Supreme Court zur gleichgeschlechtlichen Ehe: Deutschland ist verstockter als Amerika
In den USA können Schwule und Lesben nun heiraten. Damit stehen die Amerikaner an der Spitze des Fortschritts - in Deutschland dagegen fehlt es in der Debatte an Mitgefühl. Ein Kommentar.
In diesen Tagen wird unser traditionelles Verständnis von Amerika hart auf die Probe gestellt: da die hinterwäldlerischen, schießwütigen Religionsfanatiker, hier die aufgeklärten, tiefsinnigen Europäer. In diese Vorstellung passt, dass die Amerikaner an der Todesstrafe festhalten, Unmengen an Energie verbrauchen, Rassenkonflikte augenscheinlich nicht überwunden haben. Moralisch fühlen die Europäer sich seit jeher ein Stück weit überlegen.
Ein historisches Urteil hat der Supreme Court gesprochen
In dieser Woche nun hat der Supreme Court nicht nur Barack Obamas Gesundheitsreform für rechtmäßig befunden. Am Freitag hat er faktisch auch die gleichgeschlechtliche Ehe auf dem Gebiet der gesamten USA eingeführt. Es ist eine historische Entscheidung in einem Land, in dem 2001 noch knapp zwei Drittel der Bevölkerung jede Form von gleichgeschlechtlicher Eheschließung ablehnten. Selbst Hillary Clinton änderte ihre Meinung erst kürzlich. 2004 noch hatte sie gesagt, die Ehe sei für sie ausschließlich ein „heiliger Bund zwischen Mann und Frau“.
Auf den ersten Blick mag die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wie etwas rein Rechtstechnisches erscheinen. Im Kern ging es nämlich darum, wie weit die Autonomie der Bundesstaaten reicht. Allerdings unterschätzt eine solche Interpretation die Zeitenwende, die dem Urteil vorausgegangen ist. Ein ausdrückliches Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe gab es ohnehin nur noch in 13 der 50 Staaten. Inzwischen unterstützen sechs von zehn Amerikanern laut Umfragen die „Ehe für alle“.
So ergibt sich auf einmal ein sonderbares Bild: 2001 noch wurde in Deutschland mit allerlei juristischen Verrenkungen die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ eingeführt. Zumindest der rot-grüne Teil der Republik fühlte sich damit an der Spitze einer gesellschaftlichen Avantgarde. Gesprochen wurde von der „Homo-Ehe“, geschaffen aber wurde in Wirklichkeit ein merkwürdig anmutendes Sondergesetz. In einigen unionsgeführten Ländern wurden gleichgeschlechtliche Partner noch über Jahre hinweg zur Vermählung auf Kfz-Zulassungsstellen geschickt, bloß um ihnen den Zutritt zum Standesamt zu verwehren.
„Verpartnern“ statt „heiraten“ – das wird von gleichgeschlechtlichen Paaren als demütigend empfunden
Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Doch während die Amerikaner, wenn sie sich einmal entschieden haben, gleich den großen Wurf wagen, wird in Deutschland über die vermeintlich drohende Gefahr von Verwandten- und Vielehen und eine angeblich zu starke „Homo-Lobby“ diskutiert. Eine beschämende Debatte in einem Land, in dem unter den Nazis Tausende von schwulen Männern in Konzentrationslagern verschwanden.
Der Diskussion um eine vollständige Gleichstellung fehlt es in Deutschland an Empathie. Allein schon die Begrifflichkeit – „verpartnern“ statt „heiraten“ – wird von gleichgeschlechtlichen Paaren als staatlich sanktionierte Demütigung empfunden. Wahrscheinlich wird auch hier das Bundesverfassungsgericht wie der Supreme Court am Ende feststellen müssen, dass die unterschiedliche Behandlung von Hetero- und Homosexuellen Grundrechte verletzt. Bis es so weit ist, werden die Deutschen mit dem Ruf leben müssen, verstockter als die Amerikaner zu sein.
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