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Zusammenstehen unterm Regenbogen. Aktivist*innen bei einer Demo in Potsdam.
© Ralf Hirschberger/dpa

Aktivismus-Debatte: Sprechverbote in der Queer-Szene

In der queeren Szene läuft etwas falsch, findet die Berliner Polittunte Patsy l’Amour laLove. Es gebe eine Form von Aktivismus, die sich zu einer autoritären Politik der Verbote und Bußen entwickelt habe. Ein Gastbeitrag.

"Beißreflexe - Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten“ heißt das neue Buch, das Patsy l’Amour laLove unlängst herausgegeben hat. Die Autorin, die derzeit ihre Dissertation zur Schwulenbewegung in der BRD der siebziger Jahre schreibt, bezeichnet sich selber als Polittunte und ist für dafür bekannt, politische Diskussionen anzustoßen. Wir haben sie anlässlich der Buchveröffentlichung gefragt, ob sie überhaupt noch Lust auf Debatten in der queeren Szene hat. Hier ihre Antwort.

Ich habe durchaus Lust an der Auseinandersetzung. Kritik und Aufklärung sind für einen gesellschaftlichen Fortschritt notwendig. Es wird oft gesagt, man würde zu viel diskutieren und zu wenig Praxis machen. Man sollte aber nicht mit dem Denken aufhören. Wichtig ist aktuell, die Gleichzeitigkeit von relativer Liberalisierung und Feindseligkeit zu sehen. Inhaltlich müssen Debatten in eine Richtung weisen, deren Maßstab, ob etwas richtig oder falsch ist, die Freiheit aller meint.

Allerdings läuft in der queeren Szene derzeit etwas falsch. Es gibt inzwischen eine Form von queerem Aktivismus, der das Diskutieren, das Auseinandersetzen abwehrt. Diese Form des Aktivismus hat sich zu einer Politik der Verbote und Bußen entwickelt - zu einer autoritären Variante von Queer.

Das neue Feindbild sind die Homosexuellen

Eigentlich scheint in dem Begriff „Queer“ das utopische Glück auf, dass die sexuell Anderen ohne Angst verschieden sein können. Queer transportiert eine Geschichte emanzipatorischen Kämpfens, es ist ein reizvoller Begriff, der zum Hinterfragen der  heterosexuellen Normalität ebenso aufruft wie zur selbstbewussten Entgegnung der Perversen und Anderen.

Doch in der Form von Aktivismus, die ich kritisiere, ist davon nicht viel übrig geblieben. Queer gilt hier als identitätskritischer Begriff. Das geht so weit, dass Menschen, die sich als Schwule und Lesben sehen, als reaktionär abgelehnt werden: Ihre Identitäten seien zu einengend, und sie seien zu etabliert, heißt es dann. Aus dieser Idee heraus wurden die queeren Begriffe „Homonormativität“ und „Homonationalismus“ geschaffen: Nicht mehr der heterosexuelle Wahnsinn wird  angegangen – das neue Feindbild sind die Homosexuellen.

Der Kreuzberger CSD wetterte entsprechend gegen „schwule Manager“, die „von oben umarmt“ mit Staat und Großkonzernen kuscheln würden. Eine klassische Verschwörungstheorie – mit queerem Anstrich. Das Abendland wurde hier als „schwul-christlich“ bezeichnet, was schlicht zynisch ist.

 Über Dreadlocks streiten, aber den alltäglichen Rassismus übersehen

Auf der anderen Seite herrschen sehr feste Vorstellungen von Identität in diesem queerem Aktivismus vor: Etwa in der Kritik an Privilegien. Da wird so getan, als gebe es die Unterdrückten und die Unterdrücker, die als Personen ganz klar auszumachen seien. Das ist bequem, aber falsch. Und die Zuteilungen sind ziemlich abstrus: Im Mittelpunkt dieser als „Antirassismus“ ausgegebenen Anstrengungen stehen dann Weiße, die Dreadlocks tragen, was als rassistische Gewalt verstanden wird. Über die Diskriminierung am Arbeitsplatz, die deutsche Abschiebepolitik oder die alltägliche rassistische Gewalt spricht da kaum mehr jemand und sie wird mit so einem Ansatz unweigerlich relativiert.

Die Autorin: Patsy l'Amour laLove ist Polit-Tunte aus Berlin, promoviert derzeit an der Humboldt-Universität in den Gender Studies.
Die Autorin: Patsy l'Amour laLove ist Polit-Tunte aus Berlin, promoviert derzeit an der Humboldt-Universität in den Gender Studies.
© Alexander Heigl

Im Titel eines von mir herausgegebenen Buches bezeichne ich das Phänomen als „Beißreflexe“. Eigentlich ist das verharmlosend, weil ja ein bewusstes politisches Programm dahinter steht und es sich nicht um schiere Reflexe handelt. Mit Beißreflexen, so die Kritik von mir und zahlreichen Autor_innen, wird auf bestimmte Inhalte reagiert. Etwa wenn eine Kritik am Islam sofort als Rassismus abgekanzelt wird. Damit räumt man das Feld für die Rechten und ihren wirklichen Rassismus. Ein weiteres Beispiel dafür sind die Reaktionen auf das Buch „Beißreflexe“ selbst. Der Titel sei zu spitz und nehme queeren Aktivismus nicht ernst. Das kommt aber von Leuten, die das Buch nicht gelesen haben, was für mich schon eine Voraussetzung dafür ist, sich zu einem Buch zu äußern.

Auf Kritik an solchen Praktiken wird scharf reagiert. Ein ganz aktuelles Beispiel: Kürzlich wollte Till Amelung, der in „Beißreflexe“ über den queeren Gewaltbegriff schreibt, das Buch im InterTrans-Referat an der Universität Marburg vorstellen. Ein queerer Aktivist intervenierte mit der Begründung, Till, das Buch und das Referat seien verletzend. Da sollen ziemlich aggressive Mittel angewendet und emotionaler Druck ausgeübt worden sein. Das ist typisch für diese Form von queerem Aktivismus. Es ging darum, die ungewünschte Kritik zu verbannen. Wen das kein Sprechverbot sein soll, was dann?

Harsche Sprachregulierungen und Kritik nach Innen

Um es klar zu sagen: Hier geht es nicht um Sprechverbote für Faschos. Sondern für engagierte Lesben und Schwule, anderen queeren Aktivist_innen. Mir geht es nicht darum, dass alle alles sagen sollen, wie man es nun häufig als panische Reaktion vor vermeintlich zu viel Political Correctness hört. Wenn die darin geforderte Meinungsfreiheit bedeutet, dass alle nacheinander irgendetwas sagen sollen und jede Meinung neutral neben die andere gestellt wird, ist am Ende nichts gesagt. Das Dumme und Hasserfüllte wird dann genauso behandelt, wie das Fortschrittliche und Reflektierte. Es verändert sich nichts.

Mir geht es darum, dass die Sprechverbote im queeren Aktivismus das Denken und die Auseinandersetzung verhindern, auch bei Beiträgen, die diskutabel sind. Der queere Aktivismus, den ich kritisiere, wendet sich mit der Autorität vor allem nach innen: Etwa mit harschen Sprachregulierungen. Da wird nicht mehr nach Intention und Inhalt gefragt, sondern danach, ob etwas „problematisch“ sei. Der wichtigste Maßstab ist in diesen Fällen, ob etwas verletzend oder gar „triggernd“ sei – und schon ist die Welt eine hochgefährliche Angelegenheit, vor der man sich in Sicherheit bringen muss.

Die Gefahr wird überwertig. Man macht sich handlungsunfähig und fordert nur noch, dass bestimmte Menschen oder Aussagen verbannt werden sollen, damit man bloß keine Irritation ertragen muss. Damit wird auch jedes neugierige Nachfragen, jedes Wundern über die Welt zur Gewalt stilisiert und verhindert.

Es wird nicht mehr differenziert

Um nochmal auf Rassismus-Vorwürfe gegen Weiße zurückzukommen.  Es ist haarsträubende, was da teilweise als Rassismuskritik ausgegeben wird. Wenn etwa jemandem Rassismus vorgeworfen wird, weil sie Tattoos hat, Dreadlocks trägt oder Sushi isst –dann ist das  überzogen. Genauso wie bei Verkleidungen. Da wird nicht mehr differenziert zwischen Blackfacing und einem Ölscheichkostüm – so als seien Ölscheiche eine diskriminierte Minderheit!

Gewonnen wird so für niemanden etwas, und um Gesellschaftskritik handelt es sich bei dieser Hervorhebung von Privilegien auch nicht. Ich will nicht, dass sich ein Heteromann schlechter fühlt, weil er heterosexuell ist - sondern ich will, dass ich nicht schlechter behandelt werde, weil ich schwul bin.

Handelt es sich bei dieser autoritären Form des queeren Aktivismus womöglich nur um einige wenige Radikale, die man vielleicht besser ignorieren sollte? Es stimmt, dass es nicht viele sind.  Jedoch zeigt das überraschend große Interesse an dem Buch, wie viele Leute schon recht heftige Erfahrungen mit dieser Form von queerem Aktivismus gemacht haben: Ausschlüsse, Auftrittsverbote bis hin dazu, dass man wegen Anfeindungen die Stadt verlässt.

 Wo ist der Erkenntnisgewinn, wenn nur Betroffene sprechen dürfen?

Hinzu kommt, dass der im queeren Aktivismus sehr beliebte Betroffenheitsansatz einen ziemlich großen Einfluss auf LGBT-Institutionen, Vereine und Schulaufklärungsprojekte hat. Das hört sich auch erst mal toll an: Jetzt sprechen die, die betroffen sind - und zwar nur die. Allerdings bringt das weder besonderen Erkenntnisgewinn noch ist das eine gute Politik.

Um mich nicht falsch zu verstehen: Natürlich sollen sich Leute, die Feindseligkeit erfahren, dazu auch öffentlich Gehör verschaffen! Wenn man aber vom Inhalt des Gesagten absieht und nur noch darauf achtet, welche Hautfarbe oder sexuelle Orientierung die Sprecherin hat - dann ist man mit so einem Ansatz keinen Deut besser als die Rechten.

Was ich als Schwuler zu Schwulenfeindlichkeit zu sagen habe, muss schließlich nicht zwingend richtiger sein als das, was ein Heterosexueller dazu zu sagen hat. Und ich bin froh um jeden Hetero, der sich gegen Schwulenfeindlichkeit einsetzt. Aktueller queerer Aktivismus legt sehr viel Wert auf Sensibilität und Verletzlichkeit. Eine Verletzung aber unvermittelt in eine Politik zu überführen, führt genau zu dieser falschen Form von Betroffenheitspolitik, die nicht mehr nach dem Inhalt fragt, sondern die Verletzung selbst fast schon adelt. Man sollte die Verletzungen und auch die Verrücktheiten ernst nehmen als das, was sie sind - und das heißt zugleich, dass man sie hinterfragen können muss.

Die Community ist eine Fantasie

Eine ganz falsche Lesart meiner Texte ist aber, dass ich einfordern würde, man solle sich in die „queere Einheitsfront“ einreihen und zugunsten der Community keine Kritik äußern. Ich sage das Gegenteil: Die Community ist eine Fantasie. „Community“ würde einfordern, sich tatsächlich ein Stück weit gleich machen zu lassen. Gegen das Gleichmachen verwehre ich mich aber genauso, wie gegen einen autoritären queeren Aktivismus.

Ein Weg, über Diskriminierung unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transleuten zu sprechen, ist, dass man sich selbst und das Gegenüber als Anderen akzeptieren lernt. Das heißt zugleich respektvolle Begegnung und kritische Reflexion. Man muss den Menschen zutrauen, dass sie aus ihrer grundlegenden Fähigkeit zur Empathie auch einen besseren Umgang miteinander hinbekommen könnten. Da helfen einem autoritär durchgesetzte Sprach-, Verhaltens- und Kleidungsgebote nicht weiter, sondern verhindern, dass sich Leute mit Offenheit, Spannung und Neugier begegnen.

Patsy l’Amour laLove stellt das Buch „Beißreflexe“ am 3.4. um 19 Uhr im taz-café sowie am 19.4. um 20.30 im Prinz Eisenherz Buchladen vor.

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Patsy l\'Amour laLove

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