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Späte Anerkennung. Jahrzehntelang wurde im Nationalsozialismus verfolgten Lesben und Schwulen das öffentliche Gedenken verweigert. Die 1989 geschaffene Gedenktafel auf dem Nollendorfplatz war in Deutschland die erste außerhalb eines ehemaligen KZ.
© Imago

Minderheiten als Staatsfeinde: Verfolgt von den Nazis, diskriminiert in der Nachkriegszeit

Minderheiten wie Homosexuelle kamen in der NS-Zeit ins KZ. Überlebenden wurden Anerkennung und Entschädigung in beiden deutschen Staaten lange verweigert.

„Der Anblick der etwa 300 tanzenden Personen war verheerend. Kein Paar tanzte so, daß man das Tanzen noch als einigermaßen normal bezeichnen konnte. Es wurde in übelster und vollendetster Form geswingt. Viele Paare hüpften so, indem sie sich an den Händen anfaßten und dann in gebückter Stellung, den Oberkörper schlaff nach unten hängend, die langen Haare wild im Gesicht, halb in den Knien mit den Beinen herumschleuderten. In Hysterie geratene Neger bei Kriegstänzen sind mit dem zu vergleichen, was sich dort abspielte.“

Die Beschreibung der Orgie findet sich im Bericht einer Streife der Hitlerjugend vom 8. Februar 1940. Tatort war das Hotel Kaiserhof in Hamburg-Altona, wo sich die „Swing-Jugend“ traf. Das waren junge Leute, die einen betont englischen Lebensstil (gerollter Schirm, von deutscher Norm abweichende Kleidung, langes Haar) zur Schau trugen und damit subkulturelle Eigenart und politische Distanz zum NS-Regime demonstrierten. Sie hatten sich eine Gegenwelt zur Hitlerjugend und damit zum uniformierten Lebensgefühl der Mehrheit geschaffen, galten deshalb als moralisch und politisch verwahrlost. Sie wurden als Staatsfeinde in Massen verhaftet und auf Himmlers persönliche Initiative im Frühjahr 1942 in Konzentrationslager eingewiesen.

Ein Regime, dessen Ideologie sich auf das Recht des Stärkeren, Freund- Feind-Denken und den Anspruch universaler Verfügbarkeit über Menschen gründete, musste der Disziplinierung und Formierung der Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit widmen. Ausrichtung, weltanschauliche Schulung, Gleichschaltung waren die Vokabeln dafür. Dem stand die Ausgrenzung, Unterdrückung und Verfolgung von „Fremden“, von ideologischen Gegnern, von allen gegenüber, die nicht dazugehören sollten oder wollten.

Kontinuitäten im Umgang mit "Gemeinschaftsfremden"

Außer politisch Andersdenkenden waren das alle, die aus „rassischen“ Gründen keinen Platz in der „Volksgemeinschaft“ haben sollten, wie Juden, „Zigeuner“ und andere „Artfremde“. Dazu kamen Unerwünschte wie Homosexuelle und „Asoziale“ sowie religiöse Minderheiten, die sich nicht anpassten. Nicht als „artfremd“ oder „asozial“ stigmatisiert, sondern als missliebig aus Gründen der „Rassenhygiene“ wurden Behinderte diskreditiert und schließlich auch mörderisch verfolgt.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus waren die Ressentiments und die Ausgrenzung keineswegs überwunden. Kontinuitäten im Umgang mit „Gemeinschaftsfremden“ lassen sich exemplarisch an der Gruppe der sozial Abweichenden und der Homosexuellen zeigen.

Da die „Swing-Jugendlichen“ kaum aus Unterschichtsfamilien stammten, waren sie auch nicht der Rubrik „Asoziale“ zuzuordnen. Unter diesen Begriff fielen energisch verfolgte „Gemeinschaftsfremde“ wie Bettler und Landstreicher, Prostituierte, arbeitsunwillige Fürsorgeempfänger und andere, die von der sozialen Norm abwichen, etwa durch sexuelle Freizügigkeit auffallende Frauen oder Unterhaltspflicht verweigernde Männer, und alle, die als arbeitsscheu stigmatisiert waren.

Mit dem Verweis auf "Asoziale" wurde die Existenz von KZs gerechtfertigt

Die Delikte beziehungsweise Verhaltensweisen, die nach dem Erlass „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ vom Dezember 1937 dem betroffenen Personenkreis zum Verhängnis wurden, fanden den Abscheu der Mehrheitsgesellschaft. Im Einklang mit dem „gesunden Volksempfinden“ und bürgerlichen Moralvorstellungen waren Präventionen möglich gegen jeden Menschen, der, „ohne Berufs- und Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet“. Mit dem Verweis auf Verbrecher und „Asoziale“ wurde nach außen die Existenz der Konzentrationslager gerechtfertigt, und im KZ blieben diese Personen, die mit dem schwarzen Winkel gekennzeichnet waren, isoliert.

Die Biografie der 1924 geborenen Ilse Heinrich exemplifiziert das Problem, und zwar sowohl das des „asozialen“ Verhaltens als auch das der gesellschaftlichen Reaktionen. Ilse Heinrich kam in einem Dorf bei Wismar zur Welt; da ihre Mutter starb, als sie sechs Jahre alt war, und ihre Stiefmutter sie nicht mochte, hatte sie eine schwierige Kindheit. 1939 schulentlassen, wollte sie gerne Säuglingsschwester werden, wird aber zu einem Bauern in Dienst gegeben.

Sie reißt immer wieder aus, wird von der Polizei zurückgebracht, findet Unterschlupf als Hilfe bei einer Familie mit zehn Kindern, wird schließlich 1943 ins Arbeitshaus im Schloss Güstrow eingeliefert. Im August 1944 wird sie mit anderen Insassen, die wie sie als arbeitsscheu, als Herumtreiberinnen gelten, ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert. Unter Misshandlungen, bei unzureichender Ernährung leistet sie Zwangsarbeit. Entkräftet und krank erlebt sie die Befreiung, die für sie mit der Vergewaltigung durch Soldaten der Roten Armee beginnt.

Die Nachkriegsgesellschaft verweigert Entschädigung

Von ihren Angehörigen zurückgewiesen, wird sie wieder von der Familie aufgenommen, in der sie schon vor dem Arbeitshaus zeitweise lebte. Sie wird von einem Russen schwanger, entbindet im September 1947 in Rostock, gibt das Kind, das sie nicht ernähren kann, in die väterliche Familie, die sie zwingt, es zur Adoption freizugeben. Ab 1948 lebt sie, mit einem zweiten Kind, wieder im Güstrower Schloss, das jetzt Landesfürsorgehaus ist, sie arbeitet in einer Holzfabrik und siedelt 1951 nach West-Berlin über, wo sie heiratet.

1987 beginnt sie um eine Entschädigung für die KZ-Haft zu kämpfen und bekommt, da sie keine schriftlichen Beweise für das erlittene Unrecht vorlegen kann, nur eine einmalige Abfindung von 1000 DM. 1995 wird sie, weil nach dem Fall der Mauer die notwendigen Dokumente in Güstrow und Schwerin beschafft werden können, endlich als Verfolgte des NS-Regimes anerkannt und erhält eine kleine Zusatzrente – 50 Jahre nach dem Ende ihrer Verfolgung als „Asoziale“.

Ilse Heinrichs Lebensgeschichte ist kein Einzelfall, aber sie hat immerhin ein glimpfliches Ende. Das lässt sich von der Mehrheit der mit der Diagnose „abweichendes Sozialverhalten“ Deportierten und Getöteten – etwa den 10 000 bei der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ im Sommer 1938 verhafteten arbeits- und wohnungslosen Männern – nicht sagen. In der Regel ist es diesen Opfern nationalsozialistischer Verfolgung nicht gelungen, nach der Befreiung in der Mehrheitsgesellschaft wieder Fuß zu fassen. Die Nachkriegsgesellschaft begriff die Sanktionen des NS-Staats, da sie in einer langen Tradition standen und nach 1945 im Prinzip fortgesetzt wurden, nicht als Spezifikum nationalsozialistischer Ideologie und Politik und verweigerte die Anerkennung und Entschädigung des Unrechts.

Homosexuelle werden zu Staatsfeinden

Die Opfer des Paragrafen 175 in der Bundesrepublik sollen endlich entschädigt werden.
Die Opfer des Paragrafen 175 in der Bundesrepublik sollen endlich entschädigt werden.
© dpa/Arne Dedert

In noch misslicherer Lage befanden sich aber die aus den Konzentrationslagern befreiten Homosexuellen. Hatten sie doch kaum auf Verständnis und Mitleid für das Erlittene zu rechnen, weil den einen ihre Verfolgung als legitim galt, den anderen aber als unerheblich. Und die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Unrecht zu lenken, das die Mehrheit gar nicht als Unrecht wahrnahm, war nicht opportun, weil das Strafrecht, das die Nationalsozialisten 1935 erst verschärft und dann missbraucht hatten, auch in der BRD und – etwas abgemildert – in der DDR immer noch galt. Im strafrechtlichen Sinne wäre die Forderung nach Entschädigung für erlittene KZ-Haft daher der Selbstbezichtigung gleichgekommen, ein kriminelles Delikt begangen zu haben.

Die Stigmatisierung der verfolgten Schwulen hielt aber noch über die Kriminalisierung ihrer sexuellen Identität hinaus an, und die Homosexuellen blieben sogar aus der Solidargemeinde ehemals Verfolgter des NS-Regimes ausgegrenzt. Nicht anders ist die Verweigerung öffentlichen Gedenkens mit Mahnmalen und Erinnerungszeichen und bei Feierstunden und Jahrestagen der Befreiung von Auschwitz, mit denen die Überwindung des Nationalsozialismus begangen wird, zu erklären.

Die NS-Propaganda instrumentalisierte Homosexualität

Die Instrumentalisierung der Homosexualität durch nationalsozialistische Staatsräson und Propaganda, im Falle des SA-Führers Ernst Röhm 1934 zur Abrechnung und innerparteilichen Säuberung, im Falle des Oberbefehlshabers des Heeres, Werner von Fritsch (der nicht homosexuell war), 1938 zur Eliminierung eines Unerwünschten angewendet, mag zur Bestätigung von Vorurteilen und daraus resultierender Diffamierung beigetragen haben. Dass Sonderinstitutionen des Repressionsapparats wie die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ seit 1936 und die pauschale Anordnung zur Einweisung Schwuler ins KZ eher den Beifall der Mehrheit fanden als Missbilligung und dass die Schwulen als Opfergruppe noch weniger auf Solidarität und Sympathie als andere rechnen konnten, ist evident und von langer Wirkung, nicht minder die Verweigerung materieller Entschädigung nach 1945.

Verankert im Mehrheitsbewusstsein des richtigen Empfindens stützte sich die theoretische Argumentation gegen die Homosexuellen auf die schlichte Formel der Gefährdung der Sittlichkeit, und die Protagonisten der Tugend charakterisierte der fanatische Eifer von Missionaren. Das war zurzeit des Nationalsozialismus nicht anders als in den Gründerjahren der Bundesrepublik. Der ideologieübergreifende Gleichlaut des Abscheus ist so offensichtlich wie die Absicht der Kriminalisierung einer Minderheit (generell strafbares Delikt wurde Homosexualität im Deutschen Reich übrigens erst 1871).

Der Homosexuelle als Staatsfeind

Der Leiter der „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität“, ein Kriminalrat Meisinger, vertrat die Interessen des NS-Regimes, als er 1937 konstatierte, dass man „den Homosexuellen als Staatsfeind erkannt“ habe und dass daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen seien. Der Kriminalrat sah es als seine Aufgabe, die Homosexuellen als Volksschädlinge und Staatsfeinde zu diffamieren (zu seinen Argumenten gehörte die Vermutung der Disposition zum Landesverrat und der Verlust an Fortpflanzungspotenzial). Behörden und Tugendwächter der Nachhitlerzeit hatten natürlich andere Ziele, und sie unterschieden sich von den Nationalsozialisten auch darin, dass sie mehr an Verführung als an Vererbung glaubten. Ihre Wut gegen die unerwünschte Minorität war aber nicht geringer.

Auch der andere deutsche Staat hatte Probleme mit der schwulen Minderheit. Die DDR galt Homosexuellen gegenüber als liberal, man war stolz darauf, strich den diskriminierenden und strafenden Paragrafen schließlich (1968) aus dem Gesetzbuch. Aber die Aufregung der Staatssicherheit war beträchtlich, als die Minderheit der Schwulen und Lesben sich Anfang der 1980er-Jahre zu organisieren und öffentlich zu artikulieren begann.

Hysterie auf der Herrentoilette

Zur blanken Hysterie steigerte sich die Aufgeregtheit, als im Februar 1986 auf der Herrentoilette der Berliner Stadtbibliothek ein Spruch gesichtet wurde, der „Für Homosexuelle Gerechtigkeit“ forderte und ein Bombenattentat im Palast der Republik ankündigte. Längst hatte der Apparat der Staatssicherheit Organisationsversuche der Szene als „Erscheinungsformen der politischen Untergrundtätigkeit“ ausgemacht und das Verhalten der Schwulen als „tendenziell konspirativ“ erkannt.

1969 endete in der Bundesrepublik im Wesentlichen die Kriminalisierung der Homosexualität, die DDR war 1968 vorangegangen; die gesellschaftliche Diskriminierung hielt freilich an.

Der Autor ist Historiker und ehemaliger Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Der Artikel basiert auf dem Vorwort zu dem Wolfgang Benz und Barbara Distel herausgegebenen Buch „Gemeinschaftsfremde. Zwangserziehung im Nationalsozialismus, in der Bundesrepublik und der DDR“, das am 14. November im Metropol Verlag erscheint (19 Euro). Es wird am Donnerstag, 17. November, ab 19 Uhr in der Topografie des Terrors vorgestellt.

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