Extremistenszene: Ein Treffen mit Reichsbürgern in Berlin
Hans Sahr gibt sich als Gerichtsvollzieher der "Geeinten deutschen Völker und Stämme" aus. Die lehnen die Bundesrepublik ab, wollen Berlin und Brandenburg zurückerobern. Unser Blendle-Tipp.
An einem Donnerstag Mitte Oktober ist Hans Sahr zum Rathaus in die Zehlendorfer Kirchstraße gefahren. Er nahm die Treppe in den ersten Stock, zum Sekretariat der Bezirksbürgermeisterin, und übergab einen Brief. Der Mitarbeiter habe sich arg gewundert, sagt Sahr. „Zuerst lächelte er, aber je weiter er las, desto ernster wurde er.“ Das Schreiben enthielt ein Ultimatum: Innerhalb einer Woche müsse das gesamte Rathaus geräumt werden. Schlüssel und Siegel seien ihm, Hans Sahr, persönlich auszuhändigen.
Sahr ist Rentner. Kurzes, braunes Haar, Schnurrbart und Halbrandbrille, leichtes Übergewicht. Unauffälliger Typ. In seinem früheren Leben montierte er Klimaanlagen. Jetzt nennt er sich „Gerichtsvollzieher“. Er sagt, er handele im Auftrag des „Höchsten Gerichts der geeinten deutschen Völker und Stämme“
Die Bundesrepublik Deutschland? Kein Staat, sondern eine Firma
Seine Mitstreiter und er werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie gelten als extremistisch, Kategorie: „Reichsbürger und Selbstverwalter“. Damit gehören sie zu einer wachsenden, heterogenen Gruppe, die den Sicherheitskreisen Sorge bereitet. Gerade hat der Verfassungsschutz ihre Zahl nach oben korrigiert – auf mittlerweile auf 15.000.
Was Reichsbürger eint, ist die Überzeugung, die Bundesrepublik Deutschland sei kein Staat, sondern eine Firma. Sie schikanieren Ämter, verweigern Steuern. Viele sind bewaffnet. Und manche bereit, ihre Waffen einzusetzen. In Nürnberg wurde am Montag ein Reichsbürger wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, in Halle steht ein anderer wegen Mordversuchs vor Gericht, beide hatten auf Polizisten geschossen. Sahr sagt: „Wir sind komplett friedlich.“
Die meisten Reichsbürger meiden die Öffentlichkeit. Mit der Presse reden sie grundsätzlich nicht, Journalisten halten sie für Lakaien der BRD GmbH. Hans Sahr ist eine Ausnahme. Er erklärt sich zu einem Interview bereit. Einzige Bedingung: „Meine Chefin muss mitkommen.“
Die Forderung an Merkel: 9000 Feinunzen Gold
Freitagvormittag im Café eines Biomarkts am Fehrbelliner Platz. Hans Sahr kommt im quergestreiften Polohemd, bestellt Cappuccino und setzt sich in die hintere Ecke an eine Holzbank. „Wenn wir uns leise unterhalten, sollte es gehen.“ Seine Begleiterin ist eine stark geschminkte Frau Mitte 50. Strenger Blick, Bluse mit Blümchenmuster. Sie heißt Heike Werding und fungiert als „Generalbevollmächtigte der geeinten deutschen Völker und Stämme“. Das bedeutet, sie ist die höchste Staatsvertreterin ihres Fantasiereichs.
Heike Werding legt ein fünfseitiges, engbedrucktes Dokument mit dem Titel „Allgemeine Handelsbedingungen und Gebührenordnung“ vor, in dem sie hohe Geldstrafen androht und das man unterschreiben soll. Wenn man sich weigert, ist es ihr auch egal. Sie redet einfach drauflos. In den nächsten zwei Stunden geben die beiden seltene Einblicke in die Strukturen, Gesetzmäßigkeiten und Gedankenwelten einer Szene, die auf Außenstehende bizarr, wenn nicht komplett verrückt wirkt ...
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