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Jochen Busse mit Ingrid Steeger als "Der Kurschattenmann".
© Jens Kalaene / dpa

"Der Kurschattenmann" am Kudamm: Erkenntnisse eines Hochstaplers

Großer Schauspieler-Spaß: „Der Kurschattenmann“ an der Komödie am Kudamm bricht eine Lanze für die alterlose Lebenslust. Besonders Jochen Busse gibt den gealterten Erotomanen mit großer Spielfreude.

Um heute noch das schöne Wort Lüstling zu hören, muss man sich schon ins Sanatorium begeben. Im beschaulichen Bad Pyrmont, einem Kurhotel mit nervenberuhigender Blümchentapete, treibt nämlich ein ebensolcher sein Unwesen. Er heißt Ulrich Rösner, ist ein Schürzen- und Bademanteljäger alter Schule und umgarnt die hier versammelten Damen nach allen Regeln der Hochstaplerkunst.

Für jede Lady erfindet sich Rösner neu. Der Klinikangestellten Isabel (Christiane Rücker) gaukelt er den Arzt vor. Für Alice (Christine Schild) ist er Direktor eines weltumspannenden Bankenimperiums. Und gegenüber Edith (Ingrid Steeger) gibt er sich als genialer Architekt wassertragender Säulen aus.

Sein unbremsbarer Dampfwalzencharme brettert dabei locker über Logiklöcher in seinen Aufschneidergeschichten hinweg. Und dass am Ende der spätfrühlingshaften Flirtoffensiven immer die Damen die Zeche zahlen müssen, erklärt der Filou mit seinem nicht zu wechselnden 500-Euro-Schein. Dabei dienen die Lügen sogar einem guten Zweck. Der Kur-Casanova protestiert damit auf seine Art gegen die „Lebensabend-Keule“, die das vollreife Verlangen mit dem Warnhinweis „In unserem Alter …“ dämpfen möchte.

Fitter Kurschattenmann: Jochen Busse zeigt sich spiellustig

Jochen Busse spielt diesen ergrauten Erotomanen im Stück „Der Kurschattenmann“ von René Heinersdorff in der Komödie am Kudamm. Und zwar fit wie ein Turnschuh mit orthopädischen Einlagen. Der Schauspieler und Kabarettist, Jahrgang 1941, beweist hier nicht nur beneidenswerte körperliche Biegsamkeit, sondern vor allem eine blühende Spiellust und Freude am Schwindel.

Die Inszenierung von Horst Johanning kommt zwar im ersten Teil bisweilen nicht über Rollator-Tempo hinaus oder tritt ganz auf der Stelle wie der Erholungssuchende im Kneipp-Bad. Aber dafür gewinnt der Abend im zweiten Teil umso mehr Rasanz.

Rösner findet nämlich in der mondänen Oda (Simone Rethel) seine Meisterin, die ihm in puncto Münchhausen-Begabung in nichts nachsteht. Oda stürzt den armen Lügenbaron schließlich bei einem Hase-und-Igel-Dinner in die Totalverwirrung, bei dem die Frauen im identischen roten Dress hinter Rösners Rücken geschwind die Plätze tauschen. Bis der Mann den Überblick verliert, mit seinen Kosenamen für die verschiedenen Objekte der Begierde („Seepferdchen“, „Grashüpfer“, „Flamingo“) ganz durcheinanderkommt und von „Seegraspferdchen“ stammelt. Das hat schon hohe Komik.

Heinersdorff feiert die heilsame Kraft der Fantasie

„Der Kurschattenmann“ ist vor allem ein dankbarer Abend für den Schauspieler und die Schauspielerinnen (allesamt toll, nicht zuletzt die große Ingrid Steeger, die ihren Part mit verletztem Knöchel bewältigt). Und dass René Heinersdorff mit seinem Stück eine Lanze sowohl für die alterslose Lebenslust als auch für die heilsame Kraft der Fantasie bricht, ist ebenfalls ziemlich sympathisch. Nicht zuletzt, weil sich ein trocken-ironischer Unterton durchzieht. Er wolle, verkündet Busses Hochstapler Rösner einmal selbstbewusst, „das Verblühen verhindern“, also der Damen. Woraufhin Ingrid Steegers Edith treffsicher zurückgibt: „Und da bietest du dich als Düngemittel an?“

Bis 6.9. in der Komödie am Kurfürstendamm, jeweils Di – So, 20 Uhr

Patrick Wildermann

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