Lesben und Schwule: Homophobie: Die Angst des Alphatierchens um die alte Geschlechterordnung
Eine Antwort auf die Frage, woher Homophobie wirklich kommt. Und wie sie versucht, weiter gesellschaftsfähig zu bleiben.
Ende März verhängte die Uefa eine Strafe über 10 000 Euro gegen den FC Bayern München. Grund war ein schwulenfeindliches Banner, das während des Achtelfinalspiels gegen den FC Arsenal in der Bayern-Kurve aufgetaucht war. Der Verein zahlte und distanzierte sich „aufs Schärfste von diesem diskriminierenden Banner“. Homophobie, so scheint es, gerät gesellschaftlich immer weiter ins Abseits. – Aber stimmt das? Während inzwischen sogar der Fußball Homophobie die rote Karte zeigt, gibt es zugleich regelmäßig feindselige Äußerungen von konservativen Politikern und Journalisten.
Erst vor kurzem übte der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, CDU, scharfe Kritik am Bundesverfassungsgericht wegen dessen Rechtsprechung in Sachen Gleichstellung lesbischer und schwuler eingetragener Partnerschaften. Nicht jede Form von Zweisamkeit, so Blüm in der „F.A.S.“, sei schon wertvoll, allein weil sie zustande komme. Blüm befand sich damit im Einklang mit dem Bauchgefühl der Kanzlerin, die im Wahlkampf erklärt hatte, die Gleichstellung lesbischer und schwuler eingetragener Partnerschaften im Adoptionsrecht nicht zu unterstützen. Sie sei, bekundete Angela Merkel, „unsicher, was das Kindeswohl anbelangt“.
Homophob - "und das ist auch gut so"
In Baden-Württemberg erklärte jüngst der Landesparteitag der CDU, „Aufklärung über sexuelle Vielfalt“ widerspreche „dem grundgesetzlich garantierten ,Schutz von Ehe und Familie’“. Passend dazu schrieb der Journalist Matthias Matussek in der „Welt“, er habe „Reserven“, wenn er „im Fernsehen zwei schwule Männer serviert bekomme, die perfekte Eltern sind und völlig normal einen kleinen Jungen adoptiert haben oder eine andere Kleine mit ihrer Liebe beschenken, die sie sich über Leihmütter in der Ukraine oder Indien organisiert haben“. Wahrscheinlich sei er damit homophob, aber das, so Matussek, sei „auch gut so“. Und zuletzt sorgte die Büchner-Preisträgerin Sybille Lewitscharoff in ihrer Dresdner Rede für die weitere Verbreitung homophober Schmähungen, indem sie erklärte, die Schöpfung sei heterosexuell gemeint gewesen sei.
In all diesen Äußerungen – und es ließen sich viele mehr anführen – steht vermeintlich das „Kindeswohl“ im Vordergrund. Doch geht es hier tatsächlich um das Wohl jener Kinder, die, wie international alle Studien zeigen, in lesbischen und schwulen Familien genau so glücklich aufwachsen wie in heterosexuellen? Wohl kaum. Die Sorge um das Kindeswohl ist hier nur vorgeschoben. Sie soll den eigentlichen Zielen der Neokonservativen größere Wirkung verleihen. Ihnen geht es darum, die vermeintlich „natürliche Ordnung“ der Welt zu verteidigen. Diese findet ihren Ausdruck demnach zuallererst in der heterosexuellen Familie und den traditionellen Geschlechterrollen. Statt „Natur“ wird in der Debatte auch gerne der Begriff „Schöpfung“ verwendet. Wohl weniger aus echter religiöser Überzeugung, sondern weil die zusätzliche metaphysische Aufladung das Thema Homosexualität kritischen weltlichen Fragen nach Recht und Macht wirksam entzieht.
Verständnis für die tiefsitzende Angst, Lesben und Schwule könnten die bestehenden Verhältnisse (zer-)stören, äußert sich denn auch etwa im US-amerikanischen oder australischen Strafrecht. Einem des Mordes Angeklagten können mildernde Umstände gewährt werden, wenn er einen Affekt namens „homosexual panic“ geltend machen kann.
Die Homosexuellen bedrohen die Heterosexuellen und ihre Lebensformen – mit diesem Argument kämpfen die (Neo-)Konservativen so lange es homosexuelle Emanzipationsbewegungen gibt. Die US-amerikanische Linguistikprofessorin Daphne Patai meinte Ende der 1990er Jahre sogar, eine ausgeprägte „Heterophobie“ in ihrer Gesellschaft feststellen zu können, also eine phobische Abwehr von Heterosexualität. Als Ursache identifizierte sie nicht zuletzt die feministische Kritik an der Behauptung, das Machtgefälle zwischen Mann und Frau sei biologisch vorgegeben und darum unabänderlich. Heterosexualität werde damit zunehmend in Verruf gebracht, kritisierte Patai.
Homosexuelle und Feministinnen eint: sie irritieren tradierte Geschlechtervorstellungen
Mit ihrer kruden Argumentation enthüllt Patai immerhin die eigentlichen Wurzeln von Homophobie: Wie die Feministinnen werden die Homosexuellen von ihr als eine Gruppe aufgefasst, die die tradierten Verhältnisse zwischen den Geschlechtern sowie die Vorstellungen darüber, wie „richtige“ Männer und Frauen zu sein haben, irritiert. Tatsächlich hinterfragen Lesben und Schwule auch ohne jede feministische Absicht schon durch ihre bloße Existenz die vermeintlich natürlichen Vorstellungen, wie Männer und Frauen zu sein haben. Homophobie ist darum weniger, wie das Wort nahelegt, eine Dimension des psychischen Lebens als eine gesellschaftliche Verteidigungsstrategie.
Irritiert sind die Heterosexuellen also deshalb von den Homosexuellen, weil „Mann“ und „Frau“ recht instabile Konzepte sind. Denn der biologische Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Körpern dient zwar als natürliche Rechtfertigung des gesellschaftlichen Unterschieds zwischen den Geschlechtern, er macht aber allein noch keine „echte“ Frau oder einen „echten“ Mann. Dazu braucht es das passende Rollenverhalten. Das gut gelernte und ständig neu inszenierte Spiel der binären Geschlechterrollen erscheint allerdings dermaßen natürlich, als ergebe es sich zwingend aus den primären Geschlechtsmerkmalen. Der gesellschaftliche Unterschied als soziales Deutungsmuster schafft aber, wie der Soziologe Pierre Bourdieu zeigen konnte, erst den anatomischen als ultimative Grundlage gesellschaftlicher Ordnung.
Besonders infrage gestellt vom „abweichenden“ Verhalten der Homosexuellen scheint dabei die männliche Vorherrschaft, wie Bourdieu argumentiert. Denn wo nicht nur Busse und Bahnen, sondern auch Unternehmen oder Staaten von Frauen gelenkt werden, schwinden die Reservate in denen ein Mann durch typisch „männliche“ Handlungen sozial überhaupt nur zum Mann werden kann. Wenn aber Frauen Kanzler sein können und Schwule nicht nur Regierende Bürgermeister, sondern auch mit einem harten Schuss ausgestattete Profifußballer, ist der Weg des Mannes zur Position des Alphatierchens deutlich komplizierter und unübersichtlicher geworden.
Und es stimmt ja auch, was allenthalben geunkt wird: Die kulturelle, soziale und symbolische Architektur moderner Gesellschaften ist nicht zuletzt durch die feministischen, lesbischen und schwulen Emanzipationsbewegungen ins Rutschen gekommen. Damit sind diese aber beileibe nicht revolutionärer als die Erfindung des Internets oder die Entschlüsselung des menschlichen Genoms.
Lesben und Schwule wurden in die Heimlichkeit gedrängt
Diese Bewegungen haben den Status des heterosexuellen Paares und der Kernfamilie allerdings nicht aufgrund einer vorübergehenden psychischen Störung namens ‚heterosexuelle Panik’ angefochten. Vielmehr fragen sie nach den „Grenzen des Menschlichen“ (Judith Butler), danach also, wessen Leben und welche Bindungen zählen. Schließlich gehören Lesben und Schwule zu jenen, deren Leben bislang vor allem von Verheimlichung und Diskriminierung geprägt waren, deren Lebensform vom Staat nicht gerade gefördert wurde und die bis heute legitim sozial verletzt werden dürfen.
Und genau deshalb gehören Fragen wie, wer und was eine Familie ist, wie sie gelebt wird und gelebt werden soll, nach ‚angemessenen’ Geschlechterbildern oder welche Rechte lesbischen, schwulen und transgeschlechtlichen Lebensweisen zustehen, gegenwärtig zu den umstrittensten Fragen politischer, ethischer, juristischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung.
Der aktuelle heftige Widerstand konservativer bürgerlicher Kreise gegen die gesellschaftliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen verweist daher in der Tat wohl vor allem darauf, dass wir es mit nicht nur gefühlten Erosionen im Geschlechterverhältnis zu tun haben, sondern mit irreversiblen Eingriffen in die patriarchalen Tiefenstrukturen unserer Gesellschaften. Die homophobe Verteidigung von Heterosexualität, Ehe und Familie ist allerdings eine rückwärtsgewandte Antwort auf diese Veränderungen.
Die Autorin ist Professorin für Soziologie und Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin
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