Die Aktivistin Naida Kučukalić aus Sarajevo: „Trans-Fragen sind feministische Fragen“
Die queere Community von Bosnien und Herzegowina hat im Alltag wenig Spielraum. Besonders schwer ist es für Transfrauen, die nahezu unsichtbar sind. Ein Gespräch mit der Feministin und Aktivistin Naida Kučukalić aus Sarajevo.
Frau Kučukalić, in den USA und in West-Europa sind Transgender-Menschen präsenter denn je. Es gibt Serien wie „Transparent“, die Schauspielerin Laverne Cox ist auf dem Cover des „Time“-Magazines. Dies alles hat auch dazu geführt, dass es in der Öffentlichkeit ein größeres Bewusstsein für die Rechte dieser Gruppe gibt. Zeigt sich das auch in Bosnien und Herzegowina und der Region?
Es ist immer etwas undankbar Vergleiche zu ziehen, wenn es um gesellschaftlichen Wandel geht. Überall auf dem Balkan, sei es in Serbien, Kroatien oder Montenegro, gibt es gewisse Veränderungen, doch es geht insgesamt noch nicht in eine Richtung, die wünschenswert wäre. Allerdings ist die Sichtbarkeit von Transmenschen gestiegen, weshalb ich zum Beispiel in Workshops häufig gefragt werde, ob es heute mehr LGBTIQ-Menschen gibt als früher.
Natürlich nicht.
Sie waren immer da, doch sie hatten Angst, lebten zurückgezogen und redeten nicht darüber. Männliche Homosexualität wurde in Jugoslawien erst 1976 entkriminalisiert, doch die Republiken Serbien, Mazedonien und Bosnien ignorierten dies. Erst nach dem Zerfall des Landes wurden die Gesetze hier geändert. Auch die Gewalt gegen Homo- und Transsexuelle verhinderte, dass diese sich outeten. Inzwischen ist die Aufmerksamkeit für ihre Rechte größer. Und ich erinnere gegenüber Institutionen immer gerne daran, dass Bosnien und Herzegowina diverse Menschenrechtskonventionen unterschrieben hat. Sie haben gar keine Wahl: Es ist ihre Pflicht, sie umzusetzen. Queere Rechte sind Menschenrechte, da gibt es keine Ausnahmen.
Meist ist auch Druck von den Betroffenen selbst nötig.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass es in Bosnien und Herzegowina weder ein starke feministische, noch eine starke queere Bewegung gab und gibt. Es gibt zwar viele Frauengruppen und feministische Organisationen, die großartige Arbeit machen, doch ich denke nicht, dass die Gesellschaft sie als eine starke Kraft wahrnimmt, die Dinge verändern kann. Feminismus ist in Bosnien noch immer ein schmutziges Wort. Es gibt kein Bewusstsein für die Kämpfe der Sufragetten für das Wahlrecht und auch keine Lektionen über Feminismus in den Lehrbüchern.
Trotzdem haben sich immer Frauen für Frauen eingesetzt.
Ja, allerdings ging es dabei anfangs vor allem um ganz konkrete Unterstützung etwa für Frauen, denen im Krieg Gewalt angetan worden ist. Erst nach dem Krieg wurden durch feministische Gruppen auch lesbische Themen aufgegriffen. Noch heute haben die meisten Leute keine Ahnung, was LGBTIQ bedeutet. Sie denken dabei zuerst an Schwule, dann dass es eine Schande ist und unsere traditionelle Gesellschaft ruiniert. Das ist noch immer sehr präsent. Was Lesben betrifft, denken die meisten wohl zuerst an Pornografie. Und Trans-Menschen wurden lange überhaupt nicht beachtet, nicht einmal von medizinischer Seite.
Wann hat sich das geändert?
Die ersten NGOs, die sich mit diesen Themen befassten, nahmen ihre Arbeit vor rund 15 Jahren auf. Es gab eine in Banja Luka und eine in Sarajevo, die Q hieß. Sie waren die ersten, die queere Leute zusammenbrachten - das war alles vor Facebook. Bei Q habe ich erstmals Transmenschen kennengelernt. Als ich dann in den letzten beiden Jahren im SOC gearbeitet habe, bekam ich - vor allem online - mehr Kontakt zu Transfrauen. Das Thema kommt nun also auch hierzulande langsam auf die Agenda. Doch wir sind noch dabei, den Menschen zu erklären, dass es mehr als zwei soziale und biologische Geschlechter gibt. Der Prozess der Begriffsklärung- und Entmystifizierung dauert an.
In Tuzla gab es kürzlich den Fall einer Transperson, der seitens des Innenministeriums nicht erlaubt wurde, ihren Vornamen so zu ändern, dass er ihrem gefühlten Geschlecht entsprach, woraufhin die Ombudsstelle für Menschenrechte in Bosnien und Herzegowina empfahl, dies doch zuzulassen. Was denken Sie, wie dieser Fall ausgehen wird?
Das Gesetz ist hier sehr klar, denn es lässt dies zu. Ich könnte nach dem Recht dieses Staates beispielsweise einen männlichen Vornamen annehmen. Die einzige Bedingung ist, dass ich ihn fünf Jahre lang behalten müsste.
Wieso wurde die Namensänderung dann überhaupt abgelehnt?
Soweit ich weiß, wurde einfach das Gesetz nicht richtig ausgelegt. Aus Unkenntnis und wahrscheinlich, weil man zum ersten Mal mit einer solchen Anfrage konfrontiert war. Es war illegal das abzulehnen. Die Namensänderung ist neben der Inanspruchnahme psychologischer Hilfe durch NGOs das einzige, was Transmenschen hierzulande tatsächlich tun können.
Eine Geschlechtsangleichung ist in Bosnien und Herzegowina nicht möglich?
Nein. Wenn es um eine Transition geht, können sie höchstens zu einem Psychologen gehen. Es gibt einige, die freundlich und professionell sind. Anschließend müssen sie zum Psychiater, um die Diagnose Transsexualität zu bekommen, wobei das meines Wissens nach erst ein oder zwei Mal geschehen ist. Mit dieser Diagnose könnten sie bei einem Endoktrinologen wegen Hormonen vorsprechen. Doch weil es praktisch kaum möglich ist, die psychiatrische Diagnose zu bekommen, besorgen sich die Betroffenen die Hormone auf dem Schwarzmarkt oder gehen für den Prozess der Transition ins Ausland.
In die Nachbarländer?
Ja, vor allem Kroatien und Serbien. Sie gehen dort zu den Psychologen und Psychiatern und lassen sich die Hormone verschreiben. Auch Operationen werden größtenteils dort durchgeführt. Belgrad ist hier seit 20 Jahren führend, es gibt eine Klinik, die darauf spezialisiert ist. Natürlich müssen Bosnierinnen und Bosnier das selbst bezahlen.
Schon für Schwule und Lesben ist es in Bosnien und Herzegowina schwer offen zu leben. Es gibt hierzulande noch nicht mal eine Pride Parade wie etwa in Serbien und Kroatien. Wie können unter diesen Umständen Transmenschen sichtbarer werden?
Das ist eine gute Frage, denn es fehlen sichere Orte, an denen sich die Menschen ohne Angst sein können, wer sie sind. Was den Pride betrifft: Die Mehrheitsgesellschaft ist total dagegen. Die Leute haben die Bilder aus großen Städten vor Augen, halbnackte Männer etc. Doch es geht nicht nur darum, Diversität zu feiern, sondern darum etwas zu fordern. Es ist ein Protest. Allerdings muss sich die sehr diverse Community zusammentun. Wir sind alle sehr damit beschäftigt, unsere individuelle Scham und die Schuldgefühle zu überwinden, die uns die Gesellschaft und die Familie uns auferlegt.
Das bringt uns zur Frage der Solidarität. Es gibt einige Feministinnen, etwa Germain Greer, die Transfrauen absprechen, Frauen zu sein. Sie reduzieren sie auf die Biologie, dabei war es doch von Simone de Beauvoir bis Judith Butler ein feministischer Konsens, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist. Weshalb wird das nun infrage gestellt?
Für einige radikale Feministinnen gehören weder Transfrauen noch Pornografie zur feministischen Agenda. Doch für mich gibt es nur einen einzigen Feminismus, der dafür eintritt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Auf dem Weg dorthin wurden unter anderem das Wahlrecht und das Abtreibungsrecht und das Recht auf ein gewaltfreies Leben erstritten. Transfeminismus ist davon nicht getrennt. Transfragen sind feministische Fragen. Ich glaube, wir haben immer noch den gleichen Feind: das Patriachat und Sexismus.
Davon sind ja auch Transfrauen betroffen.
Ja, sie werden auf mehreren Ebenen angegriffen. Weil sie Frauen, weil sie Transfrauen sind und auch weil ihnen vorgeworfen wird, dass sie die Männer und die Männlichkeit zu verraten haben. Wenn radikale Feministinnen nun sagen, dass Transfrauen keine Frauen sind, dann ist das - wie jemand mal geschrieben hat - „kein Feminismus sondern Vaginismus“. Sie behaupten auch, dass Transfrauen nicht empathisch mit anderen Frauen sein können, weil sie niemals Mädchen waren, keine Menstruationschmerzen kennen und keine Kinder geboren haben. Aber was sind denn das für Kriterien? Damit bin ich nicht einverstanden. Als Feministinnen sollten wir zusammenhalten, wir haben keine Zeit für solche Streitereien, vor allem weil unsere Rechte wieder eingeschränkt werden. Transfrauen kämpfen ums Überleben. Wer wenn nicht wir anderen Feministinnen sollten mit ihnen solidarisch sein? Ich sehe momentan keine anderen Verbündeten außer Frauen. Es ist unsere Pflicht, an ihrer Seite zu stehen. Auch die queere Community muss mehr für sie tun als sie an die Spitze von Pride Paraden zu stellen.
Das Gespräch fand im Rahmen des Journalistenaustauschprogramms „Nahaufnahme“ des Goethe Instituts statt.
Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels.
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