Berlin in den zwanziger Jahren: Die erste Weltmetropole für Lesben und Schwule
In den zwanziger Jahren war Berlin der erste Sehnsuchtsort für Lesben und Schwule weltweit. Christopher Isherwood und Claire Waldoff wurden zu Ikonen, das Eldorado weit über die Grenzen der Stadt bekannt.
„Berlin bedeutet Männer. Ein Traum für Schwule“ – das flüstert der junge englische Dichter W. H. Auden Ende der zwanziger Jahre seinem Freund Christopher Isherwood zu. Schon bald ziehen die beiden selber nach Berlin, gemeinsam mit Freunden: Eine Clique junger schwuler Engländer auf der Suche nach ihrem Glück. Sie fasziniert das Nachtleben der Stadt, schnell stürzen sie sich in die homosexuelle Clubs, Dielen und Kneipen, von denen es damals 170 gegeben haben soll. Zum Ruhm Berlins als erster Weltmetropole der Schwulen und Lesben trägt insbesondere Isherwood bei: Er verewigt seine Berliner Zeit später literarisch, etwa in der Vorlage für das Musical „Cabaret“.
Der erste queere Kiez schon um die Jahrhundertwende
Isherwood und Auden trafen auf eine Szene, die sich bereits seit Jahren entwickelt hatte. Schon um die Jahrhundertwende entstanden in Berlin die ersten homosexuellen Kneipen, oft versteckt, besucht von Schwulen wie Lesben gleichermaßen. Konzentrierten sich diese zunächst in Mitte und im nördlichen Kreuzberg, kam die Szene zu Beginn der zwanziger Jahre auch in Schöneberg rund um den Nollendorfplatz an – bis heute einer der wichtigsten queeren Kieze Berlins.
Schönheitssalons, Pensionen, Bücherläden nur für Homos
„Schöneberg war etwas Besonderes“, schreibt der Berliner Historiker Andreas Pretzel in einem sehr lesenwerten Band über die historischen Orte im Schöneberger Regenbogenkiez. Nicht nur, weil die Szene inmitten eines bürgerlichen, wohlhabenden Viertels wuchs. Die Vielfalt war verblüffend: Pensionen machten neben Zimmervermietungen auf, Schönheitssalons warben um homosexuelle Kundschaft, genauso wie Fotoateliers und Bücherläden und sogar ein Wein- und Likörhandel.
Am bekanntesten in Berlin: das Eldorado
Der berühmteste Club war zweifelsohne das Eldorado, dank seiner Travestie-Shows weit über die Grenzen Berlin bekannt. Hier trafen sich Homos und Heteros, Berliner und Touristen. „Zwischen den Tänzen, bei denen auch der Normale sich den pikanten Genuss leisten kann, mit einem effeminierten Manne in Frauenkleidern zu tanzen, gibt es Brettldarbietungen. Eine männliche Chanteuse singt mit ihrem schrillen Sopran zweideutige Pariser Chansons“, pries ein Reiseführer durch das „lasterhafte Berlin“ das Eldorado an. In der Szene war das Eldorado durchaus umstritten: Homosexuelle würden hier vor einem heterosexuellen Publikum zur Schau gestellt, lautete die Kritik.
Nun war keiner und keine zwingend auf das Eldorado angewiesen. Vielmehr galt die Vielfalt auch für das Nachtleben, waren es nun rauschende Bälle wie der legendäre „Böse-Buben-Ball“ oder Motto-Partys wie das „Apachenfest“, bei dem regelmäßig die drei am originellsten kostümierten Apachenhäuptlinge prämiert wurden.
Zum Lesben-Schwoof in den dritten Hinterhof
„Bermuda-Dreieck“ nannten Insider das Viertel zwischen Bülowstraße und Winterfeldtplatz gleichsam ehrfürchtig und liebevoll. Zum Lesben-Schwoof traf frau sich im dritten Hinterhof in der heute völlig unscheinbaren Schwerinstraße. Für die Chansonniere Claire Waldoff war der dortige „Topp-Keller“ „mit seiner Sünde und Buntheit typisch für das Berliner Nachtleben“. Hoch her ging es in der Tat: „Zum so und so vielten Male ertönte im Laufe des Abends die berühmte 'Cognac-Polonaise', die man auf dem Tanzboden kniend, mit dem gefüllten Cognac-Glas vor sich zelebrierte“, schrieb Waldoff. Die Sängerin, die mit ihrer Lebensgefährtin in der Stadt lebte, wurde wie Isherwood zur Ikone des homosexuellen Berlins der Zwanziger.
Vergnügen und Politik mischen sich
Vergnügen und Politik mischten sich oft: Viele Läden, in denen abends gefeiert wurde, nutzten tagsüber politische Vereinigungen, die gegen die politische und rechtliche Diskriminierung von Homosexuellen kämpften. Denn wenn auch die Etablissements durch die Polizei geduldet wurden und Deutschland als einer der sexuell liberalsten Länder der Welt galt, war Unterdrückung dennoch ebenso alltäglich. Der berüchtigte Paragraph 175 verbot Sex zwischen Männern (aufgehoben wurde er übrigens endgültig erst 1994), Verurteilungen waren an der Tagesordnung.
Und so gründeten sich allein in Berlin drei große Homo-Organisationen, darunter das „Wissenschaftlich humanitäre Komitee“, zu dessen Initiatoren um die Jahrhundertwende Magnus Hirschfeld gehörte und das eng mit Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaften verbunden war. Aktivistinnen und Aktivisten veröffentlichten zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften – darunter 1924 „Die Freundin“, die als erste lesbische Zeitschrift überhaupt gilt.
Bereits 1932 gerieten Lesben und Schwule stark unter Druck
Schon bevor die Nazis an die Macht kamen, wurde der Traum indes langsam zum Alptraum. Bereits 1932 gerieten schwule und lesbische Clubs in Berlin stark unter Druck, nachdem der neue Polizeipräsident in Preußen ihnen mit Schließung drohte. Schnell war das Ende für das Eldorado in der Motzstraße besiegelt: Der Wirt übergab es im Oktober 1932 an die Berliner SA, um der Schließung zuvorzukommen. Mit ihrem Machtantritt schlossen die Nazis binnen kürzester Zeit weitere schwule und lesbische Lokale in Schöneberg. Schon 1934 bildete die Gestapo ein Sonderdezernat, um Listen von schwulen Männern anzulegen. Viele schwule Männer und lesbische Frauen wurden von den Nazis verfolgt, tausende wurden im KZ ermordet.
Bis sich Berlin wieder zu dem weltweiten Sehnsuchtsort für Lesben, Schwule und alle anderen sexuellen Identitäten aufschwang, der es heute ist, sollte es mehrere Jahrzehnte dauern.
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