Abgeordnetenhaus: Berlins AfD reißt sich zusammen - für den Bundestag
Im Berliner Parlament waren sich alle einig: Mit den Neuen wollen sie nichts zu tun haben. Doch das Schmuddelkind ist die AfD schon nicht mehr. Sie strebt nun nach Höherem.
Karsten Woldeit ärgert sich. Nicht über die EU oder Angela Merkel – jedenfalls nicht mehr als sonst. Er ärgert sich über einen Kollegen. Und wenn seine Fraktion nach all der Mühe, die er sich gegeben hat, eines gar nicht gebrauchen kann, dann ist das Streit.
Der AfD-Fraktionsvize sitzt leicht nach vorn gebeugt auf seinem Bürostuhl im Berliner Landesparlament, die eine Hand am Telefon, die andere auf der Tastatur seines Laptops. Aus dem Hörer klingt undeutlich die Stimme seines Chefs, dem Fraktionsvorsitzenden Georg Pazderski. Auch andere führende Fraktionsmitglieder sind in der Leitung. „Disziplinlosigkeit stört die gute Arbeit der Fraktion“, sagt Woldeit ungehalten.
Der Mann, der Woldeit so wütend macht, heißt Andreas Wild. Der fällt immer wieder mit rechten Sprüchen auf. Via Twitter hat er zum Beispiel kürzlich verkündet, Migranten nähmen Deutschen die Frauen weg. Und jetzt – darüber regen sie sich in der Telefonkonferenz auf – hat er sich gegen die Fraktionslinie gestellt. Öffentlich kritisierte er das Mord-Urteil gegen zwei Berliner Raser, das Woldeit zuvor in einer Pressemitteilung begrüßt hatte. Ein Widerspruch. Und Woldeit kann es überhaupt nicht leiden, wenn seine AfD unprofessionell rüber kommt.
Das Abgeordnetenhaus als letzte Chance
„Ich will“, sagt er, „dass die AfD sich als konservative, bürgerliche Kraft etabliert, die das politische Vakuum auffüllt, dass die CDU hinterlassen hat.“ Mit diesem Image könne es seine Partei auch in den Bundestag schaffen. Die Arbeit im Abgeordnetenhaus ist für die AfD vielleicht die letzte Chance vor der Bundestagswahl, diesem Anspruch gerecht zu werden. Und Andreas Wild stört.
Dabei ist er eigentlich das Paradebeispiel eines AfD-Politikers vom rechten Rand. In anderen Landesparlamenten wäre er ganz auf Linie. Dort ist der Vorsatz mit der ernsthaften Oppositionsarbeit auch schon gründlich schiefgegangen: In Baden-Württemberg hatte sich die Fraktion im Streit um den Ausschluss des Abgeordneten Wolfgang Gedeon entzweit. Eine Abgeordnete war aus der Partei ausgetreten mit der Begründung, die AfD sei „schlimmer geworden als die Altparteien“. In Thüringen waren drei Abgeordnete aus der Fraktion ausgetreten – einer ging sogar zur SPD. Und in Sachsen machte sich ein Abgeordneter lächerlich, als er mehrere Änderungsanträge einbringen wollte und sich im Zahlen-Wirrwarr verhedderte. In Berlin dagegen haben sie den Quertreiber Kay Nerstheimer, der noch auf AfD-Ticket ins Parlament gekommen war, gar nicht erst in die Fraktion aufgenommen.
Woldeit gilt als Parteisoldat
Aus dem hohen Fenster in Woldeits Büro kann man über das Dach des Abgeordnetenhauses blicken, an der Wand hängen Wahlplakate von ihm und seiner Lebensgefährtin, die in Lichtenberg für die AfD in die Bezirksverordnetenversammlung eingezogen ist. Woldeit ist gelernter KfZ-Mechaniker, 20 Jahre war er bei der Bundeswehr, eingesetzt im Verteidigungsministerium. Zehn Jahre hat er sich in der BVV Reinickendorf engagiert, bis 2010 war er CDU-Mitglied. Seine militärische Disziplin hat er mitgebracht, gilt jetzt als Parteisoldat. 70 Stunden in der Woche, sagt Woldeit, arbeite er – als innenpolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender.
Seit 7.30 Uhr sitzt der 42-Jährige in Sakko und Krawatte hier, mit Kaffee und der ersten Presseauswertung des Tages. Er ist gerne gut vorbereitet. Die anderen Parteien warten nur darauf, dass einer von ihnen einen Fehler macht.
Bei der Fraktion der Linken ist die Abneigung gegen die AfD so weit ausgeprägt, dass sie die Glastür, die die Räume der beiden Fraktionen voneinander trennt, mit Folie abgeklebt hat. Die Partei wollte sogar ein neues Schloss einbauen – und die Klinke auf der auf der anderen Seite abmontieren lassen. Durfte dann aber nicht. Der Linke Hakan Tas, den die Anträge der AfD regelmäßig in Rage versetzen, sagt über die AfD sie wolle im Parlament „wieder ihrer Berufung nachkommen – hetzen, hetzen, hetzen“.
Ein Jahr lang "persona non grata"?
Woldeit erzählt gern die Anekdote, wie ein CDU-Mann vor Beginn der Arbeit im Abgeordnetenhaus zu ihm gesagt habe: „Ihr seid ein Jahr lang ,persona non grata’ und keiner wird mit euch reden.“ Vor der Wahl hatte die CDU durch Generalsekretär Kai Wegner gar ausrichten lassen: „Keine Zusammenarbeit, auf keiner Ebene.“ Und jetzt? Seit fast genau drei Monaten ist der neue Senat konstituiert. In der Opposition scheint sich die Stimmung ein bisschen gewandelt zu haben. Genauer gesagt grüßte man sich schon nach der ersten Sitzung höflich, sagt zumindest Woldeit.
Im Plenarsaal kann man beobachten, wie gut die AfD im Parlament angekommen ist. In den bisherigen sechs Sitzungen hat die Partei zumindest zwölf eigenständige Anträge eingebracht. Zum Vergleich: Bei der CDU waren es 40. In der vorletzten Sitzung dann hatte Woldeit seinen bisher wichtigsten Auftritt: Er trat ans Rednerpult und forderte die Wiedereinsetzung der „GE Ident“, der „Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Ident“ bei der Polizei, die 2008 eingestellt wurde. Die solle nun dabei helfen, die Identität von Asylbewerbern zu klären.
Die AfD ist nicht mehr das Schmuddelkind
Aber erst einmal legt Woldeit die Hände flach aufs Pult und macht sich lustig über den Vorstoß des Justizsenators, der Unisex-Toiletten in Berliner Behörden will. Eine Steilvorlage für die AfD. „Ich stelle mir wahrlich die Frage: Wie kommen solche weltfremden Vorschläge zustande?“ Dafür bekommt er Applaus – vom FDP-Abgeordneten Marcel Luthe.
Das Schmuddelkind des Abgeordnetenhauses ist die AfD längst nicht mehr. Für einige ihrer Anträge bekommt die Partei von CDU und FDP Unterstützung. Dazu zählt die Erstellung einer Dunkelfeldstudie, bei der auch nicht angezeigte Straftaten in Berlin erfasst werden sollen. Die CDU hält außerdem die von Woldeit geforderte Wiedereinsetzung der Polizeiarbeitsgruppe „GE Ident“ für eine gute Sache – allerdings zu einem anderen Zweck.
Mit CDU-Leuten per Du
Dass die Annäherung so funktioniert, liegt auch an Woldeit. Durch seine CDU-Vergangenheit ist er laut eigener Aussage mit einem Drittel der Christdemokraten im Abgeordnetenhaus per Du. Mit dem CDU-Abgeordneten Stephan Schmidt unterhält er sich zuweilen über den vergangenen Bundesliga-Spieltag. Mit FDP-Mann Luthe pflegt er ebenfalls einen kollegialen Umgang. Auch andere AfD-Abgeordnete, die früher bei der Union oder der FDP waren, sind vernetzt.
Mit der FDP will die AfD sogar gemeinsam einen Untersuchungsausschuss zum Berliner Attentäter Anis Amri einsetzen. Es fehlen dafür zwar noch Stimmen. Doch die CDU ist durchaus offen und wird sich bald entscheiden. Kommt der Untersuchungsausschuss hätte die AfD den Vorsitz und stünde regelmäßig im Rampenlicht – aber eben auch noch mehr unter Beobachtung als bisher.
Ein Donald Trump aus Pappe
In der morgendlichen Telefonkonferenz kommt das Gespräch deshalb nach einem kurzen Schwenk zum BER wieder auf Störenfried und Abweichler Andreas Wild: „Wir haben ihn darauf hingewiesen, dass das formal nicht geht“, schimpft Woldeit. Die Stimme von Fraktionschef Pazderski hallt nun noch etwas lauter aus dem Hörer. Wild hatte am Wochenende bei der Eröffnung seines Bürgerbüros das Banner der AfD-Fraktion am Fenster angebracht. Ein Donald Trump aus Pappe war dabei, die Nationalhymne wurde gesungen. Er ist nicht der einzige Scharfmacher der Berliner AfD. Der Abgeordnete Thorsten Weiß zum Beispiel ist auch für seine rechten Reden bekannt. Doch normalerweise hat die Fraktionsspitze ihre Leute eben im Griff.
Glaubt man Beobachtern aus anderen Parteien, braucht die Fraktion die starke Führung. „Man merkt der AfD an, dass sie bemüht ist, möglichst wenig anzuecken. Das gelingt aber nur, wenn Pazderski da ist“, sagt Steffen Zillich, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Abgeordnetenhaus. Ohne Pazderski gebe es im Plenum mehr Unruhe und mehr Zwischenrufe. „Es bedarf wohl einiger Anstrengungen, in der Rolle der bürgerlichen Partei zu bleiben“, glaubt Zillich. Pazderski, genau wie Ex-Soldat Woldeit, hält den Laden zusammen.
Die Partei bringt "klassische Schaufensteranträge"
Umso mehr waren die Abgeordneten irritiert von ihrem Fraktionsvorsitzenden: Erst verkündete Pazderski, er wolle in den Bundestag – obwohl er noch bei der Wahl zum Fraktionschef versichert hatte, er sehe seine Zukunft im Abgeordnetenhaus. Er wollte sogar Teil eines Berliner Spitzenteams für die Bundestagswahl werden – gemeinsam mit der Landesvorsitzenden Beatrix von Storch. Und jetzt die Kehrtwende: Auf Zureden der Fraktion entschied sich Pazderski doch zu bleiben – vorerst.
Auch deshalb ist einigen AfDlern der Eindruck, den sie im Abgeordnetenhaus hinterlassen, so wichtig. Das Landesparlament ist nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur Bundespolitik. Doch FDP-Mann Luthe zweifelt, ob die Partei bereit dafür ist.
Er kritisiert, dass die AfD – obwohl sie es besser wisse – auch immer wieder „klassische Schaufensteranträge“ bringe. Also Vorschläge, die ihr zwar mediale Aufmerksamkeit verschaffen, aber im Abgeordnetenhaus nichts zu suchen haben, weil Berlin nicht die Gesetzgebungskompetenz hat.
Der Senat, forderte die AfD zum Beispiel, möge sich dafür einsetzen, dass in der ZDF-„Heute“-Sendung wieder die Deutschlandkarte innerhalb Europas hervorgehoben wird. Sie wollte außerdem die Kündigung des Rundfunkstaatsvertrags sowie ein Vollverschleierungsverbot. Zuweilen sind die Anträge ähnlich bereits in anderen Landesparlamenten abgelehnt worden. „Die Partei kann zwar den Eindruck erwecken, dass sie sich für Dinge einsetzt, die sie schon im Wahlkampf gefordert hat – faktisch erreicht sie aber so nichts“, sagt Luthe.
Selbst erfahrene Parlamentarier loben die AfD-Arbeit
Woldeit scrollt in seinem Büro gerade durch die aktualisierte Presseschau, da geht die Tür auf und Fraktionschef Pazderski steht im Raum, wie so oft in blauem Jackett mit goldenen Manschettenknöpfen. „Eine Journalistin vom Fernsehen hat gefragt, ob es Streit in der Fraktion gibt. Ich hab gesagt: Nein“, sagt Woldeit zu Pazderski. Der grinst.
Nach den Querelen in anderen Bundesländern hat die AfD in Berlin nun offenbar verstanden, wie ein Landesparlament funktioniert. Selbst erfahrene Parlamentarier äußern sich vorsichtig anerkennend über die Arbeit der Partei – wenn auch lieber anonym: „Die Fragen im Rechtsausschuss zum Breitscheidplatz waren nicht schlecht vorbereitet“, sagt ein CDU-Mann.
Woldeit sitzt nach einer Pausenzigarette wieder am Schreibtisch und bearbeitet seine E-Mails. Plötzlich lacht er laut auf. In seinem Posteingang hat er die Anfrage der 20-jährigen June Tomiak gefunden, die für die Grünen im Innenausschuss sitzt. Woldeit liest den Titel vor: „Rein oder raus ins Beamtenverhältnis – Wie wird bei der Berliner Polizei der Verkehr geregelt?“
Die Fragen beziehen sich auf Meldungen, nach denen ein Pornoauftritt einem Berliner Polizeischüler Ärger beschert hatte. Noch so eine Vorlage für die AfD – normalerweise. Woldeit schüttelt den Kopf: „Mit sowas beschäftigt die Frau den Senat!“ Er überlegt schon, wie er das Ganze ins Lächerliche ziehen kann und ruft Pressesprecher Thorsten Elsholtz an. Kurz darauf steht der im Büro. Ob man das nun ausnutzen solle, will Woldeit wissen. Elsholtz zuckt mit den Schultern. „Gar nicht beachten“, sagt er.
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