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#Metoo: Ein Hastag geht um die Welt.
© Britta Pedersen/dpa

Sexismus: Es fühlte sich an, als würden wir uns auf einen Krieg vorbereiten

Was Weinsteins Sexualdelikte und Cheblis Empörung miteinander zu tun haben. Ein Essay.

Ein Essay von Anna Sauerbrey

#metoo: Als ich zwölf war, fragte mich ein Lehrer, ob „das“ echt sei oder ob ich meinen BH ausstopfen würde. Als ich 14 war, ging ein Mann in einem Gang zwischen zwei Regalen bei Karstadt auf mich zu und griff mit beiden Händen nach meinen Brüsten. Als ich 21 war, legte ein mir fremder Mann, der im Bus neben mir saß, mir die Hand aufs Knie und ließ sie langsam nach oben wandern. Mit 36, allein auf dem Rückweg ins Hotel durch abendleere Straßen in einer amerikanischen Großstadt, folgten mir zwei betrunkene junge Typen und brüllten Eindeutiges.

Cheblis Empörung hat es mit Weinsteins Sexualdelikten zu tun: Sexismus ist immer auf unsere Körper gerichtet

In den vergangenen Wochen haben Tausende Frauen als Reaktion auf Enthüllungen über eine Vielzahl sexueller Delikte des Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein unter dem Twitter-Schlagwort #metoo ihre Erlebnisse mit sexueller Belästigung und sexuellen Übergriffen auf Twitter dokumentiert. Wie es immer ist bei Debatten über Sexismus, wurde schnell auch Kritik laut: Männer würden an den Pranger gestellt. Die Aktion würde nichts bringen. Und: Minder schwere Fälle würden unzulässig vermengt mit den schweren Sexualstraftaten Weinsteins, der über Jahrzehnte Frauen sexuell genötigt und laut Aussagen mehrerer Frauen im Magazin „The New Yorker“ auch vergewaltigt haben soll. Hat es etwas miteinander zu tun, wenn ein älterer Mann der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli bei einer Veranstaltung sagt, eine so junge und schöne Frau habe er nicht erwartet – und wenn ein mächtiger Mann in Hollywood über Jahrzehnte Sexualverbrechen begeht? Ich glaube ja.

Auch, wenn nicht jede Form von Sexismus physisch ist, so ist er doch immer gegen unsere Körper gerichtet. Das ganze Drama des Lebens als Frau in einer – ja! – immer noch sexistischen Gesellschaft ist es ja gerade, zur ständigen Körperlichkeit verdammt zu sein.

Der amerikanische Schriftsteller und Essayist Ta-Nehisi Coates, vielleicht einer der klügsten Denker im Amerika dieser Tage, hat 2015 den Essay „Zwischen der Welt und mir“ veröffentlicht, einen Brief an seinen Sohn, in dem er beschreibt, was es bedeutet, als schwarzer Mensch in den Vereinigten Staaten zu leben. Er schreibt: „Unsere Wortwahl – Rassenspaltung, weiße Privilegien… – dient dazu, zu verschleiern, dass Rassismus eine leibliche Erfahrung ist, dass Rassismus Gehirn verspritzt, Luftröhren zuschnürt, Muskeln ausreißt... Erinnere dich immer daran, dass Soziologie, Geschichte, Ökonomie, dass all die Tabellen und Graphiken sich mit großer Brutalität auf deinen Körper auswirken.“

Auch Sexismus ist immer eine leibliche Erfahrung. Viele im Ergebnis triviale Fälle enthalten im Moment des Geschehens die Möglichkeit sexueller Gewalt. Was, wenn die beiden jungen Männer, die mir einmal nachts auf der Straße folgten, es nicht beim Rufen belassen hätten? Woher sollte ich wissen, dass es so sein würde?

Jede verbale Grenzverletzung ist eine Erinnerung an das Drama der unausweichlichen weiblichen Körperlichkeit

Auch jede verbale Grenzverletzung verweist auf diese Realität jenseits unseres Sicherheitsgefühls. Sie erinnert uns an vergangene und an jederzeit mögliche Erniedrigungen. Jede noch so banale sexistische Bemerkung erinnert uns daran, dass wir zuerst Körper sind; dass unsere Körper eine Wahrnehmungsschicht unterhalb der Konventionen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten zu unseren Gunsten gewandelt haben, weiterhin bestimmend sind für die Art und Weise, wie wir wahrgenommen werden, welche Fähigkeiten und Positionen uns zugeschrieben werden. Sie erinnern uns an all die kleinen und großen Verletzungen der Selbstbestimmung über diesen Körper, an die besondere Sozialisation dieses Körpers und an seine besondere Verletzlichkeit.

Als meine Schulfreundinnen und ich 14, 15 Jahre alt waren, meldeten uns unsere Mütter zu einem Selbstverteidigungskurs an. In einer Turnhalle, auf alten Matten, die nach Wachs rochen, übten wir, uns zu wehren. Meine Freundin Maria umkrallte mein Handgelenk und die Trainerin zeigte mir, wie ich mich durch eine Drehung über ihren Daumen aus diesem Griff befreien konnte. Wir lernten, dass es nichts nützt, eine Waffe zu tragen, da viele Frauen, die Waffen tragen, bei einem Überfall damit selbst verletzt werden. Wir lernten, dass Schreien, Beißen, Treten helfen, dass die Täter dann manchmal ablassen. Wir dachten an die eine unter uns, die einmal mit ein paar Jungs nach Hause gegangen war, die sie bedrängten, die Tür abschlossen, sie aber gehen ließen, als sie brüllte und tobte. Wir lachten auch viel, aber noch heute denke ich manchmal darüber nach, ob es eine Wut gibt, die so enthemmend sein könnte, dass ich wirklich jemandem den Finger ins Auge steche. Es fühlte sich an, als bereiteten wir uns auf ein Leben im Kriegszustand vor. Auf einen Krieg gegen unsere Körper. Dabei wussten wir damals noch wenig über jene Dimension von Macht, für die Harvey Weinstein auch steht, darüber, wie Männer Macht über die Körper von Frauen ausüben, ohne sie am Handgelenk festzuhalten. Dass die meisten Vergewaltiger ohnehin nicht Fremde sind, die aus der Dunkelheit auftauchen, sondern Verwandte, Freunde, Partner.

Der Selbstverteidigungskurs fühlte sich an als würden wir uns auf einen lebenslangen Krieg gegen unsere Körper vorbereiten

Heute, mit 38 Jahren, würde ich sagen, dass sich die düstere Vorahnung eines lebenslangen Kriegszustandes nicht bewahrheitet hat. 7919 Fälle von sexueller Nötigung und Vergewaltigung erfasst die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2016. Das Dunkelfeld wird zehnmal größer geschätzt. Dennoch halte ich nicht viel von Begriffen wie „Rape Culture“, wie sie Feministinnen auch in der Weinstein-Debatte verwenden. Ich glaube nicht, dass wir in einer Vergewaltigungskultur leben. Mein Alltag ist überwiegend geprägt von Männern, die Frauen mit großem Respekt behandeln, mit Zuneigung, Verständnis, als Gleiche. Ich fühle mich nicht pauschal diskriminiert. Ich fühle mich nicht als Opfer. Ich habe keine Angst. Ich habe persönlich keine Schweigekartelle erlebt, auch wenn es sie sicher gibt. In meiner Schule gab es zwei Lehrerinnen, die sich für unsere Rechte einsetzten. Ich habe die Bemerkung des Lehrers über mein Aussehen damals berichtet – und nichts als Unterstützung erfahren.

Und dennoch heißt Frau-Sein die wiederkehrende, oft abrupte Erinnerung an die eigene Körperlichkeit in Form atavistischer Beutetierreflexe; die kaum merkliche Veränderung des Muskeltonus; die plötzliche Hyperschärfe aller Sinne in einer menschenleeren Dunkelheit.

Und dennoch ist jede mehr oder minder lapidare sexistische Äußerung eine Erinnerung daran, dass mein solides Grundvertrauen in den Respekt vor der Unversehrtheit meines Körpers zerbrechlich ist – und dass viele andere Frauen den Luxus dieses Vertrauens nicht mehr kennen.

Eine Kollegin schrieb in diesen Tagen auf Twitter, sie wolle keine Kommentare über Sexismus mehr von alten, weißen Hetero-Männern lesen. Es folgte ein brutaler Shitstorm. Auch vielen, die nicht gleich draufloshassten, war unwohl bei dieser Aussage. Warum sollten Männer nicht über Sexismus schreiben dürfen? Ist der alte, weiße Hetero-Mann nicht längst auch zum diskriminierenden Stereotyp mutiert, ist das nicht die nächste unzulässige Stigmatisierung eines Körpers?

Das ist es – und dennoch verstehe ich den Impuls. Ihr seid unsere Ehemänner, Freunde, Förderer, Partner, Mitarbeiter. Ihr seid unsere Brothers in Arms. Aber es wird immer ein Rest Fremdheit zwischen uns bleiben: jene Fremdheit zwischen Verstehen und Empfinden.

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