zum Hauptinhalt
Die Medienkünstlerin VALIE EXPORT 2012 im Kunsthaus Bregenz in Österreich.
© dpa/Ennio Leanza

Medienkünstlerin Valie Export: "Die Jungen müssen eigene Formen finden"

Valie Export ist eine der bekanntesten feministischen Medienkünstlerin Österreichs. Ein Gespräch über vergessene Künstler*innen, verunsicherte Feminist*innen und provokative Kunst.

Die 1940 in Linz geborene Valie Export hat in den sechziger und siebziger Jahren mit ihren feministischen Installationen und Performances provoziert und gesellschaftliche Debatten mit angestoßen. Auf dem diesjährigen Xposed Film Festival wurde ihr Film "Unsichtbare Gegner" gezeigt, der 1977 auf der Berlinale lief.

Frau Export, Sie haben Berlin in den letzten Jahrzehnten immer wieder besucht. Habe Sie noch eine Verbindung zur feministischen Community in der Stadt?

Ja, ich fühle mich heute noch immer mit einigen aus der damaligen feministischen Szene verbunden. Ich kenne Berlin sehr gut. Ich habe hier vor und nach dem Mauerbau viel Zeit verbracht, und auf der Berlinale konnte ich Filme von mir zeigen. Mich hat über viele Jahre hinweg die Stimmung in der Stadt regelrecht angeturnt. Ich bin gerne aus Österreich nach Berlin gekommen, weil hier alles viel freier, offener und größer war und zum Teil heute immer noch ist. In den letzten Jahren hat sich die Stadt aber sehr verändert. Es ist wahnsinnig viel los und sehr hektisch. Ich habe das Gefühl, die Stadt zieht einen eher raus als rein. Ich bin wiederum gerne in Städten, wo ich andocken kann, aber nicht wo die Stadt an mir andockt. Momentan habe ich das Gefühl, Berlin dockt bei mir an.

Andocken ist ein schönes Bild. Ich habe den Eindruck, junge Feminist*innen haben heute auch ein wenig das Bedürfnis, sich an Vorkämpferinnen wie Ihnen zu orientieren. Wie sehen Sie das?

Das mag sein und das kann ich auch nachvollziehen. Die junge Generation zwischen 20 und 30 Jahren kennt meiner Erfahrung nach außer den großen Statements wie meinem "TAPP und TASTKINO" von 1968 nichts mehr von den wegweisenden feministischen Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren wie zum Beispiel die Arbeiten der US-amerikanischen Künstlerin Carolee Schneemann. Schneemann hat mit ihren feministischen Performances und Experimentalfilmen über Geschlechterrollen und Sexualität den gesellschaftlichen Diskurs damals maßgeblich mit beeinflusst.

Für ihr Lebenswerkt ist Carolee Schneemann gerade auf der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden. Auf welche Künstlerinnen würden Sie noch verweisen?

Nehmen sie die Arbeiten von Yvonne Rainer, Hannah Wilke, Judy Chicago, Ulrike Rosenbach, Trisha Brown, Helke Sander, Marina Abramović, Sarah Schumann, Friederike Pezold. Sie alle haben sich vor 40 Jahren in ihrer Video- und Fotokunst und ihren Performances intensiv mit dem weiblichen Körper und seiner Wahrnehmung und Darstellung in der westlichen Gesellschaft auseinandergesetzt. Gerade in der heutigen Zeit, in der konservative, antifeministische und patriarchale Denkmuster wieder verstärkt en vogue sind, haben diese Arbeiten an Aktualität nicht verloren. Die Jungen wollen heute wissen, welche Antworten hat der damalige Feminismus auf die Unterdrückungsmechanismen wie häusliche Gewalt, Bevormundung und Diskriminierungen gegeben. Gut möglich, dass aktuell auch eine gewisse Verunsicherung in der jüngeren Generation hinzu kommt, auch verknüpft mit der Frage: Was kann Kunst heute überhaupt noch bewirken?

Die Installation "Aktionshose: Genitalpanik" von VALIE EXORT in einer Ausstellung 2012 in Österreich.
Die Installation "Aktionshose: Genitalpanik" von VALIE EXORT in einer Ausstellung 2012 in Österreich.
© dpa/Ennio Leanza

Und kann Kunst heute überhaupt noch provozieren?

Ich wollte damals im konservativen Nachkriegs-Österreich bewusst mit Arbeiten wie der "Aktionshose: Genitalpanik" von 1968 provozieren, und das ist auch gelungen. Oder die Expanded Film Aktion "Genitalpanik"...

Dabei sind Sie mit einem großen Loch in Ihrer Hose durch die Sitzreihen in einem Münchner Kino gelaufen...

...richtig, ganz bewusst provozieren. Die Reaktionen auf meine Aktionen waren immens. Ich wurden beschimpft, mir wurde Gewalt angedroht und die Kritiken in den Feuilletons waren vernichtend. Mir wurde sogar vorgeworfen, Feminismus sei wie Kommunismus. Die Konzeptkunst war im damaligen Österreich in der Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt. Kunst funktioniert aber vor allem auch im Kontext ihrer Zeit, das sehen wir heute besonders.

Berühmt sind Sie eben auch für Ihre Performance "TAPP und TASTKINO" geworden. Dabei hing ein nicht einsehbarer Kasten für Ihrem Oberkörper und für wenige Sekunden konnte man ihre Brust berühren. Würden Sie solche Aktionen heute wiederholen bzw. anderen dazu raten?

Ich habe einen kleinen Kinosaal an meinem Körper getragen mit einer Körperleinwand, und jede, jeder konnte das Kino für 33 Sekunden besuchen. Ein mobiles Kino, transportiert durch mich im öffentlichen Raum. Im Vergleich zu meinen damaligen Arbeiten habe ich zu der heutigen Gesellschaft ein komplett anderes Gefühl, weil ich die Geschichte mit begleitet habe und erkenne, aus welchen historischen Kontexten die heutigen Entwicklungen zu verstehen sind. Die junge Generation muss auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen ihre eigenen künstlerischen Antworten und Konzepte finden. Uns hat damals auch niemand an die Hand genommen. Sicher, wir haben vor 40 Jahren in der Nachkriegszeit mit öffentlichen Kunstaktionen wie zum Beispiel ich mit dem "TAPP und TASTKINO" viel direkter die Menschen herausfordern können, als das heute vielleicht der Fall wäre. Aber ich bin mir sicher, auch in der heutigen Zeit, in der rechtskonservative Kräfte wieder erstarken, lassen sich definitiv Kunstformen finden, die Menschen zumindest zum Nachdenken anregen.

Das heißt, Sie haben Ihren Job getan und jetzt sind die Jungen dran?

Ich bin Künstlerin und das währt mein Leben lang. Als Altfeministin möchte ich den jungen Menschen aber nicht sagen, was sie zu tun haben. Ich verstehe natürlich, dass auch in feministischen Fragen die nächsten Generationen Ratschläge von uns Älteren zu schätzen wissen. Aber ich bin auch der Meinung: Jede Generation muss ihre Kunstformen und Ausdrucksweisen selbst finden, selbst erarbeiten! Kunst ist Arbeit mit Kultur, impliziert Wissenschaft, Technologie, Schutz und Veränderung unseres Planeten, und darüber hinaus. Kunst ist soziopolitisch und eine offenes dynamisches System. Es ist immanent, sich mit verschiedenen Kulturen zu beschäftigen. Welche Historie haben sie und was sind die unterschiedlichen Bilder der Frauen? Nehmen wir die weibliche Genitalverstümmelung. Man kann sich natürlich die Frage stellen: Wo kann man da künstlerisch noch einmal neu ansetzen? Aktuell sind für mich auch kunstrelevante Fragen, die sich im Kontext von medizinischen Entwicklungen und neuen Technologien bewegen. Bei all diesen hochtechnologischen Innovationen stelle ich mir die Frage: Verschwindet der Mensch irgendwann oder nicht?

Sie selbst haben 1967 Ihr Kunstprojekt VALIE EXPORT gestartet. Aus welchen Impuls heraus?

Zunächst war ich damals in Wien von Menschen umgeben, die zusammen ihren Widerstand gegen die Gesellschaft artikulierten, mit Texten, Aktionen und noch viel mehr zum Ausdruck brachten. Aus diesem Umfeld heraus wollte ich mich mit einem eigenen Kunstnamen VALIE EXPORT selbst definieren. EX-PORT bezieht sich darauf, den sicheren Hafen zu verlassen, neues Terrain zu betreten, sich neugierig auf das Unbekannte einzulassen und meine Gedanken nach außen zu transportieren. Der Name spiegelt mein Lebensgefühl von damals wieder. Die heute bekannte VALIE EXPORT Zigarettenpackung habe ich nach der Erfindung meines Künstlernamens später zu meinem Namens-Transportmittel montiert. Die Packung ist eine Montage und mein erstes Objekt. Vor kurzem habe ich herausgefunden, dass die Zigarettenpackung Smart EXPORT von einer Linzer Designerin kreiert wurde.

VALIE EXPORT während ihres Besuchs in Berlin anlässlich des Xposed Queer Film Festivals.
VALIE EXPORT während ihres Besuchs in Berlin anlässlich des Xposed Queer Film Festivals.
© Jana Demnitz

Auf dem gerade zu Ende gegangenen Xposed Film Festival wurde Ihr Film "Unsichtbare Gegner" gezeigt, der unter anderem die Unterdrückung der Frau durch ein Patriachart und die Verlogenheit der Gesellschaft anprangert. Sie sagen, seit dem habe sich nicht viel verändert. Sind Sie enttäuscht, dass wir immer noch mit den gleichen gesellschaftlichen Problemen zu kämpfen haben?

Beim Feminismus war mir von Anfang klar, dass wir einen langen Kampf vor uns haben werden, über Generationen hinweg. Was sich über viele Jahrhunderte, Jahrtausende manifestiert hat, kann nicht innerhalb von 40 oder 50 Jahren, in der Nachkriegszeit, überwunden werden. Jede Generation hat praktisch den Auftrag, für einen gesellschaftlichen Fortschritt im Sinne des Feminismus zu arbeiten. Mir fehlt auch der Gedanke einer Utopie. Damit meine ich ein positives und konstruktives Denken, mit dem wir schrittweise doch etwas zum Besseren auf der Welt erreichen. Und um grundsätzlich an den Verhältnissen etwas zu ändern, muss auch parteipolitische darauf hingearbeitet werden.

Mittlerweile hat auch die Werbeindustrie vermeintlich den Feminismus für sich entdeckt. Es gibt T-Shirts mit Slogans wie "Girl Power". Was halten Sie davon?

In der Logik der Werbetreibenden ein konsequenter Schritt. Sie sagen einfach: Wir überlassen es der "Girl Power", etwas zu verändern. Aber wie soll etwas verändert werden? Diese Slogans kommen ohne Inhalt daher. Und deshalb stellt diese Vereinnahmung der feministischen Ideen für mich auch einen Eingriff dar. Jeder dieser Menschen, der diese Kleidungsstücke kreiert und trägt, tut nichts für eine demokratischere, nicht sexistische und antidiskriminierende Welt. Das ist gar nichts. Es ist ein Schritt ins Gegenteilige.

Im November soll das VALIE EXPORT Center in Linz eröffnet werden. Nach all den Anfeindungen vor 40 Jahren empfinden Sie es heute ein wenig als Genugtuung, dass die Stadt den Stellenwert Ihrer Kunst anerkennt?

Es freut mich natürlich sehr, es ist auch wichtig für mich, dass das VALIE EXPORT Center, VEC, in Linz aufgebaut wurde. Es soll der internationalen künstlerischen Forschung dienen, Archiven im Austausch stehen, Künstler*innen, Studierenden, Kurator*innen, Sammlungen und allen Interessierten zur Verfügung stehen. Im VEC wird über meine Werke geforscht, aber auch mit künstlerischen, theoretischen Statements wie zum Beispiel zu Feminismus, Konzeptart, Mediaart, Performance in unterschiedlichen Kulturen, Kontinenten, Ländern wird es es eine Auseinandersetzung geben. Die Eröffnungsausstellung und das Symposion sind Anfang Dezember 2017 in Linz/A.

Gibt es das originale "TAPP und TASTKINO" eigentlich noch?

Nein, das Original gibt es nicht mehr, aber eine Kopie. Theoretisch könnte es wieder im Öffentlichen Raum präsentiert werden, um die Menschen damit zu konfrontieren. Aber es macht für mich heute keinen Sinn mehr. Die Zeiten haben sich geändert.

Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie dem Queerspiegel in den sozialen Netzwerken:

Zur Startseite