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Mann, Frau, wie auch immer. Wen kümmert’s? Auf dieser Toilette offenbar niemanden.
© Reuters/Jonathan Drake

Transgender im Arbeitsleben: "Trans*Sein muss entdramatisiert werden"

Transgeschlechtliche Menschen haben es am Arbeitsplatz oft schwer. Dabei können ihre Erfahrungen mit Perspketivwechseln Firmen weiterhelfen, sagt Mari Günther, Coach und Therapeutin, im Interview.

Angenommen, Herr Schmidt nimmt sich eine Auszeit und es kommt wenige Monate später Frau Schmidt zurück. Wie sollten Kolleginnen und Kollegen reagieren?

Sie sollten sich danach richten, was die betreffende Person sich wünscht. Häufig sagen trans* Personen, dass sie ihren Kolleg_innen eine Chance geben wollen, sich darüber zu unterhalten, Fragen zu stellen. Manchmal muss man eher dafür sorgen, dass trans* Personen da nicht zu sehr hineingeraten. Sie reden dann zuviel über sich selber, was ein Gefühl von Bloßgestelltsein mit sich bringen, Zuhörer_innen aber auch nerven kann.

Was vermeidet man besser?
Unnötiges Theater wie: Ohh, der geht dann bei uns mit aufs Klo. Wenn es einen Wasserrohrbruch gibt und alle müssen sich das Klo teilen, stirbt doch auch keiner. Ein Trans* Sein muss entdramatisiert werden. Manchmal gibt es den Drang, den Prozess zu sexualisieren. Kolleg_innen sollten da nur die Fragen stellen, die sie selber gestellt bekommen möchten. Arbeitgeber sind angehalten Diskriminierungen zu vermeiden. Am besten senden sie ein deutliches Signal in die Belegschaft: Das passiert nicht zum ersten Mal in Deutschland, wir stehen dazu.

Sie beraten Menschen im Transitionsprozess, also in der Zeit der Geschlechtsangleichung. Was sind für diese die größten Herausforderungen am Arbeitsplatz?

Die zentrale für Frage für viele ist: Was für ein Standing glaube ich in meinem Betrieb zu haben und was muss ich dafür tun, um anerkannt zu werden? Manche outen sich in dem Moment, wenn ihnen das Trans* Sein bewusst wird – ohne dass sie körperliche Veränderungen haben vornehmen lassen. Andere lassen körperliche Veränderungen schon einmal laufen und trainieren sich sozusagen im privaten Umfeld, um dann am Arbeitsplatz überzeugend und selbstbewusst den Switch zu schaffen. Nicht, dass man auf hohen Schuhen auf einmal umfällt. Die größte Herausforderung ist sicher der Arbeitsplatzerhalt. Da gibt es große Ängste. Viele kündigen leider, bevor sie sich outen. Sie denken: Ich gehe raus aus dem Job, mache meine Transition und bewerbe mich dann woanders unter einem neuen Label. Da unterschätzen viele die Zeitdauer dieser Veränderung.

Wie lange dauert das?
Das hängt immer davon ab, wie viel Veränderung gewollt ist. Will man sich operieren lassen – was nicht auf alle zutrifft – , gibt es bei manchem Operateur eine Wartezeit von zwei, drei Jahren. Man muss auch erst zwangsweise 18 Monate Psychotherapie über sich ergehen lassen, bevor man etwas beantragen kann. Die medizinischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen sorgen so erst recht dafür, dass viele aus ihren sozialen Bezügen herausfallen. Das ist eine der schlimmsten Diskriminierungen. Und eine Neubewerbung als trans* Person ist dann natürlich viel schwieriger. Von daher haben trans* Personen ein Riesenproblem beim Wiedereinstieg. Studien zeigen, dass sie oft schlecht bezahlte Jobs haben. Wir fördern daher immer den Arbeitsplatzerhalt. Kündigen kann man immer noch, wenn es nicht klappt.

Mari Günther leitet das Beratungszentrum "Queer Leben" in Berlin. Sie arbeitet als Therapeutin und Coach und ist Vorstand im Bundesverband Trans*.
Mari Günther leitet das Beratungszentrum "Queer Leben" in Berlin. Sie arbeitet als Therapeutin und Coach und ist Vorstand im Bundesverband Trans*.
© promo

Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht?
Aus meiner Familiengeschichte heraus hatte ich immer Existenzängste. Daher habe ich immer dafür gesorgt in Arbeit zu sein. Der Druck hat mir geholfen, mich den Veränderungen zu stellen. Es gab aber immer wieder Versuche von Arbeitgebern mich loszuwerden. Gerade in der Kinder- und Jugendarbeit, wo ich auch aktiv bin, war das Trans-Thema für manche zu aufregend. Wobei Kinder und Jugendliche am entspanntesten damit umgehen.

Dass Trans*-Themen medial größer verhandelt werden, wie in der Serie „Transparent“, ist eine relativ neue Entwicklung. Wie weit sind Unternehmen?
Durch meine Beratungsarbeit habe ich relativ gute Kontakte zu vielen Dax-Unternehmen. Aber eben nicht offiziell. Natürlich gibt es in allen Branchen trans* Personen, aber der Umgang ist äußerst unterschiedlich. Für eine Bank etwa ist das wohl schwer vorstellbar. In Bereichen, wo es um mehr Kreativität geht, wo vielleicht mehr Lesben und Schwule geoutet arbeiten, vielleicht auch Hierarchien weniger wichtig sind, ist das einfacher.

Sie geben auch Fortbildungen für Verwaltungen. Was steht dabei im Mittelpunkt?
Diese Trainings passieren meistens anlasslos, es geht insgesamt um Diversity. Das Thema Trans* hat den Vorteil, dass es noch etwas exotisch und damit interessant ist. Ich rate denen in aller Regel zur Sachlichkeit, zu Klarheit. Andere Leute sollen ja auch nicht diskriminiert werden, demzufolge verdienen trans* Personen denselben Respekt wie alle anderen. Und es profitiert ja nicht nur die trans* Person. Auch den Kolleg_innen werden manchmal Rollenzuschreibungen, denen sie unterworfen sind, erst bewusst, wenn sie Veränderungen bei einem trans* Kollegen mitbekommen. Ihnen kann es dann ebenfalls gelingen, sich daraus etwas zu befreien und kreativer zu werden.

Der Bundesverband Trans*, dem Sie vorstehen, erarbeitet für das Familienministerium einen Transitionsleitfaden für das Berufsleben. Was wird der enthalten? 
Da könnte drinstehen, dass die Belegschaft in einer bestimmten Art und Weise zu informieren ist, welche Rolle der Betriebsrat einzunehmen hat. Es muss ein Prozedere geben, um die Kundschaft und wichtige Vertragspartner_innen zu informieren. Die IT-Abteilung muss Änderungen etwa in den Anmeldedaten und Mailaccounts vornehmen. Wenn sich eine Person meldet und sagt: Guten Tag, ich bin Trans – dann muss man einfach nur diesen Leitfaden abarbeiten. Dann ist das eine relativ unaufgeregte Angelegenheit.

Es gibt sehr wenige Rollenvorbilder für transgeschlechtliche Führungskräfte.
Wenige? Gar keine. Das gilt für alle trans* Personen. Versuchen Sie mal, ein Buch mit einer transgeschlechtlichen Figur zu finden, die weder verrückt noch Mörder_in noch Leiche ist. Die gibt es nicht. Hier wird auch die Angst von Eltern mit transgeschlechtlichen Kindern deutlich: Was soll aus unserem Kind werden? Die einzigen Bilder, die wir im Kopf haben, sind Rotlicht, schiefe Bahn, Drogen oder – in anderen Ländern – erschlagen werden. Man denkt nicht an die berufliche Entwicklung, wenn man an Trans* denkt.

Oft kommt der Einwand von Firmen, dass es sich um wenige Fälle handelt. Warum sollten sie sich dennoch darauf einstellen?
Es gibt viel mehr trans* Personen als man glaubt. Die zeigen sich aber erst, wenn von oben klar gezeigt wird: Ihr seid gewollt, gebraucht. Firmen haben Vorteile, wenn sie trans* Personen beschäftigen.

Welche?
Die Erfahrung von Wechsel- und Änderungsprozessen – das ist eine Ressource, die man nutzen kann. In Südostasien gibt es Firmen, die gezielt trans* Personen ansprechen, um Transitionsprozesse in Firmen zu leiten. Sie haben – was gerade bei diversen Belegschaften wichtig ist – die Fähigkeit zum Perspektivwechsel. Trans* Personen entwickeln zudem auch eine große Resilienz. Wer diesen Prozess für sich hinbekommt und halbwegs stabil und gesund bleibt oder wird: Den oder die kann kaum etwas aus der Ruhe bringen.

Der Text ist in der gedruckten Zeitung in der Beilage zum Diversity-Kongress 2016 erschienen.

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