Wolfgang Lauinger, Opfer des Paragrafen 175: Verfolgt von den Nazis, verfolgt in der BRD
Wolfgang Lauinger wurde von den Nationalsozialisten und in der Bundesrepublik wegen seiner Homosexualität verfolgt. Lesen und sehen Sie hier seine Lebensgeschichte.
Eigentlich dachte Wolfgang Lauinger, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges ihm endlich das Ende der Verfolgung bringen würde. Lauinger, im Jahr des Kriegsendes 27 Jahre alt, hat damals Gefängnishaft hinter sich. Einige Jahre war er auch untergetaucht gewesen.
Schon 1940 wird Lauinger als so genannter Halbjude aus der Wehrmacht entlassen, sein Vater war da bereits zur Emigration gezwungen worden. Lauinger schließt sich in seiner Heimatstadt Frankfurt der rebellischen „Swing-Jugend“ an. Die jungen Männer, die verbotene Jazz-Platten hören und lange Haare tragen, geraten schnell ins Visier der Gestapo. Und: Lauinger ist schwul. Schon 1936 hatte die SS eine „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ eingerichtet.
Trotz Folter gibt ein Freund sein Schwulsein nicht preis
Das alles spielte eine Rolle, als Lauinger von der Gestapo zum ersten Mal verhaftet wird. Die Gestapo brachte die gesamte Swing-Gruppe ins Gefängnis. Bei Lauinger wollen sie auch herausfinden, ob er wirklich schwul ist. Die Nazis foltern einen seiner Freunde, damit dieser die Homosexualität Lauingers preisgibt – nur weil dieser trotz der Folter schweigt, kommt Lauinger nicht ins KZ.
Gegen ihn bleiben so Vorwürfe wegen des Hörens von “Feindsendern“ und „illegalem Glücksspiel“ (weil er in einer Kneipe der Swing-Jugendlichen ein und aus ging). Er wird schließlich aus dem Gefängnis entlassen, später nochmals inhaftiert. Danach taucht Lauinger unter, überlebt in Verstecken bis zum Kriegsende.
Die junge Bundesrepublik übernahm den Paragraf 175 von den Nazis
Nach 1945 arbeitet er zunächst auf dem Frankfurter Flughafen, endlich scheint die Zukunft ihm offen zu stehen. Doch schon fünf Jahre später holt ihn das Grauen ein. Lauinger wird mit hundert anderen Männern erneut verhaftet. Der Grund: ihre Homosexualität. Die junge Bundesrepublik hatte den berüchtigten Paragrafen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, aus dem Nationalsozialismus übernommen – und verfolgte Schwule weiter unerbittlich. „Das sind Nazi-Methoden“, ruft Lauinger, als er in ein Untersuchungsgefängnis kommt, das bereits die Gestapo nutzte.
Seine Lebens- und Leidensgeschichte hat Lauinger, heute 97 und einer der wenigen noch lebenden schwulen Männer, die von den Nazis wie in der Bundesrepublik verfolgt wurden, erst vor kurzem im Rahmen des „Archivs der anderen Erinnerungen“ der Hirschfeld-Stiftung erzählt (hier geht es zum Archiv). Bestürzend sind die personellen wie strukturellen Kontinuitäten, von denen Lauinger berichtet: „Und ich habe am ersten Tag, bei der ersten Haftprüfung, erfahren müssen, dass jener Staatsanwalt Thiede bereits Staatsanwalt im Hitlerreich war, und besonders beauftragt war, mit Verfolgung von Homosexuellen, die 1935 durch die Verschärfung des Paragrafen zu einem Verbrechen umfunktioniert wurden.“ Hier erzählt er seine Lebensgeschichte:
Er bittet Bundespräsident Heuss um Hilfe - vergeblich
Noch heute glaubt Lauinger, dass die Ankläger die alten Gestapo-Akten benutzten. Acht Monate sitzt Lauinger ohne Anklage ins Gefängnis, wird immer wieder verhört. Er bittet Bundespräsident Theodor Heuss um Hilfe, der antwortet mit einem Formschreiben, wie die „Frankfurter Rundschau“ einmal berichtete. Schließlich wird er freigesprochen, doch die Demütigung und die Scham bleiben.
Umso mehr, als die Bundesrepublik die Opfer niemals rehabilitierte, niemals entschädigte. Rund 50 000 Homosexuelle wurden nach 1945 tatsächlich verurteilt, teils zu mehrjährigen Haftstrafen. Die Urteile gelten bis heute. Erst jetzt will wie berichtet Bundesjustizminister Heiko Maas die Rehabilitierung angehen – 47 Jahre, nachdem der Paragraf 1969 in der Bundesrepublik entschärft wurde, und immerhin 22 Jahre, nachdem er endgültig abgeschafft wurde. Dass der Paragraf 175 tatsächlich erst 1994 endgültig gestrichen wurde – die DDR hatte ihn schon früher getilgt – , ist ein weiteres dunkles Kapitel dieses unrühmlichen Teils der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik.
Das Video, in dem Lauinger seine Lebensgeschichte erzählt, zeigen wir mit freundlicher Genehmigung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, bei der die Rechte an dem Video liegen. Lehrkräfte, die das Video im Schulunterricht einsetzen wollen, finden auf der Seite queerhistory.de didaktisches Material dazu. Über Wolfgang Lauinger und seinem Vater gibt es eine Doppelbiografie von Bettina Leder: Lauingers. Eine Familiengeschichte aus Deutschland. Berlin 2015, Verlag Hentrich & Hentrich (Jüdische Memoiren. 26).
Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem LGBTI-Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de.
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