Historischer Erfolg bei der Bundestagswahl: Tessa Ganserer und Nyke Slawik sind die ersten trans Frauen im Bundestag
Mit den Grünen Tessa Ganserer und Nyke Slawik ziehen erstmals zwei trans Frauen ins Parlament ein. Sie wollen sich in queerpolitischen Fragen engagieren - aber nicht nur.
Nyke Slawik und Tessa Ganserer von den Grünen schreiben bei den Bundestagswahlen Geschichte: Sie sind als erste trans Frauen in das Parlament eingezogen.
Ganserer lag in ihrem Wahlkreis Nürnberg-Nord zwar weit hinter dem CSU-Direktkandidaten Sebastian Brehm, über die Landesliste der bayerischen Grünen hatte sie dennoch ihren Platz sicher. Dort stand Ganserer auf Platz 13. „Ich bin noch ganz überwältigt, freue mich aber riesig auf meine neue Aufgabe in Berlin!“, twitterte Ganserer mit dem Hashtag #QueerRepräsentanzMatters am Montagmorgen.
Nyke Slawik zog ebenfalls über ihren Listenplatz ein. Sie kommt aus NRW, ihr Wahlkreis war in Leverkusen, wo SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach das Direktmandat gewann.
"Mich haben mittlerweile Glückwünsche aus Polen, UK und den USA erreicht. Unser trans Wahlerfolg geht um die Welt", schrieb Slawik in der Nacht zum Montag auf Twitter.
Im Bundestag gab es mit Christian Schenk von den Linken bisher erst einen trans Abgeordneten, Schenk outete sich aber erst nach seiner Amtszeit, die im Jahr 2002 endete. Mit der Grünen Victoria Broßart sowie der SPD-Politikerin Ria Cybill Geyer (Brandenburg) waren bei der Wahl 2021 weitere trans Frauen auf den Wahllisten vertreten, sie schafften aber nicht den Einzug ins Parlament.
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Zu den Grünen gekommen ist Tessa Ganserer einst aufgrund „klassischer Umwelt-Themen“, wie Mobilitätspolitik und Naturschutz. „Die haben mich angetrieben, über Jahre Politik zu machen, und diese Interessen habe ich mit meinem Coming-Out ja nicht abgelegt“, sagte sie in einem Interview mit dem Tagesspiegel, „mein Herz schlägt für den Wald.“ Das zeigte sich bereits in frühen Jahren vor ihrer politischen Karriere, als sie eine Ausbildung zur Forstwirtin absolvierte.
Ganserer sieht noch viele Gesetzeslücken bei queeren Themen
Die 44-jährige ist außerdem queerpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion in Bayern und setzte sich in den vergangenen Jahren für die Belange der queeren Community ein. Die größten Gesetzeslücken sieht sie im Abstammungsrecht, das lesbische, nicht binäre und trans Eltern diskriminiert, und dem „entwürdigen Transsexuellengesetz“, das Ganserer zufolge durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden müsse.
„Dass ich mich vor einen Richter stellen muss, damit der Staat mich so akzeptiert wie ich bin; dass ich psychologische Gutachten über mich ergehen lassen muss; dass ich mir entwürdigende Fragen gefallen lassen muss, das ist gegen die Menschenwürde und verstößt gegen das Selbstbestimmungsrecht des Grundgesetzes“, sagte Ganserer.
Sie selbst wurde bei der Bundestagswahl auf den Stimmzetteln mit ihrem Deadname aufgeführt, also dem Vornamen, den sie abgelegt hat. Ihr weiblicher Vorname „Tessa“ stand lediglich in Klammern. Auf Twitter schrieb sie, dass die Nennung ihres Deadnames „das Maß an Demütigung überschritten“ habe. Sie habe infolge dessen die Personenstands- und Vornamensänderung nach dem sogenannten „Transsexuellengesetz“ gefordert.
Sie will auch ihrem Herzensthema Umwelt treu bleiben
In Hinblick auf trans Personen fordert Ganserer neben einer Reform dieses Gesetzes außerdem einen gesetzlich verankerten Anspruch auf medizinische Versorgung. Notwendig seien zudem bundesweite Regelungen für die finanzielle Unterstützung beim Kinderwunsch von Regenbogenfamilien und eine Reform des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes. Auch Anti-Diskriminierungsstellen sollten stärker gefördert werden.
Ihrem Herzensthema Umwelt möchte Ganserer aber auch treu bleiben. Im Interview sagte sie: „Es wäre für mich ein echter Reiz, für die Grünen im Bundestag zu diesen Themen Politik machen zu dürfen.“
Nyke Slawik fordert mehr Diversität unter den Abgeordneten
Nyke Slawik gehört mit ihren 27 Jahren einer anderen Generation an als Ganserer. Es brauche mehr Diversität unter den Abgeordneten, damit da endlich Menschen sitzen, die nicht nur über unterschiedliche Lebensrealitäten reden, sondern sie kennen und nachempfinden können, sagte Slawik vor dem Wahl dem Tagesspiegel.
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Damit spielte Slawik nicht nur darauf an, dass sie trans ist. Sondern auch auf ihren familiären Hintergrund: Sie kommt aus einer Arbeiterfamilie, ihre Eltern lernten sich als Maschinenschlosser kennen. Sie war die erste in der Familie, die studierte.
Ihr selber sei es oft "unangenehm" gewesen, "so sehr wegen meiner Identität im Fokus zu stehen. Aber es gibt so wenig Sichtbarkeit und so viel gesetzliche Benachteiligung, dass ich mich dazu entschieden habe, offensiv damit umzugehen“, sagte Slawik. Sie hoffe, "dass wir heute ein neues Kapitel der Selbstbestimmung in der Politik aufschlagen und die jahrelange Bevormundung queerer Menschen beenden können", twitterte sie denn auch in der Wahlnacht.