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Griechenland: Alle gegen Varoufakis

Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis verteidigte am Sonntag seine Politik bei Günther Jauch. Auch in Griechenland fangen viele an zu zweifeln. So wie die Putzfrauen des Finanzministeriums, Idole des Widerstands gegen die Troika. Sie warten auf die Einlösung der Versprechen. Eine Reportage aus Athen

Es war Nacht geworden, und Vaso Gowa konnte ihr Glück immer noch nicht fassen. Die meisten Menschen in Athen waren nach einem aufregenden Wahlabend Ende Januar schon zu Bett gegangen. Vor dem griechischen Parlament hatte Wahlsieger Alexis Tsipras die Arme hochgerissen und Yanis Varoufakis das Motorrad aus der Garage geholt. Vaso Gowa rannte durch die Straßen, sie lachte, sie tanzte, sie weinte. Das war ihr Sieg. Das war ihre Nacht.

Jede Revolution hat ihre Idole. In Griechenland ist diese Rolle Vaso und ihren Freundinnen vom Putzfrauentrupp zugedacht. Einfache Frauen sind sie, die man duzen darf. Bis September 2013 waren sie als Reinigungskräfte im Finanzministerium angestellt gewesen. Dann wurden sie gefeuert auf Druck der Troika, die Dienstleistungen wie das Putzen „outgesourct“ sehen wollte. Mit der Syriza-Regierung sollte ihr alter Arbeitgeber nun einen neuen Chef bekommen. Geschichte sollte gemacht werden.

Vierzig Tage nach der Nacht der Nächte sitzt Vaso Gowa in ihrem bunt gemusterten Wohnzimmer vor dem Computer und öffnet den Ordner „Protest 2014“. Es sind Fotos von Vaso, brutale Fotos, auf denen die kleine Frau von Polizisten in schwarzer Rüstung weggeschleppt wird. Auf manchen blutet sie am Kopf. Sie präsentiert sie wie einen Schatz. „Das war vor einem Jahr, als die Troika kam“, sagt sie stolz. „Das haben wir blockiert. Wir waren nur dreißig Frauen und sie haben uns mit Stöcken verprügelt.“

Finanzminster Yanis Varoufakis hat den Griechen viel versprochen, der Putzfrau Vaso Gowa , dass er sie wieder einstellt.
Finanzminster Yanis Varoufakis hat den Griechen viel versprochen, der Putzfrau Vaso Gowa , dass er sie wieder einstellt.
© Orestis Panagiotou/dpa

Heute, an einem Donnerstag im März 2015 ist die Troika offiziell nach Athen zurückgekehrt. Eine Zeitung hat eine Karikatur gedruckt: Der griechische Finanzminister Varoufakis schmuggelt die Troika-Beamten ins Ministerium – als Putzfrauen verkleidet. Vaso kann darüber nicht lachen. Die Troika darf wieder ins Land, womöglich sogar in die Büros, die die Frauen nicht mehr betreten dürfen. Sie wollen, dass die neue Regierung für sie kämpft. „Ich will sehen, dass sie sich anstrengen“, sagt Vaso.

Der neue Finanzminister Yanis Varoufakis sieht aber momentan nicht aus wie ein Mann, der sich anstrengt. Im französischen Boulevardmagazin „Paris Match“ lässt er sich mit seiner Frau, einer Galeristin, auf seiner Dachterrasse in Athens nobler Innenstadt fotografieren. Sie prosten sich mit Weißwein zu, er sitzt am Klavier, während er doch mehrmals am Tag Gerüchten widersprechen muss, nach denen die Regierung bald keine Renten und Gehälter mehr zahlen könne – und auch solchen, dass er nach nur wenigen Wochen im Amt von Tsipras kalt gestellt werde. Diejenigen, die er eigentlich in Verhandlungen niederringen wollte, Europas Politiker, haben für seine Auftritte und Äußerungen kaum mehr als Spott übrig. Er liefert ihnen dünne Papiere und beschränkt sich auf vage Aussagen, dabei eilt er von Interview zu Interview.

Was er zur Schuldenbegrenzung vorschlägt, soll niemandem weh tun und stößt doch alle Seiten vor den Kopf. Während die Griechen seine schroffen Auftritte im Ausland noch gefeiert haben, sind sie von den Hochglanzfotos des begüterten Professors irritiert. Dass Varoufakis es nun lieber hätte, „dass die Fotos nicht entstanden wären“ und dass er den Fehler bedauert, interessiert seine Landsleute aber weniger als die Lähmung zuhause.

Tatsächlich hat Syriza seit der Wahl noch kein einziges Gesetz durchs Parlament gebracht. Sie bemühen sich etwas im Sozialen. Doch die Reichen lassen sie bisher in Ruhe. Denn alles müsste eigentlich mit denen abgestimmt werden, mit denen man sich nicht mehr abstimmen will. Auch das Wiedereinstellungsgesetz, das Vaso Gowa und die anderen in wenigen Wochen vom neuen Chef im Finanzministerium erhoffen, hat von Seiten der EU längst eine Absage kassiert.

„Sie haben den Menschen zu viel versprochen“, sagt Haris Theoharis über die Regierung von Alexis Tsipras, „nun scheitern sie daran.“ Der Sprecher der kleinen wirtschaftsliberalen Oppositionspartei To Potami sitzt hinter dem Schreibtisch in seinem Abgeordnetenbüro und knetet die Hände. Er war mal in einer ähnlichen Position wie Varoufakis jetzt, war Generalsekretär im Finanzministerium. Es fällt ihm nicht leicht, die Regierung offen anzugehen. In seinem Empfangszimmer liegen die Tageszeitungen, die Syrizas Verhandlungen als Erfolge bejubeln. „Bisher haben sie ja noch keine einzige schlechte Nachricht an ihre Leute überbringen müssen“, sagt er. „Aber der Abstieg hat schon begonnen.“

Innerhalb von zwei Wochen ist die Regierung in Umfragen von 80 auf 64 Prozent Zustimmung abgerutscht. „Am Ende werden sie schmerzhafte Kompromisse machen. Nein ist für die Troika keine Antwort.“ Theoharis ist ein Experte für schmerzhafte Kompromisse. Er war Generalsekretär im Finanzministerium als Vaso entlassen wurde.

Die Geschichte von Vaso und ihren Kolleginnen kennt in Griechenland jeder. Denn es ist eine exemplarische Krisengeschichte. Insgesamt haben im öffentlichen Dienst 10 000 Griechen auf Geheiß der internationalen Geldgeber den Job verloren. Die Putzfrauen aber fügten sich nicht. Sie kamen zurück. Jeden Tag. Irgendwann blieben sie auch nachts, sie zelteten vor dem Ministerium, besetzten einen Seiteneingang. Ihr Zeichen: Eine geballte Faust im Putzhandschuh.

Sie waren die Idole der Revolution, die jetzt ausbleibt

Das Protestcamp besteht aus Plastikplanen, einem Iglu-Zelt. Über die Plastiktischchen haben sie Decken gelegt, ein Heizgerät pustet ihnen warme Luft ins Gesicht, am Abend werden ein paar Scheinwerfer angeschaltet. Heute sind sie zu fünft. Vaso strickt, eine andere Frau raucht gemütlich eine Zigarette.

Die Frauen und ihr Ruf „Wir räumen auf!“ wurden einer der gefährlichsten Gegner der konservativen Regierung, denn die Medien liebten ihre Sicht der Dinge, nach der die Troika die Schwächsten der Schwachen feuere und die Reichen verschone. Die Frauen schrien vor den Toren des Ministeriums ihre Wut heraus. Die Kameras waren immer dabei. Sie wurden verprügelt, aber noch mehr wurden sie verehrt. Es gab sogar ein Benefizkonzert ihnen zu Ehren mit tausenden Menschen auf dem zentralen Syntagma-Platz. „Das war die schönste Zeit meines Lebens“, sagt Vaso heute.

Für Theoharis war die Zeit nicht so schön. Er unter den Konservativen als oberster Steuereintreiber eingestellt worden. „Was sollte ich denn machen“, fragt er heute und zuckt mit den Schultern. Putzfrauen gehörten nun mal nicht in den öffentlichen Dienst. „Wir mussten 400 Leute entlassen, sollte ich vielleicht meine Steuerbeamten rausschmeißen?“ Für ihn ist das keine Frage von Schwach gegen Stark oder Arm gegen Reich, er wollte die behalten, die am nützlichsten für das Ministerium sind.

Die Tragik an dieser sehr griechischen Geschichte ist, dass die Sparmaßnahme den Staat teurer gekommen ist, als wenn er alles beim alten belassen hätte. Die Regierung bezahlte den privaten Putzdienst, traute sich aufgrund der politischen Stimmung aber auch nicht, den ehemaligen Putzfrauen das Übergangsgeld zu streichen. Der Staat bezahlt also bis heute doppelt. Und er finanziert damit den politischen Protest gegen sich gleich mit. Theoharis hat irgendwann gekündigt und ist Politiker geworden.

"Die Strategie von Syriza ist gescheitert"

Finanzminster Yanis Varoufakis hat den Griechen viel versprochen, der Putzfrau Vaso Gowa , dass er sie wieder einstellt.
Finanzminster Yanis Varoufakis hat den Griechen viel versprochen, der Putzfrau Vaso Gowa , dass er sie wieder einstellt.
© Orestis Panagiotou/dpa

Die Syriza-Partei dagegen hat den Protest von Anfang an unterstützt. Als Vaso niedergeschlagen wird, schläft die heutige Parlamentschefin der Linken neben ihr am Krankenbett. Und sie verspricht: Wenn wir gewinnen, dann seid ihr die ersten, die wir wieder einstellen. Darauf warten die Frauen.

Das ist jetzt schon einige Wochen her. Vaso Gowa hat nie vorgehabt, ihr Zelt nach der Wahl gleich abzubauen, sagt sie. „Wir sind vielleicht Putzfrauen, aber wir sind nicht dumm“, sagt sie. Um acht Uhr morgens kommen sie und bleiben in Schichten bis neun Uhr abends. „Wir haben uns geschworen, wenn nichts passiert, dann ziehen wir mit den Zelten auch vor das Syriza-Hauptquartier.“

Ein Mann mit einer Einkaufstüte in der Hand erkundigt sich, ob es Neuigkeiten gibt. „In ein paar Wochen soll es ein neues Gesetz geben“, sagt eine. „Das hat uns der Varoufakis gesagt. Für die Wiedereinstellungen.“ Als der Mann gegangen ist, sagen die Frauen, dass sie es so recht selbst nicht glauben. Doch das Demonstrieren fällt ihnen nicht mehr so leicht wie früher. „Wir sind müde.“ Ihre Kollegin fügt hinzu: „Eigentlich sind wir nur noch hier um zu zeigen: Wir glauben zwar an euch, aber wir können auch gegen euch sein.“

Sie haben keine echten Gegner mehr. Der alte Minister hatte sich noch geweigert, sie zu empfangen, sie haben seine Eingangshalle besetzt, er hat sie rausschmeißen und rund um die Uhr von der Militärpolizei bewachen lassen. Varoufakis hat die Frauen wie Staatsgäste in seinem Büro empfangen, er bleibt, wenn er denn mal in Athen ist, beim Betreten seines Amtssitzes für einen kurzen Plausch stehen, hat die Jungs in den schwarzen Uniformen mit den Schlagstöcken abgezogen. Was sollen sie da machen, außer freundlich nachfragen?

Sie haben keine echten Gegner mehr

Also freuten sie sich zumindest anfangs auch darüber, wie Varoufakis die EU-Regierungen und vor allem die Deutschen vor den Kopf gestoßen hat. Die Reparationsforderungen, die Drohungen, die markigen Sprüche. „Sie sollen endlich sehen, dass wir uns wehren“, sagt Vaso Gowa. „Dass man mit uns Griechen nicht alles machen kann.“ Nur am Ende müsse dann schon auch was bei rauskommen.

Weniger Wohlmeinende in Athen nennen es die „Syriza-Strategie“. Die Regierungspolitiker streiten darüber, ob die Troika-Beamten nun Technikberater heißen sollen, ob sie ihre Papiere in Athen im Ministerium oder im Hotel einsehen dürfen. Das alles geschehe nur, um davon abzulenken, dass die Regierung zu Hause komplett gelähmt sei. In Athen erzählen sie sich gerade gerne einen Witz, der sich um die guten Umfragewerte dreht. 70 Prozent der Griechen seien mit der Regierung zufrieden. Die anderen 30 Prozent hätten Syriza gewählt.

Tatsächlich ist es so, dass wohl diejenigen am meisten unter der lähmenden Situation leiden, die im Land etwas verändern wollten. Da ist etwa Andreas Karitzis, der Alexis Tsipras schon seit seiner Jugend kennt. Er lehrt Philosophie an der Universität und hält in ganz Europa Vorträge über neue Formen der gesellschaftlichen Organisation.

Doch das umstürzend Neue steht momentan nicht auf der Agenda, wo doch die Frage zu beantworten ist, wie überhaupt die Pensionen und Gehälter im nächsten Monat gezahlt werden sollen. Es wird schon überlegt, ob die Regierung vielleicht Schuldscheine ausstellen könnte, wenn das Geld knapp wird. „Wir müssen durchhalten“, beschwört Karitzis, „so lange, bis sie auch in Spanien und in anderen Ländern die Veränderung wählen.“ Er hofft nur, dass sie so lange überleben.

Tsipras hat einen Mann nach Brüssel geschickt, der Anzugträger verachtet

Es ist die Idee, dass man finanzmarktpolitische Sachzwänge abwählen könne. „Die Strategie von Syriza ist schon gescheitert“, sagt jedoch einer, der selbst zu den ökonomischen Beratern der Partei gehört und dem die gelähmte Regierung ganz gut zupass kommt. Costas Lapavitsas ist so etwas wie der Gegenspieler von Finanzminister Varoufakis. Beide sind sie Ökonomieprofessoren, Varoufakis aber will den Euro unbedingt behalten und Lapavitsas den Euro unbedingt loswerden. Er fordert einen geordneten Austritt, rausfliegen würde man am Ende doch so oder so – wolle man seine Wähler nicht betrügen. Er treibt die Regierung damit vor sich her.

Die Kritiker im eigenen Lager sind immer die Gefährlichsten. Schon gibt es Putschgerüchte über den unglücklich agierenden Finanzminister, der in seiner Partei eher zu den Gemäßigten zählt. Von rechts genauso wie von links. Die einen sehen zu viele falsche Versprechen, die anderen zu viele falsche Kompromisse. Politischen Spielraum gibt es kaum noch. Ein Mittelweg wird zwischen den Extremen zerrieben. Und die Welt fragt sich derweil, warum sich der griechische Finanzminister von einer Tagung am Comer See meldet, während in Brüssel über den drohenden Bankrott seines Landes verhandelt wird. Wollen sie ihn schon nicht mehr dabei haben?

Tsipras wollte einen Mann nach Brüssel schicken, der vor den Anzugträgern nicht buckeln würde. Er hat aber einen geschickt, der sie verachtet. Nun ist der außen vor.

Am Zelt von Vaso und ihren Freundinnen zieht an diesem Abend eine kleine Pro-Drachme Demonstration vorüber. Die Frauen hören einen Moment zu reden auf. Sie winken kurz, das gehört sich so, als Protest-Vorbild. Ob sie für oder gegen den Euro-Austritt sind? „Wissen Sie“, sagt eine, während sie langsam den Rauch auspustet. „Mit welcher Währung wir unsere Brötchen bezahlen, ist nicht wichtig. Sondern, dass wir sie noch bezahlen können.“

Es ist eine lähmende Ruhe. Alles scheint den Griechen möglich. Katastrophe. Revolution. Kapitulation. Konterrevolution. Die Frauen vor dem Finanzministerium aber wollen einfach nur wieder ihre Putzhandschuhe anziehen.

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