Die Beiträge zum ESC 2019 im Check: Sisters' seltsame Eigentor-Taktik
Australien, Holland und die Schweiz gehören zu den Favoriten beim Eurovision Song Contest. Und wie stehen die Chancen für das deutsche Duo Sisters?
In der ersten Minute gleich mal ein Eigentor schießen – das ist eine ungewöhnliche Taktik für einen großen Wettbewerb. Das deutsche Duo S!sters wird sie dennoch im Finale des Eurovision Song Contest anwenden. So lautet die erste Zeile ihres Songs „Sister“ in der deutschen Übersetzung: „Ich habe genug/ Genug davon, immer zu verlieren“. Kurz darauf heißt es dann: „Ich habe genug/ Genug davon, mich dem Wettbewerb zu stellen.“
Warum nehmt ihr dann am größten Gesangswettbewerb der Welt teil? Das werden sich sicherlich einige der Millionen Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauer fragen, wenn Carlotta Truman und Laurita am Samstag im Internationalen Kongresszentrum von Tel Aviv auf der Bühne stehen (die ARD überträgt live ab 20.15 Uhr, der Tagesspiegel ist ab 20 Uhr hier mit einem Newsblog dabei).
"Sister": ein grundsolider Song
Wer ein wenig Geduld mit den beiden hat, wird zumindest hören, dass ihre Stimmen gut zusammenpassen und, dass die Ballade von der Solidarität zwischen Freundinnen handelt. „Oh you gotta know I’m with ya/ Now shine like city lights/ Torches in the sky/ Don’t you try to hide it“ singen sie gemeinsam im Refrain, der sich über dem sanft einsetzenden Beat, Synthie-Streichern und Background-Chor in die Höhe schwingt.
Ein grundsolider Song, vorgetragen von zwei Castingshow-erfahrenen Sängerinnen – ob das für eine gute Platzierung reicht? Die Antwort der Buchmacher ist ein klares Nein. Sie sahen das Duo am Freitag wahlweise auf dem letzten oder vorletzten Platz im Rennen von 26 Nationen.
Die Deutschen können wohl nicht an den ESC-Erfolg von 2018 anknüpfen
Selbst wenn es nicht ganz so schlimm kommen sollte: An den Überraschungserfolg von Michael Schulte, der im vergangenen Jahr mit „You Let Me Walk Alone“ auf Platz vier landete, werden S!sters keinesfalls herankommen. Ihr Song, mit dem sie sich im deutschen Vorausscheid gegen sechs Konkurrenten durchgesetzt hatten, entstand 2018 während des Schweizer ESC Songwriting Camps. Das Land fand allerdings keine passenden Interpretinnen.
Gut für die Schweiz, denn sie schickt mit dem 24-jährigen Luca Hänni und seinem „She Got Me“ einen der spannendsten und modernsten Songs ins Rennen. Er kombiniert einen Reggaeton-Beat mit Balkan- Elementen und ist ungemein eingängig. Die Buchmacher sehen Hänni, der schon bei „DSDS“ und „Let’s Dance“ gewonnen hat, auf Platz vier.
Als Top-Favorit gilt der Niederländer Duncan Laurence
Als Top-Favorit wird der Niederländer Duncan Laurence gehandelt, der sich am Donnerstagabend im zweiten Halbfinale qualifizierte. Dabei setzte der 25-Jährige auf ein reduziertes Showkonzept: Er trug seine Ballade „Arcade“ ganz allein am E-Piano vor.
Womit er einen extremen Kontrast bildet zur Überwältigungsstrategie seiner härtesten Konkurrentin, der australischen Sängerin Kate Miller-Heidke. Sie singt ihr Lied „Zero Gravity“ auf einem vier Meter hohen elastischen Stab, der teils unter einem langen weißen Kleid verborgen ist. Neben ihr befinden sich zwei Tänzerinnen in Schwarz, ebenfalls auf hohen Stangen. Wenn sich der Song seinem Höhepunkt nähert und die Stimme der klassisch ausgebildeten 37-Jährigen in die Gefilde der Königin-der-Nacht-Arie abhebt, schaukelt das Trio immer schneller hin und her. Durch die Projektion unter ihnen wirkt es, als flögen die Frauen durchs Weltall. Ganz großer Spaß, genau für solche überdrehten Show-Ideen lieben die Fans den Eurovision Song Contest.
Ein echter Hingucker verspricht auch der isländische Aufritt zu werden. Die Gruppe Hatari trat im Halbfinale in Lack- und Lederkostümen an und brachte während ihres Songs „Hatrið mun sigra“ viel Feuer und Nebel zum Einsatz. Es sah ein bisschen so aus, als hätten Laibach eine nihilistische Show für Bondage-Liebhaber inszeniert. Was die beiden Sänger zu harten Elektrobeats auf Isländisch schreien beziehungsweise singen, ist allerdings weniger lustig: „Der Hass wird siegen/ Die Liebe wird sterben“ heißt es da und „Europa wird zusammenbrechen“.
Anti-ESC-Proteste gegen Israel bisher nur abseits der Bühne
Zunächst mal kommt Europa aber zusammen, um zu singen und abzustimmen. Hatari werden da nicht weiter stören – es sei denn, sie machen doch noch ihre Ankündigung wahr, Israel wegen seiner Palästina-Politik öffentlich zu kritisieren.
Bisher haben sich die Anti-ESC-Proteste abseits der Bühne abgespielt. Die Veranstalter werden alles daransetzen, dass das auch im Finale so bleibt. Ein paar Überraschungen wird es trotzdem geben. Nicht nur Madonna wird in der Pause singen. Auch Conchita Wurst – neuerdings im maskulinen Look – hat einen Aufritt mit anderen Ex-Siegerinnen angekündigt.