Schutz queerer Menschen: "Wir stoßen in Brandenburg auf viel Desinteresse"
Der LSVD Berlin-Brandenburg kritisiert die Brandenburger Landesregierung. Sie tue nichts für LGBT-Flüchtlinge und interessiere sich nicht für die Belange queerer Menschen, sagt Geschäftsführer Jörg Steinert.
Herr Steinert, der LSVD Berlin-Brandenburg arbeitet in Berlin seit vielen Jahren mit der Verwaltung zusammen. Von der Brandenburger Landesregierung und den Ministerien können Sie das nicht behaupten. Was ist da los?
Grundsätzlich wird unserem Thema in Brandenburg keine große Beachtung geschenkt. Es gibt verschiedene Dinge, mit denen wir aktuell sehr unzufrieden sind. Lassen Sie mich mit der Anti-Mobbing-Broschüre beginnen, die wir im vergangenen Herbst in nur wenigen Wochen für die Brandenburger Schulen erarbeitet haben. Darin informieren wir altersgerecht über Vielfalt, über Geschlechterrollen, über Beziehung, Sexualität und Schimpfwörter. "Schwule Sau" ist auf Schulhöfen ja leider immer noch eine der am häufigsten benutzen Beleidigungen. Jetzt liegen die Handreichungen in unserem Berliner Büro und bei den Brandenburger Trägern AndersARTiG, die Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule & Trans* Belange, und der RAA Brandenburg, die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie. Die Verwaltung verteilt die Broschüre nicht an die Schulen.
War das Problem nicht schon während der Produktion bekannt?
Wir haben immer gesagt, dass wir als Verband in einem Flächenland wie Brandenburg das nicht bewerkstelligen können. Das muss auf Verwaltungsebene gelöst werden. Es gibt etablierte Verteilwege innerhalb der Verwaltung, die man dafür nutzen könnte. Diese hat man uns aber verweigert. Stattdessen wurden wir an AndersARTiG und die RAA verwiesen, denen dafür aber auch die Ressourcen fehlen. Wir haben tausende Broschüren gedruckt, das Sozial- und das Bildungsministerium hatten sogar selbst noch eine Pressemitteilung dazu veröffentlicht. Die Brandenburger Landesregierung tut jetzt aber nichts, um sie zu verbreiten. Und da fragen wir uns als LSVD schon, was soll das eigentlich alles? Haben wir das für den Papierkorb produziert, ist die Zivilgesellschaft wieder auf sich allein gestellt?
Was genau leistet Ihre Broschüre "Mobbing an der Schule wegen der sexuellen Identität"?
Wir haben sieben Broschüren für die unterschiedlichen Klassenstufen und unterschiedlichen Zielgruppen in der Schule mit Begriffserklärungen, Kontaktadressen und Bildern erstellt. Lehrkräfte können diese unmittelbar als Lerneinheit benutzen. In Berlin haben wir damit schon sehr gute Erfahrung gemacht. Auch Nordrhein-Westfalen hat diese Broschüren von uns übernommen. Jetzt sollte auch das Land Brandenburg konsequent mitziehen. Wir sehen ja, dass es auch einen konkreten Bedarf dafür gibt. Bei der RAA gab es bereits mehr als ein Dutzend Anfragen von Schulen. Das freut uns natürlich sehr, dass die Schulen dieses Problemfeld erkennen und die Schüler und Lehrer für sexuelle Vielfalt und Geschlechterrollen sensibilisiere wollen. Uns fehlen aber die Verteilungs-Resourcen, deshalb fordern wir das Brandenburger Bildungsministerium auf, endlich aktiv zu werden.
Als LSVD Berlin-Brandenburg kritisieren Sie die Brandenburger Landesregierung auch zum angekündigten Aktionsplan für die Gleichstellung von LGBTs, also Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender. Warum?
Grundsätzlich finden wir es gut, dass es jetzt auch im Land Brandenburg einen Aktionsplan für die Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, für Selbstbestimmung und gegen Homo- und Transphobie geben soll. Viele andere Bundesländer wie Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind da aber viel weiter. Es wird Zeit, dass die Brandenburger Landesregierung endlich mehr tut. Sie kann ja nicht einmal sagen, wie viele Delikte es gegen die sexuelle oder geschlechtliche Identität von Menschen im Land gibt.
Wie ist der aktuelle Stand zu dem Aktionsplan?
Nachdem die Grünen als Oppositionsfraktion eine parlamentarische Initiative in den Landtag eingebracht haben, hat sich auch die Regierungsfraktion aus SPD und Linke des Themas angenommen und einen eigenen Aktionsplan eingebracht. Es wird darin erwähnt, dass die Brandenburger Landesregierung sich auch weiterhin für die "Ehe für Alle" einsetzen wird. Das ist schön. Aber uns geht es in diesem Fall weniger um die Bundesrats-Aktivitäten, sondern dass die Landesregierung einen eigenen Zuständigkeitsbereich für LGBT-Themen etabliert. Nach unserem derzeitigen Verständnisses dieses Aktionsplanes wird darin sehr stark der Ist-Zustand beschrieben. Nach dem Motto: Wir bündeln die bisherigen Maßnahmen. Allerdings gibt es in Brandenburg kaum Projekte, die man überhaupt konkret benennen könnte. Dieser Aktionsplan ist bisher nur eine ideelle, abstrakte Ankündigung.
Was müsste Ihrer Meinung nach in dem Aktionsplan stehen?
Wir fordern, dass in dem Brandenburger Aktionsplan konkrete Maßnahmen benannt werden: eine Fachberatung für Regenbogenfamilien, ein Projekt, das den Brandenburger Fußballverband und andere Fachverbände für LSBT-Themen sensibilisiert, und ganz aktuell, dass Brandenburg eine separate Unterkunft für besonders schutzbedürftige LGBT-Flüchtlinge schafft. Nur zum Vergleich: In Berlin sind die Papiere, die zu diesem Aktionsplan herumgeschickt werden, sehr präzise und detailreich, es sind mehr als 50 Seiten, mit rund 60 Punkten. Da werden konkret Multiplikatoren und Zielgruppen benannt, die geschult und beraten werden sollen. Es werden Themen wie Antigewaltarbeit und homophobe und diskriminierende Strukturen in den Verwaltungen präzise angesprochen. Für solche konkreten Maßnahmen müssen im Brandenburger Doppelhaushalt 2017/2018 finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Ohne abgesicherte Finanzierung wäre dieser ganze Aktionsplan reine Ankündigungspolitik. Entsprechend werden wir die Haushaltsverhandlungen als zivilgesellschaftlicher Partner kritisch begleiten.
"Warum ist das in Brandenburg nicht möglich?"
Um LGBT-Flüchtlinge in Berlin zu betreuen, finanziert Berlin Ihr Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES). Wie unterstützt Brandenburg betroffene Flüchtlinge?
Brandenburg tut für homosexuelle und transgeschlechtliche Flüchtlinge nichts! Es gibt keine mehrsprachigen Fachberatungsstellen für die Zielgruppe und es gibt keine sichere Unterkunft für LGBT-Flüchtlinge. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter aus Brandenburg berichten uns von Gewalt und Übergriffen an schutzbedürftigen LGBTs. Diese Menschen haben eine Residenzpflicht und können auch nicht einfach in ein anderes Bundesland gehen, wo es bessere Bedingungen für sie gibt, wie z.B. in Berlin, wo die Schwulenberatung als Träger eine Unterkunft für betroffene Flüchtlinge betreibt. Auch in Brandenburg ist der Opferschutz Aufgabe der Landesregierung. Es reicht ja schon, wenn separate Zwei- bis Dreibettzimmer für homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen zur Verfügung gestellt werden. In Nürnberg wurde eine kleine WG geschaffen. Warum ist das in Brandenburg nicht möglich?
Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe, warum sich die Brandenburger Landesregierung im Vergleich zum Berliner Senat bisher so wenig für die Belange geflüchteter LGBTs einsetzt?
Wir stoßen bei der Landesregierung, insbesondere bei den SPD-geführten Ministerien, auf viel Desinteresse. Am 30. Juni sind wir allerdings zu einer Ausschussanhörung im Brandenburger Landtag eingeladen. Wir werden sehen, welche Positionen die einzelnen Parteien vertreten werden. Wir versuchen jetzt, das Parlament parteiübergreifend für das Flüchtlingsthema zu sensibilisieren. Bei den Oppositionsfraktionen von Grünen und CDU stoßen wir bereits jetzt im Hintergrund auf ein offenes Ohr. Nun gilt es, einen Konsens der demokratischen Kräfte im Parlament herzustellen.
Wie geht Brandenburg grundsätzlich mit dem Thema LGBT um?
Wenn wir uns in den letzten Jahren die Abstimmung zur Gleichstellung im Bundesrat anschauen, hat die Landesregierung vorbildlich abgestimmt. Auch was die Gleichstellung im Landesrecht angeht, hat Brandenburg rückwirkend zum 1. August 2001 alle Eingetragenen Lebenspartnerschaften gleichgestellt. Seit den 90er Jahren ist in der Brandenburger Landesverfassung der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität verankert. Das gibt es in vielen westdeutschen Landesverfassungen nicht und das steht auch nicht im Grundgesetz. Wenn wir uns allerdings die konkreten Maßnahmen anschauen - Ressourcen für Beratungsstellen oder Aufklärungsarbeit -, dann haben wir den Eindruck, das wird in den Ministerien wie "Gedöns" behandelt.
Sehen Sie gar keine positiven Entwicklungen?
Doch, nach all unseren Gesprächen in den vergangenen Jahren ist Sozialministerin Diana Golze (Linke) den LGBT-Themen gegenüber noch am aufgeschlossensten. Allerdings muss sich ihre Haltung auch im konkreten Verwaltungshandeln wiederspiegeln. Da muss die Politik eben auch die Stärke haben, um Verwaltungsstrukturen aufzubrechen.
Wo hat Brandenburg noch die meisten Defizite?
Welche Anfrage wir auch stellen - ob Regenbogenfamilie, LGBT-Flüchtlinge oder Gewaltopfer - immer werden wir auf AndersARTiG verwiesen. Das kann die Landeskoordinierungsstelle alleine aber gar nicht bewerkstelligen. Niemand ist die eierlegende Wollmilchsau. Es gibt in Brandenburg auch kein explizites Anti-Gewalt-Telefon wie in Berlin, das von MANEO organisiert wird. In der Kriminalitätsstatistik der Brandenburger Polizei werden Gewalttaten gegen die sexuelle Identität und geschlechtliche Identität nicht gezielt erfasst. Das wird – wenn überhaupt – allgemein unter Hassverbrechen subsumiert. Wir wissen nicht, welche Anfeindungen oder Gewaltdelikte LGBTs in Brandenburg ausgesetzt sind, weil es dazu von Regierungsseite bisher kein Erkenntnisinteresse gab. Nach dem Prinzip, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
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