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Keine Lösung in Sicht: Die Vorschläge der britischen Premierministerin Theresa May für die Gestaltung des Brexit stoßen in Brüssel auf große Skepsis.
© Charles McQuillan/REUTERS

London vs. Brüssel: Kein fauler Handel mit den Briten

Die Europäische Union darf sich in den Brexit-Verhandlungen von London nicht ausnutzen lassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Für den Irrsinn, der Politiker regelmäßig in der nachrichtenarmen Zeit befällt, haben die Briten den Begriff „midsummer madness“ erfunden. Am kommenden Dienstag gehen die britischen Abgeordneten in eine sechswöchige Sommerpause. Für Premierministerin Theresa May hat das den Vorteil, dass sie in dieser Zeit kein Misstrauensvotum im Unterhaus zu befürchten hat. Aber dafür muss sie sich umso mehr Sorgen um den politischen Sommer-Irrsinn machen. Denn die Briten, die das B-Wort eigentlich nicht mehr hören können, werden in der medialen Öffentlichkeit vorrangig mit einem Thema konfrontiert werden: dem Brexit.

Die Schlacht zwischen Brexiteers und den Anhängern eines „weichen Brexit“ ist immer noch nicht geschlagen, auch wenn Hardliner wie Ex-Außenminister Boris Johnson und der frühere Brexit-Minister David Davis inzwischen das Kabinett verlassen haben. Die Umstände, unter denen europaskeptische Abgeordnete im Unterhaus in der vergangenen Woche Mays Verhandlungsspielraum auf der europäischen Ebene einengten, lassen eigentlich nur einen Schluss zu: Für eine irgendwie tragfähige Lösung gibt es in Großbritannien derzeit keine Mehrheit – weder für den von Johnson geforderten „harten“ Brexit noch für eine „weiche“ Lösung. Theresa May muss dem Treiben machtlos zusehen.

Weil das so ist, dürften die EU und Großbritannien in den kommenden Wochen auf unübersichtliche Verhandlungen zusteuern. Es wird dabei ungeordneter zugehen müssen, als es die ehernen Grundsätze der EU eigentlich zulassen. Die Untrennbarkeit der Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen auf dem Binnenmarkt – dieses Prinzip wird durch den Brexit voraussichtlich einige Schrammen bekommen.

Die EU muss den Brexit so gestalten, dass die Briten keine Nachahmer finden

Dennoch wäre es verkehrt, wenn sich die EU unterm Strich auf einen faulen Handel mit London einlassen würde. Das Ziel der EU kann nicht darin bestehen, die politische Stabilität in Großbritannien zu garantieren. Es sind die Briten, die 2016 ihre Austrittsentscheidung getroffen haben und jetzt damit leben müssen. Für die EU muss es hingegen in erster Linie darum gehen, den Brexit so zu gestalten, dass der Austritt Großbritanniens keine Nachahmer findet. Das hat nichts mit einer „Bestrafung“ Großbritanniens zu tun, sondern eher mit purem Selbstschutz der Europäischen Union. In einer Welt, in der es US-Präsident Donald Trump auf eine Spaltung der EU anlegt, sollte dies eigentlich keiner weiteren Erläuterung bedürfen.

May will sich ihr politisches Überleben durch eine Regelung sichern, nach der Großbritannien an seinen Außengrenzen zweierlei Zölle erheben darf – für Waren, die anschließend in die EU gehen sollen, und für solche Güter, die in Großbritannien bleiben sollen. Eine solche Regelung würde nicht nur zusätzliche Bürokratie mit sich bringen, sondern auch einem unlauteren Wettbewerb Tür und Tor öffnen. Denn wie wollen die Zollbehörden sicherstellen, dass Waren, die für den britischen Markt deklariert sind, tatsächlich auf der Insel bleiben?

Der Streit um die irische Grenze könnte sich als unlösbar erweisen

Der Doppelzoll, den May plant, ist für die Europäische Union genauso inakzeptabel wie alles, was die britische Regierungschefin bisher zur Lösung des größten Brexit-Problems vorgelegt hat: der Irland-Frage. Bei einem Besuch der angeschlagenen Premierministerin in Nordirland am vergangenen Freitag wurde erneut deutlich, dass sich der Streit um eine „harte Grenze“ zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland am Ende als unlösbar erweisen könnte. Nach der Vorstellung von May soll eine „harte Grenze“ in der einstigen nordirischen Bürgerkriegsregion durch ein kompliziertes Zollabkommen mit der EU vermieden werden. Darauf will sich Brüssel nicht einlassen und verlangt, dass Großbritannien einem Notfallplan zustimmt. Er besagt, dass die Zollgrenze in die Irische See zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs verlegt würde. May erklärte in Belfast, dass sie und das Unterhaus niemals einer solchen Regelung zustimmen würden.

Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat deutlich gemacht, dass noch 13 Wochen bleiben, um ein Austrittsabkommen zwischen London und der EU auszuarbeiten. In diesen Wochen dürfte sich zeigen, ob das Irland-Problem lösbar ist – oder die ganzen Verhandlungen darüber scheitern.

Von daher ist es keineswegs nur taktisch bedingte Schwarzmalerei, wenn die EU in der vergangenen Woche darauf hingewiesen hat, dass es am Ende auch gar keinen Deal geben könnte. Wenn nach dem Brexit-Tag am 29. März 2019 in Calais wieder Zollschranken hochgehen würden, gäbe es auf allen Seiten nur Verlierer. Deutsche Exporteure hätten das Nachsehen, weil Großbritannien nach Frankreich ihr wichtigster europäischer Absatzmarkt ist. Aber die britische Wirtschaft würde einen noch größeren Schaden davontragen, weil fast die Hälfte der Ausfuhren von Gütern und Dienstleistungen in die EU gehen. Deshalb sollten die Briten sich besinnen – und nicht im Geiste der „midsummer madness“ von der Klippe springen.

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