30 Jahre Schwules Museum Berlin: "Wir überlassen unsere Geschichte nicht den Heteros"
Queere Kultur, Damen über 70 und Helmut Kohl: Wolfgang Theis, Gründungsmitglied des Schwulen Museums* in Berlin, über die 30-jährige Geschichte des Hauses und die neue Ausstellung.
Kaum kommt das Queerspiegel-Team im Schwulen Museum* in der Lützowstraße an, wird es auch schon in die Ausstellungsräume dirigiert: Vitrinen müssen aufgestellt werden, es werden helfende Hände gebraucht. „Das ist der Unterschied zu anderen Museen: Bei uns muss jeder gleich mitanpacken“, sagt Wolfgang Theis, Gründungsmitglied des Schwulen Museums. Lange war der 1948 im schwäbischen Gärtringen geborene Filmwissenschaftler und Ausstellungsmacher im Vorstand des Museums. Noch immer kuratiert er Ausstellungen – wie die am Montag öffnende Schau „Tapetenwechsel“, die Exponate aus der 30-jährigen Geschichte des Museums zeigt. Ein Gespräch.
Gerade erst sind die „Homosexualität_en“ zu Ende gegangen, die das Schwule Museum* mit dem Deutschen Historischen Museum gezeigt hat. Noch nie wurde die Kulturgeschichte der Homosexualität so umfassend für eine breite Öffentlichkeit in Deutschland in einer Ausstellung thematisiert. Was kann danach für das Schwule Museum überhaupt noch kommen?
Das Thema ist doch nicht erschöpft! Homosexualität kommt nach wie vor in anderen Museen nicht vor, das vertreten nur wir. Da gibt es tausende Projekte, die man noch machen kann. Schwule Geschichte muss weiter aufgearbeitet werden, genauso die Lesbengeschichte, die Transgendergeschichte – das ist ja alles unbeackert.
Versuchen Sie, auf andere Museen einzuwirken?
Natürlich. Als wir anfingen, waren alle etwas peinlich betreten. Wir haben immer die Strategie gehabt, bei Ausstellungen aus den bestehenden Institutionen etwas auszuleihen, haben so Kontakte aufgebaut. Die Geburtsstätte des Schwulen Museums* ist das Berlin Museum. Dort fand die erste Ausstellung statt, und es blieb das Mutterhaus. Immer wenn dort Technik ausrangiert wurde, bekamen wir die. Vier der Gründungsmitglieder des Schwulen Museums hatten ja als studentische Hilfskräfte im Berlin Museum begonnen.
Einer davon waren Sie. Die besagte Ausstellung im Berlin Museum fand 1984 statt, sie hieß „Eldorado – Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850–1950“. Wie waren die Reaktionen damals?
Es gab verschiedene. Der Tagesspiegel zum Beispiel hat das Wort schwul oder homosexuell nicht in den Mund genommen, der war sehr betulich und fasste das Thema nur mit spitzen Fingern an. Das war ein böser Bericht damals. Es gab auch den Vergleich „Wieso stellt man in einem Museum Homosexuelle aus, da könnte man auch Brillenträger ausstellen?“ Na klar, könnte man ja auch. Insgesamt war die Resonanz aber groß: Selbst in indischen Zeitungen wurde über die Dekadenz in Berlin berichtet.
Und was sagte das Museum selbst?
Die ehemalige Direktorin war eine Lesbe, aber natürlich im Schrank. Und als wir anfingen gab es einen Direktor, der uns unterstützte. Aber von der alten Stammbesatzung wurde das torpediert. Es gab einen Aufruf in der Presse, um an Ausstellungsstücke zu kommen. Es gingen dann natürlich viele Pornoheftchen ein, die wurden sofort weggeschmissen. Vieles hat uns nie erreicht. Leider ging so auch Wertvolles verloren. Wir hatten eine Tanzmarke aus dem Eldorado bekommen.
Das Eldorado war das bekannteste Szene-Lokal in den zwanziger Jahren in Berlin.
Die Marken wurden an Gäste ausgegeben, die mit den Transvestiten tanzen wollten. Die erste flog in den Papierkorb, weil der Wert nicht erkannt wurde.
Wie entstand aus der Ausstellung die Idee eines eigenen Museums?
Das war von Beginn an virulent. Wir hatten uns in der Akademie der Künste eine Ausstellung angeguckt über Lebensreformbewegung. Da gab es tatsächlich gerade mal eine Ecke mit drei Dokumenten - bei dem Thema! Da haben wir uns gesagt: Das geht nicht, das können wir nicht den Heteros überlassen, die kriegen das nicht auf die Reihe.
Sicher kam dann auch gleich wieder der Vorwurf, dass sich Schwule unnötigerweise in eine Nische begeben und Ghettoisierung betreiben.
Ja, der Begriff Ghetto hat uns von Anfang begleitet. Uns wurde immer gesagt: Was wollt ihr mit einem schwulem Museum, ihr müsste doch raus aus dem Ghetto. Aber das ist natürlich Schwachsinn. Das Museum ist für jeden offen. Wir wollen an unsere Geschichte, das überlassen wir nicht anderen. Das Argument war doch immer nur eine Abwehrstrategie.
Wie hat die Aids-Krise in den achtziger Jahren das junge Museum geprägt?
Die Erfahrung hat natürlich die ganze Schwulenbewegung damals geprägt. Es gab ja am Anfang keine Möglichkeit dem zu entkommen, es sind viele gestorben. Trauerkultur war sehr wichtig. Im Prinzip hätte es die ganzen Selbsthilfegruppen, die damals entstanden, ohne Aids nicht gegeben. Das war das erste Mal, dass so etwas institutionell eingerichtet wurde, da beginnen die festen Strukturen, die bis heute tragen. In den Siebzigern wäre das noch unvorstellbar gewesen.
"Porno hilft immer"
In der neuen Ausstellung „Tapetenwechsel“, die Stücke aus der 30-jährigen Geschichte des Museums zeigt, wird auch ein Porträt Helmut Kohls zu sehen sein. Das dürfte viele überraschen. Warum zeigen Sie den Ex-Kanzler?
Er ist ja der Befreier der Schwulen, denn in seiner Regierungszeit wurde der Paragraf 175 endgültig aufgelöst. In der Installation wird steht auch ein Farbtopf mit Kopien von Willy Brandt und Helmut Schmidt, die das nicht geschafft haben. Als die FDP auf eine Abschaffung des Paragrafen drang, hat Schmidt ja sogar gesagt: Ich bin der Kanzler der Deutschen, nicht der Kanzler der Schwulen.
Wobei Schmidt dieses Zitat später bestritten hat. Nun sind Zeugnisse der queeren Geschichte lange nicht gesammelt und von großen Institutionen ausgeblendet worden. Wie baut man unter solchen Umständen eine Sammlung auf?
Immer wenn wir einen Künstler ausgestellt haben wir die Bedingung gestellt, dass ein Werk bei uns bleibt. Im Lauf der Zeit sind Nachlässe dazu gekommen, wir haben vieles gekauft. Vieles ist auch unseren Privatsammlungen. Aber es ist ein schwieriges Geschäft.
Was war das erste Bild, das Sie selber gekauft haben?
Es ein Gemälde von Rinaldo Hopf mit Klaus Mann. Das ist jetzt aber nicht ausgestellt, weil wir nächstes Jahr im Herbst eine Klaus- und Erika-Mann-Ausstellung planen.
Das Museum ist 2013 vom Homo-Kiez am Mehringdamm in die eher unbelebte Lützowstraße gezogen. Wie hat sich das ausgewirkt?
Wir krebsen schon immer noch ein wenig am Rande rum. Bei einem Umzug dauert es immer, bis er sich amortisiert hat. Wir haben hier schöne Räume, die sind aber auch teuer. Gerade letztes Jahr hatten wir eine schlimme Durststrecke.
Wie hat sich das Publikum geändert?
Das ändert sich wirklich von Ausstellung zu Ausstellung. Ich habe mal eine Ausstellung über Adolf Wohlbrück kuratiert. Der galt als schönster Mann des deutschen Films. Wir hatten 90 Prozent alte Damen über 70, die alle in ihrer Jugendzeit für Adolf Wohlbrück geschwärmt haben und alle kamen. Das war ein totaler Austausch des Publikums. Eine unserer erfolgreichsten Ausstellungen im neuen Haus war „Porn that way“. Die hat uns gerettet. Sie hatte wirklich keine Presse, aber das Thema ist ein Selbstläufer. Wenn wir früher Geldsorgen hatten, haben wir immer etwas Pornografisches gemacht. Porno hilft immer.
Seit 2008 tragen Sie das Sternchen im Namen, um zu zeigen, dass es dem Museum um vielfältige sexuelle Identitäten geht. Wieso haben Sie den Namen nicht ganz geändert?
Wir wollten den Titel nicht aufgeben. Ich habe mich immer vehement dagegen gewehrt. Ein Vorschlag war gay. Wir sind aber nicht gay, wir sind schwul. Wenn man das Wort schwul historisch betrachtet, haben sich da früher auch die Frauen drunter gefunden. Das hat sich dann gewandelt.
Unter dem Sternchen versammeln sich ja durchaus vielfältige Gruppen. Wie kann man die Erweiterung der Perspektive mit Leben füllen?
Es geht um alles jenseits der Heteronormativität. Wir sind aus unserer Gründungsgeschichte ein schwules Projekt. Dann kamen die Lesben dazu. Frauen haben es zudem auf der ganzen Welt schwer. Die ganze Schwulenbewegung war doch nur erfolgreich, weil es die Frauenbewegung gab, ich würde sogar die These aufstellen, dass wir die Kriegsgewinnler der Frauenbewegung sind. Für die Erweiterung braucht es Zeit, bis da was entsteht: die Kontakte, die Sammlungen. Bei Transgender entsteht das alles erst. Man kann denen das aber auch nicht wegnehmen, sie müssen das selbst machen.
Homosexualität scheint heute doch weitgehend etabliert zu sein. Welche Funktion hat das Schwule Museum* noch?
Kulturgeschichte ist nie abgeschlossen, da gibt es immer wieder neue Impulse. Bewegungen müssen ihre Wurzeln auch erstmal entdecken. Das muss beforscht werden. Im Gegensatz zu den USA ist das in Deutschland immer noch ziemlich schwach entwickelt. Bei den Sexualwissenschaften sind fast alle Institute wieder abgewickelt. Da fragt man sich schon warum.
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