Überbrückungshilfen für die Zivilgesellschaft: Wir brauchen einen Regenbogen-Rettungsschirm
Viele queere Initiativen sind wie die Zivilgesellschaft insgesamt von der Coronakrise betroffen. Auch dafür braucht es einen Rettungsschirm. Ein Gastbeitrag.
Sven Lehmann und Ulle Schauws sind Abgeordnete im Deutschen Bundestag und Sprecher*innen für Queerpolitik der Bundestagsfraktion der Grünen.
Die Corona-Pandemie bedeutet einen Einschnitt für alle Lebensbereiche. Auch queeres Leben ist davon hart betroffen.
Beratungsstellen haben auf Online-Beratung und Videochat umgestellt, Veranstaltungen wie der Kölner Come-Together-Cup sind verschoben, viele CSD-Vereine und Dyke Marches überlegen gerade, wie wir in diesem Jahr für unsere Rechte auf die „Straße“ gehen und trotz der coronabedingten Einschränkungen Sichtbarkeit zeigen können.
Kneipen, Bars, queere Kulturorte haben seit Wochen geschlossen, die queeren Medien verlieren Anzeigenkund*innen und bangen um ihr Überleben.
Wie verändert die Krise die queere Infrastruktur?
Trotz Erfindungsreichtum und ungebrochenem Engagement vieler Aktivist*innen und auch positiven Entwicklungen, wie mehr Vernetzung und digitalem Austausch untereinander, fragen sich gerade Viele: Wird sich die Community verändern? Welche mittel- und langfristigen Auswirkungen hat die Durststrecke auf unsere queere Infrastruktur?
Auch die Sorge darüber, wie sich die aktuelle Krise auf die Fördermittel auswirkt, die sowieso oft unter Haushaltsdruck stehen, ist groß.
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Und wird das Gefühl der Zugehörigkeit zur Community, das wir auch über viele gemeinsame Veranstaltungen und persönlichen Kontakt schaffen, unter der langen Zeit des Abstands voneinander leiden? Wie sieht es aus mit unseren politischen Anliegen in diesen Zeiten, in denen andere Themen die Medien und den politischen Diskurs bestimmen?
Verbände und Vereine brauchen einen Regenbogen-Rettungsschirm
Wir haben uns in den letzten Wochen intensiv mit Verantwortlichen aus Verbänden und Vereinen ausgetauscht, um einen Überblick zu gewinnen. Für uns steht fest: Wir brauchen einen Regenbogen-Rettungsschirm!
Viele Beratungsstellen und Jugendzentren konnten ihre Arbeit schnell auf digitale Formate, Online- und Telefonberatung, Webinare und digitale Formate umstellen. In der Regel werden ihnen keine Mittel gekürzt, solange sie ihrem Auftrag in neuer Form nachkommen.
Aber in ländlichen Strukturen, in denen nicht überall schnelles Internet verfügbar ist, oder für Einrichtungen, die keine gute digitale Infrastruktur haben, ist es schwierig. Auch die Zielgruppenarbeit ist sehr divers. Ältere Menschen sind im Vergleich weniger Internet- oder Social Media affin und haben digitale Endgeräte nicht immer zur Verfügung.
Gleiches gilt für Menschen in Armut. Über Besuchsdienste und Spendenaufrufe für Tablets versuchen die Beratungsstellen hier Abhilfe zu schaffen. Besondere Zugangsbarrieren beklagen auch die Projekte der Arbeit mit queeren Geflüchteten, da in Unterkünften häufig ein Internetzugang fehlt, keine Sprachvermittlung möglich ist und die Gefahren des ungewollten Outings sehr hoch sind.
Ohne Jugendcafé und Barbetrieb keine Einnahmen
Eine weitere große Herausforderung der Träger sind die wegbrechenden Eigenmittel, die viele erwirtschaften müssen, um ihre Förderung zu erhalten. Wenn aber das Jugendcafé geschlossen ist oder der abendliche Barbetrieb wegfällt, dann fallen fest eingeplante, nötige Einnahmen weg. Hier müssen Kommunen und Länder sicherstellen, dass keines dieser Angebote coronabedingt schließen muss.
Noch schwieriger sieht es für die Vereine aus, die hauptsächlich ehrenamtlich organisiert sind und einen Großteil der finanziellen Mittel für ihre Arbeit über Spenden und Einnahmen aus Veranstaltungen und Sponsoring generieren.
Mittel für einen Hilfsfonds würden bereitstehen
Wir Grüne haben deshalb einen Antrag für einen „Rettungsschirm Zivilgesellschaft“ in den Bundestag eingebracht. Damit sollen sofort, unbürokratisch und schnell Überbrückungshilfen beantragt werden könnten, um Zahlungsunfähigkeit und Vereinsauflösungen abzuwenden.
Derzeit stehen im Bundeshaushalt Mittel zur Stärkung der Zivilgesellschaft für die Deutsche Stiftung für Engagement & Ehrenamt in Höhe von 23 Millionen Euro bereit, deren Aufbau sich nun verzögern dürfte. Diese Mittel könnte man schnell verwenden. Aktuell wäre der (organisierten) Zivilgesellschaft damit sehr geholfen.
Die vielen Clubs, Bars und andere Orte queeren Nachtlebens, die für Viele ein Zuhause und Orte der unbeschwerten Lebensfreude sind, sind derzeit geschlossen, bei laufenden Betriebskosten und ohne Einnahmen.
Neben den Fördergeldern aus Bund und Ländern hat vor allem die Community durch Spenden gezeigt, wie sehr uns diese Orte am Herzen liegen. Die Kraft der Community wird auch darin deutlich, wie solidarisch sie zum Beispiel die Akademie Waldschlösschen unterstützt hat.
Wir appellieren auch an die Firmen, die gerne bei den CSDs dabei sind und unsere queere Community unterstützen, jetzt die eingesparten Kosten zu spenden. Das wäre eine starke Geste der Solidarität für die LSBTTI*-Vereine und Verbände.
DJs, Drags, Kunstschaffende: Wir sehen und vermissen Euch
Nicht zuletzt sollten wir all den Kulturschaffen aus unserer Community unter die Arme greifen, die uns mit ihren künstlerischen Beiträgen jedweder Art erfreuen, uns bunt und sichtbar machen, uns in schwierigen Zeiten ein Lächeln aufs Gesicht zaubern und jetzt online versuchen, uns ein kleines Stück Ablenkung und Freude ins heimische Wohnzimmer zu bringen.
[Für alle, die Berlin schöner und solidarischer machen, gibt es den Tagesspiegel-Newsletter „Ehrensache“. Er erscheint immer am zweiten Mittwoch im Monat. Hier kostenlos anmelden: ehrensache.tagesspiegel.de.]
Die DJs, Drags, Sänger*innen, Musiker*innen, die Kunst schaffenden - Euch allen sei gesagt: Wir sehen und wir vermissen Euch.
Seid nicht zu stolz euch jetzt die Unterstützung zu holen, die euch zusteht. Vor allem für Euch hat der Bundestag den Zugang zur Grundsicherung deutlich erleichtert und Hürden wie Sanktionen oder Vermögensprüfungen ausgesetzt.
Ein Aufruf zum IDAHOBIT
Wir fordern ebenfalls, dass die Fördergelder für Soloselbständige auch für den eigenen Lebensunterhalt verwendet werden dürfen und die Bedingungen für die Beantragung von Hilfen zum Lebensunterhalt noch einfacher und besser werden.
Am 17. Mai ist IDAHOBIT, der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit. Lasst uns diesen Tag selbstbewusst und kraftvoll begehen, auch mit den Gedanken bei und in Solidarität mit denen, die gerade in unseren nahen und fernen Nachbarländern unter einem Rollback und sogenannten „LGBT-freien Zonen“ leiden wie zum Beispiel in Polen oder Ungarn oder unter massiver Verfolgung, wie in Uganda oder Nordafrika. Lasst uns diese Krise nutzen, um uns noch enger zu verbünden.
Wir machen auch in Zukunft deutlich, dass Menschenrechte, Gleichstellung und Antidiskriminierung nicht als gesellschaftlicher Luxus abgetan werden dürfen. Wir werden gemeinsam weiter streiten für unsere queeren Lebensweisen und unsere Rechte!
Sven Lehmann, Ulle Schauws