Berliner Grünen-Kandidatin Ramona Pop: Bloß nicht beißen wie Renate Künast
Ramona Pop kam als Zehnjährige nach Deutschland. In der Schule war sie Streberin, stieg dann bei den Grünen auf. Nach der Abgeordnetenhauswahl will die Partei in Berlin mitregieren. Unser Porträt nun in voller Länge.
Es ist geradezu aufdringlich, wie sich der Fernsehturm in Mitte ständig selbst zu zitieren scheint. Wohin man sich auch wendet, in irgendeiner Achse taucht wieder seine glitzernde Kugel auf. Wenn man eine Weile kreuz und quer mit Ramona Pop durch ihren Wahlkreis gewandert ist, hat man am Ende das Gefühl, von Fernsehtürmen umstellt zu sein. Kann es nicht nur einen geben?
Ja, in Wahrheit hat Berlin nur einen Fernsehturm, und der steht am Alexanderplatz. Und in Wahrheit hat die Landesliste der Berliner Grünen nur einen ersten Platz. Und da steht Ramona Pop. Auch, wenn es anders aussehen soll.
Pops Wahlbezirk umfasst das Berlin, das die Welt gut kennt. Der Mauerpark, die Brunnenstraße, die Ackerhalle, die Kunstwerke gehören dazu. Ihr grünes Bürgerbüro liegt schräg hinter dem Arkonaplatz in der Wolliner Straße. Und die Frau, die man dort an einem lauen Sommerabend zu einem Spaziergang durch ihren Wahlkreis abholt, möchte nicht Spitzenkandidatin genannt werden.
Denn angetreten zur Abgeordnetenhauswahl ist ein „Spitzenteam“, dessen Mitglieder noch immer, auch nach Wochen des Wahlkampfes, die wenigsten Berliner aufzählen können: Ramona Pop, Daniel Wesener, Bettina Jarasch und Antje Kapek. Aber spielt das überhaupt eine Rolle? Und ist das nicht endlich der „Themenwahlkampf“, nach dem immer alle verlangen?
Es ist vor allem ein noch nie geprüftes Modell, das für Verwirrung gesorgt hat. Als würde man zur Bundestagswahl ohne Kanzlerkandidaten antreten. So etwas macht ja keiner ohne Plan.
Weltgewandtheit zeigt sich auch an Omas Kohlrouladen
Pop hatte schon immer diese tiefe Stimme. In der Familie erzählt man sich heute noch, wie der Friseur erschrak, als ihre Mutter sie mit sieben Jahren zum Haareschneiden brachte, und unter den dunklen Locken das tiefe Organ erklang. Sie findet, dass Berlin auch deshalb eine kosmopolitische Stadt ist, weil es die vergorenen Kohlrouladen ihrer rumänischen Oma in der Auguststraße im Glas zu kaufen gibt. So eine Stadt verlange nach „Metropolenpolitik“. Alle paar Meter muss sie in Mitte jemanden grüßen. Ja, da müsse man sich schon dran gewöhnen, an diese ständige Öffentlichkeit. Sie hat sie nicht gesucht. Sie ist für sie nicht die Belohnung aller Anstrengung. Es ist der Preis, den sie zahlt.
Alles an der Kandidatin ist rund – die Augen, die Wangen, der Nachname, die Locken. Da kann man sich kaum an etwas stoßen. Sie selbst stößt sich im Wahlkampf vor allem an Frank Henkel und dessen fehlender Identifikation mit irgendeinem Thema. Er lasse nicht erkennen, wofür er selber steht. Der Zirkus in der Rigaer Straße, als Henkel im Juni bei einem Großeinsatz mit zweifelhafter rechtlicher Grundlage gegen die vermeintlichen Hausbesetzer vorging – ein durchschaubares Wahlkampfmanöver. Komisch auch, dass man Frank Henkel nie auf einer Theaterpremiere sehe – interessiert der sich nicht für die Stadt?
Welches ist denn ihr ureigenes Anliegen? Da kommt sie etwas ins Schwimmen. Es gebe viele „unabweisbare Aufgaben“, von der Verwaltung bis zum Verkehr und der Eigentümerstruktur. „Ich will, dass etwas Gutes für die Stadt entsteht.“ Und vor allem, dass der Ton in einer neuen Regierung konstruktiver werde. „Dafür oder dagegen – das wird den meisten Themen nicht gerecht.“ Bei Winfried Kretschmann in Stuttgart sei gut zu beobachten, wie er immer alles inhaltlich verankere. „Darin begründet sich seine Glaubwürdigkeit.“
Sie attestiert sich selbst das "Streber-Gen"
Als dann der Sommer kam und die Gewaltwelle mit den Anschlägen und einem Axt-Attentat musste Ramona Pop gar nichts tun. Im plötzlichen irrationalen Klima der Fremdenfeindlichkeit wurde sie zum lebenden Beweis für gelungene Integration. Dafür, dass jemand, der mit zehn Jahren aus Rumänien gekommen ist, in Deutschland Erfolg haben kann. „Für mich war das damals ein riesen Abenteuer. Terrorverdächtig war man damals ja nicht“, sagt sie. „So eine komische Mischung aus Ausländer und Streber“ sei sie damals gewesen.
Gut in der Schule sein war zunächst alles, worauf es ankam. Später ging sie mit ihrem Münsteraner Abitur in der Tasche nach Berlin zum Studium der Politik. Sie ging in den Rodeo Club im Postfuhramt und ins WMF in der Johannisstraße, sie wohnte in einer WG, Erich-Weinert-Straße, unsaniert. Sie kam mit der Grünen Jugend in die Partei, deren Sprecherin sie 2001 wurde. Seit 2009 ist sie Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus. Und noch immer attestiert sie sich selbst das „Streber-Gen“ des Mädchens, das keine Fehler machen will. Kann so jemand einen Amtsinhaber angreifen?
Für die Wahl wird sie wie eine Flipperkugel in der Stadt herumschießen, wie auch die drei anderen aus ihrem Team. Sie klebt Wahlplakate, besucht Start-ups und kassiert am Wahlstand Komplimente. Sie trägt konsequent Kleid. Soll noch einer behaupten, sie habe im Team die Hosen an. Eine gleichberechtigte Truppe seien sie, und der Ton in der Stadt sei viel freundlicher als in den Wahlkämpfen, die sie zuvor mitgemacht hat.
„Bei Renate Künast wusste man nie, ob sie nicht plötzlich beißt“, sagt eine Wählerin in Schöneberg. Jetzt habe sie den Eindruck, die Grünen wollten nur spielen.
"Es muss auch gar nicht alles bio sein"
Ramona Pop ist zu Besuch bei Sawade, den Pralinenherstellern in Reinickendorf. Auch dabei ist die Kandidatin des Wahlkreises Vier in Reinickendorf, die wissen will: „Wie steht es denn mit Bio-Zutaten? Ich glaube ja, das ist gar nicht Ihr Schwerpunkt?“
Es ist gewissermaßen die grüne Gretchenfrage, gestellt an einem Augusttag von ungewöhnlicher Hitze mitten im Wahlkampf im Büro des ältesten Trüffelfabrikanten der Stadt. Und Tatsache. Bio ist nicht ihr Schwerpunkt. Die Sawade-Chefin, die zusammen mit ihrem Mann seit 2013 das legendäre Unternehmen aus der Insolvenz befreit und alle Angestellten übernommen hat, sagt, schon jetzt sind die Pralinen „nicht geschenkt“. Sie verwenden hochwertige Zutaten. Sie haben in edle Verpackungen investiert und haben Stammkunden, die ihre Produkte des Eierlikörs wegen kaufen. Der Fokus liegt auf Handwerk und Qualität. „Auch noch alles in bio zu garantieren...“
„Es muss auch gar nicht alles bio sein“, sagt da die Nummer 1 der grünen Landesliste mit ihrer tiefen Stimme versöhnlich. Ihr Tonfall suggeriert: Das wissen wir ja alle, dass das nicht auch noch geht: „Wenn einer so auf Regionales und Handwerk achtet.“
So etwas kann nur eine gemäßigte Reala sagen. Man kann Ramona Pop jedenfalls nicht vorwerfen, dogmatisch zu sein. Schon setzen sich alle weiße Netzhauben auf den Kopf, die Chefin steht zwischen den alten Maschinen in der Produktion, es rattert und kühlt und wärmt. Schokolade fließt und duftet und stockt. Die Unternehmerin erklärt, dass es darauf ankommt, Schokolade zu erwärmen, damit sie flüssig ist, um sie dann wieder zu kühlen, damit sie fest wird. Es geht bei Pralinen immer darum, eine runde Hohlform mit einem möglichst ausgeklügelten Inhalt zu füllen. Gerade kommt eine Charge Walnussbutter heran - ob man mal probieren wolle?
Auch Wahlkämpfe sind Hohlformen. Jedes Mal muss man sie wieder mit einem attraktiven Inhalt füllen. 2011 füllte sie Renate Künast, die streitbare Verbraucherschutzexpertin, mit ihrem herben Aroma. Dieses Mal bekommen die Berliner eine ganze Pralinenschachtel zur Auswahl, ein Vierer-Sortiment in Grün.
Und vieles von dem, was an diesem Wahlkampf so merkwürdig erscheint, erklärt sich aus dem letzten. In beinahe allen Dingen ist das Pendel nämlich in die andere Richtung ausgeschlagen.
So schrill das Duell Künast und Wowereit war, so verhalten ist der Tonfall jetzt. Gab es beim letzten Mal einen reinen Personenwahlkampf, der auf die Strahlkraft einer Ministerin einerseits und eines legendären Bürgermeisters andererseits setzte, ist dies nun der Versuch eines Themenwahlkampfes. Statt bissiger Attacken wollen sie freundliche Vermittlung. Und statt krasser Fehler herrscht die peinliche Vermeidung von Angriffsflächen.
Bei Künast war alles Kante, bei Pop ist alles rund. Pop sagt über Künast: „Ihr Motto war: Hetze, Hetze, Hetze. Das ist nicht meines.“ Und das ist überhaupt das Schärfste, was aus ihr bei mehreren Treffen herauszulocken ist. Noch heute begegneten ihr Leute, die überrascht seien, dass man mit den Grünen überhaupt reden könne.
Mit der Frage: Kann die Bürgermeisterin von Berlin? hatte 2011 Klaus Wowereit Renate Künast vor sich hergetrieben. Zu dieser Frage will es Pop offenbar gar nicht erst kommen lassen. Wenn man sie auf eine Kandidatur als Bürgermeisterin anspricht, sollten die Grünen knapp vorne liegen, vollführt sie jedes Mal einen Eiertanz und versteckt sich hinter Themen und Team. Sie hat es schon fertiggebracht, zu sagen, „es geht hier nicht um persönliche Eitelkeiten“, als sei es eitel und nicht einfach nur ehrlich, zu sagen, wo man hin will.
Beim RBB-Sommerinterview wand sie sich: „Die Berliner Wähler sehen ja durchaus, wer für die Grünen in Berlin in den letzten Jahren Politik gemacht hat. Da sind sie gut informiert, die Wählerinnen und Wähler.“ Nur: Woher sollen sie den Kandidaten fürs Rathaus denn kennen? Werden sie ihn von Ramona Pops erstem Platz auf der Landesliste ableiten oder aus der Tatsache, dass, wenn es eine Einladung ins Fernsehen zur Elefantenrunde gibt, immer Ramona Pop eingeladen wird und niemand anderes von den Grünen?
Die Existenz des "Teams" ist ein Signal an die Partei
Können Berliner jemanden wählen, der sich nicht traut, sein Ziel zu nennen? „Berlin geht nur zusammen“, zitiert sie dann gerne. Aber einen Bürgermeisterposten kann man schlecht vierteln.
„Sie reden mit der Architektin dieses Modells“, sagt Bettina Jarasch über sich. Jarasch, schwarze Locken, Freiburger Tonfall, bezeichnet sich als „die Sozialtante“ im Spitzenteam und hat einige Jahre im Büro von Renate Künast gearbeitet. Die Berliner Grünen waren ja existenziell erschüttert nach der vergangenen Wahl - in den Umfragen sind sie bei rund 30 Prozent gestartet, um dann bei etwas mehr als 17 Prozent hart aufzuschlagen. Der Ausgang sei nicht allein Künasts Schuld gewesen. „Aber wir Grüne haben uns danach zerlegt - und wieder zusammengefunden.“ Und nun gebe es eben dieses Team, hinter dem alle Flügel der Partei stehen. Die Existenz des „Teams“ ist wichtig als Signal in die Partei.
Diese habe sich quasi ganz natürlich aus den beiden Fraktionschefs und den beiden Landesvorsitzenden ergeben: Fraktionschefin Ramona Pop, mit 38 die Jüngste, Sachverstand Finanzen, und die einzige Berlinerin, Antje Kapek, 39. Dann die Landesvorsitzenden Daniel Wesener, 40, und Bettina Jarasch, 47. Nur nach außen wirkt das wenig greifbar für die Wähler.
Nun ja, aber eben glücklicherweise auch auf den Gegner, sagt Jarasch.
„Diese Frau müssen wir im Rathaus verhindern“, so wie bei Renate Künast, darauf können sich jetzt nicht mehr alle einschießen. Niemand könne „die“ verhindern, weil es „die“ gar nicht gebe. „Über dieses Stöckchen müssen wir nicht springen.“ Die Grünen sind unfassbar und aus ihrer Sicht ist das ein taktischer Vorteil. „Man kriegt uns nicht.“
Sie werden alle ihren Stauss gelesen haben. Der legendäre SPD-Wahlkampfstratege und Kampagnenmanager Frank Stauss breitet in seinem Buch „Höllenritt Wahlkampf“ genüsslich aus, wie er 2011 für die SPD Künast vom Ross stieß, und wie einfach das war mit ein paar simplen Kommunikationstricks.
Stauss gilt als der Bürgermeister-Macher von 2011. Er beschreibt, wie es gelang, die Diskussion in der Stadt auf ein Duell zweier Persönlichkeiten zu verengen und die Frage, ob die jeweilige Person die Stadt „verstehe“. So konnte man den erklärten Reformwillen Künasts in Sachen Verwaltung, Nahverkehr und Schule, der aus heutiger Sicht dringend nötig gewesen wäre, als ein irgendwie zu verbissenes Thema vom Tisch fegen. Die Stutzung der Frau war planmäßig. Ihre eigenen Fehler kamen dazu gerade recht.
Das Thema A100 moderieren sie heute ab
Doch 2016 ist Berlin eine andere Stadt. Die Probleme sind offensichtlicher geworden. Berlin sucht nicht mehr einen Repräsentanten seiner eigenen Coolness, sondern einen Kandidaten, der endlich Probleme angeht. Der SPD-Kandidat ist längst nicht mehr so charismatisch wie es Wowereit damals war. Davon abgesehen gilt Michael Müller nicht als Gegner, sondern als möglicher Koalitionspartner.
Kurz hat man versucht, die A100 wieder zum Thema zu machen, über die Künast damals auch gestolpert ist. Aber die Grünen sind ganz gut darin geworden, Themen abzumoderieren. „An der A100 soll es nicht scheitern“, sagte Ramona Pop. Und wurde prompt aus der SPD für ihre Flexibilität gelobt.
Vielleicht ist das ja schon der neue Politik- und Regierungsstil, von dem die Grünen immer reden und unter dem sich bislang keiner so recht etwas vorstellen kann. Und in Wahrheit ist es natürlich gar keine Aussage über die A100, sondern eine über das „nicht Scheitern“.
Eine Regierungsbeteiligung soll nämlich dieses Mal überhaupt nicht scheitern. An gar nichts. Weder an der A100 noch an der Zutatenliste eines Reinickendorfer Pralinenherstellers.
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Dieses Porträt erschien zuerst am Montag, 12. September, auf der Dritten Seite des Tagesspiegel und war online zunächst nur über den digitalen Kiosk Blendle erhältlich.