Queer weiß das (17): Wozu braucht man immer noch den CSD?
Im CSD-Special unserer Kolumne "Heteros fragen, Homos antworten" erklärt Gastautorin Maren Kroymann, warum die große Parade weiter wichtig ist.
Den Schwulen und Lesben hierzulande geht es doch gut. Wieso müssen sie immer noch die Christopher-Street-Day-Parade abhalten? - Andreas, Steglitz
Durch das Massaker von Orlando ist mit Wucht ins Bewusstsein zurückgekommen, wie wenig selbstverständlich es nach wie vor ist, dass wir Orte haben, an denen wir so sein können, wie wir sind. Der Christopher Street Day hat dabei eine ähnliche Funktion wie ein queerer Club: Dort müssen wir uns nicht verstecken. Und alle Teilnehmenden konfrontieren die Welt mit der Forderung nach Akzeptanz. Indem Lesben, Schwule und Transmenschen so bunt und extrovertiert auf die Straße gehen, demonstrieren sie selbstbewusst ihr Anderssein. Es heißt ja nicht umsonst „Gay Pride“.
Wir wollen nicht verhuscht und verdruckst leben. Bei der CSD-Parade macht die heterosexuelle Mehrheit mal die Erfahrung, in der Minderheit zu sein. Sie will ja dringend ihre Deutungshoheit behalten, sieht sich selbst als den Maßstab, als den wahren Leistungsträger der Gesellschaft. Der Gay Pride ist der Tag, an dem ihr diese Deutungshoheit streitig gemacht wird.
Die Gleichstellung der Minderheit wird noch immer abgelehnt
Am CSD teilzunehmen heißt außerdem, dass wir diejenigen mit unter unsere Fittiche nehmen, die sich vielleicht in diesem Jahr noch nicht alleine auf die Straße trauen, noch nicht geoutet sind oder am Rand stehen.
Mir begegnet gerade auch in bildungsbürgerlichen Kreisen oft die Argumentation, dass man ja gar nichts gegen Schwule oder Lesben habe, schließlich hätten sie auch den einen oder die andere im Familien- und Freundeskreis. Mit dieser individuellen Bekundung glauben die Leute zu beweisen, dass sie nicht homophob sind. Gleichzeitig lehnen sie jedoch die Gleichstellung der gesamten Minderheit ab. Die vielen Hasskommentare, wenn die völlige Gleichstellung der Homo-Ehe gefordert wird oder das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, sprechen eine deutliche Sprache. So weit reicht die Sympathie dann auch nicht.
Von wegen Privatsache!
Viele Konservative und sogar einige Homosexuelle selbst behaupten, die sexuelle Orientierung sei Privatsache. Das heißt übersetzt: Tu meinetwegen, was du nicht lassen kannst, aber behellige mich nicht mit deiner Andersartigkeit. Diese Aufforderung, sich nicht zu outen, entspringt einer ziemlich reaktionären Haltung. Denn in dem Moment, wo jemand wegen seiner oder ihrer Orientierung zusammengeschlagen oder anderweitig diskriminiert wird, ist sie keine Privatsache mehr, sondern eine politische Angelegenheit.
Ich nehme es so wahr, dass die Homosexuellen bestenfalls geduldet werden, was sich auch in dem Begriff Toleranz spiegelt. Das hat für mich etwas von Über-den-Kopf-Streicheln. Mir passiert es zum Beispiel immer wieder, dass mir gesagt wird: Sie sehen ja gar nicht lesbisch aus. Das ist dann unverhohlen als Kompliment gemeint. Aber was ist denn das für eine Toleranz, die nur gelten lässt, was so ähnlich aussieht wie man selber? Deshalb ist meine Forderung Akzeptanz. Wir müssen unsere Sexualität öffentlich machen können, sonst haben wir keine Akzeptanz erreicht. Und darum geht es beim CSD – immer noch.
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Dieser Text erschien zunächst in der gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.
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Maren Kroymann