Sozialdemokraten in Brandenburg: Die Mark ist Neuland geworden für die SPD
Es ist mehr als ein Schwächeanfall, den die SPD in Brandenburg erlebt. In Umfragen liegt sie gleichauf mit der CDU – und knapp dahinter schon die AfD. Daniel Kurth will das ändern.
Da steht dieser Mann plötzlich in seinen blauen Bermudas und dem schwarzen Unterhemd vor ihm, guckt grimmig und schimpft gleich los. Erster Satz: „Es kommen immer noch Ausländer rein!“ Daniel Kurth, sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, Bewerber um das Amt des Landrats im Barnim und jetzt in der Endphase seines Wahlkampfs, setzt an, dem Zornigen das deutsche Asylrecht zu erklären. Doch der mittelalte Mann gehört nicht zu denen, die über die Schulpolitik oder den Verkehr oder die Zukunft mit kostenlosen Kitas reden wollen. Er ist einer von denen, die jetzt laut werden, lauter als lange Zeit üblich.
Seinem Gesicht ist anzusehen, dass er mit Vehemenz etwas loswerden will. Kurths Flyer, das Tütchen mit „Ahoi- Brause“, weil es eine prickelnde Idee sei, Daniel Kurth zu wählen, interessieren ihn nicht. Er schneidet Kurth das Wort ab: „Das sind meine Steuergelder!“ Kurth fragt, ob er mal kurz an 1989 erinnern dürfe. Er will einen Bogen zu den Steuergeldern aus der alten Bundesrepublik schlagen. Doch auch da geht der Zornige nicht mit: „Ich bin Deutscher!“, stellt er fest und erinnert daran, dass die Ostdeutschen „Reparationen an die Russen gezahlt“ hätten. Dann sein Finale: „Schämen Sie sich was!“, schimpft er dem Wahlkämpfer ins Gesicht, „schämen Sie sich, weil Sie die Leute belügen!“ Dann rauscht er ab.
Kurth steht auf dem Marktplatz von Eberswalde, seiner Heimatstadt. Er hat einen Kaffeebecher in der Hand und winkt immer mal wieder Bekannten zu, die vorbeikommen. Eberswalde ist ein nettes Städtchen geworden. Ins Zentrum fahren Oberleitungsbusse, wo es eine Hochschule für nachhaltige Entwicklung gibt, die junge Leute anzieht. Nicht weit vom Markt fließt ein Bach durch einen Park. Auf dem Markt liegt mächtig und bronzen ein Löwe am Brunnen. Zwei Cafes, Geschäfte und das „Paul-Wunderlich- Haus“, Kreisverwaltung und Kulturzentrum zugleich, garantieren einen beschaulichen Betrieb.
Abneigung in dieser Vehemenz habe er noch nicht erlebt in diesem Wahlkampf, sagt Kurth, und er macht schon lange Politik. Seine SPD, die brandenburgische Staatspartei, liegt mit der CDU mit 23 Prozent in der Sonntagsfrage bloß noch gleichauf. Das hat jüngst eine Infratest-Umfrage für den rbb ergeben. Noch 2014, bei der Landtagswahl, war alles wie gewohnt: Die Sozialdemokraten gewannen fast 32 Prozent der Stimmen, die Konkurrenten von der CDU bloß 18,6. Aber das ist jetzt nicht bloß ein leichter politischer Schwächeanfall. Der Blick auf die Umfragedaten auf Bundesebene tröstet nicht, im Gegenteil: Da wird die SPD mit 17, 18, höchstens 20 Prozent gemessen.
Noch mehr Sorgen macht den Brandenburger Genossen der Aufstieg der Rechtspopulisten in der Mark. Der rbb-Umfrage nach liegt die AfD bei 22 Prozent der Brandenburger vorne, die Linke ist bloß noch viertstärkste Kraft mit 17 Prozent. Das sieht für 2019 nicht aus wie „Weiter so, wir sagen, wo es lang geht“. Dafür hält der Trend zu lange an, die Verdrossenheit ist zu groß. Auch von Sozialdemokraten hört man Sätze wie „Wer schlecht regiert, wird abgewählt“.
"Wir machen zu viele Fehler"
Außerdem hat sich der CDU-Frontmann Ingo Senftleben etwas einfallen lassen. Er hat angekündigt, nach der Wahl mit der AfD zu reden – und auch mit der Linken. Neue Zeiten, neue Bündnisse, ist seine Devise, und seine Mitstreiter in der Fraktion finden das richtig. So was haben die Sozialdemokraten in Brandenburg noch nicht erlebt. Die Mark ist für sie Neuland geworden.
Arrogant seien die Sozialdemokraten geworden, hört man von links und rechts. Auf Kurth trifft es nicht zu. „Wir machen zu viele Fehler“, sagt er. Und die Politik werde immer komplizierter und langwieriger. „Wir ersticken hier im Verkehr“, sagt er. Aber neue Eisenbahnzüge hätten einen Vorlauf von sechs Jahren. „Das in Zeiten des Internets, wo man anruft und morgen sechs Paletten Dachsteine auf dem Hof hat.“
Der Absturz der märkischen Regierungspartei hat zwei Ursachen. Über beide kann man sagen: Offenkundig haben sich die Regierenden dafür lange nicht interessiert. Zuerst war da die Kreisreform, mit der die Mark politisch und verwaltungstechnisch geordnet werden sollte. Geplant, um mit der demografischen Entwicklung umzugehen, kam bei den Leuten an: 100 Kilometer fahren für einen Reisepass oder einen Bauantrag. Ministerpräsident Dietmar Woidke und seine Strategen hatten unterschätzt, dass auch ein kleines Amt in einem Kreisstädtchen zur Heimat gehört. Den Streit um die Reform nutzte die Brandenburger CDU zur Stimmungsmache: 130.000 Unterschriften kamen zusammen, bis Woidke die Reform stoppte.
Der Aufschwung der AfD setzte 2015 ein, zeitgleich mit der Flüchtlingskrise. Seither zeigten alle Wahlanalysen, dass die Strammrechten von enttäuschten Anhängern der SPD, der CDU und der Linken gewählt werden. Pointiert gesagt: Zu den Spätfolgen der Grenzöffnungspolitik der Bundeskanzlerin vom Sommer 2015 gehört der drohende Machtverlust der SPD in Brandenburg.
Kurth begegnet dem mit dem einzigen Mittel, das Leute überzeugen kann: Interesse. Zuhören, was einer will, dann sagen, was man politisch vorhat. 72 Termine hat er in drei Monaten Wahlkampf um das Landratsamt gehabt, zusätzlich zu seiner Arbeit in Potsdam. Dabei waren die üblichen Feste, aber auch Gespräche mit Familienhelfern, Kommunalpolitikern. Ehrenamtlichen. Dem Politiker Kurth merkt man an, dass er gern mit Leuten spricht. Da ist nicht mehr Abstand als nötig, da redet einer, der kein Verwaltungsdeutsch braucht, um Eindruck zu machen.
Aber der Vormittag ist noch nicht vorbei für den Wahlkämpfer Kurth. Wenig später steht da ein junger Mann vor ihm in Jeans und schwarzem Trägerhemd, auf dem etwas von „Transsilvanien Hunger“ zu lesen ist. Das weit geschnittene Hemdchen gewährt Blicke auf einen reichhaltig tätowierten Oberkörper, er beschreibt sich als Langzeitstudent, im Nebenberuf Kassierer bei einem Supermarkt. Hier und jetzt ist er hochgradig streitlustig. Noch einer, der für die SPD verloren ist, wie sich zeigen wird.
Der Machtverlust droht 2019
In Eberswalde, wo unter 41.000 Einwohnern gerade mal 1600 Flüchtlinge leben, spricht er über „Parallelgesellschaften“ und fragt Kurth: „Liegt das vielleicht an der Herkunft?“ Kurth sagt, er habe „die Kollegin Giffey hier gehabt“, die ihm von Neuköllner Parallelgesellschaften erzählt habe. Hilfen müsse man Flüchtlingen nicht bloß anbieten, man müsse „auch einfordern, dass sie teilnehmen“. Sein Gegenüber: „Sollte man nicht erstmal sehen, dass man unsere Leute in Arbeit bekommt?“
Kurth gewinnt nach einer halben Stunde den Eindruck, dass hier nichts mehr zu machen ist. Er argumentiert, aber er verstellt sich nicht. Dass er es ernst meint mit dem „Einfordern“, kann man ihm glauben. Er ist Fachmann für Innenpolitik, er weiß, dass das Sicherheitsgefühl vieler Brandenburger durch die personellen Einsparungen bei der Polizei gelitten hat. Und er ist – eine Verbindung aus Ehrenamt und Hobby – Zugführer beim Technischen Hilfswerk. Der Mann mit dem Transsilvanien-Shirt sagt später auf die Frage, wen er denn wählen werde, dass er bei allen Kandidaten ein Kreuz machen, „ungültig wählen“ werde.
Der mögliche Machtverlust im September 2019 – das ist wie eine Grundwelle, die die Stimmung der Brandenburger verändert hat. Die SPD war hier nie ein linker Landesverband. Manfred Stolpe, erster Ministerpräsident des Landes Brandenburg, machte die Sozialdemokratie mit Geschick, Gefühl und warmen Worten zur politischen Heimat aller, die die brutalen Nachwende-Umwälzungen im Land weich abfedern wollten.
Dann Matthias Platzeck, noch so ein Heimatverbundener, ein Leute-Versteher, ein Gradliniger, der, als es die Parteiräson und die eigenen Überzeugungen verlangten, auf grölenden Marktplätzen für die Hartz-Reformen warb. Nach Berlin, ins Willy-Brandt-Haus mit dem SPD-Parteivorstand, wollte Platzeck nicht wirklich. Nach kurzer Zeit in Berlin erlitt er einen Hörsturz – und kehrte nach Brandenburg zurück. Schließlich Dietmar Woidke, der Landwirt aus der Lausitz: Noch einer, dem man die Mark und den trockenen Patriotismus der Brandenburger nicht erklären muss. Nichts hält er von einem neuen Versuch, die beiden Länder Brandenburg und Berlin zu vereinen. Er wisse nicht, was dann besser laufen sollte, sagte er vor einem Dreivierteljahr.
Woidke weiß, dass die Leute in Brandenburg, im Berliner Umland wie draußen in der Prignitz oder der Uckermark, mit linksintellektuellen Genossen nichts anfangen können. Auf dem Land soll manches besser, aber nicht alles anders werden. Als Stolpe mit der brandenburgischen CDU und deren Innenminister Jörg Schönbohm regierte, konnte man auf die Idee kommen, die Mark sei ein konservatives Land. Groß war das Misstrauen zwischen Sozialdemokraten und Linken, als 2009, Jahre nach dem Berliner Pilotprojekt, die erste Koalition zustande kam.
Die in Potsdam erprobte Nähe zwischen SPD und Linken hat im Landkreis Barnim zu einer Kooperation mit einem gemeinsamen Kandidaten geführt: Daniel Kurth. Jetzt hilft ihm seine Heimatverbundenheit – in Eberswalde aufgewachsen, in Eberswalde geblieben. Kurth fährt anderthalb Stunden nach Potsdam, wenn das Plenum und die Ausschüsse tagen, und anderthalb Stunden wieder zurück, um abends und frühmorgens bei seiner Familie zu sein. Politik ist für ihn Klartext reden, Probleme lösen, das Leben im Barnim besser machen. Der Wahlkampf war eine „unglaubliche Chance, Leute kennenzulernen“, so hat er es ein paar Tage früher bei einem Treffen mit Genossen gesagt. Die Botschaft: Politik ist anstrengend, aber ich mach’ das gern.
"Wachstumsschmerzen" im Land
Nur nicht mit der AfD. So weit wie CDU-Mann Senftleben würden die Sozialdemokraten in Brandenburg nie gehen. „Mit allen links der AfD machen wir gemeinsame Politik zum Wohl der Barnimerinnen und Barnimer“, hat Kurth jüngst versprochen. Aber die Sozialdemokraten in der Mark haben etwas verstanden. So pflichtete Dietmar Woidke vor kurzem in einem Interview sogar Horst Seehofer bei: „Dass der politische Islam keine Leitkultur in Deutschland sein kann, ist, glaube ich, jedem klar.“ Da will einer eine Glaubwürdigkeitslücke schließen.
Für viele Brandenburger ist die SPD zu einer Partei geworden, die auf Bundesebene den Familiennachzug der Flüchtlinge als unverhandelbare Bedingung einer Regierungskoalition vorstellt, während in der Brandenburger Provinz ein paar Hunderttausend Euro fehlen, um abrutschende Hänge von einem Dorf fernzuhalten und da das Geld für Betrieb einer Buslinie.
Das sehen sie inzwischen auch in der brandenburgischen SPD-Führung als Teil des Problems: Erik Stohn, der junge Generalsekretär der Partei, sagt: „Es ist an uns, deutlich zu machen, dass wir noch was wollen. Und wir wollen wieder stärkste Kraft werden.“ Er tröstet sich und seine Parteifreunde mit einem Hinweis auf die Umfrage: „Der SPD trauen die Leute noch am ehesten zu, Probleme zu lösen.“ Die CDU hingegen „skandalisiert – und nutzt damit der AfD“.
Stohn führt die Umfrageschlappe seiner Partei zumindest teilweise auf „Wachstumsschmerzen“ im Land zurück, die aber Ausdruck der positiven Entwicklung seien. Brandenburg habe eine Steuerquote von 70 Prozent, brauche keine Kredite. „Wir investieren in die Feuerwehr, Sportvereine, Kitas. Seit Anfang der 90er Jahre machen wir eine Politik des vorsorgenden Sozialstaats.“
Das muss jetzt bei den Leuten ankommen. Die Landratswahlen lassen keine klaren Schlüsse zu. Im Süden haben von der CDU vorgeschlagene Kandidaten zwei Landkreise gewonnen. Im Barnim hat Daniel Kurth im ersten Wahlgang Ende April 35,1 Prozent der Stimmen gewonnen, sein Konkurrent von der CDU, Othmar Nickel, Schulleiter aus Bernau, lag fast zehn Prozent hinter ihm. In die Stichwahl am Sonntag geht Kurth als Favorit.
Das dürfte auch daran liegen, dass der Mann aus Eberswalde mit den Stimmen der Linken rechnen kann. Kurz vor dem Ende des Wahlkampfs hat Kurth mit Genossen und Mitstreitern von der Linken ein bisschen gefeiert, im Bernauer „Ofenhaus“, Freibier zwischen alten roten Ziegelwänden. Es moderiert Sebastian Walter, Kreischef der Linken im Barnim. Und kündigte an, „dass ich das erste Mal in meinem Leben SPD wähle“. Für Daniel Kurth könnte es reichen.