Momente eines Transgender-Mannes: Mein Weg von einer weißen Frau zum Mann mit Migrationshintergrund
Das erste Mal in der Männerumkleide, Diskriminierung in der Teestube: Der Berliner Autor Jayrôme C. Robinet ist Transgender-Mann - und schreibt in seinem Gastbeitrag über überraschende Alltagsmomente zwischen den Geschlechtern.
Das erste Mal, als ich im Fitness-Studio in die Männerumkleide ging, habe ich eine halbe Stunde gebraucht, um den Raum zu betreten. Nicht, dass die Tür tonnenschwer wäre, aber ich hatte keine Eile. Ich setzte mich erstmal im Eingangsbereich der Muckibude und atmete tief durch. "Was erwartet mich auf der anderen Seite?" "Werde ich auffliegen?" "Kann es gefährlich für mich sein?" Angst machte die Türklinke zur schwersten Kurzhantel der Welt.
Was mir in der Männerumkleide zuerst auffiel, sind die Haargel-Spender. An der Stelle, wo bei Frauen Föhn hängen, steht hier Haargel. Eine Butch-Freundin, der ich das erzählte, beschwerte sich: Haargel würde sie meistens zu Hause vergessen und sie fänd es dufte, stünde welches auch in der Frauenumkleide. Haarpolitik ist bekanntlich gegendert.
Was mir in der Männerumkleide als Zweites auffiel, ist das Quatschen.
Aus der sogenannten Frauenumkleide kannte ich es, dass sich nur Leute sich unterhalten, die sich kennen. Bei den Männern* scheint es anders zu laufen. Nachdem ich meine Sporttasche im Schrank verstaut hatte, wandten sich zwei Typen an mich, die sich bis dahin Dinge auf dem Smartphone gezeigt hatten und dabei losprusteten.
In der Frauenumkleide unterhalten sich Menschen, die sich kennen....
Der eine hält eine Trainingshose vor sich hin, so etwa in Größe XXL:
„Haste gesehen?“
Ich bin unsicher, was er damit meint. Wie bei einem Gewinnspiel, zu dem ich mich nicht angemeldet habe, setze ich im Kopf ein selbstgebasteltes Glücksrad in Drehung. Als der Dorn das Rad abbremst, zeigt er mir eine Antwort.
„Das ist nicht meine“, erwidere ich.
'Bankrott' zeigen zwei Gesichter.
„Ist seine“, sagt der Eine und deutet mit einer leichten Kopfbewegung auf seinen Kumpel.
„War meine“, korrigiert der Freund. Und dann wieder zu mir: „Kannste dir vorstellen? Ich war mal 40 Kilos dicker! Hab alles wegtrainiert! In... wie lange?“
Er dreht sich zu seinem persönlichen Glücksrad.
„... 6 Monaten“ hilft ihm der Freund auf die Sprünge.
Als Beweis wird mir ein Handy entgegengestreckt: Auf dem Foto trägt jemand die XXL-Hose.
„Das bin ich! So sah ich früher aus! Krass, oder?“ sagt der er und seine Augen funkeln.
Kurz überlege ich, ob ich auch mein Handy zücken soll, um meinen neuen Freunden ein Bild von mir zu zeigen: Ich im Glitzer-Kleid: „Das bin ich! So hab ich mal ausgesehen! Krass, oder?“
Was sagt mein Glücksrad?
'Aussetzen', zeigt mir der Dorn im Auge.
Warum darf eine Frau bei den Männern putzen?
Ihre Hand ist so beschäftigt, dass alles um sie herum schweigt, als würde sie allen weiteren Geräuschen den Zeigefinger auf den Mund legen. Ich schaue zu der Frau. Ich schaue sie an und möchte ihrem Blick begegnen. Ich möchte sie anlächeln, wie einen Menschen. Die Frau ist dabei zu putzen und ihr Blick hebt sich nicht. Heißer Dampf und Zitronenduft kriechen aus ihrem Eimer hinauf.
Sie putzt bei den Männern sowie bei den Frauen.
Das hatte ich damals gemerkt, als ich noch in die Frauenumkleide ging, dass da drüben gar keine Männer sein dürfen: Fitness-Studio-Mitgliederinnen, Ein-Tag-Gästinnen, Mitarbeiterinnen, Kursleiterinnen und Springerinnen und auch die Menschen, die putzen ... reine Frauen.
Der Schrank und ich starren uns an und überlegen, ob wir miteinander sprechen oder lieber weiter schweigen sollen. Über den Holzbänken sehe ich auf Augenhöhe: ein paar Handtücher, die am Haken hängen und die Luft anschneiden. Der Geruch vom Citrus-Reiniger mischt sich mit dem von Schweiß.
Warum darf diese Frau bei den Männern putzen und kein Mann bei den Frauen? Warum darf nicht einmal eine männliche Reinigungskraft die Frauenumkleide betreten?
„Wegen Rape Culture, weißte, für Frauen wäre ein Typ eine Gefahr, das wäre nicht safe“, sagt meine innere Stimme.
Unter diesen Umständen wollen meine Hände in der Sporttasche sofort verschwinden. Meine Hände sind schwer. Ich wünschte, sie wären so leicht, dass sie wegflögen, wenn ich dagegen puste. Federne Finger. Ich hätte gern Hände, die die Fähigkeit besitzen, niemandem weh zu tun.
Es muss mit der Rape Culture zusammenhängen
Rape Culture also... Doch steckt in dem Grund, warum Frauen in den Männerumkleiden putzen dürfen und nicht umgekehrt, nicht noch mehr drin?
Klar. Frauen als potentielle Opfer zu Lustobjekten herabgesetzt. Sozio-politische Faktoren, die Missbrauch und Vergewaltigungen begünstigen. Also werden Frauen gebeten, ihre Kleidung, sowie die Art der Kontakte und Unternehmungen und auch die Orte, in denen sie sich in Anwesenheit von Männern aufhalten, mit Vorsicht auszuwählen.
Deshalb.
Ein einziger Putzmann würde bei Frauen, die sich gerade umziehen, auch wenn diese Frauen eine 20-köpfige Gruppe also die eindeutige Mehrheit bilden, eine Gefahr für diese Frauengruppe darstellen. Der Wolf im Schafstall. Und wenn er nichts unternimmt, was ist mit seinen lüsternen Blicken? Dem Kopfkino? Männer nehmen kein Blatt vor die Augen, das wissen wir.
Frauen müssen gesondert beschützt werden.
Ist der Mensch, der gerade putzt, keine Frau?
Ist sie keine Frau, die besonders in Schutz genommen werden muss?
Sie wird ganz allein in die Höhle der Löwen geschickt, warum?
Ihre Sozialschicht.
Eine Putzfrau.
Keine Frau, die putzt. Eine Putze.
Und wenn etwas passiert... Der Ex-Direktor des Internationalen Währungsfonds, der 2011 im New Yorker Sofitel eine Frau sexuell belästigt und vergewaltigt haben soll, genoss ja "vollständige Immunität". So beantragte er die Einstellung der Zivilklage.
Das Strafverfahren war von der US-Justiz sowieso schon eingestellt worden, weil das mutmaßliche Opfer als "nicht glaubwürdig genug" galt. Das angebliche Opfer war ja ein Zimmermädchen, ein Mädchen für alles. Und sie war Schwarz. Ein Jahr später wurde in Frankreich ein Ermittlungsverfahren gegen den Mann wegen Vorwurf der schweren Zuhälterei eingeleitet. Drei Jahre später waren laut Umfrage 37 Prozent der Befragten der Meinung, dass der Mann ein guter Kandidat für die französischen Präsidentschaftswahlen 2017 wäre.
Schafstall. Höhle der Löwen.
Menschen, die keine Männer sind, werfen keine lüsternen Blicke?
Ein zweiter Grund meldet sich und hat eine weitere Meinung:
Menschen, die keine Männer sind, werfen auch keine lüsternen Blicke.
Frauen sind überhaupt nicht lüstern.
Frauen erobern nicht.
Sie haben keinen Trieb. Keine Libido. Kein Kopfkino.
Welche Gefahr könnte denn von einer Frau ausgehen?
Der Stoff meines Hemdes flattert nicht im Wind, kein Wind, nichts weht, und die plötzliche Nähe zwischen mir und ihr, das Spüren der Nähe zwischen uns wirkt fremd. Und so bleibe ich. Ich schließe die Augen und blende die Helligkeit selbst.
Wenn ich meine Augen wieder öffne, gibt es in meinem Blickfeld: immer mehr Handtücher, acht, neun, elf Stück, hängend, liegend, verlassen, zusammengeknüllt, alle Menschen sind weg.
Direkt darüber ein Schild:
Liebe Mitglieder & Gäste! Bitte beachten Sie, dass es für die Handtücher einen Rückgabe-Einwurf im Eingangsbereich gibt. Daher bitten wir Sie, diesen Einwurf zu nutzen und die Handtücher nicht in den Umkleiden liegen zu lassen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.
Ist Nachsicht das Gegenteil von Vorsicht?
Ich schaue vorsichtig auf die Frau, die putzt. Der Mops wird geschleudert, Wasser tröpfelt in den Eimer.
Ich schaue die Frau, die putzt an. Die Sauberkeit der Umkleide trägt nun die Bewegung dieser Person in sich.
Meine Hände sind federschwer.
Ich schaue die Frau an.
An ihrer Stelle würde ich gern das Handtuch werfen.
Wie ein Crêpe mir "Intersektionalität" beibrachte
"Schöner Militärhaarschnitt" grinst der Friseur.
Ich grinse auch und fahre mit der Hand über meinen kurz geschorenen Hinterkopf. Der Friseur weiß nicht, dass ich, obwohl es zu meiner Zeit in Frankreich noch die Wehrpflicht gab, die Musterung nicht bestanden hätte. Was auch ganz gut ist. Mit neun oder zehn hörte ich zum ersten Mal, dass Jungen zum Militär müssen und eventuell in den Krieg. Ich bekam Angst und war froh, dass niemand wusste, dass ich ein Junge war. Ich bin also desertiert, auf meine ganz persönliche Art.
Nach dem Besuch im Frisiersalon treffe ich meinen damaligen Freund und wir entdecken eine süße kleine Teestube am Kanal im schicken Berliner Kreuzkölln-Kiez. Es ist warm und ich habe Lust auf einen Crêpe mit Vanilleeis und Schokosauce. Vor kurzem habe ich mit Testosteron angefangen und könnte den ganzen Tag nur essen. Auch, weil ich viel Sport mache, Muskelaufbau und Ausdauertraining, ich brauche Eiweiß, Kohlenhydraten, Vitaminen, alles. Mit meinen 34 Jahren erlebe ich eine zweite Pubertät, die Stimme wird tiefer, ein leichter Flaum wächst mir über der Oberlippe ... Leider wird mich dieses pubertäre Aussehen gleich davon abhalten, meinen Crêpe zu genießen.
Um Testosteron nehmen zu dürfen, musste ich erst zum Psychiater
Um Testosteron nehmen zu dürfen, musste ich erst zum Psychiater. Das verlangt das MDK - das Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen: Als Voraussetzung für die Hormonbehandlung ist eine Psychotherapie von mindestens zwölf Monaten, mit anschließender Stellungnahme des_der Therapeut_in.
Eigentlich ist dieses Verfahren eine Art "Rekrutenmusterung". Die Trans*Person muss ihre Tauglichkeit für die Zweigeschlechterordnung beweisen. Auch für die Vornamens- und Personenstandsänderung, bei der zwei Gutachter vom Gericht bestellt werden. Dabei wird nicht die Trans*Person selbst als Expertin in eigener Sache betrachtet, sondern Menschen, die sich möglicherweise niemals Gedanken über ihre eigene geschlechtliche Identität gemacht haben. Als müsse ein Juwelier zum Psychiater, damit letzterer den Wert eines Diamanten ermittelt. Ich glaube, wie die Musterung bei mir gelaufen ist, hätte genauso gut mein HNO-Arzt die Stellungnahme schreiben können.
Aber zurück nach Nord-Neukölln.
Die süße kleine Teestube hat süße kleine Tische draußen und vor allem Crêpes und Waffeln. Der Geruch nach Pfannkuchen ist bis draußen zu riechen. Die Sonne, die durch die Äste der Linden geht, wirft Lichtstreusel auf den Gehsteig. Während mein Freund in der graumelierten Sonne Platz nimmt, gehe ich hinein, um zu bestellen. Da merke ich, dass das Schaufenster mit einem Stein beworfen wurde und genau in der Mitte ist die Scheibe zersprungen. Schön sieht das aus, ein glasklares, in der Luft hängendes Puzzle, und die Sonne, die sich mit ihren Spektralfarben einmischt.
Eine Frau wäre der Teestuben-Besitzern vielleicht nicht verdächtig gewesen
Während ich das bewundere, fragt mich die Teestuben-Besitzerin misstrauisch:
„Guckst du dir dein Werk an?“
Das Erlebnis in der Teestube zeigt hervorragend, was Intersektionalität ist - also die Verschränkung von unterschiedlichen Diskriminierungsformen:
- Stereotypisierte Geschlechterbilder („Männlichkeit ist gefährlich“: Eine Frau wäre der Teestuben-Besitzerin vielleicht nicht so verdächtigt vorgekommen.)
- Rassismus (ein als weiß gelesener Junge wäre der Teestuben-Besitzerin vielleicht nicht so verdächtigt vorgekommen.) (Ich schreibe "als weiß gelesen", weil ich eigentlich weiß bin. Darüber, wie ich in Deutschland als Junge of Color durchgehe, habe ich hier geschrieben.)
- Klassismus (ein Mann im Anzug wäre der Teestuben-Besitzerin vielleicht nicht so verdächtigt vorgekommen.)
- Adultismus (ein älterer Herr wäre der Teestuben-Besitzerin vielleicht nicht so verdächtigt vorgekommen.)
Diskriminierungen sind nicht (immer) klar voneinander abgegrenzt. Oft (manchmal) sind sie eng miteinander verflochten. Mehrere Diskriminierungsformen stapeln sich ja nicht aufeinander, sondern verschmelzen. In dieser Verschmelzung entsteht eine ganz neue, eigene Form von Diskriminierung. Das ist Intersektionalität.
Intersektionalität ist unumgänglich, um Diskriminierungen zu verstehen. Die Teestuben-Besitzerin hätte ein Mädchen of Color vielleicht nicht verdächtigt - und so könnte sie auch behaupten, dass ihre Frage nicht rassistisch war.
Intersektionalität ist wie ein Farbspektrum, das uns ermöglicht, den Lichtstrahl von Diskriminierungsstrukturen besser, weil differenzierter, wahrzunehmen. Was zu effektiveren Schutzmaßnahmen führen kann.
Das obige Crêpediagramm müsste eigentlich um weitere Diskriminerungsformen ergänzt werden. Sowie um Benachteiligungen, die wegen drei oder mehr Gründen erfolgen.
Auch bräuchte jeder Crêpesektor einen Eigennamen. Von Aktivist_innen of Color habe ich z.B. den Begriff "Rassexismus" gehört.
Namensideen für die anderen Crêpestücke?
Male bonding im ICE nach Frankfurt
Ich steige in den ICE Richtung Frankfurt oder Stuttgart oder ist das Köln? Jedenfalls ist der Wagen voll und ich erwische den letzten Sitzplatz, so einen in Vis-a-vis-Anordnung, und schließe ähnlich einem Tetris-Baustein die Lücke. Nun bildet der Großraumwagen schöne, lückenlose Reihen.
Der Zug zischt ins Rollen und wird im eigenen, gedanklichen Kopfhörer ersetzt durch eine alte Lok unter Dampf pfeifend. Die drei Männer, die mich umgeben, unterhalten sich auf Englisch, während ich lese. Von ihrem Gespräch zu schließen, sind sie Textilhersteller und fahren gerade zu einer Textilmesse. „Fair Handeln“ heißt sie, die Messe „für Fair Trade und globalverantwortungsvolles Handeln“. Vom dem Geschwätz fühle ich mich wie mit einer Hundeleine um die Beine eingefädelt und verliere fast das innere Gleichgewicht. Ich versuche, mich auf meinen Minz-Kaugummi zu konzentrieren.
„Are you going to Frankfurt as well?“ fragt mich plötzlich der Mann schräg von mir. Das Fenster an seiner Seite wurde offensichtlich lange nicht mehr geputzt und draußen ist die Landschaft grau und staubig. Der Textilhersteller scheint an seinem blauen Sakko sehr zu hängen, da er versucht, seinen Arm so weit wie möglich vom Glas zu halten.
Vielleicht kommt es ihnen vor, wie Pailletten vor die Säue zu werfen
„I hope so“, antworte ich mit höflichem Augenzwinkern. Manchmal scheinen mir Fahrtziele so unvorhersehbar wie die herunterfallenden Steine beim Game Boy.
„Where can we have fun in Frankfurt?“, setzt mein Sitznachbar zu.
Ich überlege kurz, welches Theater ich empfehlen kann, oder Kneipe oder Club, und stelle fest, dass ich Frankfurt kaum kenne. Auch nicht Stuttgart oder Köln.
Die drei schauen mich an. Strahlender Augenaufschlag. Tiefe, funkelnde Blicke. Vielleicht kommt es ihnen so vor, als würden sie gerade Pailletten vor die Säue werfen. Denn ich kapiere gar nichts. Kneipe, Theater ... was interessiert sie denn so? Oder möchten sie lieber ins Kino?
Plötzlich – etwa durch eine unerwartete Schwingung des Zuges? Vibrationstraining, das meinen gesamten Körper durchdringt – fällt der Groschen.
Ich dachte, ihre Frage nach dem Fun wäre so unklar wie das Fenster, eigentlich ist sie genauso schmutzig.
Das Rotlichtviertel.
Dort wollen sie Spaß haben.
Ich muss an den Ort denken, wo sie gerade hinfahren. Fair Handeln, die Messe für globalverantwortungsvolles Handeln.
"Wir müssen uns aufhören, für Sexarbeit zu schämen"
Nicht, dass ich etwas gegen Prostitution hätte. Ganz im Gegenteil. "Wir müssen aufhören, uns für Sexarbeit zu schämen", sagt meine Freundin Emy Fem, die sich seit Jahren für den Abbau des Stigmas einsetzt. Sowohl für Huren als auch für Freier.
Leider können derzeit nicht alle Menschen gleichermaßen sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Wann kommen Frauen denn auf die Idee, sich eine Hure zu holen, wenn sie z.B. eine ganz spezielle Dienstleistung haben wollen? Wenn cis-Frauen über Sexarbeit nachdenken, ist das oft fast nur ein „für oder dagegen“ (sprich: ist Prostitution moralisch vertretbar? Sollten Männer Zugang zum weiblichen Körper gegen Geld haben dürfen? ...).
Oder sie überlegen, ob sie in die Branche auch mal einsteigen möchten. Selten sehen sie sich als potentielle Kundinnen. Und wenn schon, wo wäre denn das passende Angebot für sie? Männer, die für Heteras am Geschäftsverkehr teilnehmen, sind ziemlich rar. Und Lesben werden in viele Bordelle erst gar nicht reingelassen. Marktlücke. Und was ist mit allen anderen, die nicht in der Zweigeschlechterordnung passen wollen oder können, oder - wie Emy sagt - die asexualisiert werden, weil sie einen behinderten Körper haben?
Der Zug rüttelt uns schnurgerade. Ich habe Lust, eine Kaugummiblase zu machen. Wäre doch eine nette Art Kaugummi zu kauen.
Die Bio-Macht lässt grüßen
Das Problem ist auch, dass das sogenannte Prostituierten-Schutz-Gesetz, das Ende März von der Bundesregierung verabschiedet werden soll, für viele Sexarbeiter_innen sich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlt. Anmeldepflicht für Huren - was einen Großteil der Branche in die Illegalität treiben könnte; Lizenzen für Bordellbetreiber_innen und das vorgeschriebene zweite Bad - eines für die Freier, eins für Prostituierte -, das das Aus für viele kleine Bordellbetriebe bedeuten könnte; Kondompflicht - mit bis zu 50.000 Euro Strafe gegen Freier, die sich nicht daran halten ... Die Bio-Macht lässt grüßen. Oder gemäß Michel Foucault, die Herrschaft des Souveräns über das „nackte Leben“. Schlichtweg: stärkere Kontrolle und Überwachung.
Dass ich gerade keine Lust habe, dieses Gespräch mit ihnen zu führen, damit bin ich nicht wirklich zufrieden. Aber das ist okay. Und eigentlich wollte ich lesen.
Eine Stunde später kommt der Zug im Zischen und Quietschen zum Stehen.
Bevor wir aussteigen, geben mir die drei Männer ihre Visitenkarte. Male bonding eben.
Einer kritzelt noch schnell darauf: „The guy in a blue jaket“.
Ich überlege kurz, ob sich da erneut eine Botschaft verbirgt, die mir entgeht.
Dieser Text ist zuerst auf dem Blog "24-7 spy" von Jayrôme C. Robinet erschienen. Dort berichtet er regelmäßig über überraschenden Momente als Transgender-Mann.
Mehr zu LGBTI-Themen lesen Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de.
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