Bewerbung Berlin Olympische Spiele 2024: Berliner Olympiastadium
Eigentlich ist es eine einfache Geschichte: Sieg oder Niederlage. Die oder wir. Berlin oder Hamburg. Doch in der Hauptstadt geht es bei der Bewerbung um die Spiele wie immer gleich ums Ganze. Wer sind wir, wo wollen wir hin? Eine Begegnung mit Fans und Feinden.
Vielleicht endet diese Geschichte erst im Jahr 2024. Vielleicht schon in wenigen Wochen. Man weiß es nicht, und das macht die Lage so diffus. Man sucht diese Geschichte, als wäre sie in eine dichte Nebelwand geraten, kaum Konturen zu erkennen. Dabei ist es eigentlich eine einfache Geschichte: Sieg oder Niederlage. Die oder wir. Berlin oder Hamburg.
Es geht um die Frage, welche der beiden Städte für Deutschland ins Rennen um die Olympischen Spiele 2024 gehen darf. Schon im März wird der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) darüber entscheiden, aber für die meisten Menschen scheint die Bewerbung noch so fern wie ein heißer Sommertag.
Haben wir nicht andere Sorgen?
Diese eine Frage schwingt immer mit, wenn man dieser Tage durch die Stadt streift, um Menschen zu treffen, die für oder gegen die Bewerbung sind. Es geht in Berlin, diesem Wesen aus Metropolis und Posemuckel, bei allen großen Projekten sowieso immer gleich ums Ganze. Wer sind wir, wo wollen wir hin, sind wir sexy oder arm oder, eine Nummer kleiner, wie kann die Politik die Bürger von den Spielen überzeugen, wenn sie schon beim Tempelhofer Feld gescheitert ist?
Kaweh Niroomand lächelt, denn er hat eine einfache Antwort auf diese Fragen. „Die Bürger müssen diese Bewerbung wollen.“ Niroomand ist nicht irgendwer, sondern eine Art Edel-Volunteer der Berliner Olympiabemühungen und eine der wichtigsten Personen in der Leitungsgruppe des Senats. Nun sitzt er zwischen seinen unzähligen Terminen in Sachen Olympia in einem Zehlendorfer Café und trinkt Tee. Der 62 Jahre alte Manager des Berliner Volleyball-Klubs BR Volleys und Topmanager der Softwarebranche ist ein großer, smarter Mann; er würde auch als Filmstar durchgehen mit seinem graumelierten Haar und dem unglaublich gut sitzenden Anzug. Wer etwas über eine grundsätzlich konstruktive Haltung, über Kampfgeist und Glaubwürdigkeit lernen will, ist bei dem gebürtigen Iraner genau richtig.
Seine Eltern haben ihn 1965 mit zwölf Jahren aus dem Iran in den Teutoburger Wald geschickt, nach Tecklenburg, wo er ohne ein Wort Deutsch zu sprechen auf ein konservatives Gymnasium kam. Er war der einzige Ausländer. Er wurde Schulsprecher und später Bauingenieur, zog 1971 nach Berlin. Die Softwarefirma für die Hotelbranche, die er schließlich gründete und zum Weltmarktführer machte, hat er verkauft. 25 Jahre habe er rund um die Uhr gearbeitet. Jetzt ist er frei und finanziell unabhängig, ein gemachter Mann.
Eine Frage von Stolz?
Aber was macht Niroomand? Stürzt sich ins nächste Abenteuer: „Ich brauche gute Projekte. Und Berlin auch.“ Niroomands Vision ist ein großer städtebaulicher Entwurf, in dem Olympia klug eingebettet wird. Ein solches Projekt angehen, heißt für ihn vor allem: dahinterstehen und arbeiten – strategisch, ehrlich, fleißig. Es sind nicht unbedingt die Adjektive, die man mit der bisherigen Bewerbung verbindet. Niroomand weiß das, aber er mag es nicht, wenn man das eigene Potenzial schlechtredet; so werde man nichts. Er kann nicht verstehen, warum die Berliner ständig zweifeln, warum in der Stadt wegen des Flughafen-Desasters die Stimmung herrsche, wir könnten es nicht. „Umgekehrt müssen wir doch denken: Wenn wir uns jetzt etwas vornehmen, schaffen wir das erst recht.“
Für Niroomand ist das eine Frage von Stolz.
Deshalb hat er mit seinen Mitstreitern aus dem Berliner Sport im vergangenen Sommer beim Senat angefragt, ob man nicht mal vorbeischauen dürfe in einer Olympia-Sitzung. Niroomand ist ein Diplomat, möchte niemanden öffentlich kritisieren, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass sich die Berliner Politik bis Ende des Jahres sehr schwer tat, in die Gänge zu kommen. Als Niroomand wieder aus der Sitzung herauskam, sagte er sinngemäß: Wir müssen uns jetzt einmischen, sonst wird es zu spät sein.
Ende des Monats schon will der DOSB eine Telefonumfrage von Forsa veröffentlichen, in der die Stimmung in Hamburg und Berlin ab dem 22. Februar abgefragt wird. Ergibt das Votum nicht mehr als 50 Prozent Zustimmung, heißt es, ist Berlin raus. Die fachlichen Kriterien und die technischen Daten spielen für den DOSB zunächst eine untergeordnete Rolle. Vor allem will man auf keinen Fall mit einer Stadt ins Rennen gehen, sagen Funktionäre hinter vorgehaltener Hand, in der die Bevölkerung erst langwierig überzeugt werden müsste. Man kann es auch anders ausdrücken: Die Sportfunktionäre haben Angst vor Protest und Widerstand – das IOC mag keinen Widerstand.
Doch genau darum ginge es bei einer glaubhaften Bewerbung: um eine ehrliche Auseinandersetzung. Niroomand will sie auch, er glaubt an reformierte Spiele, einen Gegenentwurf zum Gigantismus von Staaten, die wenig demokratisch legitimiert sind. Spiele, bei denen sich die Stadt nicht dem Diktat des IOC unterwirft. Er sagt: „Respekt und Bürgerengagement müssen die Säulen der Bewerbung sein.“ Keinesfalls dürfe man spekulieren, sondern müsse seriös rechnen. Es dürften der Stadt später keine dauerhaften Kosten auf die Füße fallen.
Bei den Olympia-Gegnern würde Niroomand mit seiner offenen Art keine Punkte machen – und so bricht Judith Demba beim Stichwort von den reformierten, „richtigen Spielen“ in schallendes Gelächter aus. Für die Linken-Politikerin ist das ganze System des IOC „korrupt“ und das „Reformgerede unglaubwürdig“. Deshalb schließt sie es kategorisch aus, dass es Bedingungen geben könnte, unter denen auch für die Gegner akzeptable Spiele herauskommen würden.
Demba und Niroomand kennen sich nicht, aber sie teilen die Leidenschaft für den Volleyball – und die Leidenschaft zur Mobilisierung. Zur Wahrheit dieser Geschichte gehört allerdings, dass die Mobilisierung der Olympiagegner so zäh verläuft wie die der Befürworter. Aus autonomen Kreisen ist zu hören: „Die radikale Linke interessiert das Thema nicht, es gibt anderes zu tun, Pegida, Flüchtlinge, anti-rassistische Arbeit eben.“
Lesen Sie, was die Gegner der Bewerbung sagen
Und so ist es kein Wunder, dass man bei den Gegnern wieder diejenigen trifft, die schon gegen Berlins Bewerbung für das Jahr 2000 waren. Nur 25 Jahre älter.
Judith Demba, 57 Jahre, hört es nicht gern, aber sie ist eine Veteranin des Widerstands. Und würde es sie nicht geben, es gäbe in der Stadt wohl noch keine organisierte Nolympics-Bewegung.
An einem nasskalten Februartag sitzen in den kargen Räumen der Grünen Liga in der Prenzlauer Allee zwölf Olympia-Gegner, angeführt von Judith Demba, einst sportpolitische Sprecherin der Alternativen Liste/Die Grünen und heute einfaches Parteimitglied der Linken und Geschäftsführerin der Naturfreunde.
Damals, vor 25 Jahren, musste Demba das Amt der sportpolitischen Sprecherin übernehmen – es war kein anderes übrig. Sie hatte als DDR-Bürgerin gern Olympische Spiele geschaut, wird sie später erzählen. Aber direkt nach der Wende, sagt sie heute, habe sie gespürt, dass das nicht richtig sein könne und die Stadt überfordert ist. So ist sie da Anfang der Neunziger reingerutscht. Heute sind fast alle Mitstreiter Dembas über 50 Jahre alt, sie kommen aus verschiedenen Gruppen, dem Naturschutzbund, dem Wassertisch, den Pro-Tempelhofern, den Naturfreunden, der Grünen Liga. Sie repräsentieren in ihrem Selbstverständnis den kritischen Bürger, der sich einmischt und obrigkeitsskeptisch ist.
Politiker haben Angst: Sind Kompromisse noch möglich?
Dieser Kampf der Bürger für ihre Interessen, wie Stuttgart 21 oder Tempelhof in Berlin, wird stetig vielfältiger. Das klassische System der repräsentativen Demokratie mit seinen Checks and Balances reicht heutzutage für die Konsensfindung offenbar nicht mehr aus. Ohne ausreichende Bürgerbeteiligung geht nichts mehr. Nur was passiert, wenn auch trotz ausreichender Bürgerbeteiligung nichts mehr geht? Die Frage, die sich politische Entscheidungsträger ängstlich stellen, lautet: Sind bei großen Projekten überhaupt noch Kompromisse möglich?
Demba sagt, dass nicht der Senat ihr Feind sei, sondern das IOC. Die Politik sei naiv zu glauben, sie könne Spiele nach eigenen Regeln ausrichten. Die Arbeitssitzung der Olympiagegner wird von ihr, dunkelrot gefärbtes Haar, schwarz-rote Brille, mit strengem Regiment geführt. Widerspruch wird nur in der gewährten Redezeit geduldet, und wenn er kommt, wirkt sie genervt. Es ist kalt im Raum, es gibt weder Getränke noch etwas zu essen. Widerstand ist kein Kaffeekränzchen!
Später, im persönlichen Gespräch, ist sie entspannter und erzählt, warum sie wieder Olympia-Gegnerin geworden sei. Im Herbst 2013 habe sie eine Journalistin angerufen und gefragt, was sie davon halte, dass der Senat über eine neue Bewerbung nachdenke. „Ich habe das für einen Witz gehalten. Ich dachte, das trauen die sich jetzt nicht. Berlin bekommt nichts auf die Reihe, die soziale Spaltung nimmt zu, die Infrastruktur ist maroder als damals. Und dann Olympia.“ Jeder im Raum kann eine Geschichte von sozialer Ungerechtigkeit erzählen, manche handeln von gestiegenen Mieten, andere vom Kampf der Obdachlosen um Pfandflaschen. Dembas Beobachtung geht so: „Die Menschen werden aggressiver und introvertierter. Sie gucken nicht mehr links noch rechts. Interessiert keinen.“
Während Niroomand und seine Mitstreiter in den Sportverbänden oder der Wirtschaft fest daran glauben, dass Olympische Spiele ein Konjunkturprogramm wären, erwarten Demba und ihre Freunde eine größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Angesichts dieser Fronten scheint Konsens unmöglich zu sein. Allerdings bewegt diese Olympiadiskussion zurzeit nur sehr wenige in der Stadt. Eine Massenbewegung für Pro oder Contra wird es frühestens geben, wenn Berlin Kandidat werden sollte.
Und so ist die Berliner Olympiabewerbung in der Stadt kaum sichtbar. Das angestrahlte Brandenburger Tor, der bunte Fernsehturm, der Berlin-Flieger mit dem Olympia-Motto, Fahnen an der Messe und dem ICC, Plakate und Aufkleber – das gibt es. Aber eine Botschaft, eine Figur, ein Gesicht, einer, der wirklich bekannt ist und sich traut, für Olympia einzustehen, ist nicht in Sicht. Kein Regierender Bürgermeister, kein Sportsenator, nur das Fußvolk von der Sportjugend und viele engagierte Sportfunktionäre.
Lesen Sie, warum der Senat selbst die Autonomen fragt
An diesem Donnerstag startet der Senat einen offiziellen Bürgerdialog mit einer Veranstaltung im E-Werk in Kreuzberg, die Olympiagegner haben Protest angekündigt. Doch sie haben Angst, dass zu wenige kommen könnten. Einer sagt: „Wir müssen raus aus der Komfortzone!“ Die vom Senat beauftragte Agentur hat sogar die Autonomen in Kreuzberg besucht, um sie zum Dialog „einzuladen“. Die verdutzten Gegner haben die Gäste nach 20 Minuten wieder herausgeleitet. Sie kommen, aber nur zur Demo. Der Senat hat auch ein Online-Bürgerbüro unter dem Titel „Was will Berlin“ eröffnet, um Beteiligung zu ermöglichen. Viel ist nicht los im virtuellen Raum.
Diese berlinische Nicht- oder Anti-Haltung bringt wiederum Menschen auf die Palme, deren Beruf es ist, Berlin zu vermarkten. Einer ihrer höchsten Repräsentanten, der Geschäftsführer von Visit-Berlin Burkhard Kieker, sagt: „Ich bin völlig fassungslos darüber, wie riesengroß die Diskrepanz der Wahrnehmung Berlins außerhalb Deutschlands mit der Eigenwahrnehmung der Berliner ist.“ Er, der ständig für Berlin um die Welt reist, glaubt: „Die Welt traut uns Berlinern alles Gute zu.“ Niemand außerhalb Deutschlands käme auf die Idee, dass Hamburg statt Berlin ins Rennen gehen könnte.
Volker Hassemer kennt diese merkwürdige Diskrepanz der Ansichten, die mitunter herzhaft verpeilte Verwaltung und die Berliner Meckerkoppmentalität. Lange Jahre hat er die Stadt als Senator etwa für Stadtentwicklung begleitet, war im Senat, als die Bewerbung Berlins für die 2000er Spiele 1993 kläglich endete. Jetzt, mit 71 Jahren, ist er Vorstandschef der Stiftung Zukunft Berlin. Und wenn man ihn trifft, sieht man nicht nur einen sportlich-schlanken Herren mit weißem Haar, sondern einen Berlinverliebten. Hassemer sieht – mit oder ohne Olympia – im Nebel die Konturen eines neuen Berlin. Die „Kreativen“, die man vor Jahren noch als „Latte-Macchiato-Prekariat“ belächelt habe, seien der Kern eines womöglich neuen Industriezeitalters der Stadt. Sie seien nicht nur kreativ, sondern immens produktiv. Er schwärmt.
Was Olympia angeht, wäre Hassemer ein guter Brückenbauer zwischen Gegnern und Befürwortern, er hat Sympathie für beide Seiten. Bürger, „die gleich hinter jeder Wurst herhüpfen“, entsprechen nicht seiner Vorstellung von einer selbstbewussten Stadtgesellschaft. „Berlin verlangt eine größere Gründlichkeit, bessere Qualität, Glaubwürdigkeit.“ Nur weil man meint, gute Gründe zu haben, dürfe die Politik nicht sagen: Folgt uns blind! Und wenn es jetzt unbedingt ganz schnell gehen muss, weil der DOSB sein Votum an eine einzige Telefonumfrage hängt – empfiehlt Hassemer: Gelassenheit. „Wenn man nichts zu verbergen hat, kann man kämpfen. Die Politik kann Hamburg sowieso nicht schlagen, das muss die Stadt selbst können.“
Diese Stadt ist in großen Teilen schon sehr stolz auf ihr Widerstandspotenzial. Warum nicht. Wollte die Politik Olympia wirklich, hätte sie davor keine Angst. Widerstand gehört zur DNS der Stadt wie Individualismus und Freiheit – man muss diese Mischung nur zu nutzen wissen.
Daraus ließe sich doch ein schicker, widerborstiger Markenkern basteln.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Er schreibt vor allem für die Dritte Seite, die Reportageseite der Zeitung. Folgen Sie ihm auch auf Twitter oder Facebook.