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Ingrid Steeger und Jochen Busse in der Komödie am Kurfürstendamm.
© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Boulevardtheater: Eine Spätvorstellung für Ingrid Steeger und Jochen Busse

Sie war das sexy Blondchen, ein Männertraum. Er der populäre Kabarettist. Ihr Glanz ist längst verblasst. Es blieb: das Boulevardtheater. In Berlin haben Ingrid Steeger und Jochen Busse ihre Altersbühne gefunden.

Ulknudel, was für ein Stigma. Wie mag sich das anfühlen: Ingrid Steeger, die Ulknudel, lebenslang. In jedem Bericht seit den siebziger Jahren steht das so, in der „Bunten“, in „Bild der Frau“, im „Goldenen Blatt“, im „Focus“. Seit einigen Jahren liest man öfter auch: die ehemalige Ulknudel. Die aus der Serie „Klimbim“. Darf eine wie sie alt werden?

Und wie geht es einem, der mal zu den wichtigsten Kabarettisten der Republik zählte und jetzt noch immer von seinem Ruhm als ehemals bekanntes Fernsehgesicht lebt? Jochen Busse, klar. Den kennt man doch! Der Typ mit der etwas näselnden Stimme und den langgezogenen Vokalen. Kann man Prominenz konservieren?

Wer wissen möchte, was die Zeit und das Leben mit den beiden angestellt haben, der sollte das Theater am Kurfürstendamm besuchen. Eine Institution des Berliner Boulevards und eine Bühne für Künstler, deren große Zeit vorbei und deren kleine Zeit angebrochen ist. Wenn die Ulknudel und der Kabarettist und noch einige andere Helden des leichten Fachs auftreten, ist die Bude voll. Jeden Abend.

Mittags sitzt Ingrid Steeger in einem kleinen italienischen Lokal in Charlottenburg, die Haare wasserstoffblond, die Lippen hellrot, trägt eine Sonnenbrille. Sie geht auf die 70 zu. Ihr Zuhause ist um die Ecke in einem schönen Altbau, eine Schauspielerwohnung der Komödie am Kurfürstendamm. Da wirkt sie in einem lustigen Stück mit, es heißt „Der Kurschattenmann“. Alle Darsteller sind im fortgeschrittenen Alter, klar, es geht um Hoffnungen und Enttäuschungen, um einen Hochstapler und vier gewiefte Ladys, die den alten Knaben am Ende fast in den Wahnsinn treiben. Ein Erfolg.

Die alten Männergeschichten

Ingrid Steeger bestellt die Scampi Catalana, ein Gläschen Weißwein und erzählt, dass die Leute ihr immer noch auf der Straße hinterherrufen: „Klimbim! Klimbim!“ Sicher, sie ist ja die Ulknudel, die wird sie immer bleiben. Ob es um ihre alten Männergeschichten geht oder um Verzweiflung und Gewalt, um den Selbstmord ihres Partners, ihre Depressionen, ihre Verarmung, sie bleibt die blonde Klamauk-Prinzessin. Hartz IV? Da mach ich mir nen Schlitz ins Kleid und find das wunderbar! Ingrid Steeger sagt: „Ohne Klimbim würde es mich nicht geben. Ich habe gelernt, das zu akzeptieren.“

Dies ist die Welt des Boulevardtheaters, der Boulevardmedien und des Medienboulevardtheaters. Eine Welt, deren Geschichten entweder glanzvoll klingen müssen oder supertragisch. Eine Welt, deren Protagonisten sich mit dieser Regel abgefunden haben und sie immer wieder neu bedienen. Es ist eine harte Welt, vor allem für die Älteren. Von irgend etwas muss man leben, oder? Da hilft es, wenn man eine interessante Vergangenheit hat, wenn einen viele Menschen kennen, auch wenn das Kennenlernen schon lange her ist.

Alte Zirkusrösser, aus deren Mähne noch Flitter fällt

Ingrid Steeger und Jochen Busse in der Komödie am Kurfürstendamm.
Ingrid Steeger und Jochen Busse in der Komödie am Kurfürstendamm.
© Doris Spiekermann-Klaas

Ingrid Steeger zum Beispiel lockt seit Jahren viele Menschen in kleine Bühnen. Sie hat den „Kurschattenmann“ schon 390 Mal gespielt, an wechselnden Theatern, auf vielen Tourneen, fast jeden Abend tritt sie auf. Auch Jochen Busse spielt Abend für Abend mit, er ist an etwa 250 Tagen im Jahr als Hauptdarsteller im Dienst. Obwohl er das nicht müsste, wie er sagt.

Vor Jahren war Busse Moderator der Fernsehshow „7 Tage, 7 Köpfe“. Damit habe er sich finanziell saniert, „von dem Geld lebe ich bis heute.“ Er trägt ein schwarzes T-Shirt, darüber ein Jackett mit silbernen Streifen und rotem Einstecktuch. Seine Laune ist bestens. Busse ist 74. Willkommen in der Arena des Boulevards, bei den alten Zirkusrössern, aus deren Mähne immer noch ein wenig Flitter fällt.

Die Komödie am Kurfürstendamm ist ein traditionsreiches Theater, gegründet 1924 von Max Reinhardt. Im Programmheft heißt es, es sei eine Institution für Berliner, die „niveauvolle Unterhaltung“ schätzen. Nebenan ist ein Laden für Trauringe, auf der anderen Seite ein Shop, der „Schallplatten und Poster“ verkauft – alles in allem eine Umgebung, in der auf Bewährtes gesetzt wird.

Auch das Publikum an diesem Augustabend wirkt recht gediegen. Viele Besucher müssen sich am golden schimmernden Geländer festhalten, wenn sie vom Eingang die Stufen zum Foyer hinuntergehen, edle Parfümnoten wehen durch die Reihen. Für die Pause kann man schon die Bowle mit ganzen Himbeeren für sechs Euro vorbestellen. Auch ein 16-jähriger Junge, der mit seinem Opa hier ist, gibt eine Bestellung auf: „zwei sone Limos“.

Die Heesters-Witwe ist auch dabei

Was die Leute in diese Vorstellung zieht, hat Jürgen Busse schon in schöner Offenheit verraten: „Die Schauspielerinnen kennt man alle aus der Yellow Press. Und mich, na ja, auch aus der U-Ecke.“ U heißt in der Branche Unterhaltung, im Gegensatz zu E wie ernst. Viele kommen zum Beispiel auch wegen Simone Rethel, der man nicht zu nahe tritt, wenn man sie als feste Größe im U- und Yellow-Fach bezeichnet. Sie ist viele Jahre vor allem als hauptberufliche Ehefrau des mit 108 Jahren verstorbenen Johannes Heesters in Erscheinung getreten; Rethel war 47 Jahre jünger als er. Jetzt, in der Komödie am Kurfürstendamm, räkelt sie sich als sexy Kurklinik-Verführerin im roten Kleid auf einem Flügel. Mit 66. Das Publikum ist hingerissen.

Auch als Jochen Busse die Bühne betritt, gibt es gleich Applaus. Er wirkt wie ein alter Bekannter. Wie oft hat man ihn gesehen, als Kabarettist beim „Scheibenwischer“ mit Dieter Hildebrandt, in allen möglichen Fernsehrollen, im Ensemble der Münchner „Lach- und Schießgesellschaft“. Jetzt also stürzt er in der Rolle des Hochstaplers gleich auf sein erstes Opfer in der Bad Pyrmonter Kurklinik zu, und als er sich an die Dame heranwanzt, um lüstern das Dekolleté der 68-jährigen Christine Schild teilzuenthüllen – da schallen anerkennende „Oooh“- und „Aaah“-Rufe vom Parkett. Die Anerkennung gilt allerdings nichts Busse, sondern dem Busen.

Nur beim Auftritt von Ingrid Steeger bleibt es zunächst geradezu irritierend leise. Ist die Frau, die im schluffigen rosa Jogginganzug auf der Bühne steht und eine verhuschte Witwe gibt, wirklich der ehemalige Männertraum, Star der 70er-Jahre-Fernsehshow „Klimbim“? Einer aus heutiger Sicht geradezu unerträglich albernen Nummernrevue um eine chaotische Familie, in der Steeger die Tochter Gaby spielte.

Klimbim, das muss man heute erklären, ist für die Fernsehunterhaltung des westlichen Deutschlands ein Wendepunkt gewesen. Wie beim Film oder in der Architektur markieren auch im Fernsehen die siebziger Jahre das Ende der Verklemmung, der Prüderie, der Nachkriegs-Spießigkeit. Es gab nicht mehr Heinz Erhardt, sondern Klimbim. Blödsinn, Klamauk, Frivolität. All das verkörperte Ingrid Steeger.

Sie kennt ihr Kapital

Fast scheint es, als wollte sie in dieser Figur und mit dieser ersten Szene die Erwartungen des Publikums bewusst enttäuschen. Als sei dies ihre Art eines leisen Protests gegen das seit Jahrzehnten transportierte Bild des sexy Blondchens. Sie würde das so nicht sagen, denn sie kennt ihr Kapital, und das stellt man nicht in Frage. Sicher, sie ist nicht mehr 25 und nicht mehr 45, und wenn auf der Bühne die vier Damen in kurzen roten Kleidchen dem Weiberhelden die Sinne verwirren, dann wirken Steegers Beine beängstigend dünn. Dennoch kokettiert sie mit dem Steeger-Klischee. Ein alter Bekannter, so erzählt sie im Restaurant, macht heute Nachmittag mit dem Auto ein paar Einkäufe für sie, „ich glaube, mit dem hatte ich vor 45 Jahren mal ein Verhältnis.“

Was ist spontan, was kalkuliert?

Ingrid Steeger und Jochen Busse in der Komödie am Kurfürstendamm.
Ingrid Steeger und Jochen Busse in der Komödie am Kurfürstendamm.
© Doris Spiekermann-Klaas

Eigentlich lebt Ingrid Steeger in München, in einer kleinen Wohnung in Schwabing, zusammen nur mit ihrem Hund. In München wurde die gelernte Sekretärin als Filmsternchen entdeckt, das fortan in Softsexfilmen wie „Die liebestollen Baronessen“ und „Blutjunge Verführerinnen“ zu sehen war. Solche Engagements, sagt sie heute, musste sie aus finanziellen Gründen auch später annehmen, obwohl sie seit 1970 ein Fernsehstar war: „Klimbim war unglaublich schlecht bezahlt. Die Produzenten sagten: ,Von uns bekommt ihr die Prominenz. Das Geld holt ihr euch woanders.‘“

Wenn sie jetzt, während ihres Theater-Engagements, durch ihre Heimatstadt Berlin spaziert, sich in Cafés setzt, dann spürt sie, wie die Leute über sie sprechen, noch immer. Sie achtet ja auch darauf, dass sie im Gespräch bleibt. In einer Autobiografie und in ungezählten Illustrierten-Artikeln hat sie von ihrem sozialen Abstieg vor fünf Jahren berichtet. Wie sie nach einer Trennung in eine Depression geraten war und schließlich von Sozialhilfe lebte. Hat ihre Vergangenheit ausgebreitet, wie sie als Kind in der Moabiter Wohnung täglich von ihrer Mutter geschlagen wurde, mit dem Kleiderbügel. Dieselben Medien, die sonst immer über ihre Liebesgeschichten und ihr vermeintlich glamouröses Leben berichteten, schlachteten nun diese Storys genüsslich aus.

Was sie gerettet hat

Auch jetzt, beim Charlottenburger Italiener, spricht Ingrid Steeger über ihr Leben, beinahe schüchtern. Wobei man nie so recht weiß, was nun kalkuliert, was spontan, was im Betroffenheitsgestus einstudiert ist. Als sie über ihre schwierige Zeit ohne Engagements und ohne Geld berichtet, denkt man: Sicher kommt jetzt gleich die Geschichte, dass eine Fernsehsendung sie gerettet hat. Ingrid Steeger schaut ihrem Gegenüber in die Augen und sagt: „Und wissen Sie, was mich gerettet hat? Als im Fernsehen lief: Ingrid Steeger lebt von Hartz IV. Das hat mich herausgerissen aus der Verzweiflung.“ Noch ein Schluck, noch ein paar Scampi.

Ingrid Steeger sieht sich selbst als Opfer, oft mit gutem Grund. Sie erzählt, dass sie immer wieder vergewaltigt worden ist. Als Kind von ihrem Großvater, als Schauspielerin von Kollegen. „Der Typ kam rein, hat abgesperrt, und ich wusste, was kommt. Habe mich hingelegt und gewartet, dass es vorbei geht.“

Es ist ein Panoptikum aus cholerischen Regisseuren, wahnsinnigen Schauspielern, geldgierigen Fernsehleuten, eine exzessive Künstlerwelt. Mittendrin: Ingrid Steeger. Sie berichtet von Michael Pfleghar, dem Erfinder und Regisseur von Klimbim, mit dem sie jahrelang zusammengelebt hat, der sie malträtierte, als Schauspielerin und als Frau, einer von vielen. 1991 nahm er sich das Leben.

Am Tisch kommt ein Bettler vorbei. Ingrid Steeger springt auf, „Moment mal, mein Lieblingspenner, dem muss ich was geben“, steckt ihm ein paar Euro zu, „wissen Sie, ich habe ein Helfersyndrom.“ Sie referiert kurz über die Gesellschaft im Allgemeinen (oft unmenschlich) und die Situation von Bettlern im Besonderen (schlimm), dann: „Wo waren wir gleich wieder? Ach ja, Pfleghar. Also ich war froh, als er sich erschossen hat.“

Wenn Ingrid Steeger spricht, klingt es mal abgeklärt, mal bitter, zwischendurch aber auch dankbar für ein Leben, in dem sie wenig ausgelassen hat. Doch die Vergangenheit verklärt sie nicht. Auch wenn sie manche Episoden aus der Klimbim-Zeit mit so viel Verve nachspielt, dass die Gäste vom Nachbartisch herüberschauen. Eine ihrer Lieblingsszenen aus der Show war diese: Curd Jürgens kommt auf die Bühne, sie spricht ihn dauernd mit Udo Jürgens an. Er, empört: Ich bin Curd Jürgens! Dann nimmt er sie in den Arm und beginnt zu singen: „Es wird Nacht, Senorita…“ Der Song ist von Udo Jürgens, das ist der Gag.

Jochen Busse hadert nicht mit der Vergangenheit, im Gegenteil. Allenfalls ein wenig Ironie schwingt in seinen Ausführungen mit, das gehört wohl zur Grundausstattung eines Berufskabarettisten. Die Show „7 Tage, 7 Köpfe“, der er seine Popularität verdankt? „Eigentlich ein Abfallprodukt meiner Karriere, aber finanziell super.“ Das aktuelle Stück, der „Kurschattenmann“? „Naja, als Theaterstück eher schwach. Dramaturgisch holpert es, aber wir überspielen das.“ Auf der Bühne dreht er denn auch richtig auf, markiert mal den lässigen Angeber, mal den einfühlsamen Lover und scharwenzelt um die Angebetete herum. Als hätte Ingrid Steeger ihm den Lieblingsspruch ihrer Mutter eingeimpft: „Männer wollen immer fummeln. Auch wenn sie schon im Sarg liegen.“

Er mag erkannt werden

Busse sitzt im Café Dressler gleich neben dem Theater und isst ein großes, buntes Eis. Er mag es, wenn Passanten ihn erkennen, wenn ihn jemand anspricht. Er weiß, wie viel er seiner Prominenz verdankt, auch wenn sie langsam verblasst. Seit Jahren macht er kein Fernsehen mehr, keinen Film, jetzt konzentriert er sich aufs Boulevardtheater. Demnächst, sagt er, wird er aber beim Casting für eine Vorabendserie mitmachen. „Kein Problem für mich. Ich bin 74, da versteh’ ich, dass die wissen wollen, wie so einer drauf ist.“

Am Älterwerden leiden, vergeblich auf den Anruf der Agentin warten – für Schauspieler ab 50, spätestens 60 ist das die Realität. Für Frauen, sagt Busse, ist es am schlimmsten. Früher bekamen die Älteren im Theater die Mütterrollen, noch später gab es das Fach der „komischen Alten“. Solche Charaktere sind inzwischen überholt, auch weil die Schauspielerinnen sich dagegen wehrten. Jochen Busse schaut auf seine unnachahmlich tragikomische Art und sagt: „Jetzt kriegen sie halt gar nichts mehr.“

Da hat Ingrid Steeger Glück gehabt mit ihrer Klimbim-Vita. Obwohl auch sie unter dem Alter leidet, vor allem darunter, „dass die Freunde und Kollegen wegsterben, einer nach dem anderen“. Elisabeth Volkmann, Barbara Valentin, Hans Clarin, die alte Klimbim-Truppe, viele sind schon tot.

Peer Augustinski hat sie noch vor einem Jahr getroffen – „wo war das gleich wieder, ach ja, in der Talkshow von Markus Lanz“ – aber der ist jetzt auch nicht mehr.

Ihre Welt, die Welt der alten Zirkusrösser, ist vom Untergang bedroht.

In der Komödie am Kurfürstendamm ist die Vorstellung zu Ende, die Himbeerbowle getrunken, der Kurschattenmann erledigt. Ein Mann mit weißen Haaren und weinrotem Sakko, der aussieht wie Klaus Havenstein, schlägt beim Herausgehen seiner Frau vor, doch ebenfalls mal eine Kurklinik zu besuchen. Gelächter, auch bei den Umstehenden. „Wenn Jochen Busse da ist, schon!“, antwortet sie. In den besten Momenten dieses Abends entsteht tatsächlich so etwas wie Wärme, man spürt eine heimliche Übereinkunft des Publikums: So schlimm ist das wohl nicht mit dem Altwerden.

Auch der Großvater und der 16-Jährige stehen am Ausgang. Wie es seinem Enkel denn gefallen habe, will der alte Mann wissen. Der Junge nimmt seinen Opa am Arm und sagt: „War cool.“

Arno Makowsky

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