Zum Tod von Muhammad Ali: Der "Rumble in the Jungle" - ein sehr persönlicher Rückblick
"Ali, töte ihn", rufen die Fans in Kinshasa. Der "Rumble in the Jungle" bewegt 1974 die Welt. Muhammad Ali schlägt George Foreman und wird wieder Weltmeister. Unser Autor ist live dabei.
Ich stehe am Flughafen London Heathrow, International Terminal. Hier ist der Treffpunkt mit den englischen Kollegen. Wir kennen uns seit Jahren von all den großen Boxkämpfen. Der von ihnen organisierte Gruppenflug ist viel billiger als ein Einzelflug von Frankfurt nach Kinshasa. Doch Reg Gutteridge vom „Evening Standard“ bringt zum Abflug nach Kinshasa eine schlechte Nachricht mit: „Foreman hat im Sparring eine Platzwunde über dem rechten Auge erlitten.“
Es geht um den Boxkampf George Foremans gegen Muhammad Ali, den heute legendären „Rumble in the Jungle“, eine eigentlich despektierliche Reimschöpfung Alis für die Millionen-Metropole Kinshasa. Der Kampf soll in einer Woche stattfinden, am 25. September 1974, in Zaire, dem heutigen Kongo. Nun muss er wegen Foremans Verletzung verschoben werden. Wir fliegen dennoch. So beginnt das aufregende Abenteuer Afrika.
Am Ende wird das spektakulärste Boxereignis der Geschichte stehen. Der Showdown im Herzen Afrikas, morgens um 4 Uhr in der Hauptstadt Zaires, sprengt die Dimensionen eines großen Boxkampfes. Es wird eine Sensation wie die Mondlandung. Der charismatische Muhammad Ali schlägt in einer feuchtheißen afrikanischen Tropennacht den für unbesiegbar gehaltenen George Foreman in der achten Runde k.o. und wird siebeneinhalb Jahre nach seiner Verbannung vom Ring wegen Wehrdienstverweigerung wieder Weltmeister im Schwergewicht.
Doch so weit sind wir noch nicht. Auf der Taxifahrt vom Flughafen Ndjili in die schmuddelige Stadt Kinshasa mit ihren wenigen Hochhäusern, die auf Slumhütten herabblicken, künden grün-gelbe Tafeln entlang der staubigen Hauptstraße vom „Jahrhundertkampf als Geschenk des Bürger-Präsidenten Mobutu Sese Seko an das zairische Volk“. Foreman will zur Behandlung der Verletzung nach Paris fliegen. Doch der selbstherrliche Diktator mit der Leopardenfellmütze lässt seinen Reisepass beschlagnahmen. Das Ali-Lager hat Mobutu eingeredet, der Weltmeister würde nicht zurückkommen.
Don King, ein schwarzer Ex-Häftling aus Cleveland mit einer wie unter Strom zu Berge stehenden Afro-Frisur, verurteilt wegen Totschlags, hatte die beiden Boxer mit je fünf Millionen US-Dollar – den höchsten Börsen der Boxgeschichte – und schwarzer Afro-Solidarität geködert. Der geltungssüchtige Despot Mobutu hat die zehn Millionen Dollar garantiert und für die gleiche Summe das marode Stadion fernsehgerecht umbauen lassen.
Er wohnt in einem weißen Bungalow, die Tür scheint für jedermann offen
Im präsidialen Herrschaftsbereich Mobutus, in N’Sele am Fluss Kongo, rund 60 Kilometer außerhalb Kinshasas, haben die beiden Boxer ihre Camps bezogen. Ali wohnt in einem weißen Bungalow direkt am Fluss. Die Tür scheint für jedermann offen. Foremans Villa auf einem Hügel ist hingegen hermetisch abgeriegelt. Für die Journalisten sind in dieser Einöde kleine weiße Villen reserviert. Der „Salle de Congres“, nur hundert Meter von Alis Domizil entfernt, dient beiden Boxern als Trainingshalle.
Foreman kommt in blauer Latzhose in den Kongresssaal zur Pressekonferenz. Sein kolossaler Oberkörper ist nackt. An der Leine führt er seinen Schäferhund „Pasha“. Unter einer poppigen Schirmmütze klebt ein winziges Pflaster. „Ich allein entscheide, wann der Kampf stattfindet“, teilt Foreman den gerade erst eingetroffenen Presseleuten mit. Während alle direkt Beteiligten solange in Zaire bleiben müssen, bis Foreman wieder fit ist, dürfen wir Journalisten nach Hause fliegen.
Das neue Datum für den Kampf ist der 30. Oktober, mitten in der Regenzeit. Zu Hause in Frankfurt überlege ich, wie ich bis dahin wieder nach Kinshasa komme. Am Wochenanfang vor dem Kampf erhalte ich einen überraschenden Anruf aus London von einem Kollegen. Ich soll mich tags darauf in Paris einfinden. Mobutu hat einen Jet der „Air Zaire“ nach New York geschickt, um den amerikanischen Medien-Tross abzuholen. Bei der Zwischenlandung sollen die Engländer zusteigen. Da ich als einziger deutsche Reporter zur englischen Reisegesellschaft gehörte, die vergebens nach Afrika geflogen war, bin ich jetzt mit von der Freiflug-Partie.
Training ohne Presse ist für Ali wie Gottesdienst ohne Gemeinde
Muhammad Ali ist glücklich über die Rückkehr der Journalisten nach fünf Wochen quälender Langeweile. Der Entertainer braucht Publikum für sein Training, seine Tiraden, seine Shows, seine Reime. „When all is said and did und done, George Foreman will fall in one.“ Training ohne Presse ist für Ali wie Gottesdienst ohne Gemeinde. Vor lauter Langeweile, scherzt sein Trainer Angelo Dundee, habe er versucht, Eidechsen Liegestütze beizubringen. Auch den Reportern ist es hier draußen zu langweilig. Sie ziehen alle in die Stadt, ins „Interconti“, wo mittlerweile auch Foreman mit seinem Clan logiert, oder ins Hotel Memling. Wegen der Bars und der Telefonverbindungen.
Ali lädt mich in seinen weißen Flachbau ein. Wir kennen uns seit seinem Kampf gegen Karl Mildenberger in Frankfurt im September 1966. Zusammen sitzen wir auf einem hellbraunen Ledersofa im Wohnzimmer. Dick Young von der „New York Post“ hat sich sozusagen selbst dazugeladen. In so einer nahezu privaten Atmosphäre gibt sich Ali ganz normal. Völlig entspannt. Keine Show, keine Sprüche, keine Tiraden. Eine ganz ruhige Unterhaltung, über den Kampf.
Natürlich weiß Ali, dass Foreman der erklärte Favorit der Medien ist. Der Hüne aus Houston hat Joe Frazier und Ken Norton, beide Punktsieger über Ali, jeweils in der zweiten Runde k.o. geschlagen. Ali werden kaum Chancen eingeräumt. Er ist inzwischen 32 Jahre alt, und er tanzt nicht mehr durch den Ring wie früher. „Ihr lasst euch beeindrucken, weil er so groß ist, seine Muskeln so mächtig sind, er so hart auf den schweren Sandsack eindrischt“, sagt er.
Dann holt Ali eine Liste mit den Namen ihrer beider Gegner in der Vergangenheit hervor und vergleicht deren Klasse. „Foreman hat keinen Sonny Liston k.o. geschlagen, keinen Floyd Patterson, keinen Karl Mildenberger, keinen Ernie Terrell.“ Die Namen Joe Frazier und Ken Norton erwähnt er nicht. Ali redet plötzlich wie in Trance: „Wie kann mich Foreman da schlagen? Ich werde die ganze Nacht tanzen.“
Auf den Tanz im Ring unter einem blauen Blechdach wartet in dieser schwülen Tropennacht bei mehr als dreißig Grad und neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit die ganze Welt vergeblich. „Sports Illustrated“ wählt später die Titelzeile: „How Ali fooled them all“ – Wie Ali alle narrte. Denn Ali tanzt nicht, sondern steht sieben Runden lang am Seil, lehnt sich weit zurück, die Ellenbogen an den Rippen, die Fäuste am Kopf, dazwischen weit aufgerissene Augen.
„Ali, boma ye!“, skandieren die Fans - von Ali dirigiert
Die völlig neue Seiltaktik hinter einem Schutzschild aus Armen und Fäusten nennt Ali „rope a dope“ . Wie ein Roboter drischt Foreman sinn- und pausenlos auf Ali ein. Doch der absorbiert die härtesten Hiebe und höhnt: „Das sind ja nur Tupfer. Sissy punches. Du hast nichts drauf. Nimm dir Zeit, sonst wirst du müde.“ In den Rundenpausen dirigiert Ali die Schlachtgesänge der geschätzten 40 000 im Stadion: „Ali, boma ye!“ Ali, töte ihn. Ali ist durch seine Wehrdienstverweigerung, durch die Rebellion gegen die US-Regierung, zur Ikone der Emanzipation der Schwarzen geworden. Die Wochen in Zaire hat er dazu genutzt, sich endgültig zum Liebling der Einheimischen hochzujubeln.
In der ersten Tischreihe am Ring sitze ich unter berühmten Kollegen. Da ist Norman Mailer, der wortgewaltigste unter den Schriftstellern, die den Boxsport lieben und der 250 Seiten bester Literatur über das Drama schreiben wird: „The Fight“. Der Kampf. Oder Budd Schulberg, Autor der verfilmten Romane „The harder they fall“ (mit Humphrey Bogart als korruptem Boxreporter) und „On the Waterfront“ (mit Marlon Brando). Und George Plimpton, die brillante Feder von „Sports Illustrated“. In dieser prominenten Gesellschaft spüre ich: Es wird sehr schwierig, diesem Naturereignis mit vier Fäusten gerecht zu werden.
Gegen Ende der achten Runde verlässt Ali die Seile und schlägt den ermatteten Foreman nach einer Serie von Treffern mit einer finalen Rechten zum Kinn k.o. Einen Sekundenbruchteil nach dem „Aus“ des Ringrichters steht der Koloss wieder auf den Beinen, guckt verdattert, ist aber restlos erledigt. Später im Hotel tippe ich die Sätze in die Schreibmaschine: „Ali schwebte nicht wie ein Schmetterling und stach nicht wie eine Biene, was bisher sein Gütezeichen war. Er stand in dieser heißen afrikanischen Nacht wie ein Fels und schlug wie ein Pferd.“
Durch eine Phalanx von Gewehrkolben der Elitesoldaten Mobutus kämpfe ich mich mit den hartnäckigsten Reportern zur Kabine durch und finde nach der Gesichtskontrolle durch seinen Trainer Angelo Dundee Einlass. „Norman, George, Hartmut come in.“ Ali sitzt auf der Massagebank, lächelt schelmisch und flüstert: „Ich habe nichts zu sagen. Ihr habt jetzt viel zu schreiben. Denn ihr müsst euch alle korrigieren.“
Dann ergießt sich in die heraufziehende Morgendämmerung hinein der Regen wie ein Wasserfall über Kinshasa. Eine Katastrophe, wäre das Unwetter während des Kampfes hereingebrochen. Auch das beansprucht Muhammad Ali für sich: „Ich habe den Regen gebeten, bis nach dem Kampf zu warten.“
Dieser Text erschien erstmals im Oktober 2014 anlässlich des 40. Jahrestages des Kampfes. Zum Tode von Muhammad Ali haben wir ihn erneut veröffentlicht.
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Hartmut Scherzer
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