zum Hauptinhalt
Caitlyn Jenner auf dem Cover der Vanity Fair. Die 65-Jährige hieß früher Bruce Jenner und war 1976 Olympiasieger im Zehnkampf
© Reuters/Vanity Fair/Annie Leibovitz

Transgender im Mainstream: Superwoman Caitlyn Jenner ist da

Bruce Jenner war Olympiasieger, männliches Sexsymbol, später Trashkönig. Heute heißt Bruce Caitlyn – und ist als Trans-Ikone ein Zeichen für Respekt gegenüber Minderheiten.

Caitlyn Jenner liegt längs auf dem Sofa, im schwarzen Satin Kleid. Das Foto hat die Starfotografin Annie Leibovitz geschossen. In der kommenden Ausgabe von "Vanity Fair" erscheint ein 22-seitiges Portät über sie, aus der Feder des Pulitzerpreisträgers Buzz Bissinger. Dabei gibt es Caitlyn erst seit Juni 2015. Wer ist diese Frau?

Bruce Jenner – wie Caitlyn zuvor hieß – wollte schon seit seiner Kindheit der größte Athlet aller Zeiten werden, sein Football-Trainer erkannte sein Zehnkampf-Talent – die härteste Disziplin der Leichtathletik. Am 30. Juli 1976 gewann er in Montreal die Goldmedaille im Dekathlon, stellte den Weltrekord auf. Der 26-jährige Bruce Jenner war über Nacht ein amerikanischer Held geworden.

Bruce Jenner wollte schon seit seiner Kindheit Frauenkleider tragen. So erzählt Caitlyn Jenner es heute in Interviews. Zuerst die Kleider seiner Mutter, später die seiner ersten Frau. Ihr eröffnete er auch erstmals seine Neigung. Das war in den frühen 70er Jahren. Er wusste damals schon, dass er mehr wollte, als nur die Kleidung der Frauen zu tragen. Er fühlte sich als Frau, wollte eine Frau sein.

Caitlyn Jenner könnte Ikone für Transgender im Sport werden

Der Athlet Bruce Jenner hat die Möglichkeit, für Transgender im Sport eine Bedeutung zu erlangen, die Mohammed Ali für Schwarze, Billie Jean King für Frauen, Cathy Freeman für Aborigines, Loretta Claiborne für Frauen mit Behinderung erlangt haben. Und doch wirkt er so ganz anders als die anderen.

Caitlyn Jenner ist heute 65 und die berühmteste Transfrau der USA, zu einem zweistündigen Interview mit Diane Sawyer hatten 16,9 Millionen Menschen eingeschaltet. Jenner und Sawyer wurden für ihren respektvollen Umgang mit dem Thema gelobt. Zuspruch kam aus den höchsten Hallen des US-Pop: Lady Gaga und Miley Cyrus dankten Jenner für ihr Engagement, Talk-Gigantin Oprah Winfrey lobte das Interview. Selbst US-Präsident Barack Obama meldete sich: "Es braucht Mut, seine Geschichte zu teilen".

In den 70er Jahren, als amerikanischer Held, wehendes Haar im Sprint, durchdefinierter Körper, war es aber Bruce Jenners Männlichkeit, nach der die Leute lechzten. Er war mit seiner zweiten Frau, Linda Thompson, 1982 auf dem Cover des "Playgirl"-Magazins. Oben Ohne, ein Sexsymbol. Die Öffentlichkeit wusste nichts davon, wie er sich fühlte, seiner Frau sagte er es 1988. Sie ließen sich scheiden – zwei Kinder hat Jenner zu dieser Zeit, Brandon und Brody.

In den 80er Jahren läuft Jenners Karriere schlecht. 1980 spielte er in dem Spielfilm "Can't Stop the Music" mit, der die goldene Himbeere erhielt. Jenner war als schlechtester Schauspieler nominiert. In den 80er Jahren beginnt Jenner auch mit seiner Transition, dem Übergang ins weibliche Geschlecht: Er nimmt Hormone, lässt sich die Nase machen. Er selbst sagt in "Vanity Fair", er habe ein "solides B-Körbchen" gehabt.

Bruce Jenner wird ein Kardashian

1990 stellt ein Freund Jenner Kris Kardashian vor. Ihr Ex-Mann ist Robert Kardashian, der als umstrittener Anwalt von O.J. Simpson bekannt wurde. Jenner und Kardashian heiraten wenige Monate später. Vier Kinder – Kourtney, Kim, Khloé und Robert Junior – bringt Kardashian mit in die Ehe. Mit Kris Kardashian nimmt auch Jenners Karriere wieder Schwung an. Kardashian weiß, wie man sich verkauft. Sie starten zu zweit Fitness-Infomercials, Kardashian besorgt Jenner Werbeaufträge für Sonnenbrillen, Fitnessgeräte. Amerika kannte ihn noch, den Superman der Olympischen Spiele.

Bruce Jenner bei den Olympischen Spielen in Montreal, 1976
Bruce Jenner bei den Olympischen Spielen in Montreal, 1976
© imago

Es ist ein erstaunlich kurzer Weg von Bruce Jenner, dem Olympiahelden, bis zu Bruce Jenner, der Trashfigur. 2007 begann die Reality-Soap "Keeping up with the Kardashians", ein Promi-Zirkus. Die Handlung ist meist: Reiche Leute tun was reiche Leute tun. Das Herz des amerikanischen Trashs, Jenner spielt sich selbst. Die Ehe mit Kris zerbricht unterdessen.: Im Juni 2013 trennen sich die beiden.

Seit der Bekanntgabe des Covers trendet in den sozialen Medien der Hashtag #CallmeCaitlyn
Seit der Bekanntgabe des Covers trendet in den sozialen Medien der Hashtag #CallmeCaitlyn
© AFP/Mladen Antonov

Im Dezember 2013 besucht Jenner eine Spezialklinik für Adamsapfel-Reduktion. Reporter des Paparazzi-Blatts TMZ beobachten ihn dabei, halten ihn an, fragen nach einem Statement. Jenner bittet darum, die Geschichte nicht zu bringen. Am 13. Dezember 2013 veröffentlicht TMZ den Scoop. Jenner wird ungewollt geoutet. Im März 2015 unterzieht Jenner sich einer 10-stündigen Gesichtsoperation. Er sei immer noch Bruce, sagt er danach in einem Interview.

"I am Cait" - die Doku-Soap über Caitlyn Jenner kommt im August

Im Mai enthüllt er, dass er an einer Doku-Soap über sich arbeitet: "I am Cait". Die Trans-Community befürchtet, dass die Serie der Causa mehr schaden könnte als sie hilft. Reality-Soaps müssen nicht zwangsläufig schlecht sein; doch hier ist die Sorge berechtigt: Die Filmemacher produzieren auch "Simple Life" und "Keeping up with the Kardashians" – allerseichtester Trash. Jenner bat seine Kinder darum mitzumachen; Brandon und Brody Jenner haben abgelehnt.

Ein Screenshot aus dem Trailer der Doku-Soap "Call me Cait", die ab 09.08.2015 bei E! Entertainment ausgestrahlt wird.
Ein Screenshot aus dem Trailer der Doku-Soap "Call me Cait", die ab 09.08.2015 bei E! Entertainment ausgestrahlt wird.
© E! Entertainment/dpa

Trans-Themen sind im Trash angekommen, im Herzen des US-amerikanischen Mainstreams. Große Zeitgeistthemen werden in den USA auch auf den Covern der Promimagazine geführt. Caitlyn Jenner spielt eine wichtige Rolle dabei; sie trägt das Transgender-Thema in Sphären, wo zuvor nie eine Diskussion darüber stattgefunden hätte. Das wird die Gesellschaft nachhaltig verändern.

Die Gesellschaft muss sich Trans-Themen gegenüber öffnen

Und das muss sie: Transgender haben eine doppelt so oft arbeitslos wie der amerikanische Durchschnitt; haben eine viermal so hohe Armutsquote. Laut Transgender Discrimination Survey haben 41 Prozent der Transmenschen einen Selbstmordversuch hinter sich. 2,2 sind es im Bevölkerungsdurchschnitt. 19 Prozent der Befragten wurde medizinische Versorgung verweigert, 7 Prozent der Befragten waren wegen ihrer Sexualität im Gefängnis. Laut einer Studie der NGO Transgender Europe wird weltweit jeden dritten Tag ein Transmann oder eine Transfrau wegen ihrer Sexualität ermordet.

Es gibt kaum öffentliche Transpersonen. Eine Ausnahme ist Laverne Cox, Transfrau und Star der Netflix-Serie "Orange is the New Black", die auch auf dem Cover des Time Magazin im Mai 2014 zu sehen war. Titel: Ttransgender tipping point", Wendepunkt – ist der wirklich schon erreicht? Im Juli wird Caitlyn Jenner der Arthur Ashe Courage Award verliehen. Ein Preis, den zuvor Nelson Mandela, Muhammed Ali oder Cathy Freeman gewonnen haben. Bruce Jenner wollte seit seiner Kindheit der größte Athlet aller Zeiten werden, jetzt könnte Caitlyn Jenner die größte Sprecherin für Transgender-Rechte werden.

Mehr LGBTI-Themen erscheinen auf dem Queerspiegel, dem neuen queeren Blog des Tagesspiegels, den Sie hier finden. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an:queer@tagesspiegel.de. Twittern Sie mit unter dem Hashtag #Queerspiegel – zum Twitterfeed zum Queerspiegel geht es hier.

Zur Startseite