SPD-Politikerin Eva Högl: Eine Berlinerin läuft sich warm für die Groko
Noch gehört Eva Högl nicht zur A-Prominenz der Politik, doch das könnte sich bald ändern. Warum die Sozialdemokratin Chancen auf einen Ministerposten hat.
Nach der Bundestagswahl, als die Sozialdemokraten mit 20,5 Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis erzielten und sich so schnell wie möglich in die Opposition verabschieden wollten, ging es ihr gar nicht gut. Einige Tage nach dem Desaster, als der Berliner SPD-Landesvorstand an einem trüben Herbsttag die Ursachen des Scheiterns besprach, verließ Eva Högl still und gebeugt die Parteizentrale in Wedding, stieg auf ihr Hollandrad und strampelte davon.
Das war nicht die Frau, die im Bundestagswahlkampf von den Plakaten herabstrahlte, auf denen stand: „Mit Herz für Mitte“. Die Kandidatin aus dem Kiez, wo einst das Proletariat der deutschen Hauptstadt zu Hause war. Aber der Blues ist vorbei, es könnte bald ans Regieren gehen. Da wäre die Sozialdemokratin, die von sich selbst sehr überzeugt ist, gern dabei. Vielleicht als Ministerin. In der Bundespartei heißt es, sie sei „auf dem Sprung“. Es trifft sich gut, dass SPD-Chef Martin Schulz versprach, den sozialdemokratischen Teil eines möglichen nächsten Bundeskabinetts zur Hälfte mit Frauen zu besetzen.
Sie würden die Landespolitik nicht vermissen
In der Bundespartei wird aber auch gefordert, dass die SPD-Führungscrew nicht nur weiblicher, sondern auch jünger wird – einschließlich der künftigen Regierungsmitglieder. Den anstehenden Generationswechsel wollen sich in Berlin gleich mehrere Genossinnen und Genossen zunutze machen, die sich berufen fühlen, der nächsten Bundesregierung in zweiter Reihe anzugehören. Vorausgesetzt, dass die große Koalition tatsächlich kommt.
„Schauen Sie doch einfach mal auf die Senatsbänke!“ Der Hinweis von berufener Seite gilt der zweiten und dritten Reihe, wo im Berliner Abgeordnetenhaus auf der Regierungsbank die Staatssekretäre sitzen, wenn das Parlament tagt. Der Blick fällt auf den stets fröhlichen Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach, dann auf den Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, in dessen Nähe auch die Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund, Sawsan Chebli zu sehen ist. Sie bearbeiten ihre Handys, plaudern mit den Nachbarn oder lesen Akten, während die Opposition in der Aktuellen Stunde des Landesparlaments in der vergangenen Woche über die Wohnungsbaupolitik des Senats herfällt.
Alle drei, die auf das 40. Lebensjahr zugehen, würden die Landespolitik in Berlin gewiss nicht vermissen, sollte der Ruf des Bundes sie ereilen – auch wenn sie das öffentlich nicht so bekunden würden. Zumal es für angehende Bundespolitiker praktisch ist, in der Hauptstadt zu wohnen, schon wegen der Familie.
Zur A-Prominenz gehört sie nicht
Noch hat das Trio seinen Arbeitsplatz im Roten Rathaus, aber dort kursiert auf den Fluren inzwischen der Spruch: „Wenn alle, die in die Bundesregierung streben, den neuen Job bekommen, dann wird es ganz schön leer in der Senatskanzlei.“ In der Rolle des Staatssekretärs in einem Bundesministerium können sich manche zumindest Krach und Böhning vorstellen. Als Anwärterin auf einen Ministerposten, so hört man aus Kreisen der Landes-SPD, gilt in Berlin derzeit aber nur Högl.
Die promovierte Juristin gehört zwar nicht zur A-Prominenz der deutschen Sozialdemokratie, sitzt aber seit 2009 im Deutschen Bundestag und hat dort Spuren hinterlassen. Auch am Sondierungspapier, in dessen Rahmen Union und SPD noch bis zum Sonntag über eine Neuauflage der großen Koalition verhandeln wollen, hat Högl bei der Innen- und Rechtspolitik mit ausgearbeitet. Die 49-jährige Expertin für europäisches Recht ist mit dem „ganz guten, runden Paket“ zufrieden, wie sie in einer Videobotschaft wortreich verkündet hat. Jetzt arbeitet sie in der großen Verhandlungsrunde und als Co-Chefin der Arbeitsgruppe „Migration und Integration“ an der Koalitionsvereinbarung mit. Besonders stolz ist die SPD-Frau darauf, den CDU/CSU-Kollegen ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz abgerungen zu haben.
Am gestrigen Dienstag darf sie für ihre Partei nach schwierigen Gesprächen mit der Union den vermeintlichen Durchbruch beim Familiennachzug für Flüchtlinge verkünden, den die Sozialdemokraten als Erfolg für sich verbuchen. „Ich freue mich, dass wir heute eine gute Einigung erzielt haben“, erklärt Högl gegen Mittag. Spürbar erleichtert, denn an diesem Punkt hätten die Verhandlungen auch scheitern können. Noch am Montag war sie, beladen mit einer riesigen Tasche mit Aktenordnern, in die Koalitions-Arbeitsgruppe einmarschiert, auf neugierige Fragen eines Journalisten reagierte sie pampig: „Wir haben Stillschweigen vereinbart.“
Wer Ambitionen hat, tut gut daran, zu schweigen
Högl ist Profi, und sie wird in diesen Tagen alles vermeiden, das Wertungspunkte kostet. Schließlich könnte sie bald neue Justizministerin werden – oder das Bundesministerium für Arbeit und Soziales übernehmen, in dem sie bis 2009 viele Jahre gearbeitet hat, zuletzt als Referatsleiterin für Beschäftigungs- und Sozialpolitik in der EU. Dann wäre sie Nachfolgerin von Andrea Nahles, die als SPD-Fraktionschefin im Bundestag für die Bundespartei eine zentrale Rolle eingenommen hat.
Aber noch ist alles offen. Wer Ambitionen hat, tut momentan gut daran, darüber öffentlich nicht zu reden. Zumal selbst der Parteichef aus ureigenem Interesse ein Schweigegelübde abgelegt hat – erst wenn die Koalition steht, werde über das Personal entschieden.
Högl kann prima schweigen. Was sich hinter dem strahlenden Lächeln, das oft ein bisschen aufgesetzt wirkt, tatsächlich verbirgt, ist nur zu erahnen. Högl gibt vor den Kameras in der Regel nur preis, was sie sich vorher zehn Mal überlegt und innerparteilich abgesichert hat.
Die gebürtige Niedersächsin, die seit 2001 in Berlin wohnt, ist eine gute Parteisoldatin. Anfang der 90er Jahre war sie Vize-Bundeschefin der Jungsozialisten und gehörte bereits sechs Jahre dem Parteivorstand an, bevor sie im Dezember 2017 wieder in die Parteiführung gewählt wurde. Högl ist Sprecherin des „Netzwerks Berlin“, eines Zusammenschlusses pragmatisch orientierter SPD-Bundestagsabgeordneter. Aber sie hat auch einen guten Draht zur Parteilinken. Diese Position zwischen den Flügeln verschafft Spielraum, den Högl geschickt nutzt, um im fragilen Gefüge der SPD Kräfte auszutarieren und Mehrheiten zu organisieren.
Sie saß im Untersuchungsausschuss zum NSU
So ist sie im traditionell linken Berliner SPD-Landesverband, Schritt für Schritt, zur mächtigsten SPD-Frau geworden. Und der glühenden Feministin ist es sehr wichtig, dass auch andere Genossinnen in der Partei nach vorne rücken.
Schon nach der Bundestagswahl 2013 hätte Högl parlamentarische Staatssekretärin, wahrscheinlich im Bundesjustizministerium, werden können. Das Angebot schlug sie damals aus. Stattdessen profilierte sie sich als neue Vize-Fraktionschefin und Sprecherin der Sozialdemokraten im Untersuchungsausschuss zur Terrorgruppe NSU. Und weil jeder erfolgreiche Politiker, auch jede Politikerin, eine Hausmacht braucht, baute Högl ihre innerparteiliche Stellung aus.
Seit 2007 führt sie den Berliner Landesverband der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, und ihr wird nachgesagt, im Juni den Bundesvorsitz anzustreben. In Berlin wird sie im März den Vorsitz des einflussreichen SPD-Kreisverbandes Mitte übernehmen. Es halten sich sogar Gerüchte, dass Högl dem Berliner SPD-Chef Michael Müller Ende Mai den Vorsitz der Landespartei streitig machen könnte. Auch als Bundesjustizministerin wäre dieses Amt wohl zu bewältigen – der amtierende Justizminister Heiko Maas führt seine SPD im Saarland seit 17 Jahren.
Eines ist klar: Högl will in der Bundespolitik bleiben. Nach der Abgeordnetenhauswahl 2017 hätte sie in Berlin Innensenatorin werden können, lehnte aber ab. Auch die Gerüchte, die in der eigenen Partei gelegentlich aufkamen, sie wolle irgendwann Regierende Bürgermeisterin werden, verschwanden so schnell wie sie gekommen waren. Und dem Zufall überlässt Högl ohnehin nichts, auch wenn sie gelegentlich für Überraschungen sorgt.
Die jungen Wilden im Roten Rathaus
Zum Beispiel als sie jüngst kurzfristig für die Parteispitze kandidierte. Auf dem SPD-Bundesparteitag am 9. Dezember wurde sie, nach mehrjähriger Pause, wieder als Beisitzerin in den Vorstand gewählt. Es sollten mehr Frauen in die Parteiführung, die auch deshalb erweitert wurde, das passte gut in Högls Gesamtstrategie. Eigentlich hatte der SPD-Landesvorstand nur den Berliner Regierungs- und Parteichef Müller nominiert. Der zeigte sich erfreut über die spontane Bewerbung der Genossin, vielleicht meinte er das sogar ernst.
Bundesministerin. Man wird sehen. Erst einmal muss die Parteibasis die Groko wollen und SPD-Chef Schulz die Berliner Genossin vorschlagen. Käme es so, würde Eva Högl die erste sozialdemokratische Bundesministerin aus Berlin seit fast 20 Jahren. Im Herbst 1998 hatte Kanzler Gerhard Schröder die Arbeitssenatorin Christine Bergmann in sein erstes Kabinett geholt. Zuständig für Familie, Senioren, Arbeit und Frauen. So gesehen, hätte die Berliner SPD doch einen Grund, die große Koalition im Bund zu unterstützen, was den linken Genossen ausgesprochen schwer fällt.
Und was könnte aus den noch halbwegs jungen Wilden im Roten Rathaus werden? Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach, ein Zögling des früheren Bildungssenators Jürgen Zöllner, wäre in einem SPD-geführten Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in gleicher Funktion eine gute Besetzung. Der 38-jährige Politologe, geboren in Hannover, ist in der deutschen Hochschullandschaft eine bekannte Größe und pflegt immer noch gute Kontakte zu den Genossen in Niedersachsen.
Krach ist gut befreundet mit dem Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning. Zwei coole Kumpel, ehrgeizig und trinkfest. Auf der Klausurtagung der Berliner SPD-Fraktion, vor zwei Wochen in Hamburg, traf man sie abends fröhlich singend in einem Restaurant in der Speicherstadt, und dann ging es ab in den Club.
Michael Müller ist mit Sawsan Chebli nie warm geworden
Böhning, knapp ein Jahr älter als Krach, hätte angeblich Chancen, bei einem Bundesfinanzminister Olaf Scholz unterzukommen. Auch zu Andrea Nahles hat er noch aus alten Juso-Zeiten bis heute eine gute Beziehung.
Nach zehn Jahren in der Senatskanzlei würde ein Wechsel Böhnings in die Bundespolitik nicht als Fahnenflucht gelten. Anders sähe es bei Sawsan Chebli aus, die seit einem Jahr als Staatssekretärin für Bundesangelegenheiten, bürgerschaftliches Engagement und Internationales für den Regierenden arbeitet. Der ist mit der eigenwilligen einstigen Außenministeriumssprecherin, deren Äußerungen zu Nahost, Religion und Frauenrechten immer wieder zu öffentlichen Diskussionen führen, nie richtig warm geworden. Ein Fundament dafür, weiter in der Berliner Landespolitik zu arbeiten und sich nicht in die Bundespolitik zurückzusehnen, ist das nicht.