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In vielen Ländern kann man nicht offen schwul, lesbisch oder trans sein. Aktivisten arbeiten an einer Verbesserung der Situation.
© Reuters

LGBTQ in Nordafrika und im Nahen Osten: Verstecken oder in die Offensive?

Schwul, lesbisch oder trans zu sein, ist in vielen Ländern gefährlich: "Ein Outing kann ein Todesurteil sein", sagen Aktivisten aus Nordafrika bei einem Besuch in Berlin. Die Lage in ihrer Heimat ist noch komplizierter als man denkt.

Ismail und Sara können weder mit ihrem wahren Namen, noch mit ihrem Bild in diesem Artikel erscheinen. Der schwule 30-Jährige aus Algier und die lesbische Mittzwanzigerin aus Casablanca setzen sich dafür ein, dass die juristische und gesellschaftliche Gleichstellung in ihren Ländern Algerien und Marokko vorrankommt. Eine heikle Lebensaufgabe. „Dafür brauchen wir Diskretion, weniger sollten wir laut auf der Straße schreien“, erklärt Sara. Sie arbeitet im Untergrund am Thema im Rahmen eines informellen Kollektivs mit dem arabischen Namen „Aswat“, was so viel wie Stimmen bedeutet. „Artikel 499 des marokkanischen Strafrechts verbietet jede homosexuelle Handlung als Unsitte gegenüber der Mehrheit der Gesellschaft“, erklärt Sara.

Der Studentin geht es bei ihrer Arbeit darum, die Betroffenen zunächst zu vernetzen. „Es existiert oft gar keine Community“, ergänzt Ismail. Das größte Hindernis seien auch in Algerien oft genug die Homo- und Transsexuellen selbst. Ismails frustrierter Ton, die Seufzer zwischendurch, unterstreichen diese These. Schwule und Lesben würden ihn häufig fragen, warum es überhaupt nötig sei, etwas zu verändern. „Man macht das, was man macht, im Verborgenen – mehr wollen viele gar nicht“ - das sei in Marokko nicht anders als in Algerien betonen die beiden Aktivisten. Ismail engagiert sich in einer LGBTQ-Organisation mit dem arabischen Namen „Alwan“, was so viel wie Farben bedeutet. Bewusst entscheiden sich die Aktivisten und Aktivistinnen in der Region für harmlose Namen ihrer Organisationen und Initiativen. Der Kampf um Gleichstellung soll auf keinen Fall bedrohlich wirken.  

Per Mausklick zur Aufklärung

Sara fummelt an ihrer silbernen Halskette und umklammert ihre Kaffeetasse, während sie spricht. Manchmal verliert sie den Faden. „Ich bin so müde.“ In Berlin absolvierten mehrere LGBTQ-Aktivisten aus Nordafrika und dem Nahen Osten vor kurzem ein Empowering-Programm, das unter anderem auch vom Lesben und Schwulenverband in Deutschland mitorganisiert wurde. Es gab viel zu besprechen, die Tage waren vollgepackt mit Panels und Workshops. Ismail sitzt Sara gegenüber. Er nippt auch aus einer Kaffeetasse, lächelt und freut sich, dass er sich mit ihr austauschen kann.  

In ihren Ländern sei die Situation nämlich ähnlich und gleichzeitig viel komplizierter, als es von außen den Anschein habe. Casablanca böte andere Freiheiten als so manche Dörfer im Landesinneren. In Nordalgerien könne man durchaus Szene-Bars und sichere Orte finden – im Süden nicht. Es mache einen Unterschied, ob man einen Zugang zur Bildung habe oder nicht. Ob man arm sei oder reich. Ob man sich selbst orientieren könne oder Unterstützung braucht. „Ich bin dankbar, dass ich als Jugendliche Zugang zum Internet hatte.“ Sara hat sich per Mausklick selbst aufgeklärt.  

Familie, Gesellschaft, Staat

Dazu würden noch andere komplizierte Faktoren kommen. Gegen die Gleichstellung von Homo- und Transsexuellen werde in ihren Ländern auf drei Ebenen agiert: Familie, Gesellschaft und Staat.

Ismail erzählt davon, dass ein Nachbar sein Bild auf einer Dating-Plattform im Internet fand und es seiner Mutter erzählte. „Ich wurde zwangsgeoutet.“ Ismail musste ausziehen und brachte „Schande“ über die Familie. „Aber du bist finanziell unabhängig“, ergänzt Sara. Wer sich eine Wohnung leisten könne, wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreite, sei im Vorteil. Männer sowieso immer. Verheiratete schwule Männer könnten darüber hinaus eine Affäre haben. Für Frauen sei die Situation viel schwieriger, auch weil einige konservative Familien ihre Töchter zwangsverheiraten würden. „Ich könnte so viele dramatische Geschichten aus meinem Umfeld erzählen“, sagt Ismail. Er selbst verstehe sich mittlerweile mit seiner Familie besser.

Gesellschaftlich betrachtet, kann das Thema Akzeptanz von LGBTQ in Nordafrika und im Nahen Osten durchaus zum Rätsel werden. Neben der Verfolgung, der Gewalt und dem Stigma denen Schwule, Lesben und Trans*menschen ausgeliefert sind, ist Homo- und Transsexualität auch etwas ganz Normales. Auf Straßen- oder Heiligenfesten weiß man, dass es dort auch Orte für Homosexuelle gibt. In Städten wie Casablanca oder Rabat gibt es bekannte Cruising-Areas, Marrakesch ist ein Schwulenparadies. Jeder Marokkaner, Algerier oder Tunesier weiß, welche arabischen Promis auf gar keinen Fall heterosexuell sein können, jeder hat eine lesbische Tante oder einen schwulen Onkel in der Familie, viele sagen es sei halb so wild - so lange es nicht einen selbst oder sein engstes Umfeld betrifft. Wenn es doch so kommt, gilt die Formel „don’t ask, don’t tell.“

„Hört auf uns zu hätscheln!“

Nun kommt noch die staatliche Unterdrückung dazu. Schwule und Lesben sind hierbei der Willkür der Sicherheitsapparate ausgesetzt. „In Marokko wird pro Monat mindestens eine Person wegen unsittlichem Verhalten ins Gefängnis gesteckt“, berichtet Sara. Die Dunkelziffer sei viel höher. Mit anderen Aktivisten versucht sie dann, liberale Menschenrechtsanwälte zu vermitteln. „Alles leugnen ist eine gute Strategie, manchmal hilft sie.“ Die Betroffenen müssten wissen, dass sie nicht die Welt retten müssen.

Und wie können die Communities in Europa helfen? Wie die gut vernetzte Community in Deutschland?

Hört auf uns zu hätscheln!“, kommen die beiden Aktivisten schnell auf den Punkt. Sara und Ismail wissen, dass die LGBTQ-Szene in Deutschland und vor allem in Berlin mehr Ressourcen und Freiheiten haben. Schwule und Lesben hätten hier einen langen, schmerzvollen Kampf hinter sich gebracht, um dort zu sein, wo sie heute sind. Aber irgendwie fühlen sich die beiden oft paternalisiert. „Dabei haben wir genug Paternalismus zu Hause“, sagt Ismail. Die Menschenrechtsaktivisten fühlen sich selten ernst genommen, wenn sie mit Schwulen und Lesben aus Europa sprechen. „Manchmal sagt man mir, Islam und Vielfalt passen nicht zusammen“ - dem widerspricht Sara vehement. Mehr beobachte sie eine Instrumentalisierung ihres Glaubens in ihrem Land. Der Staat und Hassprediger würden die Vorurteile geschickt ausnutzen, um weiterhin Minderheiten zu unterdrücken. Gesellschaftlich sei Homosexualität sogar eher akzeptiert als heterosexuelle Verbindungen außerhalb der Ehe. „Arabische Jungs haben bei uns viel Spaß miteinander“. Ismael sich ein Kichern nicht verkneifen.  

Unterstützung von außen, Vernetzung untereinander

Die Gemengelage verwirre viele Außenstehende, sind die beiden überzeugt. „Wir verstehen uns selbst am besten“, sagt Ismail. Was fehlt sind Empowerment, sind Freiräume und Rechtssicherheit. Deswegen müsse das Engagement für die LGBTQ-Rechte in Ländern wie Marokko und Algerien, aber auch in Tunesien oder Ägypten auf zwei Pfeilern stehen: Unterstützung von außen – und vor allem Vernetzung untereinander.

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