Shutdown in den USA: „Die Regierungsangestellten werden als Geiseln gehalten“
FBI-Mitarbeiter sehen die nationale Sicherheit gefährdet, Staatsbedienstete gehen zur Armenspeisung. Wie die US-Amerikaner unter dem Shutdown leiden.
Deandria Ackerman hat sich gerade ihr Mittagessen abgeholt. In einer Art Suppenküche. Etwas verschämt präsentiert sie eine braune Papiertüte, auf der „World Central Kitchen“ steht. In der Tüte: ein Sandwich, ein Quinoa-Bowl mit Gemüse und eine Fenchel-Tomaten-Suppe, vegan. Deandria Ackerman ist eigentlich durchaus in der Lage, sich ihr Mittagessen selbst zu kaufen. Aber derzeit ist alles anders in Washington. Es herrscht Shutdown in der Hauptstadt und im ganzen Land. Haushaltssperre, weil Präsident Donald Trump kein Haushaltsgesetz unterschreiben will, in dem die von ihm geforderten 5,7 Milliarden Dollar für eine Grenzmauer zu Mexiko nicht enthalten sind.
Neun der 15 Ministerien und die ihnen unterstellten Behörden haben die Arbeit ganz oder teilweise eingestellt. Rund 400.000 Regierungsangestellte sind im unbezahlten Urlaub, ähnlich viele dagegen müssen – unbezahlt – weiterarbeiten. Sie alle erhalten wie Deandria Ackerman seit dem 22. Dezember keinen Lohn.
Der Shutdown frustriert Ackerman, „aber wir können nicht viel dagegen tun.“ Auch sie muss ohne Lohn weiterarbeiten, da ihre Arbeit als unverzichtbar angesehen wird. Die 30-Jährige arbeitet für das nationale Sexualstraftäter-Register und pendelt von ihrem Wohnort Baltimore jeden Tag rund 70 Kilometer in die Hauptstadt.
Sie arbeitet mit Sexualstraftätern auf Bewährung, sie hat mit Menschen zu tun, die psychisch krank sind, drogenabhängig oder obdachlos. Seit dem Shutdown hat Ackerman keinen Tag frei nehmen können. Manche Kollegen dürften von zu Hause aus arbeiten, aber oft sei das gar nicht möglich, etwa im Labor, wo die Drogentests gemacht werden. „Wir können nicht einfach nicht arbeiten“, sagt Ackerman. „Jeden Tag begehen Menschen Verbrechen, jeden Tag werden Menschen verurteilt, jeden Tag werden Straftäter freigelassen. Wir stellen sicher, dass sie dann keine Gefahr für ihre Umgebung sind.“
Das FBI verliert Informanten
Vor einem Sicherheitsrisiko haben am Dienstag auch Interessenvertreter der Bundespolizei FBI gewarnt. Auf einer Pressekonferenz erklärte der Präsident des Berufsverbands FBIAA, Tom O’Connor, dass die Haushaltssperre die Arbeit der Ermittlungsbehörde erschwere und inzwischen die nationale Sicherheit bedrohe. Der FBIAA hat einen Bericht erstellt, den er „Voices from the Field“ – Stimmen aus dem Einsatzgebiet – nennt. Auf 72 Seiten listet der Verband Klagen seiner Mitglieder auf. So hätten Informanten aus der Terror- und Drogenszene nicht bezahlt – und damit nicht gehalten werden können, Reisekosten würden nicht erstattet, dringend benötigte Ausrüstung könne nicht angeschafft werden.
Zu jenen, die so wichtig sind, dass sie vom inzwischen längsten Shutdown in der US-amerikanischen Geschichte ausgeschlossen sind, gehören auch die Sicherheitsbeamten an den Flughäfen. Die Zahl der Krankmeldungen steigt nun rapide, das wiederum spüren Reisende, wenn sie bei den Sicherheitskontrollen stundenlang anstehen müssen. Wenn es keine Einigung im Haushaltsstreit gibt, müssen die Staatsbediensteten an diesem Freitag zum zweiten Mal in Folge auf ihren Gehaltsscheck verzichten.
Immerhin: Trump hat in der vergangenen Woche entschieden, dass alle vom Shutdown direkt Betroffenen im Nachhinein ihren Lohn erhalten werden – was diejenigen ausschließt, die indirekt betroffen sind, zum Beispiel Lebensmittelhändler, Restaurantbesitzer und Taxifahrer, denen die Kunden ausbleiben. Aber auch die direkt Betroffenen müssen bis zu einem Ende des Shutdowns mit dem auskommen, was sie auf dem Konto haben, und das ist meist – anders als beispielsweise in Deutschland – sehr wenig.
Wie das US-Magazin „The Atlantic“ 2016 unter Berufung auf die Zentralbank berichtete, hat die Hälfte der US-Amerikaner weniger als 400 Dollar für eine Notfallsituation zurückgelegt.
Es ist ihm verboten, sein Büro zu betreten
Im Fall von Sean Joyner ist die Lage zwar nervig, aber noch nicht dramatisch. Joyner ist Rechtsanwalt im Innenministerium. Seine Abteilung ist zuständig für die Einhaltung von Umweltvorschriften. Konkret hat der 46-Jährige mit dem „Comprehensive Environmental Response, Compensation, and Liability Act“, oder kurz: dem Superfund zu tun. Das ist ein Regierungsprogramm, das die Sanierung von mit gefährlichen Stoffen kontaminierten Flächen finanziert, die im Besitz des Staates sind. Sean Joyners Aufgabe ist es, die dafür Verantwortlichen zu identifizieren, und sie entweder dazu zu zwingen, den Schaden zu beseitigen oder für die Säuberungsarbeiten zu bezahlen.
Seit 33 Tagen ruht diese Arbeit. Joyner ist es verboten, sein Büro zu betreten. Höchstens 15 Minuten am Tag darf er seine E-Mails lesen, das Diensthandy ist tabu. „Jeder Fall von Kontamination, den wir angehen beziehungsweise dafür sorgen wollten, dass er beseitigt wird, wird jetzt nicht angegangen.“ Ist beispielsweise ein Nationalpark mit gefährlichen Schadstoffen verunreinigt, wird er derzeit nicht gesäubert.
Joyner muss abwarten, kann keine Pläne machen, nicht verreisen, denn theoretisch könnte er schon morgen wieder zur Arbeit antreten müssen – wenn sich Präsident und Kongress einigen. An diesem Donnerstag könnte es theoretisch so weit sein, wenn im Senat zwei konkurrierende Grenzsicherungs-Gesetzentwürfe zur Abstimmung stehen.
Wenn es nicht zu einer Einigung kommt, und danach sieht es aus, weil Trump nicht von seiner Mauer lassen will und umgekehrt die oppositionellen Demokraten diese für unmoralisch und ineffizient halten, wird die Unsicherheit anhalten. Joyner ärgert das. „Die Regierungsangestellten werden als Geiseln gehalten.“ Und auch er macht sich Sorgen, obwohl es ihm vergleichsweise gut geht. „Bislang habe ich eine Gehaltszahlung verpasst“, sagt er. „Meine Frau arbeitet, und wir haben auch ein paar Ersparnisse. Aber auch die werden nicht lange reichen: Wir leben mit unseren beiden Kindern in einem sehr teuren Teil des Landes.“ Joyner wohnt im Washingtoner Vorort Reston.
Für viele ist es deutlich schwieriger, ohne ihr Gehalt auszukommen. Doch die Solidarität ist groß. Banken kommen Betroffenen sehr entgegen, zum Beispiel, wenn Kredite fällig werden. Überall im Land öffnen Suppenküchen, Freiwillige kochen und verteilen Essen. Prominente wie der Rockmusiker Jon Bon Jovi, der ein Restaurant in der Stadt Red Bank in New Jersey betreibt, laden Beamte und deren Familien zu Mittag- oder Abendessen ein.
Nicht jeder möchte gesehen werden, wie er Almosen annimmt
Am Navy Memorial im Zentrum von Washington versorgt der Starkoch José Andrés mit seinem Team von „World Central Kitchen“ seit gut einer Woche tausende Regierungsangestellte mit Essen, wie Deandria Ackerman, das Motto lautet „Chefs For Feds“, Köche für Staatsbedienstete. Zwischen 11 und 18 Uhr können sich die Staatsdiener ein täglich wechselndes Menü abholen, es gibt frisches Obst, Kaffee und andere Getränke. Schon am ersten Tag wuchs die Schlange um die angrenzenden Gebäude herum, geduldig standen Polizisten, Steuerbeamte und andere Verwaltungsmitarbeiter an.
José Andrés, der Restaurants im ganzen Land besitzt, ist vor allem bekannt geworden, weil er mit seiner Wohltätigkeitsorganisation in Katastrophengebieten hilft, zum Beispiel nach dem Hurrikan „Maria“ in Puerto Rico im Jahr 2017. Wegen seiner Arbeit wurde er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.
Das aktuelle Katastrophengebiet liegt jetzt hier, in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika. Am Mittwoch vor einer Woche, dem Eröffnungstag seiner Gourmet-Suppenküche, haben viele der Gäste die Mützen tief ins Gesicht gezogen und Sonnenbrillen aufgesetzt, nicht jeder möchte dabei gesehen werden, wie er Almosen annimmt. Auch der Medienandrang an diesem Tag ist unglaublich groß.
Während draußen ein Straßenkünstler mit einer umgedichteten Version von „Stand By Me“-Version die Wartenden unterhält – „Shutdown Go Away“ –, steht Nate Mook im Restaurant und beantwortet geduldig Fragen. „Mit vier Teams helfen wir derzeit weltweit Millionen Menschen in Armut oder in Katastrophengebieten“, sagt der Geschäftsführer der „World Central Kitchen“. „Normalerweise kümmern wir uns um Naturkatastrophen, und jetzt eben um eine von Menschen verursachte.“
Auch der Shutdown sei ein Notstand, wenn Hunderttausende nicht arbeiten könnten und kein Geld verdienten. „Viele Menschen kämpfen, um durchzukommen“, sagt Mook. „Als eine Organisation, die sich um Menschen in Not kümmert, fühlen wir uns verantwortlich.“ Und wenn der Shutdown noch Wochen dauert? „Wir wollen helfen, so lange wir können und sind darauf vorbereitet, Hunderttausende Essen auszugeben, wenn das notwendig ist.“
Im Fall von Deandria Ackerman ist das noch nicht notwendig. Sie freut sich über die Suppenküche, hat aber nicht vor, oft wiederzukommen. „Andere brauchen das viel mehr.“ Zurzeit sei ihre finanzielle Situation halbwegs okay. Aber sie sagt auch: „Wenn der Shutdown noch mehrere Wochen anhält, wird es schwierig.“