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Unter Feuer. 2019 gab es in Brandenburg 417 Waldbrände auf 13000 Hektar. Eine Fläche, so groß wie die Berliner Bezirke Lichtenberg, Neukölln und Mitte zusammen.
© Rob Engelaar/ANP/dpa

Waldbrandgefahr in Brandenburg: Es wird brennen

Was, wenn Feuerwehrtrupps in Quarantäne müssen? Die Waldbrandgefahr in Brandenburg ist extrem hoch. Und das Virus verschärft die Situation.

Von Torsten Hampel

Eine Minute nach elf am vergangenen Dienstagvormittag sendet die Marsmissionstechnik eine Alarmmeldung an die Forstverwaltung des Bundeslandes Brandenburg aus und auf einem der 28 Computermonitore in Raum 4.25 eines Verwaltungsbaus in Wünsdorfs Waldstadt erscheint ein roter Balken. Irgendwo könnte es brennen. Irgendwo bei Seelow, 80 Kilometer Luftlinie nordöstlich von hier, im Oderbruch.

Den Monitor rechts daneben füllt ein Foto, es ist der Zehn-Grad-Ausschnitt einer Panoramaaufnahme, von einem Funkmast aus gemacht, in Schwarz-Weiß. Unten Wald und Feld, oben Himmel, dazwischen Horizont. Ein winziges Detail, ein rot umrandetes Kästchen wird größer, hinter einem Windrad steigt eine Wolke vom Boden auf, es könnte Rauch sein. Raimund Engel, Waldbrandschutzbeauftragter des Landes Brandenburg, beugt sich vor: „Nee, das ist kein Rauch. Die Fahne ist zu breit.“ Es ist Staub.

Jemand fährt dort ein Auto über einen Feldweg, das in der Sonne glänzende Dach ist zu sehen. Irgendwo bei Seelow hätte es gebrannt haben können.

Ein neues Naturgesetz tritt in Kraft

Es brennt ja dauernd in Brandenburg. Raimund Engel sagt: „Ab April steigt das rasant an.“

Michael Ebell, Chef der Oberförsterei Jüterbog, sagt: „Es ist bitter, wenn ein halbes Lebenswerk abbrennt.“

„Für mich ist das Routine fast“, sagt Revierförster Jens Bandelin.

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Ein neues Naturgesetz ist dabei, in Kraft zu treten, eine neue Konstante, unabänderlich und unausweichlich, mit der fortan zu leben ist: In Brandenburg brennen vollkommen selbstverständlich Wälder. Der Klimawandel ist in der Welt und damit das ostdeutsche Wetter ohne Regen, es ist April und Frühling im Jahr drei der neuen Zeitrechnung. Es ist April und Frühling im Jahr eins mit Corona.

417 Brände, 13000 verbrannte Hektar

2018 hat es in Brandenburg im deutschlandweiten Vergleich die mit Abstand meisten Waldbrände gegeben. 512 von den 1700 insgesamt, die wiederum eine Vervierfachung der Vorjahreszahl bedeuten. Laut Brandenburger Waldbrandbericht war 2018 deshalb und wegen 1674 abgebrannter Hektar ein „Ausnahmejahr“. Deutschlandweit brannten 2350.

2019: 417 Waldbrände in Brandenburg auf 13000 Hektar. Eine Fläche, die so groß ist wie die Berliner Bezirke Lichtenberg, Neukölln und Mitte zusammen.

2020: Was, wenn einer bei den Feuerwehren krank wird? Wenn dann vielleicht ein ganzer Löschzug zu Hause in Quarantäne ist? Wenn dasselbe mit den Angestellten einer Autowerkstatt geschieht und ein kaputter Löschwagen deshalb kaputt bleibt?

Was nützt dann die gerade modernisierte Weltraumtechnik auf den 106 Brandenburger Beobachtungstürmen – die Kamerasensoren, 1992 entwickelt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin-Adlershof, die für die Beobachtung von Staubwolken auf dem Mars vorgesehen waren und seit 2006 über den Wäldern hier im Einsatz sind?

Es hat auch Software-Updates gegeben, alles zusammen war 4,2 Millionen Euro teuer. 18000 Graustufen kann das System analysieren, Wolken mit einem Querschnitt von zehn mal zehn Metern erkennen.

„Bitte regelmäßig Stoßlüften“

Im vergangenen Jahr gab es Stellenausschreibungen, im Landeshaushalt sind der Erfahrung aus 2018 wegen Engels gesamter Abteilung 18 neue Posten zugebilligt worden. Mittlerweile alle besetzt.

Im Wünsdorfer Verwaltungsbauraum 4.25 gibt es nun Plexiglasscheiben zwischen den neun Schreibtischen und Desinfektionsmittelflaschen. An der Tür klebt ein Zettel, „Betreten nur für Mitarbeiter der Waldbrandzentrale“, und einer am Monitor des Abteilungsleiters: „Nicht vergessen! Bitte regelmäßig Stoßlüften. Mindestens 1 x pro Stunde für 5 Minuten!!!“ Sie wappnen sich hier. Irgendetwas wird kommen.

Der Europadirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO sagt: „Wir werden in einer neuen Normalität leben.“

„Wir müssen erfinderisch sein“, sagt Raimund Engel.

Eine Kulisse in Grau, Schwarz und Weiß

Am nächsten Tag, es ist Mittwochnachmittag kurz vor vier, steigt Revierförster Jens Bandelin aus einem silbergrauen Allrad-Nissan-Qashqai, geht ein paar Schritte, er schaut auf das Schauspiel rechts vom Waldweg, auf eine Kulisse.

Bandelin sieht einen durchweg schiefergrauen, wie mit Auslegware bedeckt wirkenden Boden, mitten im Frühling. Es ist die einzige Farbe, die das Feuer von der Humusschicht übriggelassen hat und vom Leben auf ihr.

„Menschenmüll.“ Wenn der Wald brennt, dann liegt es in den meisten Fällen an dem, was Menschen dort zurückgelassen haben, sagt der Jüterboger Revierförster Jens Bandelin.
„Menschenmüll.“ Wenn der Wald brennt, dann liegt es in den meisten Fällen an dem, was Menschen dort zurückgelassen haben, sagt der Jüterboger Revierförster Jens Bandelin.
© Torsten Hampel

Die unteren ein, zwei, fünf Meter der im Grau immer noch wurzelnden, zahllosen Birkenstämme sind kohlrabenschwarz, darüber übergangslos schlohweiß. Ein Heer unten schwarzer, oben weißer Stämme in Cinemascope, in den vergangenen 30 Jahren gekeimt und gewachsen auf einer einstigen Panzerübungsfläche des aufgegebenen Truppenübungsplatzes Jüterbog.

Über allem sitzt ein wolkenloser Himmel mit einem gleißenden Licht. So sieht es aus, wenn ein Waldbrand nicht gelöscht werden kann, wenn man ihn sein Werk tun lassen muss.

Der Brandenburger Waldbrandflächenrekord

Abgebrannt ist das alles im vergangenen Jahr über Pfingsten, montagmittags davor erfuhr die Oberförsterei vom Alarm, erst am Mittwoch nach den Feiertagen galt das Feuer für ihre Angestellten endgültig als vorbei. In der Zwischenzeit jagte es über 50 Meter breite Brandschutzschneisen hinweg, bis es am Ende 744 Hektar Wald zerstört hatte.

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Das ist Brandenburger Waldbrandflächenrekord seit 1975, bis zu diesem Jahr liegen dem Landeslandwirtschaftsministerium Daten vor.

Bandelin sagt: „Man steht dann da wenn’s brennt, was kann man da ausrichten?“ Feuerwehren aus ganz Brandenburg kamen her, Bauern mit ihren Traktoren und wassergefüllten 20000-Liter-Gülletanks hinten dran, ein Hubschrauber der Bundespolizei, der Wasser aus der Luft abwarf. Dennoch waren am Ende die 744 Hektar Wald weg.

„Wir löschen inaktiv“

Bandelin ist Jahrgang 1965, zum Försterberuf kam er, weil sein Vater eine Anstellung in der DDR-Forstverwaltung hatte, in Stralsund. Seit er 14 war, habe er dort oft im Wald gearbeitet, sagt Bandelin, „wir haben damals ganz Rügen mitgemacht“. 1990 schließlich, nach dem Studium, kam er her.

„Wir löschen inaktiv. Wir warten auf dem Weg.“ 130 Jahre lang, seit 1864, übte Militär auf dem Gelände. „Die älteste Granate, die wir hier gefunden haben, war von 1871/72, aus dem Deutsch-Französischen Krieg.“

Nach dem Feuer. Im Jahr 2019 verbrannte Nadelbäume im Jüterboger Revier.
Nach dem Feuer. Im Jahr 2019 verbrannte Nadelbäume im Jüterboger Revier.
© Torsten Hampel

Nach der Königlich Preußischen Armee kam die Reichswehr, nach der Wehrmacht die Rote Armee. „Nach jedem verlorenen Krieg haben die das Zeug, den Rest, hier weggeschmissen“, sagt Bandelin. „Oder vergraben.“

Kleine Gewehrmunition zum Beispiel, „die rostet schnell durch, da ist Phosphor drin.“ Ist es warm genug, ein heißer Brandenburger Sommertag reicht aus, entzündet sich Phosphor von selbst.

Die Stadtverwaltung warnte in den Brandtagen vor arsen- und uranhaltiger Munition, vor See- und Tretminen und U-Boot-Bewaffnung, Panzerfäusten. Der Truppenübungsplatz war auch Kampfmitteltestgelände. Niemand schickt Feuerwehrleute da hinein.

Die einzige natürliche Ursache: Blitze

„Menschenmüll“, sagt Bandelin. Wenn hier der Wald brennt oder sonst wo in Deutschland, dann liegt es in den allermeisten Fällen an dem, was Menschen im Wald zurückgelassen haben oder in ihm anstellen.

Als einzige natürliche Brandursache im Wald gelten Blitzeinschläge. Er selbst habe so etwas in 30 Jüterboger Jahren zweimal mitbekommen. „Das war ein Schwelbrand am Fuß einer Kiefer.“ Einmal sei er auf eine Birke gestoßen, „da war auf sechs Meter komplett die Rinde ab“.

Bandelin hat mittags mit seinem Chef Michael Ebell im beigefarben gestrichenen Souterrain der Jüterboger Oberförsterei zusammengesessen.

Zwei Männer an einer langen Besprechungstafel, wer dem anderen die Kaffeekanne hat reichen wollen, musste aufstehen dafür. Als der Revierpolizist dazukam, berichtete der von 20 Leuten aus Berlin, auf die er zu Ostern gestoßen sei. Die hätten auf einem Waldweg gegrillt.

Bandelin erzählte von zweien aus der Hauptstadt mit VW-Bus. Ostersonntag habe er die aufgestöbert, auch mit Grill, an der Waldkante. „Man kann das ja verstehen, dass die Leute raus wollen.“

Boxentürme, „hoch wie Schrankwände“

Ebell zählt auf, wer in seinem Zuständigkeitsbereich sonst noch gefährlich ist: Moto-Crosser, regelmäßig mit Auto und Autoanhänger anreisend, darauf die nummernschildlosen Maschinen. „Schwer zu kriegen, die sind ja schneller.“

Besucher und Veranstalter illegaler Partys, Ebell berichtet von Lautsprecherboxentürmen, „so hoch wie Schrankwände“, von Bühnen und Verkaufsständen.

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Bandelin erzählt von einer Feier im vergangenen Jahr und von Feiernden aus Leipzig, Potsdam, Berlin, der Slowakei. „Der Wolfsbau war in der Nähe.“ Es gebe auch Überlebenstrainingslager im Wald mit Lagerfeuer.

Aus dem Brandenburger Landeswaldgesetz: „Das Fahren mit sowie das Abstellen von Kraftfahrzeugen im Wald ist nur in dem für die Bewirtschaftung des Waldes und die Ausübung der Jagd erforderlichen Umfang sowie im Rahmen hoheitlicher Tätigkeiten erlaubt.“

Ein Brunnenbohrfahrzeug – „komplett zerlegt“

Zudem ist Bandelins Revier zu großen Teilen Naturschutzgebiet und Totalreservat, in dem absolut nirgendwo Hand angelegt werden darf. Der größte Waldbesitzer hier ist die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg.

Es gibt auch: Ständige Erweiterungen des Waldwegsystems und Wegebefestigungen, damit Feuerwehren überhaupt erst in die Nähe eines Brandes gelangen können. Und es gibt Löschwasserbrunnen.

Trocken und nass. Löschwasserbrunnen in Jens Bandelins Jüterboger Revier.
Trocken und nass. Löschwasserbrunnen in Jens Bandelins Jüterboger Revier.
© Torsten Hampel

Den ersten haben sie gebaut im Jahr 2014, vier kamen 2017 hinzu und einer in diesem Jahr, drei wurden gebohrt, sind aber noch nicht fertig. Es gibt zwei Teiche für Löschwasser und einen aus Naturschutzgründen angelegten. Einen der Löschteiche hat einmal jemand demoliert, die Folie war mit Messern zerhackt. 2017 wurde ein Brunnenbohrfahrzeug „komplett zerlegt“, sagt Bandelin, die Scheiben waren eingeschlagen, die Türen rausgebrochen. Ein anderes wurde geklaut.

Und jetzt? „Eine wirre Zeit“, sagt der Waldbrandschutzbeauftragte Raimund Engel Anfang April am Telefon. „Wir waren noch nie damit konfrontiert, dass alle“, zumindest in der Potsdamer Landesforstzentrale, „ins Homeoffice sollen. Und gleichzeitig das Waldbrandgeschäft zur Sicherung der öffentlichen Ordnung aufrechterhalten. Der Informationsfluss klappt noch nicht so“.

Montage sind Hauptbrandtage

Es ist ein Montagnachmittag, „Sie hören’s im Hintergrund“, sagt Engel, „der Drucker, die Meldungen kommen rein“. 3000 Quadratmeter brennen bei Märkisch Buchholz, bei den anderen dreien fehlen noch die Flächengrößen.

Montage sind in Brandenburg traditionell die Hauptbrandtage. Samstags ist am wenigsten los. Zwischen 13 und 15 Uhr wiederum, über alle Wochentage verteilt, werden die meisten Brände registriert, nachts kaum welche.

Engel sagt: „In diesem Jahr bemerken wir eine Verschiebung Richtung 20, 23 Uhr.“

Luftrettung. Hubschraubereinsatz beim Jüterboger Waldbrand zu Pfingsten 2019.
Luftrettung. Hubschraubereinsatz beim Jüterboger Waldbrand zu Pfingsten 2019.
© Julian Stähle/picture alliance/dpa

Bandelin erreicht eine der Stellen, an der das Feuer im vergangenen Jahr einen der 50 Meter breiten Brandschutzstreifen übersprang, eine der bis dahin als sicher geltenden Feuerbarrieren in seinem Revier.

Die Streifen sind baumlos und auch sonst nahezu ohne Vegetation, regelmäßig fahren hier sogenannte Mulcher drüber – Traktoren ziehen eine Art Riesenrasenmäher hinter sich her, der alles zerhäckselt, das ihm nah genug kommt. An den Rändern wird zweimal im Jahr gepflügt.

Ein Quadratmeter Munitionsräumung: ein Euro

Die Streifen sind frei von Munition, die Räumung kostet pro Quadratmeter ungefähr einen Euro. Das sind die Stellen, auf denen die Feuerwehr auf die Flammen wartet.

Bandelin zeigt ein Handyvideo von dem Moment, als all dies den Flammen egal gewesen war und sie einfach von den Baumkronen am rechten Streifenrand nach links flogen. Goldenes Feuer vor einem schwarzen Himmel. „Der Schriftsteller Jonathan Franzen stand hier auch.“

Jonathan Franzen, US-Amerikaner, sein Roman „Die Korrekturen“ wurde drei, „Freiheit“ zwei Millionen Mal verkauft, ist Freizeitvogelkundler. Er war in jenen Pfingsttagen mit dem Naturlandschaften-Stiftungschef auf einem Erkundungsgang.

Wer Jens Bandelins Video auf dem kleinen Handybildschirm gesehen hat, ahnt, dass die Augenblicke, als das Feuer zu fliegen schien, Augenblicke einer tief empfundenen Machtlosigkeit aller Zeugen gewesen sein müssen.

Die Klimakatastrophe –„Ich hatte sie gesehen“

Für Franzen war es angeblich so etwas wie ein Erweckungserlebnis. Im September erschien im Magazin „The New Yorker“ ein Artikel von ihm, in Deutschland gibt es ihn als Buch zu kaufen. Es heißt: „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ Der Klimawandel müsse hingenommen werden, steht darin, könne nicht mehr vom Menschen beeinflusst werden. Stattdessen solle das bisher dafür ausgegebene Geld und die darin investierte Kraft in den Dienst der Abwehr seiner Folgen gestellt werden. Dem „Spiegel“ sagte Franzen über das, was er bei Jüterbog erlebte: „Das war der Beginn der Klimakatastrophe, ich hatte sie leibhaftig gesehen.“

So schnell, wie das Feuer auf ihn zugerast sei, „so schnell kam im übertragenen Sinn auch die Klimakatastrophe auf uns zu“. Falls Franzen recht hat, eine solche Abwehr und ihr Erfolg sind im Coronazeitalter um Vieles unwägbarer geworden.

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