richtig begonnen hat, gibt es Zerwürfnisse.
An diesem Abend im Mai geht die Sonne in Berlin um 20 Uhr 55 unter. Pünktlich hört es auf zu nieseln. Imam Osman Örs, ein dunkelhaariger Mann mit weißer Kopfbedeckung, begrüßt die Gäste: „Das Fastenbrechen ist erst wirklich schön, wenn man es teilen darf“, sagt er. Gott habe die Menschen in Verschiedenheit und Vielfalt geschaffen. Zu seinem Willen gehöre es, dass sie einander kennenlernen und wertschätzen.
„Alle Religionen kennen das Fasten“, schließt ein zweiter Mann an, es ist Gregor Hohberg, hochgewachsen mit runder Brille, evangelischer Pfarrer der Gemeinde St. Petri – St. Marien in Mitte. „Es macht uns innerlich frei für die Verbindung zu Gott.“ Dann stimmt Kantorin Esther Hirsch von der jüdischen Synagogen-Gemeinde „Sukkat Schalom“ einen hebräischen Kanon an: „Hine ma tov“, ein Text aus dem 133. Psalm. Übersetzt in etwa: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Schwestern und Brüder einträchtig beieinander wohnen.“ Die Tafel ist gedeckt, Heizpilze wärmen die Körper. Nur noch wenige Minuten. Alle Menschen werden Brüder.
Ein Symbol des Friedens und der Verständigung
Muslime, Christen, Juden, alle gemeinsam: Das ist die Idee des „House of One“. Im Herzen Berlins, zwischen Rotem Rathaus, Humboldt Forum und Auswärtigem Amt entsteht etwas Einmaliges – eine Synagogenkirchenmoschee, Moscheesynagogenkirche, Kirchenmoscheesynagoge, drei Gotteshäuser unter einem Dach. Es ist mehr als eine Idee, ein Plan, ein Vorsatz, vielleicht sogar mehr als ein Traum: Es ist eine Mission. Mitten in der deutschen Hauptstadt, wo vor 200 Jahren die jüdische Emanzipation begann, wo vor 80 Jahren die Vernichtung der Juden geplant wurde, wo eine Mauer zum Symbol der Teilung wurde, wollen sie ein Zeichen der Verständigung der Religionen setzen. Ein Friedenssymbol schaffen. Doch noch ehe das Haus gebaut ist, gibt es Zerwürfnisse. Geht es längst um mehr als Glaubensfragen. Wird das Religiöse, einmal mehr, politisch.
Im Jahr 2011, lange vor den Terroranschlägen auf Gläubige in Pittsburgh, Christchurch und auf Sri Lanka, wurde der Plan geboren. Begann eine beispiellose Zusammenarbeit: Man trifft sich regelmäßig. Zur Friedensandacht, zum Schülergottesdienst, zum Gespräch über soziale Netzwerke. Weil das Haus für alle noch nicht existiert, an diesem Abend zum Beispiel im Garten eines Einfamilienhauses im zutiefst bürgerlichen Stadtteil Britz. Drei Schirme sind aufgespannt gegen den Regen, am Eingang verkaufen zwei junge Frauen selbst gebastelte Samenbomben. Eine ungewöhnliche Hinterhof-Moschee, die Platz bietet für mehr als hundert Gäste. Fünf lange Tische sind für das Fastenbrechen bereitet, Brot, Salat, Datteln, Cacik, türkisches Tsatsiki. Ein Iftar-Mahl. Sobald die Sonne sich verabschiedet hat, dürfen gläubige Muslime im Ramadan die erste Mahlzeit zu sich nehmen.
Im November 2018 veröffentlichte der „Spiegel“ einen Artikel seines Türkei-Korrespondenten, der frontal den muslimischen Partner des Projekts attackiert. Ehrenvorsitzender des „Forums für Interkulturellen Dialog“, kurz FID, ist der türkisch-amerikanische Prediger Fethullah Gülen. Der gilt in der Türkei seit dem Putschversuch im Juli 2016 als Staatsfeind Nummer eins. Präsident Recep Tayyip Erdogan und Fethullah Gülen waren einst verbündet, 2013 überwarfen sie sich, Erdogan bezichtigt Gülen, Drahtzieher des Putschversuches gewesen zu sein. Dass Bundestag und Berliner Senat das Projekt mit je zehn Millionen Euro unterstützen, erzürnt Erdogans Anhänger.
Beziehungen zur Hamas
Im März 2019 – nur zwei Tage nachdem der Berliner Senat der Stiftung das Grundstück für einen Euro per Erbpacht für 99 Jahre übertragen hatte – zog sich die Unternehmerin Catherine Dussmann aus dem Projekt und der Stiftung zurück. Sie beklagte die „polarisierende Präsenz“ des muslimischen Trägervereins, die Beteiligung der Gülen-Bewegung sei „zu wenig, um islamische Gläubige in Deutschland insgesamt anzusprechen“. Diesen Vorwurf erhebt auch Friedmann Eißler, Islam-Referent in der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Er beklagt die „religiöse, hierarchisch organisierte Struktur“ der Gemeinde, die ein „konservatives, türkisch-nationalistisches Islamverständnis verbreiten will“.
Ende April wurde bekannt, dass auch die „Qatar Foundation International“ zu den Spendern des „House of One“ gehört, sechs Stellen im Bereich Bildung finanziert. Der Stiftung werden Beziehungen zur Muslimbrüderschaft und zur Hamas nachgesagt. Sie habe ihren Sitz in den USA, unterliege nach amerikanischem Recht der Aufsicht, heißt es bei der Organisation. Es habe keine Versuche einer Einflussnahme gegeben.
Laut Charta des „House of One“, einer für alle verbindlichen Hausordnung, ist jedes „missionarische Handeln in Hinsicht auf andere Religionsgemeinschaften“ untersagt. Sämtliche Partner verpflichten sich auf eine „Kultur der Gewaltlosigkeit“ und auf die Wahrung der „Würde und Identität eines jeden Menschen“. Der Vorstandsvorsitzende, Theologe Roland Stolte, hält die Bedenken für übertrieben: Eine breite Beteiligung muslimischer Akteure, sagt er, könne nur „in kleinen Schritten“ geschehen.
Trio mit Sendungsbewusstsein
Weder Pfarrer Hohberg noch Rabbiner Andreas Nachama, der das Gemeinschaftsvorhaben federführend für die jüdische Gemeinde vorantreibt, fanden in der langjährigen Zusammenarbeit mit dem FID irgendeinen Anlass zur Kritik oder zur Besorgnis. Für die muslimische Seite spricht Imam Kadir Sanci, 1978 in München geboren, verheiratet, drei Kinder. Nachama, der auch Direktor der „Topographie des Terrors“ ist, und Sanci sitzen in der Projektzentrale, einem möblierten Souterrain nur wenige Schritte vom Petriplatz entfernt, wo ihr gemeinsamer Traum Wirklichkeit werden soll. „Der interreligiöse Dialog wird an uns nicht scheitern“, sagt Sanci, „wir sind offen und pragmatisch und schreiben keine Deutungen des Islam vor. Unsere Predigten im House of One werden auf Deutsch gehalten.“ Hohberg, Nachama, Sanci: Da hat sich ein geistliches Trio mit Sendungsbewusstsein gefunden. „Wir sind Freunde geworden“, beteuern sie.
„Ich wandere mit dem Feuer der Liebe in mir“ – ein altes türkisches Lied – wird zu Beginn des Abends in Britz gesungen, begleitet von Flöte und Gitarre. Immer mehr Familien kommen, die meisten Frauen tragen Kopftuch.
Aus dem Koran wird auf Arabisch die Sure 75 rezitiert, gefolgt vom islamischen Gebetsruf „Allahu akbar“, Gott ist groß. Dann wird üppig aufgetischt, Suppe, Reis, Fleisch, Gemüse, Baklava.
Fern von jedem Dogmatismus
Der Petriplatz ist ein Berliner Ur-Ort. Das Gebäude, das eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee beherbergt, soll auf den Fundamenten der alten Petrikirche entstehen, deren Überreste der Ost-Berliner Senat 1964 hatte entfernen lassen. Am Ende eines international ausgeschriebenen Wettbewerbs setzte sich der Entwurf des Berliner Architektenbüros „Kuehn Malvezzi“ durch.
Der Turm des „House of One“ soll gut vierzig Meter in den Himmel wachsen. Begehbar sind alle drei Gotteshäuser von einem zentralen Lehr- und Begegnungsraum aus. Alle drei sind nach Osten ausgerichtet, damit nicht nur Juden und Muslime, sondern auch orthodoxe Christen dort Gottesdienst feiern können. Die Räume sind eher klein und fassen maximal hundert Besucher.
Frauen und Männer können in ihnen getrennt sitzen, müssen aber nicht. Fern von jedem Dogmatismus soll dieser Ort nach den Vorstellungen seiner Denker sein, aber einer, an dem die Besonderheiten jeder Religion respektiert werden. Eine erste Großspende aus einem Pokerwettbewerb hatte die Stiftung abgelehnt, weil Glücksspiele im Islam verboten sind.
Drei bis vier Jahre Bauzeit
Insgesamt 43,3 Millionen Euro wird die Realisierung den Plänen nach kosten. Mit drei bis vier Jahren Bauzeit rechnen die Initiatoren. Weil bis zur Grundsteinlegung in knapp einem Jahr alle Vorarbeiten beendet sein müssen, werden auf dem Petriplatz in den kommenden Tagen siebzig Betonpfähle dreißig Meter tief in die Erde gelassen. Sie sollen das Fundament sichern. „Die direkte Nachbarschaft der drei monotheistischen Religionen“, hofft Hohberg, „wird den Blick weiten, Respekt voreinander und Verständnis füreinander wachsen lassen.“
Pfarrer Hohberg und seine aus mehreren Fusionen hervorgegangene Evangelische Kirchengemeinde St. Petri – St. Marien waren es, die das Konzept vorantrieben. Bald schlossen sich die Jüdische Gemeinde zu Berlin und das Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam, ein Rabbiner-Seminar, sowie später das FID an. Schließlich Berlins Senat: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller wird den Vorsitz im Kuratorium übernehmen.
Die Grundsteinlegung soll am 14. April 2020 erfolgen, dem 237. Jahrestag der Erstaufführung von Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ im Döbbelinschen Theater in Berlin. Die Ringparabel im dritten Aufzug des Dramas transportiert das klassische Toleranzgebot. Die Nazis verboten die Aufführung und verbannten das Stück aus den Schulbüchern. Im „House of One“ soll die Ringparabel architektonisch wie alltagsreligionspraktisch wiederbelebt werden.
Ein Meter dicke Wände – zur Sicherheit
Gregor Hohberg wurde durch das Projekt vom Pfarrer zum Bauherrn. Doch das Metier ist ihm nicht fremd. In Ost-Berlin 1968 geboren, aufgewachsen in der Uckermark, absolvierte er in der DDR eine Ausbildung zum „Facharbeiter für Anlagentechnik“ mit Spezialisierung auf Groß-Keramik. „Ich bin gelernter Ziegler“, sagt er, bewandert in jener Ziegelbauweise, die auch beim „House of One“ vorgesehen ist. Erst später studierte Hohberg Theologie in Berlin und München. Nach Stationen im Berliner Dom und an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurde er 2002 Pfarrer in St. Petri – St. Marien.
Zwei Drittel seiner Arbeitskraft widmet er inzwischen dem „House of One“. Das hat bereits 17 Mitarbeiter, neun fest angestellt und acht in Teilzeit.
Der Ort, an dem der Wunsch von der Verbrüderung aller Menschen Gestalt annimmt, ist mehr als 800 Jahre alt. Das älteste Dokument von 1238 bezeugt ein Ereignis von 1237. Im Mittelalter war hier das Zentrum von Cölln, einer Hälfte der Doppelstadt Berlin/Cölln, aus der das heutige Berlin hervorging. Noch aber ist der Petriplatz eher unwirtlich. Er grenzt an die viel befahrene Gertraudenstraße, wird eingerahmt von DDR-Plattenbauten und 20-stöckigen Hochhäusern aus den Sechzigerjahren. Sandhaufen und Gräben zeugen davon, dass hier demnächst gebaut werden soll. Die Wände des „House of One“ sollen einen Meter dick sein, wegen des Straßenlärms und als Sicherheitsvorkehrung gegen mögliche Anschläge. Der Bau ist fast fensterlos, natürliches Licht kommt überwiegend von oben.
Anwohnern ist "mulmig zumute"
Das Leben der Nachbarn wird sich an diesem Platz durch das „House of One“ verändern. Die meisten seien keine Kirchgänger mehr, erklären die Projektherren. Viele fragen: Was haben wir davon? Alle drei Religionsvertreter wissen, dass der Glaube in einer Stadt wie Berlin nicht mehr so präsent ist wie früher. Ganz gezielt wollen sie ihr Haus aber auch für Neugierige und Suchende und Fragende offen halten, sich nicht abkapseln. Einige Anwohner kritisieren die Höhe des Gebäudes, anderen ist „wegen der Muslime etwas mulmig zumute“.
Bei Ausgrabungen von 2007 bis 2015 fand die Berliner Archäologin Claudia Melisch mehr als 3000 Gräber des ehemaligen Kirchhofs mit fast 4000 Skeletten. Die Gebeine liegen jetzt größtenteils im Depot Friedrichshagen des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Dort werden sie ausgewertet. Sie könnten Auskunft darüber geben, woher eigentlich die Ureinwohner Berlins stammen.
Wer sind wir? Woher kommen wir? Und wer wollen wir sein? Seit jeher ist Berlin ein Ort, an dem Menschen unterschiedlicher Herkunft und Überzeugung aufeinandertreffen. Identität: Das ist immer die Gesamtheit von Eigentümlichkeiten.
Doch Toleranz, Respekt, Verständigung – klingt das nicht zu utopisch, um wirklich wahr werden zu können? Kann Architektur die Welt retten?
Dialoge, wo es noch keine gibt
Glaube versetzt Berge, lehrt Jesus im Matthäus-Evangelium. Das geht auch profaner. Nach dem großen Erfolg seines im Jahre 1865 erschienenen Buches „Alice im Wunderland“ schrieb Lewis Carroll eine Fortsetzung, „Alice hinter den Spiegeln“. Darin heißt es: „ ,Das kann ich nicht glauben!‘, sagte Alice. ,Nein?‘, sagte die Königin mitleidig. ,Versuch es noch einmal: tief Luft holen, Augen zu …‘ Alice lachte. ,Ich brauche es gar nicht zu versuchen“, sagte sie; ,etwas Unmögliches kann man nicht glauben‘. ,Du wirst eben darin noch keine rechte Übung haben‘, sagte die Königin. ,In deinem Alter habe ich täglich eine halbe Stunde darauf verwendet. Zu Zeiten habe ich vor dem Frühstück bereits bis zu sechs unmögliche Dinge geglaubt.‘ “
Es ist spät geworden im Garten in Britz. Viele Gespräche dauern bis in die Nacht. Nach dem Essen ziehen sich einige Männer in eine Ecke des Gartens zum Abendgebet zurück, dem Maghrib. Sie knien auf Teppichen. „Alle Partner im ,House of One‘ vertreten ihre Religion, repräsentieren sie aber nicht“, sagt Rabbiner Nachama. „Wir versuchen, Dialoge zu bauen, wo es noch keine gibt.“
Und die Bedenken, der sich anbahnende Streit, die Geldgeber aus Qatar? Nachama lächelt. „Wir machen den Anfang, andere werden folgen“, sagt er. Und dann: „Wissen Sie, wenn es all diese Probleme nicht gäbe, bräuchte man das Haus nicht zu bauen.“