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Volkskörper. Akt von Heinz von Perckhammer 1940.
© akg-images

Homophobie: Die Lust der Nazis

Noch in den zwanziger Jahren war Deutschland der sexuell liberalste Ort der Welt, bei den Nazis galt dann das Ideal des heterosexuellen Ariers: Die New Yorker Starforscherin Dagmar Herzog spricht in Berlin über die „Paradoxien der sexuellen Liberalisierung“ im 20. Jahrhundert.

Dagmar Herzog hat der Welt schon öfter die Sexualität der Deutschen erklärt. „Sex after Fascism“ heißt eines ihrer bekanntesten Bücher: Sie zeigt darin, wieso Deutschland in der Nachkriegszeit plötzlich eine konservative Sexualmoral pflegt, nachdem man die voreheliche Enthaltsamkeit schon in der Weimarer Republik als verstaubt betrachtet hatte. „Vergangenheitsbewältigung durch Sex“ nennt Herzog das Phänomen der 1950er Jahre und ist damit bei ihrer Kernthese: Sexualität ist immer mit den politischen Ereignissen ihrer Zeit verbunden. Man muss Politik verstehen, wenn man wissen will, warum Menschen in ihrem Intimleben so manipulierbar sind und Repressionen sexueller Minderheiten „so gut ziehen“.

Herzog ist Historikerin an der City University of New York und ein Superstar unter den Genderwissenschaftlern. Am Freitagabend hat sie im brechend vollen Audimax der Humboldt-Universität den Eröffnungsvortrag der Hirschfeld-Lectures gehalten, einer Reihe der 2011 gegründeten Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Die Stiftung setzt sich gegen Diskrimierung von homo- und transsexuellen Menschen ein und knüpft an das Erbe des jüdischen Artzes an.

Hirschfeld hatte 1919 das europaweit einzigartige Institut für Sexualwissenschaft in Berlin gegründet. Hier forschte er zu sexuellen Minderheiten und sprach sich für ihre Rechte aus. Auch wenn einige seiner Thesen, etwa zur Eugenik, aus heutiger Sicht problematisch sind, knüpfen Geschlechterforscher bis heute an seine Kritik der heterosexuellen Norm an.

Auch Herzog sieht sich in Hirschfelds Nachfolge. Ihr Vortrag über „Paradoxien der sexuellen Liberalisierung“ widmet sich der Verfolgung von Homosexuellen im 20. Jahrhundert. Im Zeitraffer führt sie durch die Geschichte deutscher Sexualmoral – von den liberalen Sexualreformern der Weimarer Republik über die Verfolgung Homosexueller im Dritten Reich bis zur Prüderie der fünfziger Jahre.

So lernen die Zuhörer, dass Deutschland in den zwanziger Jahren der sexuell liberalste Ort der Welt war. Aktivistinnen kämpften für bessere Verhütung, es gab „Beratungsstellen für die proletarische Jugend“ und Anleitungen zum größeren Lustgewinn. Jüdische wie nichtjüdische Ärzte gehörten zu den Reformern. Die Menschen, sagt Herzog, sehnten sich nach besserem Sex.

Paradoxien deutscher Sexualgeschichte

Die Nationalsozialisten machten sich diese Sehnsucht auf paradoxe Weise zu eigen: Um konservative Kirchenvertreter für sich zu gewinnen, dämonisierten sie zunächst die sexuelle Liberalisierung als „volksverderbendes“ jüdisches Projekt.

Auch Hirschfelds Institut wurde 1933 geschlossen, seine Bücher als „schädliche Literatur“ verbrannt. Gleichzeitig übernahmen die Nazis das Wissen jüdischer Sexualforscher und kodierten es zu ihren Gunsten um. Erhöhte Lust wurde nun als „Geschenk Hitlers“ verkauft, Nacktkultur wiedereingeführt, vorehelicher Sex als legitim angepriesen – jedoch ausschließlich für heterosexuelle „Arier“. Herzog spricht von einem Deal der Nazis mit den Deutschen: „Wir geben euch besseren Sex, wenn ihr dafür Juden und Homosexuelle hasst.“

Aufgrund gesteigerter Homophobie wurden im Dritten Reich 100 000 Männer zentral registriert, tausende umgebracht. Paragraf 175, der – in eingeschränkter Form bis 1994 – Sex zwischen Männern unter Strafe stellte, wurde 1935 erweitert: Jetzt konnte schon ein erotischer Blick Gefängnis bedeuten. Was Herzog daran interessant findet: Heterosexualität galt bei den Nazis als überaus verletzliche Identität, stellten Schwule doch eine Versuchung für jeden heterosexuellen Mann dar. Damit hatten die Nazis sexuelle Orientierung als „flüssig und schwankend“ erkannt.

Dass im Nachkriegsdeutschland die Repressionen gegenüber Schwulen nicht aufgehoben wurden, hält Herzog für eine der größten Paradoxien deutscher Sexualgeschichte. Obwohl die Politik in den fünfziger Jahren versuchte, sich durch das Gebot sexueller Enthaltsamkeit vom Dritten Reich abzugrenzen, führte sie die Gewalt an Homosexuellen de facto weiter. Hier zeigt Herzog, warum die Verteidigung sexueller Freiheit sich weiter lohnt: Wenn sexuelle Freiheit eingeschränkt wird, trifft das fast immer zuerst die Freiheit sexueller Minderheiten.

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