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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD, r) und Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne).
© Julian Stratenschulte/dpa

Nach der Niedersachsen-Wahl: Klar ist noch nichts, gefeiert wird trotzdem

Die SPD ist mit dem Wahlergebnis hochzufrieden, die Grünen hoffen auf eine Fortsetzung von Rot-Grün. Und gegen die ehemalige Parteifreundin Elke Twesten fallen ätzende Kommentare.

Die Beifallsstürme wollen gar nicht mehr enden. Durch ein Spalier begeisterter Genossen hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil gerade die Bühne des SPD-Fraktionssaals erklommen und genießt lächelnd den Applaus und die Juhu-Rufe. Zu Siegerposen lässt sich der Regierungschef allerdings bei den ersten Prognosen nicht hinreißen. „Ich rate dazu, den Ball eine Sekunde lang flachzuhalten“, mahnt Weil vor zu viel Euphorie. „Der Wahlabend ist noch lang“, meint er mit Blick auf den Januar 2013, als sich Blatt erst sehr spät zu seinen Gunsten gewendet hatte.

Ein bisschen Feiern darf  dennoch sein. „Schon jetzt wissen wir, dass wir die stärkste Partei geworden sind und die SPD einen klaren Regierungsauftrag hat.“  Wieder brandet Jubel auf, Würstchen und Kartoffelsalat können warten. Anderthalb Stunden später dürfen die Genossen dann ausgiebig genießen; das Wunschbündnis mit den Grünen rückt näher. 

Auf der anderen Seite des Ganges im Leineschlos bei der CDU finden Buletten und Bier bereits früh reißenden Absatz. Mit vollem Bauch lässt sich der Schock über das schlechteste Ergebnis seit 1959 vielleicht besser verdauen. Spitzenkandidat Bernd Althusmann schickt zunächst Fraktionschef Björn Thümler für einige Durchhaltparolen vor;  er selbst will noch die erste Hochrechnung abwarten. Dann aber gibt der Reserve-Offizier, der wie Weil unter Schlachtgesängen und „Bernie-Bernie“-Rufen seiner Anhänger in den Fraktionsaal marschiert, den Gentleman und gratuliert als erstes dem SPD-Amtsinhaber für den Wahlsieg. „Daraus werden sich jetzt Verhandlungen für Niedersachsen ergeben“, sagt Althusmann, und es klingt fast wie ein Angebot für Sondierungsgespräche. „Auch wir als Union tragen die politische Verantwortung für dieses Land. Wir haben – in welcher Konstellation auch immer – einen klaren Gestaltungsauftrag für Niedersachsen.“ Er selbst werde sich auf der Fraktionssitzung am Dienstag um das Amt des Vorsitzenden bewerben, kündigt der ehemalige Kultusminister an.

"Danke Elke", höhnt ein Sozialdemokrat

Im Sommer noch hatte die Union in den Umfragen scheinbar uneinholbar vor der SPD gelegen. Rot-Grün war nach dem überraschenden Wechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU am Ende. Jetzt muss Althusmann im Beisein der Überläuferin seine Niederlage schönreden. „Wir müssen überhaupt nicht in Sack und Asche gehen.“ Die Niedersachsen-Union habe sich trotz der Verluste deutlich vom Absturz der Bundes-CDU abgekoppelt. Zwar habe man das Ziel, als stärkste Kraft abzuschneiden, verfehlt. „Aber der zweite Auftrag ist erfüllt. Für eine rot-grüne Mehrheit reicht es nicht. Rot-Grün ist abgewählt.“

Einige Hochrechnungen weiter wird die vermeintliche Erfolgsmeldung zum Bumerang. Plötzlich haben SPD und Grüne trotz erheblicher Verluste des kleinen Partners doch eine Mehrheit. „Danke Elke“, höhnt der ehemalige SPD-Umweltminister und Parteilinke Wolfgang Jüttner über Twesten. „Der Schuss ist ja wohl nach hinten losgegangen“, ätzt eine ehemalige SPD-Staatssekretärin Richtung CDU. Die Genossen hatten der Union „schäbiges Verhalten“ im Zusammenhang mit dem Twesten-Wechseln vorgeworfen, weil sie mit einer „Intrige“ den Wählerwillen ins Gegenteil verkehrt habe.

In der Tapas- und Cocktail-Bar „Besitos“ in Hannovers City wandelt sich der grüne Katzenjammer in Feierlaune. Spitzenkandidatin Anja Piel, die von Anfang an alle Fragen nach einer Jamaika-Koalition unwirsch abwimmelte, sieht sich bestätigt. „Wir haben einen eindeutig rot-grünen Wahlkampf gemacht. Das war jetzt nicht umsonst.“

Die FDP hat derweil Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. Ihr Ziel, vor den Grünen auf Platz drei zu landen, hat sie verpasst. Den Liberalen blieben für die Regierungsbeteiligung nur zwei ungeliebte Optionen: neben Jamaika die Ampel aus SPD, FDP und Grünen -  sollte es am Ende des Abends doch nicht für Rot-Grün langen. Aber dieser Konstellation erteilt Spitzenkandidat Stefan Birkner eine eindeutige Abfuhr. Man wolle nicht Steigbügelhalter für eine Fortsetzung von Rot-Grün sein, erklärt der ehemalige Umweltminister kategorisch.  „Wir sehen keine Möglichkeit, unsere Themen in einer Ampel durchzusetzen.“ 

Althusmann hat mit seinen Attacken das Verhältnis zur SPD nicht entspannt

Enttäuschung herrscht bei den Linken, die eine Wiederkehr in den Landtag nach dem Rauswurf 2013 denkbar knapp verpassen. Die AfD springt zwar über die Fünf-Prozent-Hürde, aber bleibt hinter den eigenen Erwartungen zurück. „Mehr wäre natürlich wie immer besser gewesen“, erklärt Spitzenkandidatin Dana Guth nüchtern, ohne näher auf die innerparteilichen Querelen im niedersächsischen Landesverband einzugehen. „Aber wir ziehen jetzt in die Landtag. Das ist das Entscheidende.“

Sollte sich die Fortsetzung von Rot-Grün bestätigen, dürfte es relativ kurze Koalitionsverhandlungen geben. Man kennt sich, man schätzt sich. In den wichtigen Politikfeldern liegen beide Parteien dicht beieinander. Konflikte drohen wie schon 2013 insbesondere bei neuen Autobahn-Projekten wie der A20 entlang der Küste und der A39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg. Bei den Kindergärten möchte die SPD alle drei Jahre für die Eltern beitragsfrei stellen; die Grünen bevorzugen dagegen eine bessere Ausstattung mit Fachpersonal.

Angesichts des mageren Abschneidens muss der kleine Partner diesmal aber wohl auch kleinere Brötchen backen. Fraglich ist zudem, ob die Grünen von einem gestärkten Regierungschef Weil wieder mit vier Ministerposten bedacht werden. Allzu forsch darf der SPD-Vorsitzende wiederum nicht mit den geschwächten Grünen umgehen. Deren Basis dürfte bei der vorgesehenen Mitgliederbefragung nicht jede Kröte im Koalitionsvertrag schlucken. Und die Grünen könnten schließlich trotz aller Vorbehalte immer noch mit der Jamaika-Flagge wedeln.

Weil müsste dann vielleicht doch auf die ungeliebte große Koalition zurückgreifen. Als „extrem unwahrscheinlich“ hatte der SPD-Titelverteidiger ein solches Bündnis im Wahlkampf immer wieder bezeichnet und dabei das vergiftete Klima mit der bisher stärksten Partei  angeführt. Versagen bei der Unterrichtsversorgung, viel zu lascher Umgang mit islamistischen Gefährdern und Einbrechern, das waren nur einige Punkte, die die Union gebetsmühlenartig der rot-grünen Koalition vorwarf. Die wiederum hielt der Opposition „unverantwortliche Panikmache“ entgegen. Niedersachsen sei ein sicheres Land. „Die CDU hat  viereinhalb Jahre Opposition mit der Dachlatte  gemacht“, schimpfte Spitzenkandidat Weil.

Scheinbar aufgeschlossener zeigte sich der CDU-Kontrahent schon während des Wahlkampfs gegenüber den Genossen. „Aus staatspolitischer Verantwortung müssen alle Parteien ernsthaft überlegen, was sie mit dem Wählervotum anfangen“, meinte Althusmann. Die SPD sei als Juniorpartner durchaus willkommen, sollte diese Botschaft angesichts des noch im Sommer deutlichen CDU-Vorsprungs lauten. Jetzt stehen die Vorzeichen anders herum. Außerdem trugen Althusmanns rüde Attacken gegen Weil wegen dessen vermeintlicher Fehler als VW-Aufsichtsrat und das giftige Dauerwarnen vor einer Kooperation mit den Linken („Rot-Rot-Grün wäre eine schlimme Vision für unser Land“) nicht gerade zu einer Entspannung des Verhältnisses der Volksparteien untereinander bei.

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