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Filmemacher Rosa von Praunheim mit Drag Queen Juwelia vor ihrer Salongalerie in der Neuköllner Sanderstraße.
©  Agnieszka Budek

Rosa von Praunheim wird 75: Tuntenfalsett am Landwehrkanal

Rosa von Praunheim feiert seinen 75. Geburtstag standesgemäß mit einem neuen Film: „Überleben in Neukölln“. Ein Treffen mit dem Regisseur und Juwelia, der Heldin der Doku.

Puh, Glück gehabt. „Du guckst so streng: hast du Kinder?“, mutmaßt Rosa von Praunheim in eigenwilliger Kausalität am Ende einer ganzen Fragenkanonade. Das hätte jetzt auch anders ausgehen können. Immerhin ist der Filmemacher als notorischer Erforscher von Intimitäten bekannt. Jeder, der nicht bei drei auf dem Baum ist, bekommt seine Lieblingsfrage gestellt. „Wann hattest du zum ersten Mal Sex?“ Auch die, die eigentlich kommen, um ihn zu interviewen. Und auch Drag Queen Juwelia, die bürgerlich Stefan Stricker heißt. Sie bekommt die Frage im Dokumentarfilm „Überleben in Neukölln“ in ihrer Salongalerie gestellt. Genau da, wo die beiden Paradiesvögel an diesem Novembertag auf Plüschsesseln sitzen.

„Früher war Bratwurst und heute ist Champagner“, fasst die Sängerin die nun auch noch von Rosa von Praunheim und seiner alten Kamerafreundin Elfi Mikesch dokumentierte Veränderung des ehemaligen Arbeiter- und Problembezirks in einem ihrer Lieder zusammen. Im Nieselregengrau sieht die Sanderstraße allerdings so bratwurstig aus, dass der gemeinsame Bummel durch die im Film auf Nord-Neukölln beschränkte Nachbarschaft ziemlich schnell ins Wasser fällt. Im Fall der leicht geschürzten Juwelia fördert Frösteln offensichtlich die Schlagfertigkeit. „Wir sind selber arm, Chérie“, bekommt eine Bettlerin zu hören, die vor der Galerie schnorrt.

Dem Alter begegnet er mit einem Feuerwerk an Aktivitäten

In der Tat hat ihre seit 2006 hier freitags und sonnabends ausgeübte Tätigkeit als gegen Spenden singende Salonniere sie nicht vor dem einen oder anderen Gang zum Sozialamt bewahrt. Und auch Rosa von Praunheim kann trotz seiner von ihm selbst gezählten „mehr als 150 Filme“ nicht in Dukaten baden. Das sei auch gut so, sagt der Schwulenaktivist, der an diesem Sonnabend seinen 75. Geburtstag feiert. „Viele werden dann ja faul.“

Er dagegen begegnet dem Alter mal wieder mit einem wahren Feuerwerk an Aktivitäten. Bis weit ins nächste Frühjahr laufen die Rosa-Festspiele. Auf seine frisch erschienene Fibel mit gesammelten Indiefilmer-Weisheiten „Wie wird man reich und berühmt?“ folgt nun „Überleben in Neukölln“. Die Galerie Raab in Charlottenburg zeigt seine Gemälde – von Praunheim hat mal Freie Malerei studiert und abgebrochen. Am 21. Januar feiert am Deutschen Theater sein autobiografisches Stück „Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht“ Premiere. Und mutmaßlich im Mai läuft in der Akademie der Künste eine mehrmonatige Ausstellung über das gemeinsame Schaffen von Praunheim, Mikesch und Werner Schroeter.

Das Privatleben ist stets politisch

Vom Rückzug ins Privatleben also, das bei ihm sowieso stets politisch war, keine Spur. „Na, ich muss ja bei meinem Fünfjahresplan bleiben, so wie die DDR“, würgt Praunheim das Erstaunen über die umfassenden Aktivitäten ab. Schließlich habe er immer viel gemacht. Kann man wohl sagen. Die Doku „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ war 1971 Auslöser der deutschen Schwulenbewegung. Mit 20 gezeigten Berlinale-Filmen hält er den Festivalrekord. Er hat lautstark für Aids-Aufklärung gestritten und Promis „zwangsgeoutet“.

Und auch einen Film mit dem Titel „Überleben in …“ hat er bereits herausgebracht. Allerdings ging es in dem Dokumentarfilm aus dem Jahr 1989 um das Leben deutscher Einwanderinnen in New York. Das tolle Dreierporträt, dessen Protagonistinnen Praunheim 20 Jahre später noch mal in „New York Memories“ nachspürte, ist bis heute einer seiner erfolgreichsten Filme.

Ein Bilderreigen aus Hipster-Neukölln

Filmemacher Rosa von Praunheim mit Drag Queen Juwelia vor ihrer Salongalerie in der Neuköllner Sanderstraße.
Filmemacher Rosa von Praunheim mit Drag Queen Juwelia vor ihrer Salongalerie in der Neuköllner Sanderstraße.
©  Agnieszka Budek

Mit dem reichlich beliebig wirkenden Bilderreigen sommerlicher Straßenszenen aus Hipster-Neukölln samt Interviews mit Helden der dortigen queeren Subkultur, die von Praunheim in „Überleben in Neukölln“ präsentiert, hat der ungleich gelungenere, konzentriertere, das soziale Leben viel tiefer auslotende Vorläufer allerdings kaum was zu tun. Von einer Sache abgesehen. Das New York von heute mit seinen Klamottenläden und Coffeeshops sei so langweilig wie Berlin-Mitte, findet der im gleichnamigen Frankfurter Stadtteil aufgewachsene Praunheim. Die Klammer, die sein viel Optimismus und noch mehr Exzentriker-Exotik verströmendes Porträt des Gentrifizierungsgebiets zwischen Landwehrkanal und Sonnenallee zusammenhält, ist die schräge Juwelia. Sie liefert mit ihren in Tuntenfalsett vorgetragenen Songs auch den Soundtrack.

An Furcht vor Verdrängung leidet sie zumindest nicht, auch wenn sie sie ringsum überall registriert. Im Gegenteil. Juwelia ist froh, in ihrem 2006 eröffneten Laden nur einmal eine Mieterhöhung von 50 Prozent bekommen zu haben. „Das ist doch viel besser als 200 Prozent!“, strahlt sie. Es komme im Leben eh alles so, wie es komme, philosophiert die jüngst mit einer Ausstellung in New York präsente Künstlerin, die ihr langjähriger Lebensgefährte Lothar im Film einen „Gelegenheitstransvestiten“ nennt.

Starke Frauen und schwache Männer

Juwelia hat es einst aus dem hessischen Städtchen Korbach nach Berlin verschlagen. „Ich bin wie eine Spinne, ich kann’s mir überall schön machen, selbst im Abwasserrohr.“ Das glaubt man in der Galerie sofort, wo an den Wänden Blüten, Torten oder tote Schweine auf farbenprächtigen Gemälden prangen. „Die Leute lieben dich, weil du so positiv bist, weil du aus Scheiße Gold machst“, mischt sich ihr Regisseur ein. „Du bist die schönste Frau vom Hermannplatz!“ Da nickt die Gepriesene zustimmend und merkt nachdenklich an, das könne aber auch eine Bürde sein. Im Gegensatz zur Polittunte Patsy L’Amour la Love, die – ebenso wie die lesbische Musikerin Enana aus Syrien – auch in „Überleben in Neukölln“ auftritt und in Berlin wie in Damaskus vielfach Anfeindungen erfahren hat, ist Juwelia noch nie Aggression entgegengeschlagen. Auch nicht, wenn sie, so wie eben, im Fummel auf der Straße unterwegs war.

Rosa von Praunheim, der in einer WG in Wilmersdorf wohnt, hält das polyglotte Neukölln samt der arabisch geprägten Sonnenallee in dieser Hinsicht für weniger paradiesisch. „Es gibt eine große Schwulenfeindlichkeit.“ Dafür sei der Bezirk jünger, internationaler, habe eine viel größere Energie. „Ich sage immer zu meinem Freund Olli, der 43 ist: In Wilmersdorf brauchen jungen Leute einen Pass, um reingelassen zu werden.“

Das praunheimische Typen-Kaleidoskop

In „Überleben in Neukölln“ kommt dagegen gerade mal eine Greisin vor, die 89-jährige Lesbe Johanna Richter. Die kann zwar kaum noch gehen, passt in ihrer sympathischen Bodenständigkeit und wackeren Lebensfreude aber genau ins praunheimsche Typen-Kaleidoskop. Das versammelt nun seit fast fünfzig Jahren starke Frauen und schwache Männer, widerständige Homosexuelle, Künstler, Exzentriker und unscheinbare Leute zu einer lebensprallen „Armee der Liebenden“, um mal einen seiner Filmtitel zu paraphrasieren.

Sein Schaffen hat Politik geschrieben, Menschenbilder verändert und gesellschaftliche Entwicklungen wie die Einführung der Homo-Ehe möglich gemacht. Gerade habe er in Weimar einen weiteren Film abgedreht, erzählt er, eine Dokufiction über Johann Joachim Winckelmann, den Begründer der Kunstgeschichte. Wann der ins Kino kommt? Der Jubilar mit dem Basecap zuckt die Achseln und murmelt was von Berlinale. Das wäre dann mal wieder Rekord.

„Überleben in Neukölln“ läuft in sechs Berliner Kinos. Filmvorführung und Geburtstagsfeier mit Rosa von Praunheim im Kino Wolf, Sa 25. November, 20 Uhr. Die Gemälde sind vom 25.–28. November in der Galerie Raab, Goethestraße 81, zu sehen (Samstag ab 11 Uhr Geburtstagsempfang mit von Praunheim).

Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels.

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