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Ricarda Lang setzt sich auch für queere Rechte ein.
© imago images/Sven Simon

Ricarda Lang ist erste offen bisexuelle Abgeordnete: „Mein Einzug in den Bundestag ist für viele ein schönes Signal“

Ricarda Lang will sich im Bundestag für queere Rechte einsetzen. Hier spricht sie über bisexuelle Sichtbarkeit, Vorurteile und Überschneidungen mit der FDP.

Die Grünen-Politikerin Ricarda Lang (27) wurde als erste offen bisexuelle Politikerin in den Bundestag gewählt. Sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei, es ist ihre erste Legislaturperiode im Parlament.

Ricarda Lang, wie waren die ersten Tage im Bundestag?
Die ersten Tage waren total aufregend und motivierend. Wir sind jetzt 118 Abgeordnete der Grünen-Bundestagsfraktion. Viele neue und junge Menschen sind dazugekommen und damit ziehen auch neue Themen in das Parlament ein. Ich freue mich richtig, mit dieser Truppe in den nächsten vier Jahren Politik machen zu können. Wir hatten schon unsere ersten Fraktionssitzungen, man hat sein provisorisches Büro eingerichtet und für mich standen in dieser Woche natürlich die Sondierungsverhandlungen an.

Man realisiert jetzt erst, dass man als Vertreterin der Bürger*innen die Lebensrealität von so vielen Menschen hoffentlich zum Besseren gestalten kann. Das ist eine riesige Ehre.

Sie sind die erste offen bisexuelle Bundestagsabgeordnete. Spielt das überhaupt noch eine Rolle?
In meinem Arbeitsalltag spielt das keine Rolle. Natürlich wünsche ich mir eine Welt, in der das irgendwann nirgendwo mehr eine Rolle spielt und wo es normal ist, dass queere Menschen in Parlamenten sitzen. Aber solange wir da noch nicht sind, ist Sichtbarkeit wichtig und deshalb glaube ich, dass mein Einzug in den Bundestag für viele Menschen ein schönes Signal ist.

Das zeigen auch die Rückmeldungen in den sozialen Medien, gerade von jungen bisexuellen Menschen, die sagen: „Zu sehen, dass jemand von uns da sitzt und hoffentlich auch Politik für unsere Rechte macht, gibt Hoffnung.“

Sie haben bereits oft auf die Diskriminierung von Bisexuellen hingewiesen. Welche Vorurteile gibt es?
Ich glaube, das stärkste Vorurteil ist, dass Bisexualität häufig nicht ernst genommen wird. Bisexuellen wird vorgeworfen, dass es bloß eine Phase sei, sie sich nicht entscheiden könnten oder irgendwo zwischen den Sexualitäten ständen.

Bisexualität wird nicht als eigene Sexualität verstanden. Und gerade bisexuelle Frauen bekommen öfter zu hören, dass sie das nur tun würden, um Aufmerksamkeit zu bekommen oder herum zu experimentieren. Da gibt es noch viel zu tun – gesamtgesellschaftlich, aber auch innerhalb der queeren Szene. Das „B“ in „LGBT“ ist da nicht durch Zufall reingerutscht, sondern ein Teil unserer Community.

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Im Bundestag sind mehr offen queere Männer als offen queere Frauen vertreten. Hängt das mit diesen Vorurteilen zusammen oder liegt es daran, dass Frauen grundsätzlich unterrepräsentiert sind?
Ich glaube, dass es eher damit zusammenhängt, dass Frauen noch nicht ausreichend repräsentiert sind an allen Orten, wo Entscheidungen getroffen werden: In der Politik, in der Wirtschaft und in der Kultur. Daran müssen wir arbeiten. Wir sind die Hälfte der Bevölkerung und wir wollen die Hälfte der Macht.

Welche queerpolitischen Themen sind für Sie in den kommenden vier Jahren wichtig?
Es gibt unfassbar viel zu tun und man muss eines sagen: Die Große Koalition hat Queerpolitik nahezu komplett liegen gelassen. Jetzt braucht es endlich eine Regierung, die sich für queere Menschen einsetzt und für eine Gesellschaft, in der jeder Mensch ohne Angst verschieden sein darf. Und das übrigens nicht nur durch Regenbogenfahnen in Profilbildern, sondern durch ganz konkrete politische Maßnahmen. Für mich heißt das erstens, dass wir Artikel 3 im Grundgesetz ändern müssen und dort auch die sexuelle und geschlechtliche Identität schützen.

Wir wollen außerdem das diskriminierende Blutspendeverbot für schwule, bisexuelle und trans Männer endlich abschaffen und lesbische Mütter und Regenbogenfamilien gleichstellen. Wir wollen queere Geflüchtete besser schützen und für mich ist ganz wichtig: Wir müssen endlich das pathologisierende Transsexuellengesetz in die Vergangenheit verbannen und ein Selbstbestimmungsrecht für die Zukunft schaffen.

Im Bundestag will Lang sich unter anderem für die Abschaffung des Blutspendeverbots und eine Reform des Abstammungsrechts einsetzen.
Im Bundestag will Lang sich unter anderem für die Abschaffung des Blutspendeverbots und eine Reform des Abstammungsrechts einsetzen.
© imago images

Sie gehören zum Sondierungsteam der Grünen. Ist Queerpolitik auch für die Sondierungen relevant?
Ja, das wird natürlich auch debattiert. Aktuell kann ich noch nichts verraten, aber ich sehe eine große Chance, eine progressive Regierung zu bilden. Mit der FDP haben wir große Schnittmengen, was Queerpolitik angeht, und ich hoffe, dass wir das nutzen können.

Wo sehen Sie queerpolitisch die größten Schnittmengen zwischen Ihrer Partei und der FDP?
Fast alle Forderungen, die ich genannt habe, teilen wir mit der FDP und das kann eine große Stärke von einer zukünftigen Regierung werden. Sowohl wir als auch die FDP haben viele Stimmen von jungen Menschen erhalten. Natürlich sind wir programmatisch in vielen Bereichen sehr unterschiedlich, aber ich glaube, ein verbindendes Element könnte gewesen sein, dass sich viele junge Menschen eine moderne Gesellschaftspolitik wünschen, die Selbstbestimmung und das Individuum ins Zentrum stellt. Dazu gehören eben auch die Rechte von queeren Menschen.

[Lesen Sie auch: Diverses Parlament? Im Bundestag sind LGBTI-Abgeordnete noch immer unterrepräsentiert (T+)]

Wie sieht es Ihrer Meinung nach insgesamt mit queerer Repräsentanz im Bundestag aus - reicht das oder müsste es mehr sein?
Es könnte auf jeden Fall noch mehr sein, aber ich würde sagen, dass wir mit dieser Bundestagswahl einen riesigen Schritt nach vorne gegangen sind. Dass mit Tessa Ganserer und Nyke Slawik die ersten trans Frauen im Parlament sitzen, ist großartig. Es sind viele junge queere Abgeordnete eingezogen. Es gibt jetzt die Möglichkeit für eine Regierung, die queere Rechte ernsthaft voranbringt. Vor uns liegen jetzt herausfordernde Sondierungsverhandlungen, aber für queere Themen und die Community kann die Bundestagswahl 2021 zum Meilenstein werden.

Und zuletzt: Präferieren Sie die Ampel oder Jamaika?
Die SDP liegt vorne, Grüne und FDP haben dazu gewonnen. Das spricht erstmal für eine Ampelkoalition und da sehe ich auch die größten inhaltlichen Schnittmengen. Trotzdem werden die Sondierungsverhandlungen kein Selbstläufer, diese Koalitionsoption wird sich inhaltlich beweisen müssen, auch in der Queerpolitik. Und dafür werde ich mich in den kommenden Wochen einsetzen.

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