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Homos machen mobil. So sehen sie aus, die Siebziger in West-Berlin.
© Edition Salzgeber

Im Kino: „Mein wunderbares West-Berlin“: Männer tanzen einfach besser

Regenbogenstadt Berlin: Jochen Hicks erhellender und amüsanter Dokumentarfilm über die schwule Szene im West-Berlin der Siebziger.

Lautlos gleitet die Scheibe eines längsseits anhaltenden Autos herunter. Das Gesicht von Rolf Eden taucht auf. „Na, fährste noch in die Paris Bar?“, fragt ihn René Koch, der seinerseits hinterm Steuer sitzt. Eden nickt. Überflüssige Frage. Sicher doch, „jetzt sofort“! So geht ein bestimmt auf dem Ku’damm geführter West-Berliner Autodialog.

Der Playboy und der Visagist, das ist einer dieser sagenhaften Kaffeeklatschmomente, die Jochen Hicks erhellender und amüsanter Dokumentarfilm „Mein wunderbares West-Berlin“ immer mal wieder bietet. Auch das liebevolle Gezicke zwischen René Koch und Coiffeur Udo Walz in besagter Bar reiht sich da nahtlos ein. Das Thema sei doch schon seit dem Mauerfall erledigt, kommentiert Walz sarkastisch die Frage nach seinen sexuellen Gewohnheiten. Dauerlächler Koch nickt beifällig. „Also im Moment bevorzuge ich gar nichts mehr.“ Glamour? Fehlanzeige. Aber sie hat Mutterwitz, die Alt-West-Berliner Homosociety.

Dieser Tonfall schafft einen schönen Kontrast zum hoch politischen Thema, dem homosexuellen Emanzipationskampf der siebziger und achtziger Jahre in der Mauerstadt. Ähnlich wie der die Kulturszene jener Jahre auslotende Publikumshit „B-Movie – Lust and Sound of West Berlin“ punktet auch Jochen Hicks Film mit großartigem Archivmaterial. Offensichtlich hat die treibende Kraft des schwulen Aufbruchs, die von der linken Studentenbewegung befeuerte „Homosexuelle Aktion Westberlin“ (HAW) von Anfang an beherzigt, dass bewegte Bilder von Aktionen ebenso wichtig sind wie die Demos oder Happenings selber. Zwar hat es dann doch nicht funktioniert, „an der Seite der Arbeiterklasse den Kapitalismus zu überwinden“, wie Politaktivist Wolfgang Theis resümiert, später als Mitgründer des Schwulen Museum erfolgreich. Aber die Arbeit damals ist dafür erstaunlich gut dokumentiert.

Nicht nur für die Geschichtsschreibung der Community interessant

In Kombination mit eindrucksvollen Straßenszenen aus der immer noch nach Kaltem Krieg und Kohlenstaub riechenden Stadt und den durch Alltagsbeobachtungen aufgelockerten Interviews mit Protagonisten wie dem Couturier Klaus Schumann, den Musikerinnen und Musikern Romy Haag, Wolfgang Müller und Westbam, den Filmleuten Wieland Speck, Rosa von Praunheim und Ades Zabel, dem Künstler Salomé oder dem Verleger Egmont Fassbinder ergibt sich ein bewegtes, berührendes Bild der Regenbogenstadt Berlin. Und das ist keineswegs nur für die Geschichtsschreibung der Community interessant. Schließlich sind nicht nur die städtische Clubszene, sondern auch Kultur- und Sozialleben von Homosexuellen und den von ihnen gegründeten Institutionen geprägt.

Obwohl Berlin in den Siebzigern neben Hannover die einzige deutsche Stadt ist, in der Männer legal mit Männern tanzen dürfen, grassiert die durch den Paragrafen 175 legitimierte Schwulenverfolgung. In den Achtzigern liefert dann die Aidskrise den Ressentiments neue Nahrung. Nur rosig ist es also nicht, das Leben in der Homos von überall her anziehenden, ach so freizügigen Halbstadt. Salomé, seinerzeit als Polittunte aktiv, erzählt denn auch, dass bei mancher Fummel-Aktion unter dem Motto „Rüscht euch auf, damit wir sichtbar werden!“ nur ein Sprung aus der U-Bahn vereiteln konnte, „eine auf’s Maul zu bekommen“. Wobei die Doku weniger privilegierte als Akademiker- und Kreativkreise gar nicht erst zeigt.

Gut auch, dass Jochen Hick, der sich in „Out in Ost-Berlin“ auch schon mit dem queeren Leben in der DDR befasst hat, es nicht beim Erzählen über homosexuelle Menschen oder eine abgeschlossene Epoche belässt, sondern immer die Verbindung zu universellen Themen wie Alter oder Veränderung einer Stadt im Blick hat. Das macht „Mein wunderbares West-Berlin“ zu einem lebendigen Zeugnis jenseits mottenpulveriger Mythenpflege.

In neun Berliner Kinos.

Gunda Bartels

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