Verfassungsrichter Anthony Kennedy: Ein Konservativer, den Amerikas Schwule feiern
Anthony Kennedy gab den Ausschlag bei der Supreme Court-Entscheidung für die gleichgeschlechtliche Ehe. Seine Urteilsbegründung fällt ungewöhnlich poetisch aus: „Keine Bindung ist so tief wie die Ehe“. Ein Porträt.
Es gibt diese kleine Geschichte von Anthony Kennedy aus dem Juli 2013. Sie erklärt vielleicht vieles. Damals hielt der eine von fünf konservativen Richten am Obersten US-Gericht einen nichtöffentlichen Vortrag an der Chautauqua Institution im Bundesstaat New York – was ohnehin schon ungewöhnlich ist. Der „entscheidendste Richter an unserem tief gespaltenen hohen Gericht“, wie ihn die Zeitschrift „Atlantic“ beschreibt, die einen Mitschnitt der Rede ausgrub, sprach über das Verhältnis von Verfassung und Gewissen.
Der erste Verfassungszusatz, referiert der 1988 noch von Ronald Reagan ernannte Verfassungsrichter da vor jungen Leuten, sage, dass alle Rechte geschützt seien, auch philosophische oder weltanschauliche. Und zwar vor staatlicher Kontrolle. Die US-Verfassung kontrolliere entsprechend nur die Regierung. Es sei also nicht an der Regierung, zu sagen, welches Buch gut und welches schlecht sei, oder welcher Film. Rückblickend kann man sagen: es steht auch nicht dem Staat zu, zu entscheiden welche Liebe gut und welche Liebe schlecht ist. Alle Staaten also, kann man fortführen, die homosexuelle Liebe niedrigrangiger als heterosexuelle Liebe erachten und ihr deshalb die Ehe verweigern, verstoßen gegen die Verfassung. Genau das beschloss das Gericht am Freitag.
Anthony Kennedy hat wohl mehr für die Rechte von Homosexuellen getan als Obama
Diejenigen, die sich länger mit Kennedy beschäftigt haben, waren am Freitag nicht erstaunt, dass er als einziger Konservativer mit den vier liberalen Richtern für das landesweite Recht auf gleichgeschlechtliche Eheschließung stimmte. Sie entspricht seinen bisherigen Entscheidungen zu Fragen von Schwulenrechten. Kennedy hat nun vermutlich mehr für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen getan als vielleicht sogar der amtierende US-Präsident. Die Entscheidung gilt als historisch. Schon jetzt wird ausgerechnet der Konservative als Ikone der Homosexuellen-Bewegung in den USA gefeiert.
Kennedy hatte als dienstältester Richter der Mehrheitsmeinung das Recht zu bestimmen, wer die Urteilsbegründung schreiben solle oder dürfe. Er hat die Verpflichtung als Privileg selbst übernommen. Sein Text machte schnell im Internet die Runde - auch wegen des fast schon poetischen Tons. „Keine Bindung ist so tief wie die Ehe“, schreibt Kennedy, „denn sie verkörpert die höchsten Ideale von Liebe, Treue, Hingabe, Opfer und Familie. Wenn zwei Menschen den Bund der Ehe eingehen, werden sie zu etwas, das größer ist als das, was sie einst waren.“ Ein Missverständnis wäre es anzunehmen, homosexuelle Männer und Frauen verwehrten der Idee der Ehe ihren Respekt. Sie respektierten sie so tief, dass sie in der Idee selbst ihre Erfüllung suchten.
Viel ist in Kennedys Lebenslauf gestochert worden, um die ungewöhnliche Leidenschaft zu erklären, mit der der unzweifelhaft konservative Jurist für die Rechte von Schwulen urteilt. Es gibt schwule Assistenten, es gibt schwule Nachbarn; „wenn die mich tolerieren können, kann ich gewiss auch ich sie tolerieren“ wird er zitiert. Insbesondere aber gibt es einen juristischen Mentor des jungen Juristen Kennedy in Kalifornien, Gordon Schaber, von dem angeblich viele Stimmen sagen, er sei ein ungeouteter Homosexueller gewesen. Der inzwischen fast 79-jährige Kennedy selbst ist verheiratet und hat drei Kinder. Er mag aus seiner Lebensgeschichte beeinflusst sein. Aber der Richter, so zitiert die „New York Times“ einen Freund, Pete Wilson, „betrachtet es als furchtbar unfair, dass das Potenzial eines Einzelnen in irgendeiner Weise dadurch begrenzt würde, dass er einer Gruppe zugeordnet würde“. Der Mensch, so sei es nun einmal Kennedys Auffassung, verdiene seine Rechte als Individuum. Es ist nicht das einzige Thema, bei dem Kennedy immer wieder mit seinen liberalen Kollegen stimmt
Sein Gegenspieler Scalia wütet: Der Supreme Court sei auf das Niveau eines „Glückskekses“ gesunken
Antonin Scalia, der wütendste der unterlegenen konservativen Richter, hat in seinem Minderheitenvotum nun von einer „Bedrohung“ der amerikanischen Demokratie durch das Gericht geschrieben. Es sei ihm persönlich nicht wichtig, was diese Gesetze über die Ehe von Schwulen sagten. Von überwältigender Bedeutung sei für ihn jedoch, wer über ihn herrsche. Und „das heutige Urteil sagt mir, dass neun Richter am Supreme Court über 320 Millionen Amerikaner bestimmen“. Das Gericht nämlich schütze keine Bürgerrechte, es erfinde vielmehr welche. Der Supreme Court sei auf das Niveau eines „Glückskekses“ gesunken.
Stellvertretend fechten die beiden Richter am Supreme Court darin einen amerikanischen Kulturkampf aus. Der modernere Konservative, auch wenn er 78 Jahre alt ist, der sein Menschenbild mit dem Wandel der Gesellschaft abgleicht, und der Strukturkonservative, der sich gegen den Wandel stemmt. Die Umfragezahlen geben ersterem recht.
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