Israel: Am Schabbat ist geöffnet
Tel Aviv ist eine kosmopolitische Stadt. Das schmeckt man. Immer schickere Lokale überbieten sich mit neuen Kreationen.
Das Geheimnis der Shakshuka erforscht man am besten in Jaffa – bei Bino Gabso, den alle Welt „Dr. Shakshuka“ nennt. Er hat da schon mal was vorbereitet: Eine riesige verbeulte Pfanne, einen Berg Tomaten, grüne Paprika, Knoblauch in Massen, Paprika, Chili, Kreuzkümmel, Mett nach Merguez-Art.
Auf einem fauchenden Gaskocher rührt er alles mit ordentlich Öl zusammen, und dann kommt’s: Er schlägt zwei Dutzend Eier auf, lässt sie in die Masse gleiten. Vorsichtig rühren! Dann sind die Dotter fest, und das Eiweiß hat alles leicht gebunden. Von der Straße draußen biegen Touristen ein: Was riecht denn hier so gut?
Die Shakshuka stammt ebenso wie ihr prominentester Koch aus Libyen – und ist damit prädestiniert als eines von vielen israelischen Nationalgerichten. Denn das Land musste in seiner kurzen Geschichte zwangsläufig die Küchen arabischer Nachbarn und jüdischer Einwanderer zu einer speziellen Melange verbinden.
Gerade im kosmopolitischen Tel Aviv ist aber schon lange auch der Einfluss der weltweiten Gourmet-Küche zu spüren, die sich hier mit den vielfältigen Traditionsrichtungen zu einer besonders reizvollen Mischung verbindet. Seit dem vergangenen Sommer hat die Stadt dafür ein neues Schaufenster, den Sarona-Markt.
Mitten zwischen den letzten Häusern des alten deutschen Viertels, umgeben von Kränen und halbfertigen Bürohäusern, die in der gesamten Innenstadt in die Höhe schießen.
Auf das Siegel „koscher“ gibt man hier nicht viel
Dieser Markt ist das moderne Gegenstück zum traditionellen, basar-ähnlichen Carmel-Markt in der Nähe. Beide zusammen bieten die Fülle der mediterranen Esskultur, auch wenn beispielsweise das makellos präparierte Rindfleisch im Zweifel aus Südamerika kommt, denn in Israel werden vor allem Milchkühe gehalten. Gewürze und Kräuter, Nüsse und Bohnen, Linsen und Kichererbsen, und dazu die verschiedenen Verarbeitungsstufen – die Sesamsamen für Halva, die panarabische Süßigkeit, die es hier in unzähligen Varianten gibt, werden an Ort und Stelle vermahlen.
Wenn man eine kulinarisch lebendige Stadt daran erkennt, dass ihre Restaurants groß und ständig ausgebucht sind, dann ist Tel Aviv geradezu über-lebendig. Alle Lokale sind schon mittags voll und abends oft mehrfach ausgebucht, anders als im traditionsgeprägten Jerusalem meist auch am Schabbat geöffnet, und auf das Siegel „koscher“ gibt man nicht viel.
Dennoch halten fast alle Küchenchefs an einem einheitlichen Stil fest: Vier oder fünf Vorspeisen werden der Tischgesellschaft zum Teilen hingestellt, dann bekommt jeder einen eigenen Hauptgang.
Das "Yaffo-Tel Aviv" ist ständig ausgebucht
Vor allem aber haben sich die Wirte mit dem Bauboom arrangiert: Die meisten neuen Trendrestaurants liegen im Erdgeschoss der Bürotürme, was ihre moderne, weltläufige Anmutung stützt. Viele tragen die Handschrift des berühmten Architektenduos Alon Baranowitz und Irene Kronenberg, so zum Beispiel das ewig ausgebuchte „Yaffo-Tel Aviv“ , in dem der populäre Küchenstar Haim Cohen arbeitet, bekannt als Juror der immens erfolgreichen Show „Master Chef“.
Seine ebenso moderne wie warmherzige Traditionsküche korrespondiert ganz selbstverständlich auch mit den neuen israelischen Weinen von Recanati oder Midbar: Fluffige Burghul-Klößchen mit Tomaten und Paprika, Fischtatar mit Kartoffelkonfit und Ei, Gnocchi mit Spinat und Hameiri-Käse, Ochsenschwanz mit Süßkartoffel-Tortellini und Linsen.
Strenger, stilvoller, aber auch ein wenig zu andächtig geht es dagegen im aufwendigen Design des „Messa“ zu: Eine Hälfte des Restaurants ist in Schwarz gehalten, die andere in Weiß – was allerdings im Schummerlicht der modisch gigantischen Deckenlampen kaum auffällt; den langen Raum durchzieht eine einheitliche Tafel. Küchenchef Aviv Moshe arbeitet, als müsste er sich auf die fiktive Ankunft des Michelin vorbereiten, serviert Gänseleber–Carpaccio, Lammchops mit Zitronenfondue, Käse und Chili oder Barsch mit Schalottenravioli und Steinpilzschaum.
Die Golan-Höhen sind bei Meir Adoni ein Kreation aus Sauerampfersorbet und Buttermilchschaum
Fast schon ein Klassiker der schnelllebigen Szene in der Stadt ist „Herbert Samuel“ in der Bel Etage eines Bürohauses mit phänomenalem Blick über den Strand. Auf zwei Stockwerken – mit der Küche oben – serviert Chef Adir Cohen, der auch mal im Londoner „Nobu“ gearbeitet hat, eine leichte weltläufige Küche, die ihre Qualitäten vor allem bei den fleischlosen Gerichten zeigt: Der Avocado-Salat „Santa Monica“ mit einer Sauce aus Jalapeno-Paprika, Limette und Koriander ist ein belebender Auftakt, und der vielgelobte Tomatensalat „Herbert Samuel“ lotet das aromatische Spektrum verschiedener Tomaten in verschiedenen Zubereitungen köstlich aus.
Cohen war im November auch Gastgeber der Berliner Küchenchefin Sonja Frühsammer, die im Rahmen der Aktion „Round Tables“ nach Israel gekommen war; diese Veranstaltungsreihe soll im kommenden Jahr fortgesetzt werden.
Die Suche nach dem kreativsten, modernsten Küchenchef Tel Avivs endet meist bei Meir Adoni, der neben drei anderen Restaurants das legere, enge „Catit“ in der lebhaften Altstadt betreibt und dort jedenfalls schon rein optisch an die europäischen Top-Köche und ihre filigranen Arrangements anknüpft. Adoni hat in Chicago, San Sebastian und Kopenhagen gearbeitet und fügt all diese Inspirationen zu komplexen Kompositionen zusammen wie den „Golan Heights“, auf denen Trauben, Mandeln und Lakritze mit Sauerampfersorbet und Buttermilchschaum zusammentreffen.
Hier wird auch der Lebenshunger gestillt
Das optisch spektakulärste Restaurant der Stadt ist vermutlich das „Pastel“ im neuen Flügel des Tel Aviver Kunstmuseums. Der Entwurf der Inneneinrichtung stammt wiederum von Baranowitz und Kronenberg, die damit gegen 4000 Mitbewerber 2014 den „International Space Design Award“ gewonnen haben. Das Interieur soll mit weit geschwungenen weißen Decken und Wänden und dem eher klassischen Brasserie-Interieur alte und neue Welt vereinen. Die anfänglich eher mäßige Küche hat unter einem neuen Chef an Fahrt gewonnen, bleibt aber dem gelassenen Brasserie-Konzept treu.
Wer allerdings bei seinem Städtetrip im Schonraum der klimatisierten neuen Restaurants verharrt, der verpasst nicht nur die Shakshuka, sondern auch die ursprüngliche Fleischküche der Region, wie sie im „M 25“ mitten auf dem Carmel-Markt geboten wird. Ein einfacher Fleischerladen mit ein paar Tischen, immer überlaufen und laut – aber auch mit den besten Kebabs, die man für Geld kaufen kann, Rind, Zicklein, Lamm, Innereien, dazu die Klassiker von Hummus bis zu Salaten.
Stillt den Hunger – und den typischen Lebenshunger dieser quirligen Stadt gleich dazu.
Uri Buri gilt als bester Fischkoch des Landes
In Israel kennt jeder Uri Buri und sein Restaurant in Akko. Der 69jährige mit dem Rauschebart, der eigentlich Uri Jeremias heißt, gilt als bester Fischkoch des Landes, er hat Kochbücher geschrieben und ist im Fernsehen aufgetreten – vorher hat er die Welt im VW-Bus durchquert, Bomben entschärft, in einer Hamburger Hippie-Kommune gewohnt und für die UN gearbeitet.
Sein bescheidenes Restaurant, das er seit 27 Jahren betreibt, erst in seiner Heimatstadt Nahariya, dann im Kreuzfahrerhafen Akko, überrascht durch eine moderne Fischküche mit Spezialitäten wie das Lachs-Sashimi mit Wasabi-Eis oder Jakobsmuscheln mit Algen.
„Ich folge keinem Trend, lese keine Kochbücher und spiele gern wie ein Kind«, sagt er. Aber sein Grundrezept ist die herzliche Gastfreundschaft, die seine Stammgäste weit reisen lässt. Akko liegt etwa zwei Autostunden nördlich von Tel Aviv.
Mindestens ebenso bemerkenswert wie das Restaurant ist sein nur ein paar Schritte entferntes Efendi-Hotel – Fünf Sterne-Komfort in einem akkurat bis ins letzte Detail restaurierten osmanischen Palast mit Dachterrasse über dem Hafen. Hier veranstaltet Jeremias historische Seminare und bildet Jugendliche zu Kellnern und Hotelpersonal aus, grundsätzlich zur Hälfte Juden und Araber.
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