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Erleichterung. Die SPD-Führung kann ihr Glück kaum fassen.
© Kay Nietfeld/dpa

Nach der Niedersachsen-Wahl: Ein Ende der Friedenspflicht

Keine Katastrophe für die CDU, Atempause für die SPD – an den großen Linien ändert die Niedersachsen-Wahl nichts. Trotzdem erwarten den Sozialdemokraten Martin Schulz harte Tage.

Es gibt Wahlabende, an denen einen unbefangenen Beobachter schon mal leise Zweifel am Parteibuch des Siegers befallen könnten. „Respekt an Stephan Weil“, sagt Michael Grosse-Brömer. Dieser Wahlerfolg, ergänzt Peter Tauber, „geht zu ganz wesentlichen Teilen auf sein Konto.“

Die Herren sind bekanntlich von der CDU, Fraktionsgeschäftsführer der eine, Generalsekretär der andere. Der Wahlsieger, für den sie am Sonntagabend so freundliche Worte finden, gehört bekanntlich zur Konkurrenz. Aber erstens kann man angesichts der Wahlergebnisse aus Österreich, die im Berliner Konrad-Adenauer-Haus über die Fernsehschirme flimmern, als Volkspartei ja nur froh sein über jeden Erfolg einer Volkspartei. Zweitens soll man sich mit Konkurrenten gut stellen für den Fall, dass sie einen demnächst noch mal anrufen und zum Partner erwählen könnten.

Aber drittens und vor allen Dingen ist Stephan Weil nun wirklich schwer zu widersprechen, wenn er gerade in Hannover einen „fulminanten Erfolg“ für sich reklamiert. Zum ersten Mal seit Gerhard Schröders Tagen, zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten stellt die SPD in Niedersachsen wieder die stärkste Fraktion. Und der Mann, den sie früher als „Büroklammer“ verspotteten, hat allen gezeigt, wie das geht: Wer eine Wahl gewinnen will, der muss sie auch gewinnen wollen.

Aus einem aussichtslosen Rückstand wurde ein Triumph

Nun gibt es freilich noch einen vierten, nicht ganz so offen zu Tage liegenden Grund für die Respektsbekundungen der Berliner Christdemokraten. Er ist in dem Moment zu erahnen, in dem der Generalsekretär erst die Gesamtbilanz des zurückliegenden Wahljahrs aufmacht – vier Mal gewonnen, eine verloren – und anschließend verkündet, das Jahr habe gezeigt, „dass Landtagswahlen Landtagswahlen sind“. Was nämlich so viel heißt wie: Angela Merkel kann doch nichts dafür, wenn der SPD-Ministerpräsident in Hannover so gut ist! Diese Meinung teilt nicht jeder in der CDU.

Erst einmal bleibt festzuhalten: Die SPD hat in Niedersachsen aus einem scheinbar aussichtslosen Rückstand in wenigen Wochen einen glatten Triumph gemacht. Das ist um so bemerkenswerter, als das Ergebnis dieses Wahlabends bis auf zwei Ausnahmen in etwa dem entspricht, was die Parteien zwischen Ems und Elbe vor drei Wochen bei der Bundestagswahl auch bekamen. Für die CDU und ihren Spitzenmann Bernd Althusmann ist es ein historisch schlechtes, für Grüne und FDP ist es anständig, für die Linke eine Enttäuschung. Die Bundestagswahl, lernt man beiläufig daraus, war kein Ausrutscher; das meinten die Leute schon so.

Sie können ihr Glück kaum fassen

Die beiden Ausnahmen sind die AfD und die SPD. Die „Alternative“ stellt in Niedersachsen einen besonders zerstrittenen Haufen um beziehungsweise gegen den Landeschef Armin-Paul Hampel. Dass sie sich diesmal nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde rettete, hat aber vermutlich einen allgemeineren Grund. „Die Protestwähler“, sagt ein CDU-Präsidiumsmitglied, „haben sich in der Bundestagswahl abreagiert. Warum sollten die das in Niedersachsen noch mal tun?“

Bleibt die SPD. Im Willy-Brandt-Haus können sie ihr Glück kaum fassen. Seit Monaten ist hier an Wahlabenden nur noch trotzig gejubelt worden. Diesmal muss keiner der Parteigenossen Begeisterung heucheln. „Mann, ei, unglaublich“, schreit ein Älterer beim Anblick der Prognose-Zahlen, und ein anderer an seinem Stehtisch stammelt: „Ja, ja, ja, das ist ja richtig geil!“

Aus einer tief verunsicherten Partei bricht da die Erleichterung hervor. Die Erleichterung, dass der beispiellose Absturz bei der Bundestagswahl nicht einfach weitergeht, dass es eine Haltelinie gibt nach drei verlorenen Landtagswahlen und dem Desaster vom 24. September. „Unsere Partei lechzt jetzt nach einem Erfolg“, hatte ein langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter vorher gesagt. Weil hat geliefert. Oder, mit Parteivize Manuela Schwesig zu sprechen: „Stephan Weil hat in diesem Wahljahr die Ehre der SPD gerettet.“

Hymnen auf den Kampfesmut des Siegers

Der Mann, dem diese Rolle eigentlich einmal zugedacht war, steht wenig später auf der Bühne neben der Willy-Brandt-Statue und reckt den Daumen hoch. Zweimal muss Martin Schulz für seine Rede ansetzen, bevor der Applaus verebbt. „Es war ein wunderbar sonniger Tag heute in Deutschland, besonders in Niedersachsen“, schwärmt Schulz und verfällt in Superlative: „Stephan, was du in den letzten Wochen geleistet hast, ist einzigartig in der Wahlkampfgeschichte der Bundesrepublik Deutschland!“

Nun sind solche Hymnen auf den Kampfesmut des Wahlsiegers natürlich ein zweischneidiges Schwert. Irgendwie stellt sich ja schon jeder die Frage, wieso die „Büroklammer“ aus Hannover geschafft hat, was dem Martin aus Würselen genau nicht gelang. Schulz weiß um solche Fragen. Er sei dankbar, dass die Partei nach der „bitteren Niederlage“ vom 24. September zusammengeblieben sei, sagt er jetzt. Dahinter steckt eine Botschaft. Wenn Schulz über seine Leistungen als Vorsitzender redet, dann nennt er das Zusammenhalten der verschiedenen Strömungen in der Partei immer als seinen wichtigsten Erfolg.

Nach dem Destaster der Bundestagswahl ist es zum wichtigsten Argument in eigener Sache geworden. Der SPD-Vorsitzende ist geschwächt. Noch zeichnet sich aber kein Szenario ab, wie Schulz abgelöst werden könnte. Mit 100 Prozent war er im März zum Parteichef gewählt worden. Niemand kann sagen, er habe schon immer Zweifel an seiner Führungsfähigkeiten gehegt. Die Unzufriedenheit mit Schulz wächst in Teilen der Führung und auch in der Bundestagsfraktion trotzdem. Es sei nicht erkennbar, mit welchen inhaltlichen Ideen der Vorsitzende die Partei aus der Krise führen wolle, heißt es dann. Schulz gehe es in erster Linie darum, sich im Amt zu halten.

Die Einigkeit bekommt erste Risse

Der will aber den ersten Erfolg seiner Amtszeit nutzen. Der „Rückenwind aus Hannover“ werde die Arbeit der Erneuerung ein bisschen leichter machen, sagt Schulz. Für ihn spricht vor allem, dass kein anderer in Sicht ist, auf den sich die SPD ohne monatelange Kämpfe einigen könnte. „Schulz ist unter denen, die wir haben, der Beste“, meint ein einflussreicher Bundestagsabgeordneter. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sei in weiten Teilen der Partei nicht vermittelbar. Scholz steht am Sonntagabend übrigens nicht mit auf der Bühne.

Und trotzdem kommen auf Schulz harte Tage zu. Mit der Schließung der Wahllokale in Niedersachsen endet auch die parteiinterne Friedenspflicht. Aus Rücksicht auf Wahlkämpfer Weil muss sich nun niemand mehr zurückhalten. Die Einigkeit bekommt denn auch sofort wieder erste feine Risse. Parteivize Ralf Stegner erklärt den Sieg zum Beweis dafür, dass es richtig gewesen sei, die SPD als linke Volkspartei mit klarem inhaltlichen Profil hart gegen die Union aufzustellen. Andere sehen das deutlich anders als der Parteilinke. Der nüchterne Hannoveraner Weil mit seinem wirtschaftsnahen Kurs stehe nun aber ganz bestimmt nicht für einen Linksruck, sagt ein anderes Mitglied der Parteiführung.

Weil will sich einmischen

Weil hat übrigens schon angekündigt, dass er sich einmischen wird in die Kursdebatte in der Bundes-SPD. Dem Mann, der das letzte große Flächenland für die SPD verteidigt hat, wird die Partei Einfluss und gegebenenfalls den Stellvertreter-Posten nicht verwehren können. Bisher hat er Schulz gestützt, weil er keinen Machtkampf im Wahlkampf brauchen konnte. Wie es künftig wird? „Wir haben zur Zeit nicht die Kraft, einen Vorsitzenden abzulösen“, sagt ein SPD-Mann.

Drüben im Konrad-Adenauer-Haus haben sie, was ihre Vorsitzende angeht, dazu weder Kraft noch Lust. Merkels schnoddrige Bemerkung nach der Bundestagswahl, dass sie nicht gewusst hätte, was sie anders hätte machen können, sorgt zwar immer noch bei vielen für Ärger. Aber selbst die „Bild“-Zeitung kann nur den Generalsekretär des Wirtschaftsrats dazu bewegen, das zum „Schlüssel“ für die Wahlniederlage an der Leine zu erklären, und dieser Wolfgang Steiger ist als Merkel-Fan noch nie aufgefallen.

Jürgen Trittin orakelt hinterlistig

Althusmann beschwert sich auch ein bisschen, es habe aus Berlin nicht nur Rückenwind gegeben. Aber über den eigenen Kandidaten, der seine CDU gleich zwei Mal vor Kameras versehentlich zur stärksten Kraft erklärt, fällt in Berlin jetzt hier und da das Wort „hausgemacht“. Kein Kämpfer, dieser Panzerhauptmann der Reserve. Hat wohl gedacht, dass ihn drei Wochen nach der Bundestagswahl eine Angela-Merkel-Welle von alleine in die Staatskanzlei schwemmen wird. Dabei gingen seine Umfragewerte schon vor der Bundestagswahl in Sinkflug, nachdem die CDU die abtrünnige Grüne Elke Twesten freudig aufgenommen hatte.

Trotzdem kein schöner Abend für Merkel. Der Grüne Jürgen Trittin orakelt schon hinterlistig, dass es jetzt für die CDU schwieriger werde in den „Jamaika“-Gesprächen. Und der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hört gleich ein „erneutes Alarmsignal für die gesamte Union“ schrillen. Die CSU gilt allerdings seit dem 24. September nur noch bedingt als Spezialist für sichere Siege. Der schleswig-holsteinische CDU-Ministerpräsident Daniel Günther jedenfalls rechnet im Adenauer-Haus schon vorher kühl dagegen: Ein Prozent Verlust zur letzten Landtagswahl für die CDU – also, „eine krachende Niederlage ist das nicht.“

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