„Las herederas“ im Wettbewerb: Stilles Frauendrama aus Paraguay
Im Wettbewerbsfilm „Las herederas“ von Marcelo Martinessi ist eine lesbische Seniorin aus der Oberschicht plötzlich auf sich allein gestellt.
Ein Glas Cola light mit Eis, ein Glas Wasser ohne Eis, eine Tasse Kaffee, das Tablettendöschen – auf dem Silbertablett von Chela (Ana Brun) haben alle Dinge ihren festen Platz. Als die neue Haushälterin Pati (Nilda Gonzalez) die Kaffeetasse an der falschen Stelle platziert, zeigt sie ihr, wie es richtig geht. So bleibt zumindest auf einer kleinen Fläche die Ordnung der Dinge gewahrt. Für den Rest von Chelas Haus und für ihr Leben lässt sich das nicht sagen. Ständig kommen Fremde in ihre Räume, um sich den zum Verkauf stehenden Hausrat anzusehen. Denn Chela und ihre langjährige Lebenspartnerin Chiquita (Margarita Irún) brauchen dringend Geld. Chiquita ist total verschuldet.
Das Paar im beginnenden Seniorinnenalter gehört zur Oberschicht von Paraguays Hauptstadt Asunción. Sie wurden hineingeboren in diese Klasse, Chela wohnt schon ihr ganzes Leben in der Villa. Die beiden sind „Las herederas“, Erbinnen, eine Rolle, die ihnen bereits der Titel von Marcelo Martinessis Langfilmdebüt zuweist. Die Blüte ihrer Jahre fiel in die Zeit des Diktators Alfredo Stroessner, der von 1954 bis 1989 an der Macht war. Ob und wie die Familien von Chela und Chiquita mit dem Regime verbunden waren, thematisiert dieser nahezu männerfreie Film nicht. Er insinuiert zwar eine Nähe, konzentriert sich aber ganz auf das Privatleben seiner Protagonistinnen.
Liebevoller Blick auf die Heldin
Als die quirlige Chiquita wegen der Schulden in Untersuchungshaft muss, ist Chela plötzlich auf sich gestellt. Eine Nachbarin schubst die eher passiv-schwermütige Hobbymalerin auf eine neue Bahn – und endlich raus aus dem Haus. Sie bittet sie um einen Fahrdienst, woraus sich ein Job als Chauffeurin wohlhabender Damen entwickelt. Dass sie sich mit dem alten Mercedes ihres Vaters geradewegs in die Dienstboten-Klasse hineinmanövriert, macht Chela nichts aus. Während die Seniorinnen Karten spielen, wartet sie geduldig im Flur. Dabei lernt sie die etwa zwanzig Jahre jüngere Angy (Ana Ivanova) kennen. Auch diese wird ihre Kundin – und dann eine Freundin. Chela ist sichtlich bezaubert von ihr, trägt sogar mal Lippenstift beim Fahren.
Marcelo Martinessi, 1973 in Asunción geboren und 2013 Teilnehmer bei den Berlinale Talents, schaut mit liebevollem Blick auf seine Heldin. Ein wenig erinnert das an Sebastián Lelios Porträtfilm „Gloria“ (2013). Chela ist allerdings ein viel stillerer Typ, den die Leinwand-Debütantin Ana Brun mit feiner Eindringlichkeit verkörpert. Wenn sich ihre Miene in Momenten von Freude und Nähe aufhellt, bekommt sie fast etwas Kindliches. Man wünscht ihr sofort mehr davon.
Die Kamera (Luis Armando Arteaga) bleibt meist dicht neben oder hinter Chela. Immer wieder wird durch Scheiben gefilmt, sind Türen oder Durchgänge im Bild. Als irgendwann das Silbertablett von Scherben bedeckt auf der Erde liegt, ist für Chela die Zeit für den Schritt ins Offene gekommen.
17.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 13 Uhr (Haus der Berliner Festspiele), 17.2., 20 Uhr (HAU 1), 25.2., 19 Uhr (HdBF)
Nadine Lange