Transidentität: Der lange Weg zum Mann
Paul war vier oder fünf Jahre alt, als er zum ersten Mal realisierte, dass er ein Junge ist. Aber etwas war anders, ihm fehlte ein bestimmtes Körperteil. Warum, verstand er nicht. Eine transidente Biografie: Von tiefen Ängsten bis zum unbeschreiblichen Stolz.
Das Ganze ist über 30 Jahre her, Paul hat vor einigen Jahren eine Geschlechtsangleichung vorgenommen, er hat sich die Brüste, Eierstöcke und Gebärmutter entfernen lassen und aus seinem linken Unterarm haben Ärzte einen Penis geformt. Alle zwölf Wochen bekommt er eine Testosteron-Spritze ins Gesäß, die seine Muskeln und seinen Bart haben wachsen lassen und sein Gesicht kantiger machten. Auch seine Stimme ist tiefer geworden.
Paul ist ein Transmann – ein Frau-zu-Mann-Transsexueller, wie die Mediziner sagen. Äußerlich unterscheidet er sich kaum von einem biologischen Mann, der mit Penis, Hoden und XY-Chromosomensatz geboren wurde. Paul geht ins öffentliche Schwimmbad, sogar in die Sauna, und nur die Narben auf seiner Brust, in der Leiste und am Unterarm erinnern noch an die geschlechtsangleichenden Operationen.
Claudia war schon immer ein Junge
Paul hat sehr viel Glück gehabt, aber er hat sich den „Weg zum Mann“ auch hart erarbeitet. Glück hatte Paul vor allem, weil seine Familie und Freunde immer hinter ihm standen und ihn bei seiner Transition unterstützten. Die Eltern erinnern sich, dass „ihre Tochter Claudia“ schon als Kleinkind immer wieder sagte, dass „sie“ ein Junge ist. Dass sie partout keine Kleider und Röcke tragen wollte. Das alles kam ihnen komisch vor, aber an eine Transsexualität bzw. Transidentität dachten sie damals nicht. „Vielleicht liegt es daran, dass Claudia einen älteren Bruder hat, an dem sie sich orientiert“, deutete Pauls Mutter das Verhalten ihrer vermeintlichen Tochter. „Ist halt ein burschikoses Mädchen, vielleicht wächst sich das ja in der Pubertät aus“, mutmaßte der Vater.
Horror Pubertät
Dann kam Paul in die Pubertät. Sie war der blanke Horror für ihn. Sein Körper entwickelte in die komplett falsche Richtung. Paul wollte ein Mann werden, wollte Muskeln, Bartwuchs und Brusthaare bekommen. Aber stattdessen wuchsen ihm Brüste und weibliche Rundungen. Seine Eierstöcke produzierten fortan das weibliche Geschlechtshormon Östrogen und er bekam den Körper einer Frau.
Paul konnte nichts dagegen machen, war furchtbar unglücklich und verzweifelt. Er begann, seine Brüste mit engen Bandagen abzubinden. Er verheimlichte seine erste Regelblutung. Er weigerte sich, am Schulsport teilzunehmen, weil er sich nicht in der Mädchenumkleide umziehen wollte. Paul zog sich immer mehr zurück und auch seinen Eltern vertraute er sich nicht an. Er schämte sich und sah keinen Ausweg.
Er schien seine Rolle in der Gesellschaft gefunden zu haben
Paul hatte schon mal von Transsexuellen gehört, aber das waren aus seiner Sicht Leute, die merkwürdig aussahen und von allen belächelt oder sogar geächtet wurden. Er hatte Fernsehberichte gesehen über misslungene Operationen, Mobbing und irgendwelche Freaks. Nein, das wollte er auf keinen Fall sein, und so versuchte er, sich anzupassen, zu verdrängen, einen Kompromiss zu leben. Und irgendwann, er war inzwischen Mitte zwanzig, hatte Paul scheinbar seine Rolle in der Gesellschaft gefunden: als die burschikose Claudia mit den kurzen Haaren, die auf Frauen steht.
Das ging eine Zeit lang gut, aber „die Claudia“ wurde immer unglücklicher, obwohl „sie“ mit „ihrem“ androgynen Aussehen und „ihrem Lesbisch sein“ gesellschaftlich akzeptiert war und dies nicht das Problem zu sein schien. Tief im Innern stimmte etwas Grundlegendes nicht, das anscheinend bislang erfolgreich verdrängt wurde.
Paul hatte sich zeitlebens männliche Vorbilder gesucht, sich immer mit Männern verglichen, exzessiv Sport getrieben, jegliche weibliche Rundung wegtrainiert und weggehungert, und doch sah er im Spiegel immer eine Frau. Er hasste diesen Frauenkörper. Paul hatte lange weggeschaut. Doch plötzlich kam der Zusammenbruch. Und blitzartig die Erkenntnis, die eigentlich schon immer klar war: Ich bin ein Mann, keine Frau. Ich bin transsexuell. Paul war vollkommen paralysiert. Was tun?
Transsexuell - was tun?
So wie Paul ergeht es schätzungsweise jeder 100000. mit weiblichem Genital und jedem 30000. mit männlichem Genital geborenen Menschen in Deutschland, die Dunkelziffer ist vermutlich noch höher. So viele Menschen sind transsexuell bzw. transident – sie identifizieren sich, laut WHO-Definition, „konstant und dauerhaft psychisch vollständig mit dem Gegengeschlecht“. Mediziner sprechen von einer Geschlechtsdysphorie. Am geläufigsten ist der Begriff Transsexualität, aber die Bezeichnung Transidentität ist treffender und wird oft von Betroffenen bevorzugt, weil es zwar um das Geschlecht (engl. „sex“) geht, aber primär um die Geschlechtsidentität, nicht um die Sexualität.
Seit 1981 ermöglicht das „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“, auch „Transsexuellengesetz (TSG)“ genannt, dass Menschen wie Paul ihren Vornamen – von Claudia zu Paul – und ihr ursprünglich festgestelltes Geschlecht – weiblich – zu ihrer empfundenen Geschlechtsidentität – männlich – (oder umgekehrt) ändern können. Das alles natürlich unter einer Reihe von Bedingungen. Gleiches gilt für den Wunsch nach hormoneller und chirurgischer gegengeschlechtlicher Behandlung, den viele Transidente haben und – laut Definition – auch haben müssen. Ein mitunter langer, mühseliger Weg.
Paul recherchiert nächtelang
Paul recherchierte tage- und nächtelang im Internet, er meldete sich bei einem Forum an, in dem Transmänner wie er sich über ihre Transidentität, ihre Ängste und Sorgen, ihre Erfahrungen mit Therapeuten und Ärzten sowie Hormonen und Operationen austauschen. (Hilfe bietet unter anderem das Forum Ftm-portal.net.)
In einem Forum gab er sich zum ersten Mal den Nicknamen „Paul“. Viele Forenmitglieder hatten Fotos hochgeladen, auf denen die OP-Ergebnisse verschiedener Chirurgen zu sehen waren. Paul staunte sich durch die Bilder und war fasziniert, was heutzutage medizinisch möglich ist. Gleichzeitig bereiteten ihm Berichte von schief gelaufenen OPs und schweren Komplikationen Angst.
Trotzdem wurde Paul immer überzeugter, dass er transident ist und dass er sein „falsches“ weibliches Geschlecht an das „richtige“ männliche Geschlecht anpassen lassen will. „Geschlechtsumwandlung“ nennt dies der Volksmund – aber es fühlt sich für Betroffene nicht wie eine „Umwandlung“ an, sondern vielmehr wie eine Angleichung oder Anpassung des Körpers an die gefühlte Identität. Auch wenn der Begriff „Geschlechtsumwandlung“ immer noch gängig ist – die Bezeichnungen Geschlechtsangleichung und Geschlechtsanpassung haben ihn abgelöst.
Geschlechtsangleichung? "Krass - aber mach mal"
Dann fasste Paul Mut und vertraute sich engen Freunden und später auch seinem Bruder und schließlich seinen Eltern an. Er hatte eine unbeschreibliche, existenzielle Angst, mit seiner Offenbarung alles zu verlieren. Doch seine Freunde reagierten ausnahmslos verständnisvoll, für sie war „Claudi“ immer schon irgendwie ein Typ gewesen. Krass, so eine Geschlechtsangleichung, aber mach mal, munterten sie ihn auf. Auch der Bruder nahm das „Outing“ gelassen auf.
Pauls Eltern waren ein wenig irritierter, zwar hatten sie schon immer so etwas geahnt, aber sie hatten keine Worte dafür finden können. Jetzt waren die Wörter da: Transsexualität, Transidentität, Geschlechtsangleichung, „Geschlechtsumwandlung“. Die Mutter sorgte sich, ob sie wohl etwas falsch gemacht hatte in der Erziehung, und vor allem war sie besorgt um Pauls Gesundheit wegen der ganzen Hormone und Operationen. Deshalb ging sie mit ihrem erwachsenen Kind als erstes zur Hausärztin, und hier hatte Paul wieder großes Glück.
Die meisten Ärzte haben kaum Erfahrung
Die Hausärztin kannte bereits einen anderen transidenten Patienten, und so war sie mit dem Thema vertraut. Leider auch heute noch eine Seltenheit: Die meisten praktischen Ärzte haben keine oder kaum Erfahrung mit Transidentität. Pauls Hausärztin selbst führte keine gegengeschlechtlichen Hormonbehandlungen durch und betonte auch, dass es hierfür noch zu früh sei. Zunächst müsse Paul einen Psychotherapeuten oder Psychiater aufsuchen, der die Diagnose stellt. Ohnehin müsse Paul in einem Alltagstest das Leben in der gewünschten Rolle als Mann erproben und dann erst könne der Therapeut Gutachten und Indikationsschreiben für die Hormone und später für die Operationen ausstellen.
Sie gab ihm aber Adressen von Psychotherapeuten, die auf Transidentität spezialisiert sind, sowie den Namen eines Endokrinologen (Hormonspezialisten), der viele Trans-Patienten behandelt, damit Paul sich schon einmal bei ihm informieren könne. Paul hätte am liebsten direkt mit den Hormonen losgelegt, er konnte es kaum erwarten, aber immerhin war der Stein nun im Rollen. (Medizinische Informationen gibt es unter anderem auf www.trans-infos.de oder bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.)
Die erste Testosteronspritze - wie eine Wiedergeburt
Von anderen Transmännern im Forum hatte Paul erfahren, dass man eine Psychotherapie machen muss. Darauf hatte er eigentlich keine Lust, aber er brauchte das Indikationsschreiben eines Psychotherapeuten, welches der Endokrinologe als Voraussetzung für den Start der Testosteron-Behandlung einforderte.
Tatsächlich ist es so, dass sich Ärzte und Krankenkassen an bestimmten Standards zur Feststellung, Begutachtung und Behandlung Transsexueller orientieren, in denen unter anderem die Dauer und Durchführung einer Psychotherapie, des Alltagstests, der gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung und der geschlechtsangleichenden Operationen geregelt ist, insbesondere die sogenannte „Begutachtungsanleitung Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS)“.
Diese Richtlinien überlassen dem Therapeuten aber eine gewisse Flexibilität in der Begutachtung. So hatte Paul von einem anderen Transmann erfahren, dass dieser ein ganzes Jahr lang die gewünschte Geschlechterrolle im Alltagstest erproben musste, bevor sein Psychotherapeut ihm die Indikation zur Hormonbehandlung ausstellte. Paul hingegen erhielt bereits nach einem knappen halben Jahr die schriftliche Stellungnahme und somit das „Go“ seines Therapeuten für die Hormone.
Der Therapeut muss sich neutral verhalten
Die Richtlinien betonen, dass sich der Psychotherapeut neutral gegenüber dem Wunsch des Patienten nach einer Geschlechtsangleichung verhalten muss. Er soll dieses Bedürfnis weder forcieren noch ablehnen. Es ist deshalb wichtig, dass der Therapeut über die nötige Qualifikation und Erfahrung im Umgang mit Trans-Patienten verfügt. Immer wieder hört man aber von Fällen, in denen Therapeuten mit unprofessionellen oder unseriösen Methoden Transidentität „behandeln“.
So ging im vergangenen Jahr der Suizid der siebzehnjährigen Leelah Alcorn aus den USA durch die Medien, deren streng gläubige Eltern sie zum sogenannten Konversions- oder reparativen Behandlungsverfahren bei einem Psychotherapeuten zwangen, um ihre Transidentität zu „heilen“. Auch in Deutschland landen Transmenschen mitunter jahrelang auf der Couch von nicht mit Transidentität vertrauten Analytikern, die deren Transition verzögern.
Wertvolle Unterstützung
Eine wichtige Aufgabe des Psychotherapeuten ist, andere Gründe als Transidentität – Mediziner nennen dies Differenzialdiagnosen – auszuschließen. Dazu zählen teilweise oder vorübergehende Geschlechtsidentitätsstörungen, beispielsweise bei sogenannten Adoleszenzkrisen, oder eine akute Psychose, bei der die geschlechtliche Identität vorübergehend verkannt wird, sowie schwere Persönlichkeitsstörungen, die sich auf die geschlechtliche Identität auswirken.
Aus medizinischer Sicht erscheint es tatsächlich wichtig, diese Gründe auszuschließen, weil viele geschlechtsangleichenden Maßnahmen irreversibel – also nicht mehr rückgängig zu machen – sind. Eine gute Psychotherapie erfüllt ihr gestecktes Ziel, die Diagnose Transsexualismus – so sicher und effizient wie möglich – zu stellen, und den Betroffenen vorurteilsfrei bei seinem Weg zu begleiten. Die Psychotherapie kann deshalb eine wertvolle Unterstützung bei der Transition sein und sollte idealerweise weder als eine Hürde auf dem Weg zur Geschlechtsangleichung betrachtet werden, noch als notwendiges Übel für das Erlangen von Gutachten
Die lang ersehnte Hormonbehandlung
Mit dem Indikationsschreiben seines Psychotherapeuten konnte Paul die lang ersehnte gegengeschlechtliche Hormonbehandlung beginnen. Bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen wird das männliche Geschlechtshormon Testosteron lebenslang als Medikament zugeführt, zum Beispiel als Spritze in einen Muskel, als Gel oder als Pflaster auf die Haut. Biologische Männer produzieren Testosteron vorwiegend in den Hoden. Testosteron führt zu einer Vermännlichung (Virilisierung), die bei Transidenten, ähnlich wie in der Pubertät, über mehrere Jahre verläuft.
Bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen, also Transfrauen, besteht die Standardtherapie hingegen aus der Kombination eines Antiandrogens und eines Östrogens. Antiandrogene sind Medikamente, die die Wirkung der männlichen Sexualhormone hemmen, und Östrogene sind weibliche Geschlechtshormone, die bei biologischen Frauen hauptsächlich in den Eierstöcken gebildet werden. Ziel der Hormonbehandlung von Transfrauen ist die Verweiblichung (Feminisierung).
Nach ein paar Wochen die ersten Veränderungen
Vor der ersten Hormongabe führen die Ärzte einige Untersuchungen durch. Paul musste zum Frauenarzt, er ließ sich Blut abnehmen und es wurde sogar sein Erbgut untersucht, was bestätigte, dass er den „klassischen weiblichen“ Chromosomensatz XX besitzt und er somit für die Mediziner ein „echter Frau-zu-Mann-Transsexueller“ und nicht etwa ein intersexueller Mensch ist.
Nicht jeder Arzt führt alle diese Untersuchungen durch, es gibt bislang keine verbindliche Leitlinie für die ärztliche Diagnostik. Die erste Testosteron-Spritze war für Paul wie eine Wiedergeburt, ein unbeschreibliches Gefühl, den lang ersehnten Traum wirklich zu leben. Ein paar Wochen nach dem Beginn der Hormonbehandlung bemerkte er die ersten Veränderungen, er fühlte sich kräftiger, der Bart begann zu sprießen, Haare an den Beinen und am Bauch zu wachsen, und er kam wie ein Vierzehnjähriger in den Stimmbruch. Dass Testosteron die Libido steigert, konnte Paul ebenfalls deutlich bestätigen.
Auf Youtube die Videos von anderen Transmännern
Auf YouTube schaute sich Paul selbstgedrehte Videos von anderen Transmännern an, die weltweit ihre Transition vor der Kamera dokumentierten. Bei allen gingen die Veränderungen unterschiedlich schnell vonstatten, einige hatten bereits nach wenigen Wochen einen Vollbart, andere nach einem Jahr noch nicht mal einen Flaum. Paul selbst machte zwar auch Fotos und Videos von sich, stellte diese aber nicht ins Netz.
Zum Arzt musste Paul nun regelmäßig, um seine Blut- und Hormonwerte bestimmen zu lassen. Der Arzt wollte sicher gehen, dass die Medikamente weder die Leber noch andere Organe schädigten, sowie dass Pauls Hormonstatus weder zu niedrig noch zu hoch – sondern im Normbereich eines biologischen Manns – war. Ein Transmann hat somit keinen höheren Testosteron-Wert als andere Männer. Das oft gehörte Vorurteil, dass die Zufuhr von Testosteron per se gesundheitsschädigend sei, lässt sich wissenschaftlich nicht halten. Ebenso die viel zitierten Aussagen, dass Testosteron die Lebenszeit verkürzt, aggressiv macht und Krebs auslöst.
Dies muss differenzierter betrachtet werden. Wer sich als Spitzen- oder Breitensportler Testosteron und andere Anabolika unkontrolliert und in großen Mengen verabreicht, um seinen Testosteron-Spiegel zu erhöhen und seine Leistung zu steigern, hat selbstverständlich ein hohes gesundheitliches Risiko. Aber eine medizinisch indizierte und überwachte gegengeschlechtliche Hormonbehandlung ist kein Doping und soll mit möglichst geringen Nebenwirkungen einhergehen. Über diese klärt der Arzt vor der Behandlung auf.
Wie Transfrauen behandelt werden
Mögliche Nebenwirkungen zu Beginn der Testosteron-Behandlung sind unter anderem Hitzewallungen, Akne und Kopfschmerzen, die aber meist nach einiger Zeit verschwinden. Ob Testosteron die Leberenzyme, die Blutfettwerte, die Anzahl der Blutzellen oder den Blutdruck erhöht – was ebenfalls vorkommen kann – überprüft der Arzt durch regelmäßige Untersuchungen. Wenn starke Nebenwirkungen auftreten, kann er die Dosierung verändern oder das Präparat wechseln. In seltenen Fällen muss die Behandlung tatsächlich abgebrochen werden.
Die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung von Transfrauen hat aufgrund des verabreichten Östrogens insgesamt etwas mehr und schwerere Nebenwirkungen, wie ein erhöhtes Risiko für Thrombosen und Brustkrebs. Aber auch hier lassen sich durch angemessene Dosierungen sowie regelmäßige Kontrolluntersuchungen gesundheitliche Folgen reduzieren. Wer sich für eine gegengeschlechtliche Hormonbehandlung entscheidet, sollte sich der möglichen Nebenwirkungen bewusst sein, ohne in Panik zu verfallen, und – wie bei jeder medizinischen Therapie – Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen.
Das Schwimmbad meidet er zunächst komplett
Ein paar Wochen nach der ersten Hormonspritze sah Paul tendenziell männlich aus, hatte aber noch eine helle Stimme und fühlte sich im sozialen Alltag oft hin- und hergerissen. Menschen wie er, die „irgendwie zwischen Mann und Frau aussehen“, finden in unserem binären Geschlechtersystem keinen richtigen Platz. Wenn Paul im Lokal auf die Toilette musste, wählte er das Männerklo, schlich sich aber oft unbemerkt herein aus Angst, aufs Frauenklo verwiesen zu werden. Wenn die Kabine besetzt war, verharrte er peinlich berührt neben den freien Urinalen, die er noch nicht benutzen konnte. Aus dem Damenklo hatte ihn vor einiger Zeit eine Frau empört rausgeschickt.
Das Schwimmbad mied er komplett, obwohl er früher gerne schwimmen ging. Aber in Badehose, mit Brüsten? Undenkbar. Oder im Badeanzug, mit Brusthaaren? Die Sitte hätte ihn abgeführt. Für ihn als Transidenten war dieser Zustand nur vorübergehend, denn nach den Operationen war das alles wieder möglich. Aber eines wird deutlich: Intersexuelle Menschen, die sich weder eindeutig dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen lassen, stehen zeitlebens vor dem Problem, entweder auf vieles zu verzichten, das für „geborene Männer und Frauen“ selbstverständlich ist, oder sich zwangsläufig in eine Geschlechtskategorie einzuordnen, und sei es mithilfe medizinischer Maßnahmen.
Nach einem halben Jahr sieht er ziemlich männlich aus
Nach etwa einem halben Jahr seiner Transition sah Paul schon ziemlich männlich aus und wurde auch in der Öffentlichkeit meistens als Mann angesprochen. Er besaß aber noch alle weiblichen Papiere mit dem Namen Claudia, wie Personalausweis, Führerschein, Krankenkassenkarte oder EC-Karte. Immer wieder geriet er in unangenehme Situationen beim Bezahlen im Supermarkt oder bei der Kontrolle in der Bahn, wenn er sich mit Claudia ausweiste, manchmal wurde er nur schräg angeguckt oder von oben bis unten gemustert.
Also brauchte er so bald wie möglich neue, männliche Ausweise. So stellte Paul beim Amtsgericht einen Antrag auf Änderung seines Vornamens von Claudia zu Paul und seiner Geschlechtszugehörigkeit von weiblich zu männlich, auch „Vornamens- und Personenstandsänderung“ genannt. Er wusste von anderen Transidenten, dass es bis zu einem Jahr oder länger dauern kann, bis – und falls überhaupt – dem Antrag stattgegeben wird.
Den Personenstand ändern
Die Voraussetzungen für die Vornamens- und Personenstandsänderung sind in den Paragrafen 1 und 8 des Transsexuellengesetzes geregelt. Insbesondere darf sich „die Antrag stellende Person aufgrund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem Gegengeschlecht, zugehörig fühlen“. Außerdem muss sie „seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang stehen, entsprechend ihren Vorstellungen im Gegengeschlecht leben zu müssen“. Und es ist „mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird“.
Zwei unabhängige Sachverständigen-Gutachter entscheiden, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Die beiden Gutachter werden vom Amtsgericht bestellt, es ist allerdings möglich, einen Gutachter oder eine Gutachterin vorzuschlagen.
Der eine Gutachter stellte Paul unangenehme Fragen zu seinen Sexualpraktiken, aber Paul beantwortete alles devot aus Angst, das Gutachten sonst nicht zu bekommen. Dass diese Fragen unangebracht waren und der Gutachter seine Machtstellung missbrauchte, ahnte Paul, aber er ließ es auf sich beruhen. Die andere Gutachterin war sehr nett. Als beide Gutachten ihm seine Transidentität bestätigten, musste Paul noch vor der Richterin vorsprechen und einmal mehr seine Geschichte erzählen. Als auch ihr Urteil zustimmend ausfiel, erhielt er nach einigen Wochen Post vom Amtsgericht und konnte alle Dokumente, einschließlich seiner Geburtsurkunde, neu ausstellen lassen. Er war nun also auch offiziell und rechtlich ein Mann.
Das glückliche Leben nach der Geschlechtsangleichung
In der Zwischenzeit hatte Paul Vorgespräche in Kliniken geführt und sich dort über die geschlechtsangleichenden Operationen, kurz GAOP, informiert. In dem Transmann-Forum hatte er sich OP-Erfahrungen und OP-Ergebnisse anderer Transmänner angeschaut und anhand dessen zwei Kliniken ausgewählt. Die eine war eine für GAOP renommierte Privatklinik in Potsdam, die andere eine Klinik in München, in der ebenfalls seit vielen Jahren zahlreiche geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt wurden.
Das Besondere war, dass diese Kliniken einen Penoidaufbau (Phalloplastik) anboten, das bedeutet, dass die Ärzte aus Körpergewebe einen neuen Penis formten. Der Penoidaufbau ist einer der kompliziertesten Eingriffe mit vielen Komplikationen, und nur wenige Ärzte weltweit beherrschen ihn wirklich gut. In Potsdam und München, sowie einer Handvoll anderer deutscher Kliniken, zum Beispiel in Frankfurt und Berlin, wird die Phalloplastik überhaupt durchgeführt. Zwar bieten inzwischen immer mehr Krankenhäuser Penoid-Rekonstruktionen an, aber die Ergebnisse unterscheiden sich hinsichtlich Optik, Funktionalität und Komplikationsraten fundamental. Sicherlich wird sich hier in den nächsten Jahren einiges tun.
Eine OP oder mehrere OPs?
Nach den Vorgesprächen war Paul von beiden Kliniken sehr angetan. Es gab allerdings wesentliche Unterschiede: In Potsdam hätte er die operative Geschlechtsangleichung komplett in einem Schritt vornehmen lassen können, also die Entfernung von Brüsten, Eierstöcken und Gebärmutter sowie den Aufbau des Penis in einer einzigen, rund elfstündigen Operation.
Doch es handelte sich um eine Privatklinik und Paul war Kassenpatient. Die meisten gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die GAOP in Potsdam nur in Ausnahmefällen oder anteilig, und als Selbstzahler für die höheren fünfstelligen Klinikkosten schied Paul aus. Paul bedauerte dies, weil viele Transmänner Potsdam für die beste Klinik hielten.
Aber auch München hatte einen sehr guten Ruf. Hier wird die GAOP von Frau-zu-Mann-Transsexuellen allerdings in mehreren Einzeloperationen durchgeführt. Zunächst werden Eierstöcke und Gebärmutter entfernt, und die Harnröhre in die um ein paar Zentimeter verlängerte Klitoris verlagert. Mediziner nennen dies Metaidoioplastik oder Klitorispenoid, Transmänner kurz Klitpen oder den „kleinen Aufbau“.
Erst in einem nächsten Schritt wird das Penoid aus Gewebe des Unterarms – einschließlich Nerven, Arterien, Venen und Lymphgefäßen – geformt. Es lässt sich optisch (bei gelungenen Ergebnissen) kaum von einem „angeborenen“ Penis unterscheiden.
In der Fachsprache heißt diese Methode „Vorderarmlappenplastik“. Sie gilt inzwischen als Standard beim Penoidaufbau, wenngleich hierzulande und auch weltweit andere Methoden, zum Beispiel Aufbauten aus dem Bein, dem Rücken oder anderen Körperbereichen, angeboten werden. Vervollständigt wird der Penis durch eine Eichel (Glans) sowie Silikonhoden und – hierfür ist allerdings auch in Potsdam ein zweiter Eingriff nötig – eine Erektionsprothese, auch schlicht „Pumpe“ genannt.
Die Transformations-OP von Transfrauen ist einfacher
Die Transformationsoperation von Transfrauen ist in Bezug auf die Rekonstruktion der Geschlechtsorgane einfacher und mehr Ärzte haben hier Routine. Dennoch ist es ratsam, die Klinik sorgfältig auszuwählen, Vorgespräche mit den Ärzten zu führen, OP-Bilder zu vergleichen und sich Erfahrungsberichte einzuholen.
Die GAOP Mann-zu-Frau wird in vielen Kliniken angeboten und erfolgt meist in mindestens zwei Operationsschritten, kann aber auch in einem einzigen Eingriff vorgenommen werden. Bei dieser GAOP entfernen die Chirurgen die großen Schwellkörper des Penis, verkürzen die Harnröhre, rekonstruieren die Scheide, die Klitoris, die Schamlippen (aus dem Hodensack) und den Schamhügel, sodass eine Vagina entsteht. Außerdem kann ein Brustaufbau erfolgen. Immer mehr Transfrauen entscheiden sich für weitere plastische Operationen zur Verweiblichung, die sie aber in der Regel selbst bezahlen müssen, wie Gesichtsoperationen oder eine Verkleinerung des Schildknorpels.
Paul entschied sich für eine OP in München
Paul entschied nach langer Überlegung, die Operationen in München vornehmen zu lassen, auch wenn hier die Wartezeiten bis zu zwei Jahre betrugen. Da die Kostenübernahme vorher bei der Krankenkasse geklärt werden muss, stellte Paul dort einen Antrag und fügte eine weitere schriftliche Stellungnahme seines Psychotherapeuten bei, der die Operation befürwortete.
Damit die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) ihre „Leistungspflicht anerkennen“, bedarf es wiederum einiger Voraussetzungen, die in der Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes „Begutachtungsanleitung Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität“ verschriftlicht sind. Hier wird unter anderem gefordert, dass die Psychotherapie seit mindestens 18 Monaten erfolgt, dass die Person den Alltagstest seit mindestens 18 Monaten absolviert (also das Leben in der gewünschten Geschlechtsrolle kontinuierlich erprobt hat), und dass die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung seit mindestens 6 Monaten durchgeführt wird.
Die Frage des Gutachters: Wofür brauchen Sie einen Penis?
Paul hatte so viele Geschichten von anderen Transidenten gehört, deren Krankenkassen die Anträge kategorisch ablehnten oder immer wieder neue Gutachten einforderten, dass er schon gar nicht mehr damit rechnete, eine schnelle Zusage zu erhalten. Nach wenigen Wochen meldete sich ein Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und stellte Paul einige Fragen zu seiner Geschlechtsidentität, unter anderem wofür er denn einen Penis bräuchte. Paul war etwas vor den Kopf gestoßen und kurz davor, den MDK-Gutachter dasselbe zu fragen, unterdrückte es aber.
Er hatte unzählige, aus seiner Sicht „noch viel schlimmere“ Berichte vor allem von Transfrauen in Foren gelesen, die sich von Gutachtern erniedrigt und sogar sexuell belästigt fühlten. Zwar verhielt sich demnach die Mehrheit der Gutachter professionell, empathisch und wohlwollend, aber es gab erschreckende Schilderungen, in denen sich beispielsweise die Transfrauen bei der Begutachtung nackt ausziehen und sexuelle Stellungen nachspielen mussten.
Ob diese Vorwürfe tatsächlich stimmen, lässt sich nicht beweisen. Fest steht aber, dass keine der Frauen oder Männer den Mut aufbrachte, ihren Peiniger anzuzeigen. Aus Scham und aus Angst, das Gutachten nicht zu bekommen, und weil die Aussage eines Transsexuellen gegen die Aussage eines renommierten Experten stünde.
Endlich von der weiblichen Brust befreit
Pauls Antrag wurde stattgegeben, und er ließ zunächst eine Brustentfernung, medizinisch Mastektomie, in einer Klinik bei Hamburg vornehmen. Der dortige Arzt war ihm empfohlen worden, und Paul war sehr zufrieden mit dem Ergebnis und vor allem, endlich von seinen weiblichen Brüsten befreit zu sein und nun eine männliche Brust zu haben.
Wenige Wochen später erhielt er einen Anruf aus München und es folgten innerhalb der kommenden zweieinhalb Jahre vier geschlechtsangleichende Operationen: die Gebärmutterentfernung (Hysterektomie) und Eierstockentfernung (Ovarektomie, Adnektomie) mit Bildung des Klitorispenoids, die Phalloplastik, also die Rekonstruktion eines Penis aus Gewebe des Unterarms, die Bildung der Eichel am Penoid (Glansplastik), sowie die Implantation einer Erektionsprothese und eines Silikonhodens. Damit war seine operative Geschlechtsangleichung abgeschlossen.
Ängste vor Komplikationen
Bis auf eine Fistel, die von alleine verheilte, war Paul von Komplikationen verschont geblieben. Fisteln sind rohrförmige Verbindungen zwischen der Harnröhre und der Haut, durch die Urin nach außen fließen kann. Sie treten, ebenso wie Stenosen (Engstellen in der Harnröhre, was zu Harnverhalt und Harnstau führen kann), sehr häufig bei den Phalloplastiken auf und erfordern in einigen Fällen Korrektur-OPs.
Die gefürchtetste Komplikation ist der Komplettverlust des Penoids kurz nach der Operation, was bei erfahrenen Ärzten selten, bei anderen durchaus öfter vorkommt. Ängste vor Komplikationen, vor unbefriedigenden optischen Ergebnissen sowie vor Gefühlseinbußen im Genitalbereich schrecken viele Transmänner von einem Penoidaufbau ab. Dennoch steigt die Zahl der Phalloplastik-Operationen von Jahr zu Jahr, und tendenziell steigt mit zunehmender Erfahrung der Ärzte sowie mit dem medizinischen Fortschritt auch deren Qualität, wenngleich es hierzu noch zu wenige aussagekräftige Untersuchungen gibt.
Endlich: Die körperliche Männlichkeit genießen
Die Wartezeiten zwischen den Operationen empfand Paul als unglaublich belastend, und auch die Eingriffe selbst, vor allem der Penoidaufbau, nahmen ihn seelisch und körperlich sehr mit. Umso glücklicher war Paul, als er alles überstanden hatte und seine körperliche Männlichkeit in vollen Zügen genießen konnte. Paul war auch sehr froh, dass er noch sexuelle Erregbarkeit verspürte und einen Orgasmus bekommen konnte. Pauls Arzt hatte ihm vor der OP zugesichert, dass die gefühlssensible Klitoris an der Penoidbasis belassen würde. Außerdem wäre nach einigen Wochen bis Monaten auch im Penis selbst Gefühl vorhanden.
Der Begriff "transsexuell" unterstellt ein falsches Bild
Beides hatte sich glücklicherweise bestätigt. Paul hatte aber von anderen Transmännern gehört, deren Klitoris entfernt wurde, weil dies einfacher zu operieren sei. Paul war ohnehin überrascht, wie gutgläubig und widerstandslos sich manche Transidente unters Messer legten, ohne genau zu wissen, was mit ihnen passiert. Und einigen schien es fast egal zu sein, ob sie danach einen Orgasmus bekommen oder Sex haben konnten.
Überhaupt war Paul überrascht, wie wenig sexuelle Erfahrungen viele Transmenschen hatten. Viele hatten noch nie Sex, und für die anderen war der Sex im „alten“ Geschlecht meist quälend oder unbefriedigend. Nur wenige berichteten von erfülltem Geschlechtsverkehr vor ihrer Geschlechtsangleichung. Der Begriff „transsexuell“ hingegen unterstellt ein, offenbar völlig falsches, Bild von einem besonders sexuellen Verhalten.
Bei jedem Transmenschen ist es anders
Paul hatte insgesamt fünf geschlechtsangleichende Operationen, andere Transmänner nur zwei GAOPs, wiederum andere berichteten von über zwanzig Eingriffen, weil Komplikationen immer wieder korrigiert werden mussten. Viele Transmänner verzichteten auf den Penoidaufbau oder sie beließen es beim „kleinen Aufbau“. Wiederum andere ließen sich nur die Brüste entfernen.
Auch kannte Paul Transidente, die nur Hormone einnahmen und jegliche Operation ablehnten. Und es gibt auch Transmenschen, die gar keine medizinischen Maßnahmen in Anspruch nehmen, also weder Hormone einnehmen noch sich operieren lassen. Gemäß des aktuellen Transsexuellengesetzes können Menschen, die sich ihre Keimdrüsen – also Eierstöcke oder Hoden – nicht haben entfernen lassen, ihre Geschlechtszugehörigkeit nicht ändern.
Voraussetzung zur Änderung der Geschlechtszugehörigkeit ist nämlich die nachgewiesene Fortpflanzungsunfähigkeit und die erfolgte operative Geschlechtsangleichung – also letztlich die Kastration der Person. Dies stufte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. Januar 2011 allerdings als Verstoß gegen das Grundgesetz und somit als verfassungswidrig ein. Die Bundesverfassungsrichter entschieden, dass die Unantastbarkeit der Würde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Menschen höherwertiger einzustufen ist als die Einteilung der Bürger in „männlich“ oder „weiblich“.
Heute: Unbeschreiblich stolz
Wenn man Paul heute fragt, wie es ihm geht, antwortet er, dass er ein zufriedener, ausgeglichener und in seinem männlichen Körper glücklicher und selbstbewusster Mensch ist. Er ist unbeschreiblich stolz auf seinen Körper und darauf, dass er die Geschlechtsangleichung gewagt und durchgezogen hat. Als großes Glück empfindet er, dass die Menschen in seinem Umfeld seine Transidentität ernst nahmen, dass sie hinter ihm standen, ihn immer als Person liebten. Dass sie ihn nicht für krank, verrückt oder gar pervers erklärten. Und dass er trotz einiger Hürden an gute und erfahrene Ärzte und Therapeuten geraten ist. Während seiner Transition hat Paul unglaublich viele Erfahrungen gemacht – gute wie schlechte, andere Sichtweisen bekommen und neue Menschen kennengelernt, die sein Leben bereicherten.
Pauls Geschichte ist eine von vielen transidenten Biografien, und für Paul ist sie trotz vieler Ängste, Schmerzen und Narben eine Erfolgsgeschichte. Das ist bei weitem nicht selbstverständlich. Depressionen, soziale Isolation, selbstverletzendes Verhalten und Suizide sind bei transidenten Menschen häufig. Außerdem werden viele Transidente Opfer von gesellschaftlicher Ausgrenzung sowie von seelischer, körperlicher und sexueller Gewalt. Weltweit wird über Ermordungen transidenter Menschen berichtet.
Transidentität ist nach wie vor ein mit vielen Vorurteilen, Unwissen und Klischees behaftetes Thema, das extrem polarisiert. Transidente, die in einem konservativeren Umfeld aufwachsen als Paul, haben es deutlich schwerer. Zum Beispiel Transmenschen, die von ihren Eltern und ihrer Familie oder von einem politischen System zu einem geschlechts- und rollenkonformen Leben erzogen werden und sich genötigt sehen, ihnen und der Gesellschaft zuliebe dieses – und nicht ihr eigenes – Leben zu leben.
Viele Transidente brechen erst spät aus ihrem alten Leben aus
Viele Transidente wagen es erst in fortgeschrittenem Alter, aus ihrem alten Leben auszubrechen. Einige hinterlassen mit Mitte Fünfzig eine verstörte Familie mit Kindern, die alle nicht ahnten, dass „Papa“ immer schon eine Frau war, weil diese jahrzehntelang ihre Transidentität vor ihnen verheimlichte. Viele Beziehungen, Freundschaften und Familien zerbrechen, wenn jemand sich zur Transidentität bekennt. Viele Transidente verlieren ihren Job oder bekommen erst gar keinen. Auch ist nicht jeder mit dem Ergebnis seiner Geschlechtsangleichung zufrieden, weil Operationen misslungen sind oder weil die Vermännlichung bzw. Verweiblichung als unbefriedigend empfunden wird. Es gibt viele tragische, traurige Geschichten ohne Happy-end.
Aber es gibt auch viele Erfolgsgeschichten wie die von Paul. Und es gibt medial wirksame Vorbilder, die transident sind, die ihre Transidentität und ihre Transition öffentlich machten und die weiterhin ein erfolgreiches Leben führen. Laverne Cox, Balian Buschbaum, Renée Richards, Aydian Dowling, Marci Bowers, Chaz Bono oder jüngst Caitlyn Jenner, um nur einige zu nennen. Die meisten transidenten Menschen, die Paul kennt – und inzwischen kennt er mehrere Hundert – führen nach ihrer Geschlechtsangleichung ein glücklicheres Leben als vorher, und keiner von ihnen hat diesen Schritt bereut.
- Der Autor ist Arzt und Journalist und betreibt das Redaktionsbüro "medproduction" für Medizin und Gesundheit.
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