Griechenland-Krise: Die Unterwerfung Athens ist ein verheerendes Signal
Die Botschaft der Europäer lautet: Entweder die wirtschaftlich schwächeren Länder kriechen bei den Deutschen und ihren Agenten in Brüssel zu Kreuze. Oder diese treiben sie in den wirtschaftlichen Niedergang. Ein Kommentar.
Gerade sechs Wochen ist Griechenlands neue Regierung im Amt, doch ihr Scheitern ist vermutlich schon besiegelt. Mit eiserner Hand erzwingen die Bundesregierung und ihre Alliierten von Lissabon bis Helsinki, dass die Wahlsieger in Athen ihre wichtigsten Wahlversprechen nicht erfüllen können. Premier Alexis Tsipras und seine Syriza-Partei waren angetreten, das bisherige Regime der Gläubiger so zu reformieren, dass sie den katastrophalen wirtschaftlichen Niedergang und die wachsende Verarmung aufhalten und umkehren können.
Aber diese Ziele interessieren die Kreditgeber aus den anderen Euro-Staaten nicht. Was immer Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis vorschlugen, wiesen ihre „Partner“ aus der übrigen Euro-Zone zurück. Eine europäische Schuldenkonferenz, die über nachhaltige Lösungen für alle überschuldeten Krisenländer verhandelt? Abgelehnt. Eine Koppelung des griechischen Schuldendienstes an das Wirtschaftswachstum, wie sie auch der Ökonom Marcel Fratzscher vorschlägt, der als Chef des DIW die Bundesregierung berät? Abgelehnt. Ein Überbrückungskredit für vier Monate, der es der Athener Regierung ermöglicht, fällige Schulden zu bedienen und ihr eigenes Reformprogramm auf den Weg zu bringen, das nicht wie das alte auf die Entrechtung der Schwachen und die Begünstigung der Reichen setzt? Abgelehnt. Die Aufhebung rechtswidriger Massenentlassungen und ein Stopp des Ausverkaufs von Staatseigentum zum Schleuderpreis an Oligarchen und ausländische Konzerne? Abgelehnt. Selbst der Forderung, gewählte Minister nicht länger der Überwachung durch Technokraten der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF zu unterwerfen, mochten Finanzminister Schäuble und seine Kollegen nicht nachgeben.
Unbelastet von Oligarchenfilz und Klientelismus
Gleichzeitig machten sie jedoch keinerlei Vorschlag, wie denn stattdessen die Not der Griechen gemindert oder wenigstens die medizinische Katastrophe im Land aufgehalten werden soll. Vielmehr soll das bisherige Programm einfach fortgesetzt werden, ganz gleich, welches Unheil das anrichtet. Die „geschlossenen Verträge“ und „vereinbarten Regeln“ seien nun mal einzuhalten, erklärt Schäuble triumphierend.
So wird immer klarer, dass es beim Ringen zwischen der Athener Linksregierung und den anderen Euro-Staaten nicht wirklich ums Geld geht. Wäre Kanzlerin Merkel, Minister Schäuble und ihren Kollegen tatsächlich daran gelegen, möglichst viel der an Griechenland ausgereichten Kredite zurückzubekommen, dann würden sie die Chance nutzen, die eine vom Oligarchenfilz und Klientelismus unbelastete Regierung in Athen bietet. Dann würden sie Tsipras und seinen Ministern den finanziellen Spielraum verschaffen, den diese für den Aufbau eines funktionierenden Staatswesens und den Bruch mit dem alten Machtkartell benötigen. Aber die Verwalter der Euro-Krise fürchten den Erfolg einer linken Regierung offenkundig mehr als die milliardenschweren Verluste auf ihre Kredite, die das Scheitern der Regierung Tsipras ihnen zwangsläufig bescheren wird. Schließlich könnte das Beispiel Schule machen. Auch in Spanien, Portugal und sogar in Irland könnten linke Basisbewegungen bei den dort anstehenden Wahlen die Mehrheit gewinnen.
Schäuble und die Kanzlerin nehmen die Gefahr billigend in Kauf
Doch wenn die Reformverweigerer in Berlin und Brüssel tatsächlich die Rebellen in Athen ihrem alten, längst gescheiterten Programm unterwerfen, dann erzeugen sie ein Risiko, dass weit gefährlicher ist, als es Syriza und vergleichbare Parteien jemals sein könnten. Denn der Sieg über die Widerständler wird europaweit ein verheerendes Signal aussenden: Entweder die wirtschaftlich schwächeren Länder kriechen bei den Deutschen und ihren Agenten in Brüssel zu Kreuze. Oder aber diese treiben sie in den wirtschaftlichen Niedergang. Das aber ist die beste Wahlkampfhilfe, die sich Marine Le Pen, ihr Front National und mit ihnen alle Anti-Europäer jemals wünschen könnten. Gegen diese Drohung können sie ihren ebenso einfachen wie verhängnisvollen Ausweg anbieten: Raus aus dem Euro und raus aus der Europäischen Union, weil man sich nur so von den Deutschen unabhängig machen kann. Erringt Le Pen mit dieser Botschaft die Präsidentschaft in Frankreich, wäre das der Anfang vom Ende der Europäischen Integration.
Das ist die eigentliche Gefahr, aber Wolfgang Schäuble und seine Kanzlerin nehmen sie billigend in Kauf. „Die macht mir mein Europa kaputt“, warnte Altkanzler Helmut Kohl darum schon 2011. Hoffentlich hat er sich geirrt.