Rechtsextremismus: Der lodernde Hass in Berlin-Neukölln
Hilflos steht er im Feuerschein und weiß: Die meinen nicht sein Auto, die meinen ihn. Zum dritten Mal ist Heinz Ostermann Opfer eines Anschlags geworden. Rechtsextreme werden als Täter vermutet – wie bei ähnlichen Attacken im Bezirk seit Jahren.
Eine junge Frau, eher ein junges Mädchen, eher siebzehn als zwanzig Jahre alt, spaziert auf dem Trottoir. Alt-Rudow, eine Straße im gutbürgerlichen Süden Neuköllns. Einfamilienhäuser, Vorgärten, Bauerngärten, Gartenzwerge, eher dörflich ist die Atmosphäre.
Die junge Frau ist, wenn man so will, muslimisch bekleidet, trägt dunklen Rock, dunkle Jacke, hat ein Kopftuch über dem Haar. Ein Paar kommt ihr entgegen, erkennbar im Rentneralter, nicht erkennbar, aber vermutlich biodeutsch. Als sich die drei begegnen, rempelt der Rentner das Mädchen an, schubst es mit beiden Händen zur Seite. „Was soll das, warum schubsen Sie mich weg?“, ruft die junge Frau, sie ist hörbar und akzentfrei deutschsprachig. Dann fängt sie an zu weinen. Der Mann macht eine wegwerfende Handbewegung. „Dreckspack“, sagt er und läuft weiter.
Die Szene spielte sich am vergangenen Montag ab, 14.55 Uhr – und nur ein paar Meter von der abzweigenden Krokusstraße entfernt, wo Heinz Ostermann seinen Buchladen Leporello betreibt. Dem war in der Nacht zum 1. Februar sein Auto, ein Peugeot Partner, abgefackelt worden.
„Geht das schon wieder los“
Um 3.15 Uhr hatte in Ostermanns Privatwohnung im Nachbarortsteil Britz das Telefon geklingelt. Am Apparat war die Polizei, er möge doch bitte runter kommen, sein Auto, geparkt in einer Seitenstraße, stehe in Flammen. „Nicht schon wieder“, dachte Ostermann, wie er erzählt, „geht das schon wieder los.“
Ja, es geht schon wieder los, auf der Straße sah er das Fanal. Die Feuerwehr versuchte zu retten, was zu retten war, zu spät, das Auto brannte aus. „Es ist nicht leicht“, sagt er, „hilflos und ohnmächtig dabei zuzuschauen, zumal ich ja weiß, dass es nicht um mein Auto geht, sondern um mich.“
Das Datum des Anschlags ist nicht ohne Bedeutung: Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler, am 1. Februar wurde der demokratisch gewählte Reichstag aufgelöst. Die Folgen und Deutschland auf immer belastenden Auswirkungen sind Geschichte. Daran will Ostermann erinnern, und weil er sich gegen die Leugner wendet, wird er attackiert. In Deutschland, im Jahr 2018, in der Nacht zum 1. Februar und irgendwie auch am vergangenen Montag, 14.55 Uhr, mitten in Berlin, Alt-Rudow. „Man ist eben nicht vorbereitet auf so etwas“, sagt Ostermann, „schon mal gar nicht hier, wo es gutbürgerlich und gemütlich zugeht.“
Die Razzien - ein „Schauspiel fürs Volk“
Es bestehen wohl keine Zweifel, sagt Ostermann im Büro seines Buchladens, dass es sich bei dem Brandanschlag um einen rechtsextremen Anschlag handelt. Keine Zweifel hat wohl auch Franziska Giffey, die Bezirksbürgermeisterin von Neukölln meldete sich am nächsten Morgen zu Wort und geißelte die Attacke als rechtsextremistischen Anschlag. In derselben Nacht wurde in Rudow auch das Auto des Neuköllner Linken-Politikers Ferat Ali Kocak abgefackelt.
Der Wagen stand neben der Hauswand, Kocak schlief im ersten Stock, wachte auf, sah das Feuer und weckte seine Eltern und hielt die Flammen mit dem Feuerlöscher davon ab, ein Gasverteilerventil zu erreichen.
Die Ermittlungsbehörden haben wohl auch keine Zweifel, sie durchsuchten die Wohnungen zweier bekannter Rechtsradikaler, ein 32-Jähriger und eine 35-Jährige, mussten die beiden aber mangels Beweisen laufen lassen. „Diese Razzien“, sagt Ostermann, „bewerte ich mehr als Schauspiel fürs Volk, man hätte schon längst etwas unternehmen können.“
In Neukölln fliegen immer wieder Steine
Ostermann, 61 Jahre alt, ist ein Hüne, groß, kräftig, ein Typ, der wirkt, als haue ihn so schnell nichts um. „Nein, Angst um Leib und Leben habe ich nicht“, sagt er, „aber zur Ruhe kommt man danach auch nicht wieder“. Zumal er inzwischen zum dritten Mal Ziel der Attacken geworden ist. Am 10. Dezember 2016 wurden die Scheiben des Geschäftes mit schweren Steinen eingeworfen. Am 23. Januar des Vorjahres brannte sein damaliges Auto, ein Ford Focus aus. „Die Szene auf der Straße hier in Rudow ist aktiv, wird wieder aktiver. Es war ja lange Zeit, über ein Jahr Ruhe.“
Ruhe bei ihm. Ansonsten fliegen in Neukölln immer wieder Steine, werden Stolpersteine gestohlen, brennen Autos. Die Ziele: Politiker und Aktivisten aus dem linken politischen Lager. Ehrenamtler, die Ausstellungen über den Nationalsozialismus organisieren, Parteibüros. Ein Anschlag auf ein Café im Erdgeschoss eines Wohnhauses schlug fehl, weil der Brandsatz von selbst erlosch.
In einem Bericht des Berliner Verfassungsschutzes ist von einer „Serie von (vermutlich) rechtsextremistisch motivierten Angriffen auf Einrichtungen und Kraftfahrzeuge in Neukölln“ die Rede. Die Taten stünden „beispielhaft für das ungebrochen hohe Gewalt- und Gefährdungspotential der rechtsextremistischen Szene Berlins“. Die Kriminalpolizei hat vor rund einem Jahr eine eigene Ermittlungsgruppe eingesetzt: RESIN – Rechtsextreme Straftaten in Neukölln. Daneben bearbeitete schon länger die Einsatzgruppe REX – Rechtsextremismus – bei der Neuköllner Polizeidirektion 5 die Straftaten.
Erschrocken, aber nicht überrascht
Das von der Senatsjustizverwaltung geförderte Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin, hat für das Jahr 2014 126 Fälle registriert, für 2015 waren es 149 und für 2016 bereits 265. Das Jahr 2017 ist noch nicht abschließend ausgewertet, die Tendenz ist aber, laut Kati Becker von der Registratur, eher zunehmend statt abklingend. Ins Register aufgenommen werden nicht ausschließlich Tätlichkeiten oder Brandanschläge, sondern auch Pöbeleien und Graffiti. Die realen Zahlen dürften höher sein, nicht jede rechtsextreme oder diskriminierende Tat wird gemeldet.
Es finden sich aber keine entsprechenden Aufkleber im Viertel, sagt Ostermann, auch Hakenkreuz-Schmierereien oder gesprühte rechte Parolen sind selten zu sehen, allenfalls von der Evangelischen Kirche gleich um die Ecke in der Köpenicker Straße sei mal ein Plakat, dass sich gegen Rassismus aussprach, herabgerissen worden. Andererseits, die AfD hat hier immerhin mehr als 20 Prozent bekommen, „der Nährboden ist also vorhanden“.
Jochen Biedermann ist Bezirksstadtrat in Neukölln, zuständig für Stadtentwicklung, Soziales und Bürgerdienste. Erschrocken zeigt er sich über den erneuten Anschlag, aber nicht überrascht. „Es gibt diese Anschläge in Neukölln in unterschiedlicher Ausprägung seit vielen Jahren.“
Brandanschläge auf Briefkästen, eingeschlagene Fenster
Anlaufstelle der rechtsextremen Szene war mal ein Imbiss am U-Bahnhof Rudow. Von dort aus sind schon vor zehn Jahren Demonstrationen gestartet worden, bei denen ein „autonomes und vor allem nationales Jugendzentrum“ gefordert wurde. Es folgten Brandanschläge auf Briefkästen, eingeschlagene Fensterscheiben, Brandanschläge auf Autos, es gab auch Gesprächsrunden des Bezirksamtes mit den Opfern und Anwohnern, „da gab es dann“, sagt Biedermann, „die Forderung von Nachbarn an zivilgesellschaftlich engagierte Menschen, ihr Auto doch bitte an anderer Stelle zu parken.“
Eine von vielen Anfragen der AfD zur linken Gewalt beantwortete Biedermann wie folgt: „Das Bezirksamt setzt sich gegen jede Form von Intoleranz oder Diskriminierung von Menschen ein. In Neukölln existiert glücklicherweise eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus, jegliche Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und für die Förderung von Demokratie und einem friedlichen Miteinander einsetzt. Das Bezirksamt ist bestrebt, diese nach Kräften zu unterstützen, allerdings werden aus bezirklichen Mitteln so gut wie keine Ausgaben hierfür getätigt, wie Sie der folgenden Auflistung entnehmen können.“ Insgesamt 24.000 Euro etwa im Jahr 2016.
Kürzlich war eine jüdische Lyrikerin zu Gast
Aber warum wurde der Buchhändler schon zum dritten Mal Opfer? Keine Ahnung, sagt Ostermann. „Die Täter werden gefeiert haben, werden besoffen gewesen sein und sich dann gesagt haben, der Ostermann ist mal wieder dran.“ Sein Buchladen ist ein ganz normaler Kiezbuchladen, kein Laden für ausdrücklich linke Literatur, Kinderbücher werden angeboten, Reiselektüre, Taschenbücher, neue Literatur, Sachbücher, gut sortiert ist das Angebot, und was nicht auf Lager ist, wird eben bestellt.
Ostermann hält Lesungen ab, mit Autoren und Autorinnen, von denen er sich Zulauf verspricht, da sind dann auch mal engagierte linke Literaten darunter, auch war kürzlich eine jüdische Lyrikerin zu Gast, aber nein, „das Leporello ist kein linker Buchladen.“ Nur sein Herz schlage da und deshalb engagiere er sich in der Initiative „Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus“. Für seine Mitarbeiter hat er nun Pfefferspray unter dem Verkaufstresen gelagert.
Spenden, Blumen und eine Kundgebung
Er ist also bekannt, und auch seine Gesinnung. Geboren wurde er in Warendorf in Nordrhein-Westfalen, seit zehn Jahren führt er nun das Leporello, war im Frühjahr 1989 nach Berlin gekommen, nach Studium der Wirtschaftswissenschaften, Politologie und Philosophie in Augsburg, absolviert in damals klassischer Studienmanier, inklusive Taxischein für den Unterhalt. Den hat er immer noch, „wenn der Laden mal nicht mehr laufen sollte“. Aber danach sieht es eher nicht aus. Und auch nicht danach, dass er sich einschüchtern lasse, lediglich ein paar Sicherheitsvorkehrungen hat er getroffen, ein Gitter etwa vor den Fenstern zum Hinterhof, und vorne an der Tür einen Rollladen.
Auch sonderlich aufgeregt oder verschreckt wirkt Heinz Ostermann nicht. Eher erstaunt über die Polizeibehörde, die erst zehn Tage nach dem Anschlag mit ihm Kontakt aufgenommen hat. Anfragen des Tagesspiegel bei der Polizei blieben, trotz des Versprechens, Auskunft zu erteilen, bislang ergebnislos. Man sei überlastet, heißt es, es werde Auskunft geben, aber nicht so schnell.
Dafür konnte sich Ostermann über den Zuspruch aus der Nachbarschaft freuen. Sechs, sieben Autos seien ihm leihweise angeboten worden, schon der jetzt abgebrannte Wagen war spendenfinanziert nach dem Brand seines Autos vor einem Jahr, er hat auch diesmal wieder Spenden bekommen, Blumen, und am vorvergangenen Sonnabend fanden sich mehrere hundert Menschen zu einer Solidaritätskundgebung vor dem Neuköllner Rathaus ein. Petra Pau sprach, die Vizepräsidentin des Bundestages und Linke-Politikerin, Bürgermeisterin Giffey ebenfalls, „das alles tut dann auch gut und mildert die Wut ab.“
Ein harter Kern - und gut vernetzt
Was aber weiterhin irritiert, ist der Umstand, dass die Täter ihn offensichtlich ausspioniert haben, dass sie sein Auto kannten und seinen Wohnort in Britz. Familie hat er auch, aber darüber will er nicht sprechen, es ist ein Schweigen zum Schutz. Und irritierend finde er ebenfalls, dass den Rechtsradikalen im Kiez nicht das Handwerk gelegt werden kann. „Offiziell wird der harte Kern der rechtsradikalen Szene hier im Bezirk auf 10 bis 15 Personen beziffert, das ist doch recht überschaubar.“ Es ist aber auch so, dass dieser harte Kern gut vernetzt ist mit der großen rechten Szene im benachbarten Brandenburg, „das sind“, sagt ein Rechtsextremismusexperte, „auch wenn es ein doofes Wort ist, alles Profi-Nazis.“
Im Laden ist Betrieb, ein Vater schaut mit seinen zwei kleinen Kindern Bücher an, ein Jugendlicher braucht Schillers „Räuber“. Für die Schule? „Nö, nicht für die Schule, nur aus Interesse“, sagt er.
Bei dem Brandanschlag auf Ostermanns Wagen hatten Bücher im Inneren gelegen. „Die sind natürlich mit verkohlt. Man kann also sagen“, sagt Ostermann, „wo Autos brennen, brennen auch Bücher. Und was passieren kann, wenn Bücher brennen, lehrt uns die Geschichte.“